Der Vertrag von Lissabon und das Grundgesetz - Dr. Peter Gauweiler
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Murswiek, Gutachten <strong>Vertrag</strong> <strong>von</strong> <strong>Lissabon</strong> 82<br />
Aus den Gründen, aus denen – wie oben im Abschnitt 2. dargelegt – der <strong>Vertrag</strong> <strong>von</strong> <strong>Lissabon</strong><br />
gegen den Gr<strong>und</strong>satz der souveränen Staatlichkeit verstößt, ist dieser <strong>Vertrag</strong> somit<br />
auch mit dem Demokratieprinzip unvereinbar.<br />
bb) Die Machtverschiebung zwischen B<strong>und</strong>esregierung <strong>und</strong> B<strong>und</strong>estag <strong>und</strong> die Delegitimierung<br />
der deutschen Rechtsetzung durch die rechtsetzende Tätigkeit der B<strong>und</strong>esregierung<br />
Die B<strong>und</strong>esregierung ist durch ihren Sitz im Rat der Europäischen Union maßgeblich an<br />
der Rechtsetzung der Europäischen Union beteiligt, denn der Rat ist <strong>das</strong> Hauptrechtsetzungsorgan.<br />
Durch die zunehmende Verlagerung <strong>von</strong> Gesetzgebungskompetenzen auf die<br />
Europäische Union, wie sie oben (C.I.2. e aa • S. 49 ff.) beschrieben wurde, wird der Einfluß<br />
der B<strong>und</strong>esregierung auf die Gesetzgebung immer größer, <strong>und</strong> in demselben Umfang<br />
nimmt der Einfluß des B<strong>und</strong>estages auf die Gesetzgebung ab. Und mit der zunehmenden<br />
Kompetenzverlagerung nach Brüssel reduziert sich die Rolle der nationalen Parlamente –<br />
in Deutschland also des B<strong>und</strong>estages – zunehmend darauf, Durchführungsbestimmungen<br />
zu Gesetzen (nämlich zu den EU-Richtlinien) zu erlassen, die <strong>von</strong> der europäischen Exekutive<br />
unter Beteiligung der Vertreter der nationalen Regierungen im Rat (wenn auch jetzt<br />
regelmäßig unter Beteiligung des Europäischen Parlaments) erlassen worden sind. Damit<br />
wird die Funktionenzuordnung der parlamentarischen Demokratie, nach der <strong>das</strong> Parlament<br />
der Gesetzgeber ist, auf den Kopf gestellt 149 . Schon dies ist mit dem Demokratieprinzip<br />
nicht vereinbar.<br />
Hinzu kommt folgende, allgemein bekannte Praxis, die <strong>von</strong> Herzog <strong>und</strong> Gerken als „Spiel<br />
über die Bande“ beschrieben wird:<br />
»Ein nationales Ministerium, etwa <strong>das</strong> deutsche B<strong>und</strong>esumweltministerium, <strong>das</strong> ein Regulierungsvorhaben<br />
auf nationaler Ebene nicht durchsetzen kann – weil zum Beispiel<br />
der deutsche Arbeitsminister Widerstand leistet oder es im B<strong>und</strong>estag nicht mehrheitsfähig<br />
wäre –, „ermutigt“ die zuständige Generaldirektion in der Europäischen Kommission<br />
diskret, dieses Vorhaben EU-weit zu verwirklichen. In Brüssel trifft dies aus den<br />
soeben geschilderten Gründen meist auf ausgeprägte Bereitwilligkeit. Das EU-Vorhaben<br />
durchläuft dann den üblichen Gesetzgebungsprozess. Am Ende entscheidet der Ministerrat<br />
darüber. In dem sitzen aber im Regelfall genau <strong>das</strong>jenige Ministerium, <strong>das</strong> den<br />
Vorschlag überhaupt erst angestoßen hat, <strong>und</strong> die entsprechenden Fachministerien der<br />
anderen Mitgliedstaaten, im Beispiel also 27 Umweltministerien.<br />
Die erforderliche Abwägung auf nationaler Ebene, oft genug auch auf EU-Ebene, etwa<br />
mit arbeitsmarktpolitischen Belangen, kommt als Folge dieses Spiels über Bande regelmäßig<br />
zu kurz, denn andere Ministerien <strong>und</strong> vor allem die Parlamente in den Mitgliedstaaten<br />
werden nicht einmal näherungsweise in den Entscheidungsprozess einge-<br />
149 Vgl. Werner Hofmann, Die Krise des Staates <strong>und</strong> des Rechts, KJ 1968, S. 1; Martin Kutscha, Demokratischer<br />
Zentralismus? Vom zweifelhaften Schicksal b<strong>und</strong>esdeutscher Verfassungsprinzipien bei der EG-<br />
Integration, KJ 1990, S. 425 (429 f.).