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Script 1: Horizonte des Sammelns - Wolfsberg

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«Hättest Du geschwiegen…»<br />

Adrian Koerfer<br />

Wer von Ihnen die grossartige Novelle Die Panne von Friedrich Dürrenmatt<br />

kennt, in der ein vermutlich ziemlich unbescholtener Textilhandelsreisender<br />

vor dem Privatgericht dreier pensionierter Justizsachverständiger aufgrund eigener<br />

Geschwätzigkeit zum Tode verurteilt wird – und auch zu Tode kommt –,<br />

der wird ahnen, wie es mir jetzt vor Ihnen allen geht. Unterschlagung ist<br />

ja meist das Min<strong>des</strong>te, was einem Sammler vorgeworfen werden kann, und<br />

Festhalten am falschen Glauben ebenso wie der Abfall vom richtigen. Hochstapelei,<br />

ja, selbst die Unterstützung eines eher mediokren Geheimbun<strong>des</strong><br />

wurde mir schon im Zusammenhang mit meinem Sammler-Dasein unterstellt.<br />

Sie wollen bestimmt wissen, wie alles anfing. (Oder wollen Sie wissen,<br />

wie alles aufhört? Die zweite Frage kann ich nicht beantworten.) Logischerweise<br />

fing es mit meiner Geburt an, und der Zufall oder das Schicksal wollte<br />

es, dass ich, sobald ich sehen konnte, auch gleich Bilder sah, oder besser:<br />

Gemälde. Ein Altdorfer hing im Wohnzimmer, im Esszimmer schaute eine<br />

gestrenge Amazone von Manet auf die Manieren der Kinder, im Arbeitszimmer<br />

<strong>des</strong> Vaters gab es einen Bonnard, einen Van Gogh und weitere Preziosen<br />

der klassischen Moderne zu bewundern – so man denn Augen dafür hatte.<br />

Seltsamerweise sammeln von den acht Kindern unseres Vaters drei, und noch<br />

erstaunlicher ist dabei die Ähnlichkeit der drei Sammlungen in vielen ihrer<br />

Inhalte – sieht man von der grandios besessenen Fotografie-Sammlung meines<br />

Bruders Thomas ab. Jenseits der unbestreitbaren Prägung durch Gene<br />

behaupte ich einfach mal, dass wir drei, Marlies, Thomas und ich, auch durch<br />

die gleiche Schule <strong>des</strong> Sehens gegangen sind, und dass das Virus <strong>des</strong> <strong>Sammelns</strong><br />

schon vor dieser Schulbankdrückerei in uns schlummerte, ohne dass<br />

wir es wussten, lange Zeit. (Wie wir natürlich auch nicht bemerkten, dass da<br />

grossartige Malerei beständig vor unseren Augen hing, wie zu hoch hängende<br />

Kirschen für uns Kinder.)<br />

Es vergingen einige Jahre bis ich ca. 1982 in einem dieser damals noch<br />

finsteren und übel riechenden West-Berliner Winter beinahe zufällig dem<br />

Maler Ingo Meller begegnete. Ingo und Simon Linke, der mit dem Malen von<br />

Anzeigen aus dem Artforum für kurze Zeit bekannt geworden war, wurden<br />

zu meinen ersten Künstlerfreunden. Die Freundschaft zu den Künstlern war<br />

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