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Der Vertrag von Lissabon und das Grundgesetz - Dr. Peter Gauweiler

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Murswiek, Gutachten <strong>Vertrag</strong> <strong>von</strong> <strong>Lissabon</strong> 47<br />

Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung verneinen. Vielmehr ist ein solches Prinzip der<br />

Kompetenzverteilung in B<strong>und</strong>esstaaten durchaus üblich, wie insbesondere die Verfassung<br />

der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland zeigt, wo dieses Prinzip für die Gesetzgebung (Art. 70<br />

GG) <strong>und</strong> für die gesamte Staatstätigkeit (Art. 30 GG) ebenfalls als Kompetenzverteilungsprinzip<br />

fungiert.<br />

d) Die europäische Staatswerdung als dynamischer Prozeß<br />

Im Maastricht-Urteil hat <strong>das</strong> B<strong>und</strong>esverfassungsgericht zutreffend festgestellt, daß die<br />

Mitgliedstaaten mit dem <strong>Vertrag</strong> <strong>von</strong> Maastricht keinen sich auf ein europäisches Staatsvolk<br />

stützenden Staat gegründet hätten <strong>und</strong> daß eine Gründung „Vereinigter Staaten <strong>von</strong><br />

Europa“ derzeit nicht beabsichtigt sei 86 . Zu einer solchen Staatsgründung wäre es auch<br />

durch den Verfassungsvertrag nicht gekommen <strong>und</strong> ist es durch den <strong>Vertrag</strong> <strong>von</strong> <strong>Lissabon</strong><br />

ebenfalls nicht gekommen.<br />

Es ist auch sehr unwahrscheinlich, daß die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sich in<br />

absehbarer Zeit zu einem solchen Gründungsakt entschließen. Dafür gibt es viele politische<br />

Gründe. Größtenteils wollen die Völker der Mitgliedstaaten ihre souveräne Staatlichkeit<br />

behalten. Und ihre politischen Führungen wollen dies entweder ebenfalls, oder sie streben<br />

zwar einen europäischen B<strong>und</strong>esstaat an, können dies aber mit Rücksicht auf ihre Wähler<br />

nicht offen sagen 87 . Vielen Politikern ist vielleicht gar nicht bewußt, wie stark sich die<br />

Europäische Union einem B<strong>und</strong>esstaat bereits angenähert hat. Ihnen genügt es, wenn der<br />

die äußeren Insignien <strong>und</strong> Symbole der nationalen Staatlichkeit erhalten bleiben <strong>und</strong> nicht<br />

umgekehrt die Europäische Union die Symbole der Staatlichkeit für sich reklamiert.<br />

Welch immense Bedeutung die Symbolpolitik im Zusammenhang mit der europäischen<br />

Integration hat, ist ganz besonders im Zusammenhang mit der Diskussion um den europäischen<br />

Verfassungsvertrag deutlich geworden. Die Kritik an diesem <strong>Vertrag</strong>, die letztlich<br />

auch zu seinem Scheitern führte, war weitgehend Kritik an der Verwendung <strong>von</strong> Staatssymbolik<br />

– Verwendung des Begriffs „Verfassung“, Hymne, Flagge, „Europatag“ als eine<br />

Art europäischer Nationalfeiertag. <strong>Der</strong> <strong>Vertrag</strong> <strong>von</strong> <strong>Lissabon</strong> unterscheidet sich vom Verfassungsvertrag<br />

im wesentlichen dadurch, daß er auf diese Symbolik verzichtet. Mit der<br />

Sache hat die Symbolik aber nicht viel zu tun. Allein durch die Verwendung der Symbole<br />

wäre kein Staat entstanden, wenn nicht die materiellen Voraussetzungen der Staatlichkeit<br />

gegeben wären. Umgekehrt führt <strong>das</strong> Weglassen der Symbole nicht dazu, daß kein Staat<br />

entsteht, obwohl die materiellen Voraussetzungen der Staatlichkeit gegeben sind.<br />

Für die Öffentlichkeit – <strong>und</strong> dies gilt weitgehend auch für die politische Klasse – ist die<br />

Symbolik freilich <strong>von</strong> großer Bedeutung. Und viele glauben offenbar, daß ein europäischer<br />

B<strong>und</strong>esstaat erst dann entstehe, wenn man ihn förmlich „gründet“. Solange es einen solchen<br />

Gründungsakt nicht gibt, durch den die Völker der Mitgliedstaaten sich förmlich zu<br />

einem europäischen Staatsvolk konstituieren <strong>und</strong> durch den die Europäische Union expres-<br />

86 BVerfGE 89, 155 (188 f.).<br />

87 Vgl. die Vermutung <strong>von</strong> Di Fabio, <strong>Der</strong> Staat 32 (1993), S. 191 (197) m. Hinw. auf eine Äußerung <strong>von</strong><br />

Verheugen.

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