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BAHN EXTRA Berliner S-Bahn (Vorschau)

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Ein Leben mit der S-<strong>Bahn</strong><br />

Beamtendeutsch „Bescheinigung<br />

zur Erlangung<br />

der Fahrpreisermäßigung<br />

für<br />

Kleingärtner“ hieß<br />

und die uns berechtigte,<br />

für den halben<br />

Preis S-<strong>Bahn</strong> zu fahren!<br />

Allerdings nur<br />

auf dem schriftlich<br />

vermerkten Streckenabschnitt<br />

und nur in<br />

der 3. Klasse.<br />

Schnelle Verbindung<br />

nach<br />

Neu-Rahnsdorf<br />

Die <strong>Bahn</strong>, die noch<br />

gar nicht S-<strong>Bahn</strong> hieß, fuhr ab Juni 1928 elektrisch<br />

von Potsdam nach Erkner über die<br />

Stadtbahn. Obwohl dieser prägnante Kurzname<br />

bereits Ende 1930 erfunden worden war,<br />

erschien er erst viel später auch auf den Fahrkarten<br />

und Plänen. Bis dahin hieß es immer<br />

noch etwas umständlich „<strong>Berliner</strong> Stadt-,<br />

Ring- und Vorortbahnen“. Diese schnelle<br />

<strong>Bahn</strong>verbindung war sicher für meine Eltern<br />

1929 auch ein Anreiz zum Kauf des Grundstücks<br />

in den sumpfigen Wiesen Neu-Rahnsdorfs<br />

gewesen, obwohl die Kanäle, die die<br />

Siedlung erst zu „Neu-Venedig“ machten,<br />

noch gar nicht ausgebaggert waren. Wir waren<br />

die zweiten Siedler!<br />

Meine Erinnerungen an die S-<strong>Bahn</strong> gehen<br />

zurück bis etwa Mitte der 30er-Jahre. Der<br />

Fußweg vom <strong>Bahn</strong>hof Wilhelmshagen nach<br />

Neu-Venedig war nicht schwer zu bewältigen,<br />

da wir meist nur leichtes Gepäck hatten. Eine<br />

Buslinie vom <strong>Bahn</strong>hof bis zur Fürstenwalder<br />

Allee gab es noch nicht: Der vorhandene 22er<br />

von Rahnsdorf nach Hessenwinkel fuhr „glatt<br />

durch“, also ohne die Stichfahrt zur S-<strong>Bahn</strong><br />

wie heute. Aber der Rückweg! Unser schöner<br />

Garten warf auch einiges an Früchten ab, und<br />

ein abendlicher Rückmarsch zum <strong>Bahn</strong>hof<br />

mit einem oder zwei Körben voller Äpfel und<br />

Birnen („Gute Luise“) oder Pflaumen, das war<br />

für uns Knaben schon eine schwere Last und<br />

eine echte Herausforderung.<br />

Zu jener Zeit fuhren auf der Linie nach<br />

Erk ner ausschließlich Fahrzeuge der Baureihe<br />

165, die „Stadtbahner“. Deren gemütliches Gesicht<br />

mit der einen Stirnlampe in der Mitte und<br />

den „Fühlern“ auf dem Dach (Fachausdruck:<br />

mer wie eine<br />

kleine Reise genossen.<br />

Musste<br />

ich einmal wegen<br />

großen<br />

Andrangs im<br />

Türraum stehen,<br />

so war das<br />

unerfreulich, denn an Rausgucken war da<br />

nicht zu denken: Ich war noch zu klein! Die<br />

Fenster in den Türen waren beim Stadtbahnwagen<br />

nämlich etwas kleiner und ihre Unterkante<br />

befand sich über meinen Augen.<br />

Das gemütliche Gesicht der „Stadtbahner“ mit der<br />

einen Stirnlampe in der Mitte war mir bald vertraut<br />

Zugschluss-Signallampen) war mir bald vertraut.<br />

Wir stiegen gern in den letzten Wagen ein,<br />

der war noch verhältnismäßig leer, da ja Wilhelmshagen<br />

der erste Halt auf der Fahrt von<br />

Erkner war. Ein Sitzplatz kam für mich sowieso<br />

nicht in Frage, da saß Oma oder manchmal<br />

auch Mutter oder Vater, aber ich konnte wenigstens<br />

rausgucken. Ich habe die Fahrten im-<br />

Werbung für die Gartenanlage „Neu-Venedig“,<br />

in der die Eltern Sigurd Hilkenbachs<br />

Ende der 20er-Jahre ein Grundstück erwarben.<br />

Der schnelle Anschluss mit der<br />

Stadtbahn bzw. später S-<strong>Bahn</strong> war ein<br />

