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LP<br />
REVIEWS<br />
NECRONOMICON<br />
HAIFISCHE<br />
Nicht zu verwechseln<br />
mit der (später entstandenen)<br />
Metal-Thrash-<br />
Formation gleichen<br />
Namens ist diese deutsche<br />
Krautrockband.<br />
1972 veröffentlichten<br />
Necronomicon (der ungewöhnliche Name<br />
ist dem Titel eines fiktiven Buches mit Horror-<br />
und Science-Fiction-Geschichten von<br />
H.P. Lovecraft entliehen) ihre erste LP mit<br />
dem Titel TIPS ZUM SELBSTMORD, heute<br />
ebenso wie die 1990er 4-fach-LP VIER KA-<br />
PITEL gesuchtes Sammlerstück. 2010 fand<br />
die Band sich wieder zusammen, beschloss<br />
einige Songs, die sie bereits 1974 komponiert<br />
hatten, aufzuarbeiten und in einem<br />
professionellen Studio aufzunehmen. Das<br />
Ergebnis heißt HAIFISCHE und liegt jetzt<br />
als wunderschön gestaltete, aufklappbare LP<br />
vor, die CD gibt’s gratis dazu. Dabei punktet<br />
diese Veröffentlichung aber nicht nur mit<br />
<strong>to</strong>ller Optik und fettem Klang, sondern auch<br />
mit klasse Prog-Rock mit deutschen Texten –<br />
wer zu Krautrock-Hochzeiten auf Bands wie<br />
Anyone’s Daughter, Novalis oder Hoelderlin<br />
stand, wird hier bestens bedient.<br />
(www.necronomicon-1972.de, 2012,<br />
4 Tracks) us<br />
SILBERBART<br />
4 TIMES SOUND RAZING<br />
Hajo Teschner, heute<br />
67, Herausgeber der<br />
Gitarrenschule Fridolin<br />
und Ex-Gitarrist<br />
der Hamburger Beatband<br />
The Tonics, sah<br />
seine Mitstreiter zu<br />
James Last und Lucifer’s Friend wechseln.<br />
Lieber leitete er 1969–1971 dieses<br />
progressive Powertrio, das ein Phonogram-<br />
Waschzettel passend beschreibt: „7/8 und<br />
9/8 Takte sind bei uns nichts Ungewöhnliches.<br />
Allerdings müssen wir manchmal<br />
zählen wie die Teufel.” Dazu, so Teschner<br />
heute, „... ich an der Gitarre und mit<br />
ziemlich grausligem Gesang gesegnet”.<br />
Eine ehrliche Skizzierung, welche diese<br />
einzige LP aber nicht weniger spannend<br />
macht. Statt weiterhin Zeppelin und Grand<br />
Funk zu covern, bastelte die Band in ihrer<br />
Kneipe in Dangast am Jadebusen lieber an<br />
recht vertrackten Zappa-esken Langwerken<br />
– holte alles heraus, was Gitarre, Bass und<br />
Schlagzeug an harmonischen sowie dissonanten<br />
Variationsmöglichkeiten zu bieten<br />
haben: Versierter Trommler war der spätere<br />
Trio-Takthalter Peter Behrens. Erscheint<br />
auch als CD.<br />
(Malesch Records/Long Hair <strong>Music</strong>,<br />
1971/2012, 4 Tracks) utw<br />
BILLY JOEL<br />
STREETLIFE SERENADE<br />
Lange wurde das<br />
dritte Studio-Album<br />
von Billy Joel<br />
schwächer bewertet<br />
und verkauft als der<br />
Vorgänger PIANO<br />
MAN. Doch im<br />
Nachhinein ist auch STREETLIFE SERE-<br />
NADE eine grandiose Schöpfung. Mit dem<br />
dynamischen Titelsong, dem bärenstarken<br />
Vinyl<br />
Insturmental “Root Beer Rag” oder dem<br />
rasant-resignierenden “The Entertainer”<br />
sorgte der klavierspielende Singer/Songwriter<br />
für Klasse-Material, und auch der<br />
Rest ist kein Füller, sondern birgt manche<br />
unbekannte Perle wie die Ballade “The<br />
