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Der Vertrag von Lissabon und das Grundgesetz - Dr. Peter Gauweiler

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Murswiek, Gutachten <strong>Vertrag</strong> <strong>von</strong> <strong>Lissabon</strong> 88<br />

(3) Die fehlende demokratische Gleichheit<br />

Das zentrale Konstitutionsprinzip der Demokratie ist die Gleichheit aller Staatsbürger: Es<br />

gibt keine Privilegien bei der Teilhabe an der demokratischen Willensbildung. Jeder einzelne<br />

hat die gleiche Stimme <strong>und</strong> die gleiche Partizipationschance. Dieses f<strong>und</strong>amentale<br />

<strong>und</strong> zum unaufgebbaren Kern der Demokratie gehörende Prinzip wird auf der Ebene der<br />

Europäischen Union nicht verwirklicht.<br />

- Die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments richtete sich bisher nach nationalen<br />

Kontingenten (Art. 190 Abs. 2 EGV) <strong>und</strong> auch künftig nach einem an der Größe<br />

der Staaten orientierten disproportionalen Verteilungsschlüssel (Art. 14 Abs. 2 EUV).<br />

Die Zahl der auf die einzelnen Mitgliedstaaten entfallenden Abgeordneten ist degressiv<br />

proportional zur Zahl der Wahlberechtigten in den Mitgliedstaaten gestaffelt mit der<br />

Folge, daß kleine, bevölkerungsarme Mitgliedstaaten in Relation zu ihrer Bevölkerung<br />

wesentlich mehr Abgeordnete ins Europäische Parlament entsenden als große, bevölkerungsreiche<br />

Staaten. So vertritt nach dem bisher geltenden Recht ein Abgeordneter aus<br />

Malta etwa 76.000 Bürger, während ein deutscher Abgeordneter 826.000 Bürger repräsentiert<br />

161 . Das Stimmgewicht eines maltesischen Wählers ist also mehr als 10 mal so<br />

groß wie <strong>das</strong> Stimmgewicht eines deutschen Wählers. Das wird sich nach dem <strong>Vertrag</strong><br />

<strong>von</strong> <strong>Lissabon</strong> nicht wesentlich ändern.<br />

- Im Rat ist die Disproportionalität noch größer; <strong>das</strong> neue Entscheidungsverfahren wird<br />

allerdings dort, wo mit qualifizierter Mehrheit entschieden wird, für eine Verkleinerung<br />

der Disproportionalität zugunsten der größeren Staaten sorgen. Die überproportionale<br />

Vertretung der kleinen Mitgliedstaaten im Rat resultiert daraus, daß im Rat die Staaten<br />

durch ihre Regierungen vertreten sind. Wäre der Rat eine zweite Kammer in einem parlamentarischen<br />

System, in dem <strong>das</strong> Parlament <strong>das</strong> Hauptgesetzgebungsorgan <strong>und</strong> der<br />

Rat – vergleichbar etwa mit dem B<strong>und</strong>esrat in Deutschland – als Vertretung der Mitgliedstaaten<br />

deren Interessen in den Gesetzgebungsprozeß einbringt, so wäre gegen die<br />

relativ stärkere Stellung der kleineren Staaten nichts einzuwenden – vorausgesetzt, daß<br />

im Entscheidungsprozeß <strong>das</strong> Parlament sich gegen den Rat durchsetzen könnte. Im geltenden<br />

System aber ist der Rat <strong>das</strong> Hauptgesetzgebungsorgan, <strong>und</strong> dieses muß dem<br />

demokratischen Gleichheitsprinzip genügen. Das gilt auch dann, wenn man den Rat<br />

jetzt als neben dem Parlament gleichberechtigtes Gesetzgebungsorgan ansieht. Auch<br />

dann hat er nicht lediglich die Funktion einer föderalen Ergänzungslegitimation, sondern<br />

vermittelt immerhin die Hälfte der demokratischen Legitimation.<br />

161 Vgl. Melanie Piepenschneider, <strong>Vertrag</strong>sgr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Entscheidungsverfahren, in: Informationen zur<br />

politischen Bildung, Heft 279, 2005, S. 23.

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