15.02.2014 Aufrufe

Heribert Kohl - Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung

Heribert Kohl - Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung

Heribert Kohl - Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG<br />

In Slowenien und Kroatien hingegen wie auch in<br />

Ungarn mit ihrer an<strong>der</strong>s gelagerten Tradition <strong>der</strong><br />

Arbeiterräte sahen die in Wandlung begriffenen<br />

Arbeitnehmerorganisationen Anfang <strong>der</strong> 90er Jahre<br />

weniger Vorbehalte. Sie begriffen alsbald die<br />

Funktion <strong>der</strong> Betriebsräte als Tandem <strong>der</strong> Gewerkschaften<br />

und „Einlasspforte“ für ihre Aktivitäten<br />

gerade dort, wo sie weniger stark o<strong>der</strong> nicht<br />

mehr vertreten waren. Es gelang ihnen, durch Beratung<br />

und Schulung <strong>der</strong> gewählten Arbeitnehmervertretung<br />

die Betriebsräte stärker an die Gewerkschaften<br />

zu binden. Durch diese verstärkte<br />

Präsenz vor Ort war zugleich <strong>der</strong> notwendige unmittelbare<br />

Kontakt zu den Beschäftigten gewährleistet,<br />

was wie<strong>der</strong>um die Gewinnung neuer Mitglie<strong>der</strong><br />

beför<strong>der</strong>n kann. All dies setzt aber voraus,<br />

dass die Rolle <strong>der</strong> Betriebsräte als zweiter Kanal<br />

<strong>der</strong> Interessenvertretung mit einer eindeutigen<br />

Trennung <strong>der</strong> Kompetenzen ausgestattet und als<br />

solche gewollt und genutzt wird, wie dies etwa in<br />

Slowenien auch vor dem Hintergrund früherer<br />

positiver Erfahrungen mit <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Selbstverwaltung<br />

in den Unternehmen <strong>der</strong> Fall ist.<br />

Abgesehen von dieser allgemeinen Frage <strong>der</strong> Akzeptanz<br />

bestehen gegenüber <strong>der</strong> Institution Betriebsrat<br />

eine Reihe konkreter Unterschiede hinsichtlich<br />

ihrer Einrichtung und Wirksamkeit auch<br />

innerhalb <strong>der</strong> beiden Regionen Osteuropas. Dies<br />

betrifft sowohl die Bereitstellung, Einrichtung und<br />

personelle Ausstattung <strong>der</strong> Büros für die Betriebsräte,<br />

die Kostentragungspflicht des Arbeitgebers<br />

beim Einsatz notwendiger Experten und nicht zuletzt<br />

die Art <strong>der</strong> Freistellung <strong>der</strong> gewählten Mandatsträger<br />

von ihrer Arbeit zur Wahrnehmung ihrer<br />

Aufgaben o<strong>der</strong> für notwendige Qualifizierungsmaßnahmen.<br />

In den drei Län<strong>der</strong>n Südosteuropas mit einer gesetzlich<br />

möglichen Bildung von Betriebsräten<br />

(Kroatien, Bosnien und Serbien) ist dies im notwendigen<br />

Umfang nur für das Land mit <strong>der</strong> größten<br />

Verbreitung dieser Repräsentanten von Beschäftigten,<br />

in Kroatien, gegeben. Ansonsten setzt<br />

dies jeweils eine Vereinbarung mit dem betreffenden<br />

Arbeitgeber voraus (s. oben Übersicht 24).<br />

Die Lage in den 10 neuen EU-Mitgliedslän<strong>der</strong>n ist<br />

in diesem Punkt dagegen mit wenigen Ausnahmen<br />

insgesamt günstiger, was die rechtlichen Garantien<br />

für das Wirken gewählter Betriebsräte betrifft<br />

(s. dazu im einzelnen das Übersichtstableau<br />

für Mittelosteuropa über „Ausstattung und Kompetenzen<br />

<strong>der</strong> Betriebsräte durch Gesetz bzw. Kollektivvereinbarung“<br />

in Anh. 3.2).<br />

Geringere Unterschiede zeigen sich bei den rechtlichen<br />

Vorschriften zur Abhaltung von Betriebsversammlungen<br />

und zur Information <strong>der</strong> Belegschaft.<br />

Deutlich mehr geregelte Rechte zur Information<br />

und Konsultation durch und mit dem Arbeitgeber<br />

besitzen hingegen die Betriebsräte in<br />

Mittelosteuropa – ein Ergebnis <strong>der</strong> hier bereits<br />

wirkenden EU-Richtlinie 2002. Stärker ausgestattet<br />

sind dort auch die Kontrollbefugnisse des Betriebsrats<br />

zur Überwachung <strong>der</strong> Einhaltung arbeitsrechtlicher<br />

Normen, teilweise verbunden mit<br />

einem Klagerecht bei Zuwi<strong>der</strong>handlungen und<br />

Rechtsverstößen durch den Arbeitgeber.<br />

Ungewöhnlich und die sonst üblichen Kompetenzabgrenzungen<br />

sprengend sind die neueren<br />

Bestimmungen in den baltischen Län<strong>der</strong>n, wonach<br />

ein Betriebsrat bei fehlen<strong>der</strong> Gewerkschaftsvertretung<br />

im Unternehmen auch einen Firmentarifvertrag<br />

abschliessen und ggf. sogar mit dem<br />

Mittel eines Arbeitskampfes erzwingen kann (s.<br />

Übersicht in Anh. 3.2).<br />

Dieses ansonsten in Europa nirgends vorfindbare<br />

rechtliche Unikum versucht zwar aus <strong>der</strong> Not fehlen<strong>der</strong><br />

Gewerkschaftsvertretungen wie auch Kollektivverträge<br />

in einem Land eine Tugend zu machen,<br />

konnte aber die Abwehr <strong>der</strong> Gewerkschaften<br />

gegenüber <strong>der</strong> Institution Betriebsrat nur<br />

noch verstärken. Umgekehrt dient die Bestimmung<br />

in drei Län<strong>der</strong>n Mittelosteuropas (Bulgarien,<br />

Polen, Ungarn) sowie in Kroatien und Bosnien,<br />

dass bei fehlendem Betriebsrat die lokale Gewerkschaftsvertretung<br />

dessen Rechte übernimmt, auch<br />

kaum seiner weiteren praktischen Verbreitung.<br />

Dass umgekehrt die Wahl und die Tätigkeit eines<br />

Betriebsrats nicht möglich ist bzw. erlischt, sobald<br />

eine Gewerkschaftsvertretung in einem Unternehmen<br />

präsent ist, hat das polnische Verfassungsgericht<br />

durch Urteil vom Juli 2008 als Verstoß gegen<br />

das Prinzip <strong>der</strong> „negativen Koalitionsfreiheit“ deklariert<br />

und den polnischen Sejm zur Novellierung<br />

des Gesetzes von 2006 veranlasst.<br />

Rolle und Kompetenzen <strong>der</strong> lokalen Gewerkschaftsvertretung<br />

sind ohnehin in aller Regel weiter<br />

gefasst als die <strong>der</strong> Betriebsräte, allenfalls im<br />

Bereich Information und Konsultation ist <strong>der</strong><br />

rechtliche Rahmen für letztere in Mittelosteuropa<br />

64

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!