Great Suburbian Showdown”. Das MOV-<br />
Reissue (leider ohne Textblatt) geht klanglich<br />
wohl auf das exzellente Hochbit-Remaster<br />
von Ted Jensen anno 1999 zurück,<br />
dank kurzer Spielzeit (knapp 38 Minuten)<br />
und Verlagerung in die Außenrillen kommt<br />
reichlich Dynamik ohne jede Schärfe rüber.<br />
(<strong>Music</strong> On Vinyl/Cargo, 1974,<br />
10 Tracks) lbr<br />
DULL KNIFE<br />
ELECTRIC INDIAN<br />
Das Philips-Label hatte<br />
etwa durch die Klassik-<br />
Jazz-Rocker Ekseption<br />
satte Verkäufe: Da<br />
konnte man sich experimentellere,<br />
vertracktere<br />
Rockmusik wie die von<br />
Dull Knife mal leisten. Benannt nach dem<br />
Häuptling der nördlichen Cheyenne und mit<br />
brutalem Stumpfmesser-Einstich-Cover verziert,<br />
treiben Komponist/Keyboarder/Sänger<br />
Gottfried Janko und Bassist Martin Hesse<br />
– beide später zu Jane wechselnd – ihre<br />
Mitstreiter durch präzise durcharrangierte<br />
Midtempo-Stücke, bei denen nur Jankos<br />
öfter verzerrter Gesang stört. Allerdings<br />
versöhnt seine stets angenehme Hammondund<br />
Piano-Arbeit. Unterstützt werden Janko<br />
und Hesse durch Gitarrist Christian Holik<br />
und Schlagzeuger Klaus Zaake. Bei dieser<br />
Instrumentierung blieben Anklänge an Deep<br />
Purple und Cactus natürlich nicht aus, die<br />
Band Jane wiederum hat sich an Versatzstücken<br />
von Dull Knife gerne bedient. Ein<br />
reizvolles Mosaikstück des frühen deutschen<br />
Hard Rock.<br />
(Malesch Records/Long Hair <strong>Music</strong>,<br />
1971/2013, 8 Tracks.) utw<br />
RONETTES<br />
PRESENTING THE FABULOUS<br />
RONETTES FEATURING<br />
VERONICA<br />
Es gibt nur wenige<br />
Bands, die mit nur<br />
einer einzigen je<br />
veröffentlichten LP<br />
so bekannt wurden<br />
wie die Ronettes<br />
– umso wichtiger,<br />
diese schwarze Scheibe im heimischen<br />
Plattenschrank zu haben! Die ideale Möglichkeit<br />
hierzu bietet die jetzt erschienene<br />
Wiederveröffentlichung dieses Albums, im<br />
wunderschönen Original-Artwork und in bestechendem<br />
180g-Vinylklang. Neben Arrangeur<br />
Jack Nitzsche war Phil Spec<strong>to</strong>r hier die<br />
Hauptfigur, bewies seine genialen Fähigkeiten<br />
nicht nur als Produzent, sondern auch als<br />
Songau<strong>to</strong>r. Zusammen mit Barry Man, Cynthia<br />
Weil, Vini Poncia oder Ellie Greenwich<br />
schrieb er Veronica (aka Ronnie Bennett),<br />
Estelle Bennett und Nedra Talley soulige<br />
Popnummern wie “Be My Baby”, “Chapel<br />
Of Love”, “Walking In The Rain”, “Baby I<br />
Love You” und “(The Best Part Of) Breakin’<br />
Up” auf den Leib. Himmlisch!<br />
(<strong>Music</strong> On Vinyl/Cargo, 1964,<br />
12 Tracks) us<br />
CD<br />
REVIEWS<br />
VARIOUS ARTISTS<br />
STUDIO ONE IRONSIDES<br />
In den 60er und 70er Jahren beherrschte die<br />
Plattenfirma Studio One dermaßen den jamaikanischen<br />
Markt, dass sich Labelchef<br />
Coxsone Dodd, um die Radio- und Club-DJs<br />
nicht zu langweilen, neue Markennamen<br />
einfallen ließ. In die Mitte der Scheiben ließ<br />
er fortan Labels mit fantasievollen Bezeichnungen<br />
wie Bongo Man oder Ironside pappen.<br />
