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Wege in die Unternehmensethik.<br />

Möglichkeiten und Herausforderungen<br />

für Unternehmen der Pflegewirtschaft<br />

Annette v. Hahn<br />

veröffentlicht unter den socialnet Materialien<br />

Publikationsdatum: 26.11.2013<br />

URL: http://www.socialnet.de/materialien/169.php


Wege in die Unternehmensethik.<br />

Möglichkeiten und Herausforderungen für<br />

Unternehmen der Pflegewirtschaft<br />

<strong>Bachelorarbeit</strong><br />

Zur Erlangung des akademischen Grades des<br />

Bachelor of Arts (B.A.) Pflegemanagement<br />

Vorgelegt am Lehrstuhl für Pflegemanagement der Evangelischen<br />

Hochschule Berlin<br />

bei Professor Dr. Olivia Dibelius (Erstgutachterin) und<br />

Professor Dr. Judith Dick (Zweitgutachterin)<br />

Von Annette v. Hahn<br />

Berlin, 20. Juni 2013


Inhaltsverzeichnis<br />

1. Einleitung ...............................................................................................................1<br />

2. Design ....................................................................................................................1<br />

3. Kontext ...................................................................................................................2<br />

3.1. System der sozialen Marktwirtschaft ..................................................................... .2<br />

3.2. Krise der sozialen Marktwirtschaft ......................................................................... .2<br />

3.3. Wirtschaftsethik <strong>als</strong> Antwort ................................................................................... .3<br />

3.4. Besondere Problematik in der Gesundheits- und Pflegewirtschaft .........................4<br />

3.5. Rahmenbedingungen und resultierende ethische Herausforderungen für<br />

Unternehmen der Pflegewirtschaft ......................................................................5<br />

4. These ......................................................................................................................6<br />

5. Anwendung von Ethik in konkreten Bereichen ..................................................7<br />

5.1. Anwendungssystematik der Ethik in der Wirtschaftsethik .......................................8<br />

5.2. Orte der Moral in der Wirtschaftsethik .....................................................................9<br />

6. Moderne theoretische Ansätze von Wirtschafts- und Unternehmensethik ...10<br />

6.1. Ordnungsethischer Ansatz (Karl Homann) ............................................................10<br />

6.2. Governance Ethik (Josef Wieland) ........................................................................11<br />

6.3. Diskursethik (Habermas/Apel, Steinmann(Löhr) ...................................................13<br />

6.4. Integrative Wirtschaftsethik (Peter Ulrich, ergänzt durch Amartya Sen) ................15<br />

6.5. Zur Diskussion der beschriebenen wirtschaftsethischen Ansätze .........................16<br />

7. Gedanken zur Auswahl und Implementierung eines wirtschaftsethischen<br />

Ansatzes für Pflegeunternehmen ..................................................................17<br />

7.1. Zur Implementierung von Unternehmensethik ......................................................18<br />

7.2. Projektarbeit <strong>als</strong> geeignete Arbeitsform zur Implementierung von<br />

Unternehmensethik ...........................................................................................19<br />

8. Blick in die Alltagsrealität ...................................................................................20<br />

8.1. Methodisches Vorgehen ........................................................................................20<br />

8.2. Kriterien für die Empirie .........................................................................................21<br />

8.3. Vergleichende Analyse und Interpretation der Daten ............................................23<br />

9. Fazit ......................................................................................................................33<br />

Anhang


!<br />

1. Einleitung ! ! ! ! ! ! !<br />

Die Angst vor dem Pflegenotstand geht um. Überalterung, Zweidrittel-Gesellschaft,<br />

Einkommensschere, Fachkräftemangel, gefährliche Pflege: das sind die Schlagworte<br />

die mit dieser Angst verbunden sind. Aus ihnen ist der Zusammenhang zwischen<br />

gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aspekten des Themas abzulesen.<br />

Unternehmen, die sich um die Bereitstellung von Pflegeleistungen kümmern, sind<br />

wichtige Akteure in einer Gesellschaft, die Verantwortung für ihre Mitglieder übernimmt.<br />

Sie stehen deshalb mit im Zentrum der Diskussion zu diesem Thema. Eine Möglichkeit<br />

für Unternehmen der Pflegewirtschaft, sich dieser Herausforderung zu stellen, kann die<br />

Beschäftigung mit Wirtschafts- und Unternehmensethik sein.<br />

Die Wirtschaftswissenschaft zählt zu den Sozialwissenschaften. Ihr Thema ist die<br />

Funktion des Marktes mit seinen Gesetzen, Strukturen und Prozessen. Der Markt ist<br />

ein Mechanismus der Wirtschaft, der u. a. die Verteilung knapper Ressourcen regelt.<br />

Auch die Pflege ist <strong>als</strong> Dienstleistung ein Gut, das nicht in uneingeschränkter Menge<br />

und Qualität zur Verfügung steht. Die Wirtschaft ist ein System zur Gestaltung des<br />

Zusammenlebens der Gesellschaftsmitglieder 1 . Da es um Verteilung geht, geht es um<br />

Gerechtigkeit. Gerechtigkeit ist ein Wert und damit ein Thema der Ethik.<br />

In dieser Arbeit werden die Begriffe Wirtschaftswissenschaft und Ökonomik synonym<br />

verwendet. Das Gleiche gilt für die Begriffe Wirtschaft und Ökonomie.<br />

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Text grammatikalisch nur die männliche<br />

