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Renovierung und neue Fahrzeuge<br />
Die schwierige Situation wirkte sich auch<br />
auf den Fahrzeugpark der Ost-<strong>Berliner</strong> S-<strong>Bahn</strong><br />
aus. Dabei half es wenig, dass aus West-Berlin<br />
mehrere Züge der Baureihen 168 und 169<br />
zur Verfügung standen. Sie wurden im Reichsbahnausbesserungswerk<br />
Berlin-Schöneweide<br />
zu U-<strong>Bahn</strong>-Wagen für die Großprofillinie Alexanderplatz<br />
– Tierpark umgebaut, da dort<br />
ebenfalls Mangel herrschte.<br />
Modernisierte und neue Fahrzeuge<br />
Weil die S-<strong>Bahn</strong> nicht die vorgesehenen Neubaufahrzeuge<br />
der Baureihe 126 erhielt, mussten<br />
von 1973 an die Fahrzeuge der Vorkriegs-<br />
Baureihen 276.0 und 277 modernisiert<br />
werden. Bis 1982 umfasste die Maßnahme<br />
206 Triebfahrzeuge. Die Fahrzeuge erhielten<br />
dabei neue Drehgestelle, ein 110-Volt-Bordnetz,<br />
eine veränderte Vorderansicht der Triebwagen<br />
und eine modernisierte Fahrgastraumgestaltung<br />
mit Großraumabteilen für die<br />
Beförderung von Kinderwagen und großem<br />
Reisegepäck.<br />
Außerdem wurden von 1979 bis 1987 die<br />
195 Triebwagen der Baureihe 275 modernisiert.<br />
Sie erhielten die Ordnungsnummer 276.1, ihre<br />
Innengestaltung entsprach der modernisierten<br />
Baureihe 277. Eine über der Scharfenbergkupplung<br />
angeordnete halbautomatische Steuerstromkupplung<br />
ermöglichte die Verbindung<br />
des Steuerstroms mit den 277er-Triebzügen, so<br />
dass diese gemeinsam verkehren konnten. Der<br />
veraltete 4-m-Funk wurde gegen 2-m-Funk<br />
ausgetauscht. Die Triebfahrzeuge erhielten für<br />
die energiesparende Fahrweise Bordmikrorechner<br />
(BMR) und 1986 erst einmal versuchsweise<br />
in einem Triebfahrzeug eine Lautsprecheranlage<br />
zur Fahrgastinformation.<br />
Irgendwer hatte die Idee, alle Nahverkehrsmittel<br />
von der S-<strong>Bahn</strong> bis zum Taxi müssten in<br />
der Hauptstadt der DDR farblich aneinander<br />
angepasst werden und dürften sich nur in Nuancen<br />
unterscheiden. Dementsprechend wurden<br />
dem Minister für Verkehrswesen, Otto Arndt,<br />
verschiedene Varianten in Bordeauxrot-Elfenbeinbeige<br />
vorgestellt, darunter eine Version mit<br />
Türen in Elfenbeinbeige und dem restlichen<br />
Fahrzeug in Bordeauxrot. Schließlich wurde Anfang<br />
1984 Bordeauxrot für den unteren Wagenkasten<br />
und Elfenbeinbeige für den Bereich<br />
oberhalb der Fahrzeugmitte ausgewählt. Bei Eisenbahnern<br />
und auch den <strong>Berliner</strong>n stieß das allerdings<br />
nicht auf Gegenliebe. Sie bemängelten,<br />
dass man die traditionelle S-<strong>Bahn</strong>-Lackierung<br />
Rot-Ocker aufgegeben hatte.<br />
Auf Dauer reichten die modernisierten Altbau-Fahrzeuge<br />
nicht aus; Neubauten waren<br />
notwendig. Vom 3. August 1980 bis 15. Mai<br />
1981 erprobte die S-<strong>Bahn</strong> einen achtteiligen<br />
Vollzug (Musterzug) vom VEB Kombinat Lokomotivbau-Elektrotechnische<br />
Werke „Hans<br />
Beimler“ Hennigsdorf. Das als Baureihe 270<br />
bezeichnete Fahrzeug absolvierte 70.000 Kilometer<br />
Strecke. In einer Nacherprobung musste<br />
der Musterzug von 1983 nochmals 100.000<br />
Kilometer mit Fahrgästen fahren. Am 1. Februar<br />
1985 schließlich übernahm die Deutsche<br />
Reichsbahn diesen Zug (der 1991 ausgemustert<br />
STICHWORT WIEDERERÖFFNUNGEN DURCH DIE BVG<br />
Mit der Übernahme der West-<strong>Berliner</strong> S-<strong>Bahn</strong> betrieb die BVG ab 9. Januar 1984 ein „Rumpfnetz“,<br />
bestehend aus den Linien S 2 Anhalter Bf – Lichtenrade (13,8 Kilometer Länge) und<br />