Ob für Letztere die gleichnamige US-<br />
TV-Serie (dt.: „Der Chef”) Pate stand oder<br />
irgendein Wortspiel, ist heute nicht mehr<br />
ganz klar. Klar ist jedoch, dass der Katalog<br />
der in Kings<strong>to</strong>ns Studio Nummer eins produzierten<br />
Reggae-, Ska- und Rocksteady-<br />
Aufnahmen schier unerschöpflich ist. Das<br />
Londoner Label Soul Jazz Records bringt<br />
mit STUDIO ONE IRONSIDES die gefühlte<br />
20. Anthologie heraus. Darauf sind bekanntere<br />
Reggae-Künstler wie Freddie McGregor<br />
(“Come Now Sister”) oder Marcia Griffiths<br />
(“Mark My Word”) zu hören, aber auch erneut<br />
viele Entdeckungen zu machen: Ob die<br />
Skatalites-Nachfolgeband The Soul Bro<strong>the</strong>rs<br />
mit “Soho” eine treibende Instrumental-<br />
Hommage an den Londoner Stadtteil hinlegt<br />
oder die obskure Vokalgruppe The Stingers<br />
mit “Rasta Don’t S<strong>to</strong>p No One” ein entspanntes<br />
Stück Love, Peace & Unity predigt.<br />
(Soul Jazz/Indigo, 2013,18/58:48) frs<br />
BOZ SCAGGS<br />
MEMPHIS<br />
Ende der 60er war<br />
Boz Scaggs Gitarrist<br />
der Steve Miller<br />
Band, seit Anfang der<br />
70er konnte er zahlreiche<br />
Solo-Alben in<br />
den Charts platzieren,<br />
am erfolgreichsten fl iht immer noch das fünffach<br />
Platin-ausgezeichnete SILK DEGREES (US<br />
#2) aus dem Jahr 1976. Mit MEMPHIS veröffentlicht<br />
er nun das erste neue Material seit<br />
zehn Jahren. Eingerahmt von zwei selbst verfassten<br />
Liedern hat er sich starke Songs anderer<br />
für seine relaxten Interpretationen ausgesucht,<br />
beginnend mit Al Greens “So Good<br />
To Be Here” über “Mixed Up, Shook Up<br />
Girl” von Willy DeVille und “Rainy Night In<br />
Georgia” von Tony Joe White geht es bis zu<br />
Jimmy Reeds “You Got Me Cryin’”. Klasse<br />
auch das Traditional “Corinna, Corinna”, und<br />
mit “Cadillac Walk” erweist er dem ewig unterbewerteten<br />
Moon Martin die Ehre. Klasse<br />
Qualitätsware eines Mannes, der schon so<br />
lange im Geschäft ist, dass er genau weiß,<br />
wie man solch hochwertige Vorlagen präsentieren<br />
muss.<br />
(Membran/Sony <strong>Music</strong>, 2013, 12/47:59) us<br />
OTIS TAYLOR<br />
MY WORLD IS GONE<br />
Wie gewohnt zeigt sich Otis Taylors „Trance-Blues”<br />
auch auf seinem neuen Album<br />
äußerst vielschichtig. Neben Jazz, Soul<br />
und Americana geht es auf MY WORLD<br />
IS GONE oft in Richtung Folk, reichen für<br />
viele der Songs sparsame Arrangements<br />
aus Gitarre, Banjo, Fiddle und Drums aus.<br />
Grund hierfür dürfte die Mitwirkung von<br />
Ma<strong>to</strong> Nanji (Indigenous) sein, dessen indianische<br />
Abstammung die gesamte Richtung<br />
des Albums inspiriert und der mit Gesang,<br />
elektrischer und akustischer Gitarre<br />
auch musikalisch Einfluss nimmt. Neben<br />
diesen Ausflügen in die Geschichte Amerikas<br />
singt Taylor aber auch über seine<br />
gewohnten Themen, “Huckleberry Blues”<br />
handelt von einer Stalkerin in der Nachbarschaft,<br />
auf was man bereit ist zu verzichten,<br />
wenn man liebt, wird in “The Wind<br />
Comes In” erzählt. Höchst interessant auch<br />
das Thema von “Girl Friend’s House”, bei<br />
