Der Vertrag von Lissabon und das Grundgesetz - Dr. Peter Gauweiler
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Murswiek, Gutachten <strong>Vertrag</strong> <strong>von</strong> <strong>Lissabon</strong> 37<br />
Souveränität zugunsten der europäischen Integration einerseits zuläßt, andererseits aber die<br />
B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland ein souveräner Staat bleiben muß.<br />
Ich versuche daher zunächst, mich der Problematik dadurch anzunähern, daß ich im folgenden<br />
prüfe, ob die oben genannten Kriterien sich in der Weise umkehren lassen, daß <strong>das</strong><br />
Prinzip der souveränen Staatlichkeit solange gewahrt ist, wie die mit diesen Kriterien benannten<br />
Ereignisse noch nicht eingetreten sind.<br />
aa) Souveräne Staatlichkeit als Staatlichkeit im Sinne des Völkerrechts?<br />
Das Gr<strong>und</strong>gesetz setzt voraus, daß die B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland ein Staat i.S. des Völkerrechts<br />
ist 72 . Würde sie zugunsten der Europäischen Union diesen Status verlieren, wäre<br />
die änderungsfeste Grenze der Integrationsermächtigung überschritten. Ist die Grenze aber<br />
eingehalten, solange die B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland ein Staat i.S. des Völkerrechts<br />
bleibt?<br />
Um diese Frage zu beantworten, muß man sich vergegenwärtigen, daß <strong>das</strong> Völkerrecht<br />
zugunsten der Annahme der Existenz <strong>von</strong> Staaten sehr „konservativ“ ist, soweit es um den<br />
Fortbestand <strong>von</strong> Staaten geht, die ursprünglich völkerrechtlichen Kriterien eines Staates<br />
erfüllten <strong>und</strong> in der Staatengemeinschaft als Staaten anerkannt sind. Die Fusion mehrerer<br />
Staaten zu einem neuen (B<strong>und</strong>es-)Staat führt zwar im Falle eines entsprechenden <strong>Vertrag</strong>sschlusses<br />
zum Untergang der sich zusammenschließenden Staaten. Wenn die Staaten jedoch<br />
durch Kompetenzübertragung allmählich zusammenwachsen, ohne explizit einen<br />
neuen Staat zu gründen, geht die Völkerrechtsordnung vom Fortbestand der bisherigen<br />
Statusverhältnisse aus, solange dies nicht völlig absurd wird. Wenn die beteiligten Staaten<br />
völkerrechtlich weiterhin als Staaten auftreten wollen, liegt es also in ihrer Hand, durch<br />
entsprechende <strong>Vertrag</strong>sgestaltung dafür zu sorgen, daß die äußerlichen Insignien der Staatlichkeit<br />
– Bezeichnung als Staat, Flagge, Hymne, Staatspräsident, Befugnis zur Abschluß<br />
völkerrechtlicher Verträge, Botschafter usw. – bei ihnen verbleiben. Sie bleiben dann Staaten<br />
i.S. des Völkerrechts, auch wenn sie längst nicht mehr unabhängig agieren können,<br />
auch wenn ihre außenpolitische Zuständigkeit stark eingeschränkt ist <strong>und</strong> neben ihren außenpolitischen<br />
Organisationsstrukturen sich längst Parallelstrukturen der übergeordneten<br />
Ebene gebildet haben, <strong>und</strong> auch dann, wenn sie über ihre inneren Angelegenheiten nicht<br />
mehr selbst bestimmen können, sondern in allen wesentlichen Fragen die übergeordnete<br />
supranationale Ebene entscheidet.<br />
Staat im Sinne des Völkerrechts <strong>und</strong> als solcher Mitglied der UNO kann also auch ein<br />
Staat sein, der nur noch die Fiktion eines selbständigen Staates darstellt, weil er dessen<br />
Symbole behalten hat, während er macht- <strong>und</strong> zuständigkeitsmäßig innerlich ausgehöhlt ist<br />
<strong>und</strong> seine Kompetenzen im Hinblick auf alle für <strong>das</strong> Schicksal seines Staatsvolkes wesentlichen<br />
Entscheidungen an eine nicht als Staat bezeichnete, aber Staatsfunktionen wahrnehmende<br />
übernationale Organisation abgegeben hat.<br />
72 BVerfGE 1, 351 (368 f.); Murswiek, BK, Präambel Rn. 243 m.w.N.; Hillgruber, HStR II, 3. Aufl. 2004,<br />
§ 32 Rn. 40 f.