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KEVIN AYERS<br />
Der Dandy des<br />
Pop ist <strong>to</strong>t<br />
Von Michael Fuchs-Gamböck<br />
Der Soft-Machine-Nukleus in den 60ern:<br />
v.l. Ayers, Wyatt und Ratledge<br />
Mein Gott, in dem Jahr, in dem ich geboren wurde, rief dieser Mann mit<br />
Freunden eine Band ins Leben, die längst Legende ist! Soft Machine –<br />
frei nach einem Buchtitel des amerikanischen Underground-Literaten<br />
William S. Borroughs – nannte sich die Formation, und sie war für<br />
das Jahr 1965 eine echte Sensation mit ihrem wütenden Free-Jazzspiel, gepaart mit<br />
beinahe seichten Poprhythmen.<br />
Bereits zwei Jahre später verließ Ayers<br />
Soft Machine wieder: „Ich habe", sagte<br />
er rückblickend, „die Band damals mit<br />
gegründet, weil sie für mich eine interessante<br />
Angelegenheit war. Diese<br />
Mischung von vielen musikalischen Stilrichtungen<br />
wie Pop, Rock und Jazz war<br />
für jene Zeit ein Phänomen, und das hat<br />
mich gereizt. Als aber dann Schlagzeuger<br />
Robert Wyatt<br />
und die anderen<br />
den Sound der<br />
Gruppe<br />
immer<br />
mehr im Bereich<br />
des Jazz ansiedelten,<br />
stieg ich aus.<br />
Das war nicht mein Ding."<br />
Von 1967 an widmete sich Ayers Solo-<br />
Aktivitäten, wiederum zwei Jahre später erschien seine erste Scheibe unter eigenem<br />
Namen, die sich JOY OF A TOY nannte. Auf dieser wirkte u.a. der Avantgarde-<br />
Komponist David Bedford mit und – bei den Sessions dafür ein gerade 16-jähriger<br />
Gitarrist namens Mike Oldfield, der bei den nächsten beiden Ayers-Alben offiziell<br />
zum Team gehörte. „Mike war damals ungeheuer schüchtern, ja noch mehr als<br />
das: Er hatte eine tiefverwurzelte Angst vor allem und war übernervös. Ich war ’69<br />
so etwas wie ein Vater für ihn und versuchte, ihm zu helfen, wo es nur ging. Ich<br />
mochte Mike auch, denn er hatte irres Talent – er war fantastisch!"<br />
Während der 70er Jahre spielte Ayers mit diversen Bands wie auch solo etliche<br />
Projekte ein, die jedoch von sehr unterschiedlicher Qualität waren, da auch seine<br />
Stimmungen ständig schwankten, bedingt durch seine mal stärkere, mal weniger<br />
intensive Drogenabhängigkeit. „Eigentlich", reflektierte er 2007 im letzten Interview,<br />
das ich mit ihm führte, „war ich nie ein exzessiver Trinker. Es ist so, dass mein<br />
Körper nur wenig Alkohol verträgt, ich aber dennoch Wein und Bier in großen<br />
Mengen soff und anderes Zeug wahllos einschmiss. Inzwischen halte ich mich an<br />
Wein von gehobener Qualität, das ist eine humane Droge", meinte Ayers damals,<br />
um sanft lächelnd hinzuzufügen: „Ich trinke einfach gerne, denn dann fühle ich<br />
mich fröhlich und gut, ich tanze und singe. Diesen Zustand ohne Alkoholeinfluss<br />
zu erreichen, fällt mir schwer."<br />
Mit Einbruch der 80er Jahre wurde es still um Ayers, der Drogenkonsum war stärker<br />
denn je – sicherlich bedingt durch die Tatsache, dass seine Alben über einen<br />
kleinen Hörerkreis nicht hinauskamen und kaum kommerziellen Erfolg hatten. Was<br />
Ayers in dieser Dekade als erstes tat, war, seinen Wohnsitz vom kalten England ins<br />
warme Südfrankreich zu verlegen. „Es ist eine Tatsache, dass ich im Fernen Osten<br />
in Malaysia geboren wurde”, erklärte er, „und als ich als Junge nach England kam,<br />
vermisste ich die lockere Lebensart meines Geburtslandes. Das war der Hauptgrund<br />
dafür, dass ich mich Mitte der 1980er in sonnigere Gefilde absetzte."<br />
In den gesamten 80er Jahren erschienen nur noch sporadisch Platten von Ayers,<br />
manche Leute dachten bereits damals, er sei <strong>to</strong>t. Für seine beinahe völlige Abstinenz<br />
in der Musikszene jener Ära hielt er eine s<strong>to</strong>ische Erklärung parat: „Ich hatte<br />
in dieser Periode nicht allzu viel zu sagen, also ließ ich es. Zudem war ich körperlich<br />
wie seelisch in einem miserablen Zustand, und da ich nicht ausschließlich Songs<br />
schreiben mochte, die dieser Situation entsprachen, entschloss ich mich, es mit<br />
dem Veröffentlichen sein zu lassen."<br />
Bei seiner Flucht in die Zurückgezogenheit hatte Ayers das<br />
Songschreiben aber nie völlig aufgegeben, dazu war es ihm<br />
schlicht zu wichtig. 1992 erschien das musikalische Lebenszeichen<br />
STILL LIFE WITH GUITAR, dann hörte man endgültig<br />
nichts mehr von dem scheuen Einzelgänger. Bis 2007<br />
THE UNFAIRGROUND erschien, das späte Kevin-Ayers-Werk,<br />
das gewaltig aufhorchen ließ, weit jenseits der überschaubaren Avantgardeszene.<br />
Nicht nur deshalb, weil darauf als Gäste alte Soft-Machine-Heroen wie Hugh Hopper<br />
oder Robert Wyatt zu hören waren. Sondern auch junge Aktivisten von Bands<br />
wie Teenage Fanclub, Gorky’s Zygotic Mynci, Nada Surf,<br />
Architecture In Helsinki, Morcheeba und vielen mehr hatten<br />
mitgeholfen, ihrem alten, anarchistisch motivierten Idol zu<br />
huldigen. „Ich kannte kaum jemanden von den jungen Typen,<br />
die mir bei der Platte halfen, die hat allesamt mein Manager<br />
rangekarrt", grummelte Ayers im Interview von 2007.<br />
„Doch sie haben einen prima Job abgeliefert! Ich glaube, wir<br />
haben eine richtig gute Platte hingelegt."<br />
Kann man so sagen, Kevin Ayers schien in der Moderne angekommen zu sein –<br />
doch es sollte die letzte musikalische Hinterlassenschaft des Dada-Dandys bleiben.<br />
Er starb am 18. Februar 68-jährig friedlich und alleine in seiner Finca in Frankreich,<br />
wo ihn ein Nachbar fand. Die genaue Todesursache war bei Redaktionsschluss<br />
noch nicht bekannt. Ein exzessives Leben war ausgelebt.<br />
Seite 78 ■ <strong>GoodTimes</strong> 2/2013 ■ <strong>Music</strong> <strong>from</strong> <strong>the</strong> <strong>60s</strong> <strong>to</strong> <strong>the</strong> <strong>80s</strong>