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Der Vertrag von Lissabon und das Grundgesetz - Dr. Peter Gauweiler

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Murswiek, Gutachten <strong>Vertrag</strong> <strong>von</strong> <strong>Lissabon</strong> 76<br />

durch sektoral beschränkte Kompetenzen oder durch ein Entscheidungsverfahren, <strong>das</strong> den<br />

einzelnen Mitgliedstaaten die Oberhand läßt, sondern nur noch durch Äußerlichkeiten<br />

(„Hoher Vertreter“ statt „Außenminister“ usw.) <strong>und</strong> durch die fehlende Proklamation zum<br />

Staat im Sinne des Völkerrechts unterscheidet 127 .<br />

Ob die Überschreitung dieser Grenze jetzt durch den <strong>Vertrag</strong> <strong>von</strong> <strong>Lissabon</strong> erfolgt<br />

oder auf dem Weg <strong>von</strong> Maastricht zu <strong>Lissabon</strong> schon an einer früheren Stelle erfolgt<br />

ist, ist für die Beurteilung des <strong>Vertrag</strong>es <strong>von</strong> <strong>Lissabon</strong> irrelevant. Denn wenn die Grenze<br />

der verfassungsrechtlich erlaubten Übertragung <strong>von</strong> Hoheitsrechten bereits früher (etwa<br />

mit dem <strong>Vertrag</strong> <strong>von</strong> Nizza oder mit dem <strong>Vertrag</strong> <strong>von</strong> Amsterdam) überschritten worden<br />

sein sollte, dann dürfen jetzt jedenfalls keine weiteren Hoheitsrechte übertragen werden.<br />

Somit ist <strong>das</strong> Zustimmungsgesetz zum <strong>Vertrag</strong> <strong>von</strong> <strong>Lissabon</strong> wegen Verstoßes gegen den<br />

Gr<strong>und</strong>satz der souveränen Staatlichkeit <strong>und</strong> daher gegen Art. 79 Abs. 3 GG verfassungswidrig.<br />

Dies bedeutet nicht, daß es nach dem Gr<strong>und</strong>gesetz unmöglich ist, die europäische Integration<br />

im Sinne des <strong>Vertrag</strong>es <strong>von</strong> <strong>Lissabon</strong> weiter voranzutreiben. Aber da spätestens mit<br />

dem <strong>Vertrag</strong> <strong>von</strong> <strong>Lissabon</strong> die Schwelle des Art. 79 Abs. 3 GG überschritten wird, ist dies<br />

im Wege der Verfassungsänderung nicht mehr möglich, sondern es bedarf hierzu einer<br />

verfassunggebenden Entscheidung. Diese kann nicht der verfassungsändernde Gesetzgeber,<br />

sondern nur <strong>das</strong> Volk als Subjekt des pouvoir constituant treffen. Ob <strong>und</strong> wie eine<br />

solche Entscheidung auf legalem Wege herbeigeführt werden kann, ist nicht Gegenstand<br />

dieses Gutachtens. Denn die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Zustimmungsgesetzes<br />

zum <strong>Vertrag</strong> <strong>von</strong> <strong>Lissabon</strong> hängt hier<strong>von</strong> nicht ab.<br />

3. Verstoß gegen <strong>das</strong> Demokratieprinzip durch den <strong>Vertrag</strong> <strong>von</strong> <strong>Lissabon</strong><br />

Das Demokratieprinzip gehört zu den Staatsf<strong>und</strong>amentalprinzipien, die nach Art. 79 Abs. 3<br />

i.V.m. Art. 20 Abs. 1 <strong>und</strong> 2 GG jeder Verfassungsänderung entzogen sind. Es bildet daher<br />

auch eine für den verfassungsändernden Gesetzgeber nicht disponible Schranke für die<br />

Übertragung <strong>von</strong> Hoheitsrechten an die Europäischen Union gemäß Art. 23 Abs. 1 GG.<br />

Die aus dem Demokratieprinzip folgende Integrationsschranke hat zwei Dimensionen:<br />

Zum einen darf die Übertragung <strong>von</strong> Hoheitsrechten an die Europäische Union nicht dazu<br />

führen, daß die deutsche Staatsgewalt nicht mehr dem Demokratieprinzip entspricht; zum<br />

anderen dürfen Hoheitsrechte an die Europäische Union nur unter der Voraussetzung über-<br />

127 <strong>Peter</strong> M. Huber, Maastricht – ein Staatsstreich?, 1993, S. 48 f., hatte bereits seine Untersuchung zum<br />

<strong>Vertrag</strong> <strong>von</strong> Maastricht mit der Feststellung resümiert, jener <strong>Vertrag</strong> bleibe kurz vor der Schwelle dessen,<br />

was der Staat des Gr<strong>und</strong>gesetzes als unantastbaren Kern seiner Staatlichkeit begreift. Es liege auf<br />

der Hand, daß wohl mit dem nächsten Integrationsschritt die durch Art. 79 Abs. 3 GG gezogene Grenze<br />

überschritten werden dürfte. Jeder substantielle weitere Fortschritt auf dem Weg zu einem vereinten Europa<br />

verändere die B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland in ihren durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Gr<strong>und</strong>lagen<br />

<strong>und</strong> sei deshalb nur durch einen Akt der verfassunggebenden Gewalt erreichbar; vgl. auch ders.<br />

(Fn. 35), S. 7 f.

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