dem hier nicht verraten wird, wie es weitergeht,<br />
als ein Mann seine Frau mit ihrer<br />
Freundin im Ehebett überrascht ...<br />
(Telarc/inakustik, 2013, 13/60:44) tk<br />
JAMES HUNTER SIX<br />
MINUTE BY MINUTE<br />
Bestens<br />
vorbereitet<br />
ist dieses Album,<br />
mit dem James Hunter<br />
nach fünf Jahren<br />
Pause wieder im<br />
Rampenlicht<br />
auftaucht.<br />
Klasse Songs<br />
hat die britische Soul-Bluesröhre – dessen<br />
Stimme immer noch wie ein Mittelding aus<br />
Jackie Wilson und Sam Cooke klingt – für<br />
MINUTE BY MINUTE geschrieben, und<br />
für die Aufnahmen zeigte sich mit Gabriel<br />
Roth ein Produzent verantwortlich, der<br />
nicht nur Gründer des Dap<strong>to</strong>ne Labels ist,<br />
sondern auch für den herrlichen, Grammyausgezeichneten<br />
Vintage-Sound von Amy<br />
Winehouses BACK TO BLACK sorgte.<br />
Dabei glänzen die neuen Stücke auf ganz<br />
unterschiedliche Weise, mal geht es wie<br />
beim Opener “Chicken Switch” in Richtung<br />
Funk, mal lassen die James Hunter Six<br />
“One Way Love” wie einen alten Mo<strong>to</strong>wn-<br />
Hit klingen, mal wird “The Gypsy” als<br />
shuffliger Blues angerichtet, nicht zu vergessen<br />
guter alter Soul wie das emotionale<br />
“Heartbreaks”.<br />
(Concord/Universal, 2013, 12/39:22) tk<br />
BART WALKER<br />
WAITING ON DAYLIGHT<br />
Zweites Album eines außergewöhnlich talentierten<br />
Blues-Rockers aus Nashville, der das<br />
kleine Kunststück fertigbringt, ziemlich exakt<br />
innerhalb eines Dreiecks zu spielen, das von<br />
ZZ Top, den Allman Bro<strong>the</strong>rs und Stevie Ray<br />
Vaughan begrenzt wird. Bart Walker hat (mit<br />
Hilfe einiger Co-Au<strong>to</strong>ren) ein Bündel satt<br />
rockender Sou<strong>the</strong>rn-Bluessongs komponiert,<br />
von denen “Black Clouds” mit seinem brummig<br />
wühlenden Bass, die Ballade “Walking<br />
On Daylight” und das enorm flüssig dahinperlende<br />
“Gotta Be You” die besten Tracks sind.<br />
Sehr geglückt, weil extraflott trabend, kommt<br />
auch J.B. Hut<strong>to</strong>s “Hipshake It” daher, und<br />
eine feine Cover-Version des Allmans-Klassikers<br />
“Whippin’ Post” schließt das kurzweilige<br />
Album würdig ab. Eingespielt wurde es vom<br />
versierten Nashville-Rhythmusgespann Dave<br />
Smith (b) und Steve Potts (dr) sowie bei einigen<br />
Titeln Rick Steff (keys). Bart Walker<br />
hatte als souveräner Saitengreifer den idealen<br />
Rahmen für etliche Gitarrensoli gehobener<br />
Klasse und erweist sich zudem als weit mehr<br />
als nur solider Sänger. Hier reift im Eiltempo<br />
ein Könner heran, von dem noch viel zu hören<br />
sein wird! Walkers Blues muss offensichtlich<br />
auch den erfahrenen Produzenten Jim Gaines<br />
so stark beeindruckt haben, dass er jegliche<br />
Routine beiseite ließ und einen engagierten<br />
Job mit viel Gefühl für delikaten Klangfeinschliff<br />
verrichtete.<br />
(Ruf/inakustik, 2013, 11/47:24) hjg<br />
Seite 50 ■ <strong>GoodTimes</strong> 2/2013 ■ <strong>Music</strong> <strong>from</strong> <strong>the</strong> <strong>60s</strong> <strong>to</strong> <strong>the</strong> <strong>80s</strong>