Heribert Kohl - Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung
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FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG<br />
Eine höhere Ungleichverteilung trifft folglich auch<br />
für den Westbalkan mit Ausnahme Kroatiens zu.<br />
Dies folgt rein rechnerisch bereits aus <strong>der</strong> Tatsache,<br />
dass es bei einem niedrigen Anteil <strong>der</strong> Mindestlöhne<br />
am Durchschnittseinkommen eines Landes<br />
entsprechend große Anteile von Personen mit<br />
einem vielfach höheren Einkommen geben muss,<br />
die den Landesdurchschnitt im Verhältnis zum<br />
Mindestlohnniveau entsprechend anzuheben in<br />
<strong>der</strong> Lage sind. Ganz abgesehen von dem Faktum<br />
<strong>der</strong> „Kuvertlöhne“ (d.h. den nicht deklarierten<br />
Teilen <strong>der</strong> Entlohnung), die auch in dieser Region<br />
verbreitet sind. Bei einer vertraglich wenig o<strong>der</strong><br />
kaum regulierten Entgeltpolitik liegen die Verdienste<br />
<strong>der</strong> qualifizierteren Fachkräfte stets deutlich<br />
überproportional über <strong>der</strong> Entlohnung geringer<br />
qualifizierter und häufiger angebotener Tätigkeiten<br />
als im umgekehrten Fall (vgl. EC 2009, Teil 3).<br />
3.2.8 Kontrolle <strong>der</strong> Umsetzung von<br />
Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechten<br />
Die Qualität <strong>der</strong> Arbeitsrechte und <strong>der</strong> Arbeitsstandards<br />
hängen einesteils sowohl von den vorhandenen<br />
kodifizierten Rechtsnormen und dem<br />
praktizierten Sozialdialog ab. Entscheidend ist<br />
aber immer die Einhaltung <strong>der</strong> Vereinbarungen<br />
des sozialen Dialogs und des geltenden Rechts in<br />
<strong>der</strong> alltäglichen Wirklichkeit. Zu <strong>der</strong>en Kontrolle<br />
bedarf es durchsetzungsfähiger Akteure und<br />
Instanzen mit einer ausreichenden Sanktionsmacht.<br />
Für den westlichen Balkan sind hier wie<strong>der</strong>um<br />
deutliche Differenzierungen angesagt. Wo eine<br />
größere Dichte an Vereinbarungen und ein höherer<br />
Grad an Regulierung erreicht werden konnten,<br />
sind die hier anzutreffenden Standards höher als<br />
im umgekehrten Falle. Insbeson<strong>der</strong>e zeigen sich<br />
solche Defizite dort, wo eine rechtliche Kontrolle<br />
nicht korrigierend o<strong>der</strong> auch abschreckend eingreifen<br />
kann. Deutliche Unterschiede <strong>der</strong> realisierten<br />
Arbeitsrechtsstandards erweisen sich hier wie<br />
zuvor schon bei den an<strong>der</strong>en Analyse-Ebenen<br />
zwischen dem EU-Kandidatenland Kroatien und<br />
seinen Nachbarn des westlichen Balkan.<br />
Die hier zu einem Vergleich heranzuziehenden<br />
Standards <strong>der</strong> Koalitionsfreiheit und des Sozialdialogs<br />
beziehen sich neben <strong>der</strong> Frage ihrer jeweiligen<br />
rechtlichen Voraussetzungen durch entsprechende<br />
Gesetze und Vorschriften im wesentlichen<br />
auf folgende fünf Bereiche:<br />
• die Präsenz einer Interessenvertretung möglichst<br />
in allen Unternehmensgrößenklassen mit<br />
garantierten Befugnissen,<br />
• die Garantie vergleichbarer Arbeits- und Entlohnungsbedingungen<br />
für vergleichbare Tätigkeiten<br />
durch wirksame Kollektivvereinbarungen,<br />
• die Tätigkeit von Instanzen <strong>der</strong> Konfliktregelung<br />
in Fragen des kollektiven Arbeitsrechts<br />
(vor allem in <strong>der</strong> Tarifvertragspolitik und beim<br />
praktizierten Streikrecht)<br />
• die praktische Wirksamkeit <strong>der</strong> Arbeitsinspektion<br />
und<br />
• die gerichtliche Kontrolle und <strong>der</strong> dadurch ermöglichte<br />
Rechtsschutz in Fragen des individuellen<br />
und kollektiven Arbeitsrechts im Falle offensichtlicher<br />
Verstöße.<br />
Einen beson<strong>der</strong>en Aspekt dieser Bilanz bilden ferner<br />
eine angemessene Existenzsicherung durch<br />
garantierte Mindestlöhne sowie zusätzliche staatliche<br />
Transferleistungen.<br />
Was die genannten Punkte betrifft, sind die Stärken<br />
und Schwächen und beson<strong>der</strong>en Defizite <strong>der</strong><br />
betrieblichen Interessenvertretung und <strong>der</strong> Kollektivvertragspolitik<br />
einschließlich <strong>der</strong> Mindestlohnsicherung<br />
bereits im einzelnen in <strong>der</strong> zweiten<br />
Hälfte dieses Hauptteils <strong>der</strong> Studie (3.2) dargestellt<br />
worden. Die sich hier zeigenden rechtlichen<br />
Lücken ebenso wie die bestehenden Restriktionen<br />
<strong>der</strong> Koalitionsfreiheit bedürfen im Zuge einer<br />
Heranführung an die EU-Mitgliedschaft und -Integration<br />
weiterer gezielter Initiativen in den einzelnen<br />
Län<strong>der</strong>n.<br />
Unabhängig von den Lücken <strong>der</strong> Rechtsetzung<br />
und des Satzungsrechts ist an dieser Stelle <strong>der</strong><br />
Studie aber das Augenmerk beson<strong>der</strong>s auf die<br />
Umsetzung und För<strong>der</strong>ung und Kontrolle des<br />
vorhandenen Rechts zu legen.<br />
Die Instanzen <strong>der</strong> Konfliktregulierung wurden in<br />
den untersuchten Län<strong>der</strong>n z.T. in jüngster Zeit er-<br />
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