Heribert Kohl - Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung
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KOALITIONSFREIHEIT, ARBEITNEHMERRECHTE UND SOZIALER DIALOG<br />
bandsvielfalt geför<strong>der</strong>t als in Län<strong>der</strong>n wie etwa<br />
Ungarn, wo sich Betriebsgewerkschaften als<br />
selbständige Organisationen registrieren ließen,<br />
um am Gewerkschaftsvermögen partizipieren<br />
zu können.<br />
• Der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist<br />
mit Werten zwischen 25 und 35% hier insgesamt<br />
besser und vergleichbar mit dem Mittelfeld<br />
in Mittelosteuropa (also: CZ, SK, RO, SI); er<br />
liegt damit deutlich über <strong>der</strong> dortigen Gruppe<br />
mit hohen Mitgliedsverlusten.<br />
• Die Ressourcenfrage <strong>der</strong> finanziellen und personellen<br />
Ausstattung <strong>der</strong> Gewerkschaften ist in<br />
beiden Regionen ähnlich gelagert. Die Beiträge<br />
werden (noch) allenthalben durch den Arbeitgeber<br />
unmittelbar vom Lohn abgehalten – was<br />
faktisch abschreckend gegenüber einer Beitrittsabsicht<br />
bei einem gewerkschaftsfeindlichen Klima<br />
im Unternehmen wirken kann – und in seinem<br />
Volumen vorwiegend dezentral eingesetzt.<br />
Dies stärkt die örtlichen Akteure, soweit sie<br />
präsent sind, schwächt aber die Zentralen. Vorschläge<br />
einer Umverteilung <strong>der</strong> Mittel, wie<br />
etwa von sektoralen Organisationen in Litauen<br />
gefor<strong>der</strong>t, die 50% des Beitragsaufkommens für<br />
sich reklamieren möchten, konnten sich in beiden<br />
Regionen noch nirgends durchsetzen. Als<br />
Resultat werden überall fehlende Experten in<br />
den jeweiligen Hauptvorständen beklagt.<br />
• Auch die Arbeitgeberseite steht vor ähnlichen<br />
Problemen, ist aber auf eine weniger personalintensive<br />
Ausstattung mit hauptamtlichen Experten<br />
angewiesen. Als vorwiegend Lobbyorganisationen<br />
gegenüber <strong>der</strong> Regierung sind die<br />
Arbeitgeberverbände ohnehin weniger in Tarifverhandlungen<br />
einbezogen und teilweise von<br />
ihren Mitglie<strong>der</strong>n damit auch nicht beauftragt.<br />
Ihre organisatorische Verwurzelung in <strong>der</strong> breit<br />
gefächerten Klientel <strong>der</strong> Klein- und Mittelbetriebe<br />
ist im westlichen Balkan relativ ausgeprägt,<br />
weniger dagegen in Großbetrieben und<br />
den internationalen Joint ventures, als dies in<br />
den neuen Mitgliedslän<strong>der</strong>n <strong>der</strong> EU <strong>der</strong> Fall ist.<br />
Eine offene Frage ist, inwieweit sich die gegenwärtigen<br />
organisatorischen Voraussetzungen für<br />
gewerkschaftliches Handeln in Südosteuropa angesichts<br />
<strong>der</strong> gestiegenen Herausfor<strong>der</strong>ungen durch<br />
die Krise gewachsen zeigen.<br />
4.2 Lücken bei <strong>der</strong> Interessenvertretung<br />
in Betrieb und Unternehmen<br />
Bedingt durch den Wandel <strong>der</strong> Betriebsstrukturen<br />
hin zu kleineren Unternehmenseinheiten und den<br />
allgemeinen Mitglie<strong>der</strong>rückgang hat <strong>der</strong> Anteil<br />
<strong>der</strong> „gewerkschaftsfreien“, ohne eine Vertretung<br />
<strong>der</strong> Beschäftigten ausgestatteten Betriebe in Osteuropa<br />
in einem Maße zugenommen, dass eine<br />
Gewerkschaftsvertretung in <strong>der</strong> Regel nur noch<br />
bei einer Mehrheit <strong>der</strong> Großunternehmen, jedoch<br />
keineswegs mehr <strong>der</strong> mittleren und vor allem<br />
nicht in den immer zahlreicheren Kleinbetrieben<br />
festzustellen ist. Die Beschäftigten in rd. 80% und<br />
mehr <strong>der</strong> Betriebe bleiben damit im Konfliktfall<br />
ohne den nötigen rechtlichen Schutz.<br />
Betriebsräte o<strong>der</strong> einzelne Arbeitnehmervertreter<br />
(Obleute), die von <strong>der</strong> Gesamtbelegschaft gewählt<br />
werden, können in dieser Situation eine wichtige<br />
Rolle spielen. Zumal dort, wo sie mit garantierten<br />
Mindestrechten zur Sicherung <strong>der</strong> Mitsprache <strong>der</strong><br />
Beschäftigten versehen sind, bezogen etwa auf die<br />
Gestaltung <strong>der</strong> Arbeitszeiten o<strong>der</strong> personelle Fragen<br />
wie eine sozialverträgliche Personalreduzierung.<br />
Dies setzt immer eine rechtzeitige Information<br />
und Beteiligung durch den Arbeitgeber<br />
voraus, wie sie die EU-Richtlinie 2002 für Unternehmen<br />
ab 50 bzw. Betriebe ab 20 Arbeitnehmer<br />
vorschreibt.<br />
Der Druck dieser Richtlinie hat bisher in den<br />
neuen EU-Mitgliedstaaten Osteuropas eine etwas<br />
an<strong>der</strong>e Situation als in Südosteuropa <strong>der</strong>zeit erkennbar<br />
geschaffen. Überwiegend wurden bereits<br />
im Vorfeld des Beitritts hier Betriebsräte als institutionelle<br />
Interessenvertretung eingerichtet, o<strong>der</strong><br />
diese spätestens zur Umsetzung <strong>der</strong> erwähnten<br />
Richtlinie geschaffen. Anlass für <strong>der</strong>en Einführung<br />
im Zuge des Beitritts war für die betreffenden<br />
Regierungen eine oft nur noch lückenhafte<br />
gewerkschaftliche Vertretung am Arbeitsplatz.<br />
Viele Gewerkschaften verstanden dieses Vorgehen<br />
nicht selten als Angriff auf ihre bisherigen Rechte<br />
und ungewollte Konkurrenz. Sie wehrten sich mit<br />
aller Macht gegen diese ihnen bisher unbekannte<br />
Institution. So vor allem, wie in Teil 3.1 dargestellt,<br />
in Tschechien, Polen, <strong>der</strong> Slowakei und den drei<br />
baltischen Staaten.<br />
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