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Ausgabe 1011.pdf - Theater-Zytig

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Stückwahl ı Backstage<br />

Die Bühne Lyssach<br />

Brecht hat Recht… oder?<br />

Die Haie haben Zähne und die kleinen<br />

Fische werden erbarmungslos zerfleischt.<br />

An der Bühnendecke droht über den<br />

Köpfen ein Hai mit aufgerissenem Mund,<br />

scharfen Zähnen und blutigem Schlund.<br />

Würde dieses Ungeheuer auf die Bühne<br />

herunterfallen, dann entstünde ein Chaos.<br />

Um das zu verhindern, passt man auf,<br />

dass es nicht passiert. «Too big to fail…»<br />

Vor dem furchterregenden Fischkopf baumelt<br />

ein roter Galgenstrick zur Ermahnung:<br />

Wer nicht spurt, der wird gehängt.<br />

Und steht ausnahmsweise und ganz überraschend<br />

einmal ein grosser Fisch unter<br />

dem Galgen, dann wird er vom Chef persönlich<br />

begnadigt und mit einem goldenen<br />

Fallschirm versehen. Too big…<br />

Die brennende Aktualität der Oper der<br />

Bettler, Diebe und Huren hat die Leute<br />

schon immer fasziniert. Dazu kommt die<br />

einzigartige Mischung von Tragikomik und<br />

musicalartigen Songs, deren Melodien<br />

die «Dreigroschenoper» weltberühmt<br />

gemacht haben. Brecht mag mit seinen<br />

provokativ träfen Aussagen wie «Was<br />

ist ein Einbruch in eine Bank gegen die<br />

Gründung einer Bank?» Recht haben oder<br />

auch nicht, eines ist sicher: Emotionen<br />

werden ausgelöst, gesellschaftspolitische<br />

Dispute ebenso.<br />

Die Bühne Lyssach hat einmal mehr ein<br />

Stück aus der Welttheater-Literatur ausgewählt.<br />

Sie scheute keinen Aufwand, um<br />

den grossen Herausforderungen an Regie,<br />

Spielende – die auch gesangsfest sein<br />

müssen –, Bühnenbauer, Musiker, Masken-<br />

und Kostümverantwortliche gewachsen<br />

zu sein. Neben einem erfahrenen<br />

Profi als Regisseur braucht es zusätzliche<br />

professionelle Assistenz beim Einstudieren<br />

der Songs und der musikalischen<br />

Umsetzung durch zwei Pianisten.<br />

Hinzu kommen die aufwändigen und farbenprächtigen<br />

Kostüme und Masken: Es<br />

ist eine wahre Augenweide, wenn Puffmutter<br />

Spelunken-Jenny mit vier Huren<br />

aufkreuzt.<br />

Die Rollen sind ausnahmslos optimal<br />

besetzt. Regisseur Kurt Frauchiger kennt<br />

seine Truppe und hat mit ihr zusammen<br />

grossartiges <strong>Theater</strong> geschaffen, das beim<br />

Publikum mit Begeisterung und Freude<br />

aufgenommen wird.<br />

Ich nehme an, dass ein grosser Teil der<br />

Zuschauer die «Dreigroschenoper» kennt<br />

oder doch zumindest den Song vom «Haifisch,<br />

der Zähne hat» und andere. Und<br />

darum ist es zuerst etwas ungewohnt,<br />

wenn die Gangsterbosse Peachum und<br />

Mackie Messer plötzlich Berndeutsch<br />

reden. Aber dank der ausgezeichneten<br />

Bearbeitung und der Tatsache, dass es<br />

auch in bernischen Landen kleine und<br />

grosse Gauner gibt, wirkt es ganz schnell<br />

ganz normal und natürlich, so, als hätte<br />

Brecht das auch für Schweizer in Schwyzerdütsch<br />

geschrieben.<br />

Eine brilliante Aufführung, die unter die<br />

Haut geht. Und frei nach BB: Erst kommt<br />

das Lachen – dann das Nachdenken.<br />

In Lyssach könnten gewisse Leute aus<br />

gewissen subventionierten Häusern<br />

«etwas lernen» – um es mit den Worten<br />

Mackies zu sagen. Nämlich, wie man<br />

auch mit relativ bescheidenen finanziellen<br />

Mitteln grosses <strong>Theater</strong> machen kann,<br />

das vom Publikum geliebt und bewundert<br />

wird.<br />

Urs Hirschi<br />

Die Infos zum Stück<br />

Die Dreigroschenoper<br />

Musiktheater in 3 Akten<br />

von Bertolt Brecht / Kurt Weill<br />

Übersetzung/Bearbeitung: Christine Heiniger<br />

Frauchiger<br />

Regie: Kurt Frauchiger<br />

Spieldauer: ca. 160 Min, Requisiten und<br />

Kostüme: 1. u 2. Weltkrieg (Fantasie),<br />

Mehrere Spielorte, Sprechrollen: 8D/9H,<br />

Statisten: 1–2 (Polizisten), Rechte: Suhrkamp-Verlag,<br />

Kontakt Gruppe: www.buehne-lyssach.ch<br />

Kurzbeschrieb:<br />

Uraufführung 1928 in Berlin. Das berühmte<br />

Werk von Brecht/Weill geht auf die<br />

«Bettleroper» («Beggar’s Opera» von John<br />

Gay/Chris Pepush, 1728) zurück, «eine<br />

Oper, die so prunkvoll gedacht war, wie sie<br />

nur Bettler erträumen, und doch so billig<br />

sein sollte, dass Bettler sie bezahlen können.»<br />

Inhalt: Macheath, besser bekannt als<br />

Mackie Messer («Und der Haifisch, der hat<br />

Zähne...») beherrscht mit seiner Räuberbande<br />

unter gütiger Mithilfe des die Augen<br />

immer wieder zudrückenden korrupten<br />

Polizeichefs Brown, seines Jugendfreundes,<br />

die Strassen von London. Jonathan<br />

Peachum kontrolliert mit teils nicht unähnlichen<br />

Methoden wie Mackie das Bettlerwesen.<br />

Als seine Tochter Polly von Mackie<br />

entführt wird, aber sich in diesen verliebt<br />

und ihn heiratet, betreiben Peachum und<br />

seine Frau Mackies Auslieferung an die<br />

Polizei. Der begibt sich, statt nach dem<br />

Rat seiner Freunde zu fliehen, zuerst<br />

gewohnheitsgemäss ins Hurenhaus, wo er<br />

dann von seiner Ex-Geliebten, Spelunken-<br />

Jenny, an die Polizei verraten wird...<br />

bild: zvg<br />

<strong>Theater</strong>-<strong>Zytig</strong> 1011 15

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