Der Vertrag von Lissabon und das Grundgesetz - Dr. Peter Gauweiler
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Murswiek, Gutachten <strong>Vertrag</strong> <strong>von</strong> <strong>Lissabon</strong> 19<br />
unter diesen Aspekten uneingeschränkt möglich. Vertritt man demgegenüber die Auffassung,<br />
daß dieses Recht gegenüber anderen Gr<strong>und</strong>rechten subsidiär ist, dann ist die Verletzung<br />
des Rechts aus Art. 20 Abs. 4 GG jedenfalls insoweit möglich, als die geltend gemachte<br />
Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Rechtsakte nicht zu einem Verstoß gegen<br />
Art. 38 GG führt.<br />
c) Unmittelbarkeit <strong>und</strong> Gegenwärtigkeit der Gr<strong>und</strong>rechtsverletzung<br />
Da die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Rechtswirkungen mit dem Inkrafttreten<br />
des Reformvertrages <strong>und</strong> der Begleitgesetze sofort eintreten, ohne daß es irgendwelcher<br />
Vollzugsakte bedarf, ist eine unmittelbare Beschwer gegeben.<br />
Die Beschwer ist zwar im Zeitpunkt der Erstattung des Gutachtens, nämlich vor Beschluß<br />
der Gesetze durch B<strong>und</strong>estag <strong>und</strong> B<strong>und</strong>esrat, noch nicht gegenwärtig. Sie ist jedoch gegenwärtig,<br />
sobald die Gesetze im Sinne <strong>von</strong> Art. 78 GG zustande gekommen sind. Ab<br />
diesem Zeitpunkt ist eine Verfassungsbeschwerde zulässig. Zwar sind die angegriffenen<br />
Gesetze vor Ausfertigung <strong>und</strong> Verkündung noch nicht in Kraft getreten. Nach ständiger<br />
Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts können Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen<br />
Verträgen im Verfassungsprozeß nach ihrem Zustandekommen aber bereits vor<br />
Ausfertigung <strong>und</strong> Verkündung angegriffen werden, weil nur so sich verhindern läßt, daß<br />
eine völkerrechtliche Bindung eintritt, bevor <strong>das</strong> B<strong>und</strong>esverfassungsgericht entschieden<br />
hat 26 .<br />
Dieser Gesichtspunkt gilt für die Begleitgesetze nicht ohne weiteres. Doch ohne den EU-<br />
Reformvertrag entfällt der Sinn der Begleitgesetze. Deshalb wäre es sachwidrig, die Verfassungsmäßigkeit<br />
nicht im Zusammenhang mit dem Zustimmungsgesetz zum Reformvertrag<br />
zu überprüfen. Im übrigen kann die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit des Zustimmungsgesetzes<br />
zum Reformvertrag da<strong>von</strong> abhängen, ob die Ausfüllung des <strong>Vertrag</strong>es<br />
durch die deutsche Begleitgesetzgebung den Anforderungen des Gr<strong>und</strong>gesetzes entspricht.<br />
Deshalb müssen alle diese Gesetze auch verfassungsprozessual als Einheit betrachtet werden.<br />
Somit können auch <strong>das</strong> verfassungsändernde <strong>und</strong> <strong>das</strong> einfache Begleitgesetz im Zusammenhang<br />
mit dem Reformvertrag ausnahmsweise bereits vor Ausfertigung <strong>und</strong> Verkündung<br />
angegriffen werden.<br />
Die Beschwerdebefugnis ist daher unter allen Aspekten gegeben, sobald die Gesetze <strong>von</strong><br />
B<strong>und</strong>estag <strong>und</strong> B<strong>und</strong>esrat beschlossen sind.<br />
3. Ergebnis zur Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde<br />
Da ein Rechtsweg nicht gegeben ist <strong>und</strong> auch alle anderen Zulässigkeitskriterien unproblematisch<br />
erfüllt sind, ist die Verfassungsbeschwerde zulässig.<br />
26 Std. Rspr., vgl. BVerfGE 1, 396 (411 ff.); 24, 33 (53 f.).