Heribert Kohl - Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung
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KOALITIONSFREIHEIT, ARBEITNEHMERRECHTE UND SOZIALER DIALOG<br />
Administrative Auflagen vor Durchführung eines<br />
Streiks beziehen sich im wesentlichen auf bestimmte<br />
Ankündigungspflichten. Sie besagen für<br />
• Serbien: eine Ankündigungsfrist von mindestens<br />
15 Tagen gegenüber dem Arbeitgeber vor<br />
Streikbeginn;<br />
• Montenegro: üblicherweise 5, in „wesentlichen“<br />
Diensten 10 Tage zuvor;<br />
• BiH, bosnisch-kroatischer Teil: generell 10 Tage;<br />
in <strong>der</strong> RS: 8 Tage vor Streikbeginn.<br />
In nahezu allen Fällen ist ein Streik als ultima ratio<br />
einer Tarifauseinan<strong>der</strong>setzung o<strong>der</strong> eines Arbeitskonflikts<br />
nur nach obligatorischen Schlichtungs-<br />
o<strong>der</strong> Schiedsverfahren o<strong>der</strong> einer vorherigen<br />
freiwilligen Mediation und Konziliation mit<br />
wie<strong>der</strong>um bestimmten und teilweise ausgedehnten<br />
„Abkühlungs“-Fristen rechtlich zulässig. Diese<br />
Vorschriften dienen sowohl <strong>der</strong> Kompromissfindung<br />
als auch <strong>der</strong> als notwendig angesehenen<br />
Beruhigung in einer „heißen“ Phase. Widrigenfalls<br />
kann eine Arbeitsnie<strong>der</strong>legung durch Gerichtsurteil<br />
als illegal erklärt werden. Dies wie<strong>der</strong>um<br />
kann für die Beteiligten und insbeson<strong>der</strong>e die<br />
gewerkschaftliche Streikleitung zu gravierenden<br />
Regressfor<strong>der</strong>ungen o<strong>der</strong> auch sonstigen Maßregelungen<br />
führen.<br />
Eine Aussperrung durch die Arbeitgeber ist in<br />
BiH maximal bis zur Hälfte <strong>der</strong> am Streik Beteiligten<br />
rechtlich zulässig, desgleichen auch in Kroatien.<br />
In Mazedonien allerdings nur in dem deutlich<br />
beschränkteren Maß von bis zu 2% <strong>der</strong> jeweiligen<br />
Streikpersonen. Diese rechtlich gegebene<br />
Möglichkeit spielte in <strong>der</strong> Praxis bislang keine<br />
Rolle, sie entspringt vielmehr eher einem formalen<br />
Paritätsgrundsatz.<br />
All dies hat neben <strong>der</strong> allgemeinen Konjunkturund<br />
Arbeitsmarktlage sowie einer ohnehin verbreiteten<br />
Migrationsbewegung dazu beigetragen,<br />
dass Flächenstreiks mit Ausnahme bestimmter<br />
Aktionen im öffentlichen Bereich durch bestimmte<br />
Berufsgruppen <strong>der</strong>zeit in Südosteuropa so gut wie<br />
nicht stattfinden. Ausstände sind höchstens bei<br />
einzelnen Unternehmen im Falle <strong>der</strong> Verletzung<br />
bestehen<strong>der</strong> tariflicher Bestimmungen o<strong>der</strong> nicht<br />
begründeter Lohnrückstände zu verzeichnen. Sie<br />
sind damit z.T. eher als Gegenwehr denn als ein<br />
aktives Instrument im Rahmen eines Verteilungskampfes<br />
zu werten.<br />
3.2.7 Mindestlöhne als Ersatz für<br />
Kollektivverträge – Auswirkungen<br />
<strong>der</strong> Verhandlungssysteme auf die<br />
Verteilungspolitik<br />
Die materiellen Effekte des Sozialdialogs und <strong>der</strong><br />
spezifischen Formen <strong>der</strong> Verhandlungs- und Vertragspolitik<br />
im westlichen Balkan sind an einer<br />
Reihe aussagekräftiger Indikatoren und Kennziffern<br />
abzulesen. Dazu zählen im wesentlichen <strong>der</strong><br />
Mindestlohn und <strong>der</strong> Durchschnittslohn in einem<br />
Lande im Kontext <strong>der</strong> dazugehörigen wirtschaftlichen<br />
Rahmendaten. Die Datenlage ist im Vergleich<br />
mit den neuen Mitgliedslän<strong>der</strong>n <strong>der</strong> EU in<br />
Osteuropa hier allerdings dürftiger, da sie durch<br />
Eurostat mit Ausnahme <strong>der</strong> beiden Kandidatenlän<strong>der</strong><br />
Kroatien und Mazedonien noch nicht systematisch<br />
und fortlaufend verfolgt wird. Hinzu<br />
kommt, dass bestimmte volkswirtschaftliche Aggregate<br />
– wie z.B. die jeweilige Produktivität –<br />
nicht jeweils vergleichbar gemessen und wie<strong>der</strong>gegeben<br />
werden. Sie sind, um bei dem letzteren<br />
Beispiel zu bleiben, im Übrigen auch den am Tarifgeschehen<br />
im Lande Beteiligten selbst nicht in<br />
dem Maße wie erfor<strong>der</strong>lich geläufig, wie Verhandlungsplanspiele<br />
vor Ort erwiesen haben. Des weiteren<br />
hat die Konzentration auf die jeweiligen Unternehmenslage<br />
und darauf bezogene Abschlüsse<br />
ohnehin eine verän<strong>der</strong>te Herangehensweise und<br />
Orientierung primär an einzelwirtschaftlichen Daten<br />
zu Folge.<br />
Als eine erste Annäherung an die Ergebnisse <strong>der</strong><br />
Verteilungspolitik kann ein Quervergleich wesentlicher<br />
Rahmendaten in dieser Region dienen<br />
(Übersicht 26a).<br />
Bei diesem Tableau fällt zunächst auf, dass in zwei<br />
<strong>der</strong> sechs Län<strong>der</strong> kein gesetzlicher Mindestlohn<br />
besteht. Eine untere Schwelle <strong>der</strong> Entlohnung bietet<br />
in Mazedonien lediglich die jeweils niedrigste<br />
Lohngruppe, soweit ein entsprechen<strong>der</strong> Branchentarifvertrag<br />
vorliegt. Die Bandbreite reicht<br />
hier von <strong>der</strong> Textil- und Le<strong>der</strong>industrie mit einem<br />
Eingangslohn von umgerechnet 75 bzw. 68 Euro<br />
bis etwa zu den Gesundheitsberufen mit einem<br />
Monatsverdienst von <strong>der</strong>zeit (2008/9) rd. 218<br />
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