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Ausgabe 1011.pdf - Theater-Zytig

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Backstage ı Stückwahl<br />

bild: zvg<br />

Junkere Bühni Schwarzenburg<br />

Wybe, chifle, sürmle, stürme<br />

«Am Wybe isch no kene gstorbe» – tröstet<br />

Ätti seinen Bub, dem es schwerfällt,<br />

auf Brautschau zu gehen. Da greift der<br />

Regisseur entnervt ein: «Was solltest du?»<br />

– «Ich soll mich verknallen». «Dann tu’s<br />

doch!» – « Wie denn?» –<br />

Die Zuschauer wischen sich die Tränen<br />

ab vor Lachen. Es ist urkomisch, was<br />

da auf der Bühne abgeht: Da proben ein<br />

paar Laien das <strong>Theater</strong>stück «Anne-Bäbi<br />

Jowäger» mit ihrem deutschen Regisseur<br />

und eigentlich ist man sich nicht einig<br />

über das gewählte Stück. Dauernd wird<br />

Privates mit <strong>Theater</strong> vermischt und so<br />

kommt es zu einem eigenartigen Effekt<br />

zwischen Realität und <strong>Theater</strong>. Ein Deutscher<br />

inszeniert mit Einheimischen und<br />

Zugewanderten ein Stück von Gotthelf.<br />

«Was versteht so einer von Gotthelf?»<br />

meint ein unzufriedener Spieler, dem das<br />

ganze esoterische Getue mit Händchenhalten<br />

und Atemübungen während den<br />

Proben fürchterlich auf den Wecker geht<br />

und schimpft weiter: «Atmen tun wir seit<br />

Geburt, das können wir. Und wenn wir<br />

damit aufhören, sind wir tot. Ist doch<br />

logo.»<br />

«Anne-Bäbi Jowäger im Säli» ist eine<br />

köstliche Persiflage. Keine bösartige<br />

Verspottung, wenn man genau hinhört<br />

und hinschaut: Es werden Situationen<br />

nach- und überzeichnet, wie sie in unserem<br />

Multikultialltag gang und gäbe sind.<br />

Es fehlt an Leuten, die mitmachen, dafür<br />

engagieren sich Ausländer mit Leib und<br />

Seel. Sorgen, Ärger und Ängste vermischen<br />

sich mit kleinen Freuden, Lachen<br />

und Sorgen der andern. Die Globalisierung<br />

und Liberalisierung findet auch<br />

privat und allgegenwärtig statt. Das ist<br />

die Hauptbotschaft des starken Sterchi-<br />

Stücks.<br />

Der Hausregisseur vom <strong>Theater</strong> an der<br />

Effingerstrasse in Bern, Stefan Meier, hat<br />

nicht zum erstenmal bei den Schwarzenburgern<br />

inszeniert. Und wohl aus Anlass<br />

zum 20-jährigen Jubiläum der Junkere<br />

Bühni hat er wieder einmal das Zepter<br />

übernommen. Ich denke, es muss für alle<br />

schon während den Proben ein Riesenspass<br />

gewesen sein, dieses frechfröhliche<br />

Stück einzustudieren. Es darf übertrieben,<br />

geschmiert und gesalbt werden…<br />

Aber Achtung: Hier liegt die grösste<br />

Gefahr, das Stück kaputt zu machen;<br />

wenn schon überzeichnen, dann mit dem<br />

nötigen Mass; immer kontrolliert und im<br />

Bewusstsein, was man tut. Hinzu kommt<br />

das ständige Umstellen von «privat»<br />

auf «Rolle», das sich bremsend auf das<br />

Geschehen auswirken kann und darum<br />

eine präzise Spielanleitung nötig macht.<br />

Das verlangt von allen Mitwirkenden völlige<br />

Konzentration, die man im Zuschauerraum<br />

aber nicht merken soll. Hinüberkommen<br />

soll nur das Komische, das Spiel<br />

mit dem <strong>Theater</strong> im <strong>Theater</strong>.<br />

Diese Lust am <strong>Theater</strong>spielen haben wir<br />

Zuschauer gespürt und uns dabei köstlich<br />

amüsiert. Der altehrwürdige <strong>Theater</strong>saal<br />

im Gasthof Bahnhof ist schon Teil<br />

vom Bühnenbild. Was Peter Aeschbacher<br />

(ebenfalls aus dem Hause an der<br />

Effingerstrasse und dafür bekannt, mit<br />

bescheidenen Mitteln ausgezeichnete<br />

Bühnenbilder zu schaffen) mit seinem<br />

Team zusätzlich gemacht hat, das ist<br />

genial: Die gemalte Kulissenwand mit<br />

einer fantasievollen Gantrisch-Landschaft<br />

ist eine Art Endlosband, die sich von links<br />

nach rechts und umgekehrt bewegen<br />

lässt. So sieht man den Jakobli, wie er<br />

am Ort tretend dennoch vorwärtsmarschiert.<br />

Und als witziges Detail einmal<br />

sogar in der falschen Richtung, es dann<br />

aber bemerkt und rechtsum kurvt.<br />

Da versteht es sich von selbst, dass auch<br />

an das äussere Erscheinungsbild der<br />

Spielerinnnen und Spieler entsprechend<br />

hohe Anforderungen gestellt und erfüllt<br />

werden. Kurze musikalische Beiträge<br />

überbrücken die Szenen-Übergänge und<br />

betonen die einzigartige, bewusst auf<br />

Persiflage gemachte Grundstimmung des<br />

nachhaltigen <strong>Theater</strong>erlebnisses.<br />

Urs Hirschi<br />

Die Infos zum Stück<br />

Anne-Bäbi im Säli<br />

Komödie in mehreren Szenen<br />

von Beat Sterchi<br />

Regie: Stefan Meier<br />

Spieldauer: ca 2 Std., Zeit: Gegenwart,<br />

Anz. Bühnenbilder: variabel<br />

Sprechrollen: 4D/6H, Rechte. www.theaterverlage.ch,<br />

Kontakt Gruppe: www.<br />

junkere-buehni.ch<br />

Kurzbeschrieb: Die Laientheatergruppe<br />

des Dorfes bringt Gotthelfs «Anne Bäbi<br />

Jowäger» zur Aufführung. Obwohl noch<br />

Rollen unbesetzt sind und die Premiere<br />

näher rückt, probt der deutsche Regisseur<br />

und feilt am Text und an der Gestikulation.<br />

Zusätzlich baut er ungewohnte Anwärmund<br />

Atemübungen ein, die gotthelfsche<br />

Idylle wird mit Füssen getreten. All das<br />

führt zu Spannungen innerhalb der Gruppe.<br />

Verschiedene Welten und Ansichten<br />

treffen aufeinander, Privates und <strong>Theater</strong>probe<br />

kommen sich in die Quere. Im<br />

Zeitalter der Globalisierung und Migration<br />

wird es schwierig, die Idylle rund ums<br />

«bluemete Trögli» zu bewahren. Andererseits<br />

scheint Gotthelfs Menschenkenntnis<br />

gar nicht so unmodern zu sein; denn die<br />

Ängste und Bedürfnisse der Menschen<br />

haben sich kaum verändert.<br />

16<br />

<strong>Theater</strong>-<strong>Zytig</strong> 1011

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