wesentliches Argument für diesen Kauf<br />

Ein Treffen mit Johanna<br />

Etwa 1938 geschah ein Wunder: Ich konnte<br />

durch das Türfenster sehen! Was war geschehen?<br />

War ich wohl schnell gewachsen? Beim Aussteigen<br />

am Lehrter <strong>Bahn</strong>hof kam die Erklärung:<br />

Das war ein neuer Zug mit größeren Fenstern<br />

in den Türen! Ein unglaublich elegantes Fahrzeug<br />

mit runder Stirnfront, fast wie der „Fliegende<br />

Hamburger“. Eine freudige Überraschung,<br />

die neue Baureihe 167! Nun strebte ich<br />

immer zu der Tür im letzten Wagen, denn da<br />

gab es am <strong>Bahn</strong>hof Friedrichstraße etwas Besonderes<br />

zu sehen. Manchmal hielt nämlich der<br />

Zug so, dass sich die hinterste Tür am Zugende<br />

noch außerhalb der <strong>Bahn</strong>hofshalle befand,<br />

und mich faszinierte am Abend ein besonderes<br />

Schauspiel: An einer Hauswand hinter der Weidendammer<br />

Brücke wusch riesengroß eine wackere<br />

Waschfrau mit Dutt und kräftigen Armen<br />

in perlenden Schaumwolken mit einem neuen<br />

Waschmittel, und das hieß „Fewa“! Das war<br />

neu, und Leuchtreklamen in dieser Größe waren<br />

noch eine Seltenheit. Inzwischen weiß ich<br />

auch, dass „Fewa“ 1932 in Chemnitz erfunden<br />

wurde und das erste vollsynthetische Waschmittel<br />

der Welt war. Die Produktion begann<br />

1938, und da entstand auch diese leuchtende<br />

und perlende Hauswand mit der waschenden<br />

Waschfee, und die hieß „Johanna“! Die Erinnerung<br />

an diese Lichtspiele ist bei mir bis heute<br />

lebendig. An der Stelle dieses Gebäudes am<br />

Schiffbauerdamm steht heute ein moderner<br />

Glasbau mit dem Namen „Spreekarree“.<br />

Der Erkner-Strecke, Teil der 1842 eröffneten<br />

Niederschlesisch-Märkischen Eisenbahn, wurde<br />

1945 ein von anderen S-<strong>Bahn</strong>-Strecken sich<br />

unterscheidendes Schicksal zuteil: Beide<br />

S-<strong>Bahn</strong>-Gleise wurden demontiert! Dafür blieben<br />

beide Fernbahngleise liegen. Warum wohl?<br />

Weil auf ihnen in dichter Folge die endlosen<br />

Güterzüge mit Reparationsgut in Richtung Osten<br />

und weiter in die unendlichen Weiten der<br />

Sowjetunion fuhren, und da reichte ein Gleis<br />

natürlich nicht aus.<br />

Ersatzzüge und S-<strong>Bahn</strong>-Rückkehr<br />

Doch die Menschen in Wilhelmshagen und<br />

Neu-Venedig wollten ja auch wieder S-<strong>Bahn</strong><br />

fahren. Fantasie und Improvisation waren gefragt.<br />

Und so wurden an den wichtigsten Stationen,<br />

darunter Wilhelmshagen, Behelfsbahnsteige<br />

in Form von hölzernen Rampen vom<br />

S-<strong>Bahn</strong>steig herunter zu den Fernbahngleisen<br />

gebaut, an denen die als Ersatz eingesetzten<br />

Dampfzüge hielten. Im November 1948 hatte<br />

dieses betriebliche Intermezzo ein Ende. Seitdem<br />

fahren wieder die elektrischen Züge meiner<br />

geliebten S-<strong>Bahn</strong> bis nach Erkner, gleich<br />

hinter der Stadtgrenze, mit neuen, wenn auch<br />

nicht unbedingt schönen Zügen.<br />

Ich bin froh und dankbar, dass mich diese<br />

großartige <strong>Bahn</strong> mein ganzes Leben begleitet<br />

hat. Und ich finde immer noch, dass das Erscheinungsbild<br />

eines Olympiazuges in der<br />

Schönheit einer perfekt gelungenen ästhetischen<br />

Formgebung unübertroffen ist. Nicht<br />

zuletzt, weil mir diese Konstruktion als jungem<br />

S-<strong>Bahn</strong>-Fahrgast und -Fan durch ihre<br />

großen Türfenster einen freien Blick in die<br />

Welt ermöglicht hat.<br />

<strong>BAHN</strong> <strong>EXTRA</strong> 2/2013 83

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