S 3 Friedrichstraße – Charlottenburg (7,3 Kilometer). Darüber hinaus war zunächst nur die Inbetriebnahme<br />
der Wannseebahn geplant, nach erheblichen Protesten der Öffentlichkeit beschloss der<br />
West-<strong>Berliner</strong> Senat als Entscheidungsgremium der städtischen BVG eine größere Erweiterung. In<br />
Betrieb gingen:<br />
1. Mai 1984 S 3, Charlottenburg – Wannsee<br />
1. Mai 1984 S 2, Anhalter <strong>Bahn</strong>hof – Gesundbrunnen<br />
1. Oktober 1984 S 2, Gesundbrunnen – Frohnau<br />
1. Februar 1985 S 1, Anhalter <strong>Bahn</strong>hof – Wannsee<br />
Die Inbetriebnahme der Strecke nach Frohnau und erst recht der Wannseebahn erforderte aufwendige<br />
Sanierungsarbeiten. In dieser Form blieb das West-<strong>Berliner</strong> Netz bis nach der Wiedervereinigung<br />
bestehen.<br />
MANUEL JACOB/FELIX WALTHER<br />
Am 1. Februar 1985 nimmt die BVG die Wannseebahn wieder in Betrieb. Zwei Eröffnungszüge<br />
fahren parallel zum Anhalter <strong>Bahn</strong>hof, im Bild zwischen Lichterfelde West und Botanischer<br />
Garten<br />
Peter Kusterer<br />
wurde) und gab eine Serie in Auftrag. Von 1988<br />
an wurden die Züge in Rubinrot mit anthrazitfarbenem<br />
Fensterband ausgeliefert.<br />
Renovierung der <strong>Bahn</strong>hofsanlagen<br />
Neues bzw. Erneuertes strebte die Reichsbahn<br />
im Ost-<strong>Berliner</strong> S-<strong>Bahn</strong>-Netz aber nicht nur<br />
bei den Fahrzeugen an, sondern ebenso bei der<br />
Infrastruktur. Die <strong>Bahn</strong>anlagen einschließlich<br />
der Empfangsgebäude wiesen ein beachtliches<br />
Alter auf. Zum großen Teil stammten sie noch<br />
aus der Zeit der Betriebsaufnahme, waren im<br />
Krieg schwer beschädigt und später wieder errichtet<br />
worden. Die Instandhaltung der Hochbauten<br />
ließ oft zu wünschen übrig. Als sich in<br />
den 80er-Jahren ein großes Jubiläum ankündigte,<br />
wurde die Reichsbahn aktiv. Für die 750-<br />
Jahr-Feier Berlins 1987 wurden ab 1981 alle<br />
Empfangsgebäude und Verkehrsanlagen der<br />
Hauptstadt-<strong>Bahn</strong>höfe mit Ausnahme der Neubauten<br />
einer Verschönerungskur unterzogen.<br />
Mag sein, dass man damit Schwierigkeiten<br />
kaschierte. Doch rückblickend lässt sich sagen,<br />
dass die S-<strong>Bahn</strong> in der DDR-Mangelwirtschaft<br />
trotz aller Probleme ein wichtiger, wenn<br />
nicht der wichtigste Bestandteil des öffentlichen<br />
Personennahverkehrs in Ost-Berlin war.<br />
Dass sie diese Rolle überhaupt einnehmen<br />
konnte, ist der Improvisationskunst der Führungskräfte<br />
und der Liebe vieler Eisenbahner<br />
in der Reichsbahndirektion Berlin zu „ihrer“<br />
S-<strong>Bahn</strong> zu danken. Herausragend war stets das<br />
In Ost-Berlin war die S-<strong>Bahn</strong> ein beliebtes Verkehrsmittel,<br />
in West-Berlin die „Schüttelbahn“ der DDR<br />
Pflichtbewusstsein bei Großveranstaltungen,<br />
wenn nach „Hochleistungsfahrplänen“ gefahren<br />
wurde. Das wird im nachhinein leicht vergessen.<br />
Konfliktpotenzial in West-Berlin<br />
Gänzlich anders lagen die Dinge im Westteil<br />
der Stadt. War die Ost-<strong>Berliner</strong> S-<strong>Bahn</strong> für die<br />
dortige Bevölkerung das beliebte, zuverlässige<br />
Massenverkehrsmittel, so galt sie im Westen<br />
als „Schüttelbahn“, die, wie erwähnt, als<br />
Teil der DDR-Politik vehement abgelehnt<br />
wurde. Der Fahrgastrückgang infolge des Boykotts<br />
führte zu erheblichen Verlusten bei den<br />
<strong>BAHN</strong> <strong>EXTRA</strong> 2/2013<br />
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