Form verwendet. Gemeint ist stets sowohl die weibliche <strong>als</strong> auch die männliche Form.<br />

2. Design<br />

Diese Arbeit soll eine Ermutigung sein. Sie soll klären, welche gesellschaftlichen<br />

Konflikte in der Pflegewirtschaft eine Rolle spielen. Im Weiteren soll sie theoretische<br />

Grundlagen vermitteln, auf denen eine allgemeine Haltung zum Thema Wirtschaftsund<br />

Unternehmensethik entwickelt werden kann. Jedes Unternehmen für sich muss<br />

dann entscheiden, in welche Richtung es diese Haltung weiterentwickeln will und kann,<br />

und welche strategischen und operativen Konsequenzen sich daraus ergeben sollen.<br />

Der zweite Teil dieser Arbeit wird ein Beispiel aus der Alltagsrealität eines<br />

Pflegeunternehmens behandeln. Dabei geht es darum, bereits vorhandene<br />

unternehmensethische Ansätze im Unternehmen aufzudecken und sie, im Hinblick auf<br />

mögliche erste Schritte, sinnvoll zu ergänzen.<br />

Dazu werden drei Experteninterviews in einem Unternehmen geführt, dass im Bereich<br />

Wohnen und Pflege im Alter tätig ist. Die Auswertung der Interviews bildet die<br />

Grundlage für ergänzende Überlegungen.<br />

1 Karmasin & Litschka, 2008, S. 18<br />

1!


!<br />

Die Arbeit stellt in diesem Sinne keine Bauanleitung für Unternehmensethik dar. Sie<br />

soll eine ermutigende Anregung sein und Rüstzeug für jene bereitstellen, die sich auf<br />

den Weg machen wollen.<br />

3. Kontext<br />

3.1. System der sozialen Marktwirtschaft<br />

Die soziale Marktwirtschaft versucht, auf der Basis des kapitalistischen Wettbewerbs<br />

den negativen Auswirkungen wirtschaftlicher Freiheit mit einer ordnungspolitischen<br />

Rahmenordnung entgegenzuwirken 2 . Sie ist damit ein „Mittel [...] der gesellschaftlichen<br />

Gestaltung“ 3 .<br />

Unternehmen sind Funktionseinheiten des Wirtschaftssystems in Form von<br />

Organisationen, die den Auftrag zu ökonomischer Wertschöpfung haben. Durch die<br />

Erfüllung dieses Auftrages, erhalten sie Ihre gesellschaftliche Legitimation. 4<br />

Eine weitere Bedingung zum Bestehen von Unternehmen ist deren Finanzierung.<br />

Unternehmen der Privatwirtschaft finanzieren sich mit privatem Kapital. Anders in der<br />

Sozialwirtschaft, deren Unternehmen durch Steuern und Sozialversicherungsbeiträge<br />

von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert werden sollen.<br />

3.2. Krise der sozialen Marktwirtschaft<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Deutschland ein sehr starkes<br />

Wirtschaftswachstum, das es der Politik ermöglichte, der der Marktwirtschaft<br />

innewohnenden Tendenz zur Herstellung von Ungleichheit mit Maßnahmen zur<br />

Umverteilung entgegen zu wirken. Ende der 1970er Jahre brach das starke Wachstum<br />

ein. Der hohen Inflation in den Siebzigern folgte eine hohe Staatsverschuldung in den<br />

achtziger Jahren. Die politische Antwort bestand in der Neoliberalisierung der Märkte.<br />

Das bedeutete Deregulierung und Privatisierung der Märkte, einschließlich hoher<br />

Privatverschuldung, was zum Verlust an Möglichkeiten staatlicher Einflussnahme auf<br />

das wirtschaftliche Geschehen führte. 5 Wirtschaftsleistungen werden seither weniger<br />

nachfrageorientiert erbracht. Das führt zu Ungerechtigkeiten bei der Verteilung von<br />

Gütern und Dienstleistungen 6 . Die Folge ist auch eine ungerechte Verteilung von Geld,<br />

2 vgl. Schubert & Klein, 2011<br />

3 Goldschmidt in Aßländer, 2011, S. 77<br />

4 vgl. Dietzfelbinger , 2008, S.189 f und Homann, ohne Jahresangabe, S.7f<br />

5 vgl. Streeck, 2013, S. 54 ff.<br />

6 vgl. auch Ahlrichs, 2012, S. 36 f.<br />

2!


!<br />

Bildung und Gesundheit, was unterschiedliche Chancen zur gesellschaftlichen Teilhabe<br />

mit sich bringt.<br />

Zusätzlich sorgt die Globalisierung für eine Entgrenzung der Märkte weltweit und führt<br />

damit zu Unübersichtlichkeit, u. a. in ökonomischen Strukturen. Ihre Auswirkungen<br />

bedingen große Veränderungen in der Lebenssituation von Individuen und verlagern<br />

Reichtum und Risiken zu Ungunsten der meisten von ihnen. 7<br />

Mit dieser Entwicklung geht auch eine zunehmende Zerstörung der Umwelt einher.<br />

Deren Erhalt <strong>als</strong> Lebensressource für nachfolgende Generationen ist unsicher.<br />

Die Banken-Krise mit ihren Auswirkungen hat zuletzt verdeutlicht, wie risikoreich das<br />

kapitalistische Wirtschaften ist, welche sozialen Ungerechtigkeiten es zur Folge hat<br />

und wie wenig die Ordnungsinstrumente einer sozialen Marktwirtschaft im 21.<br />

Jahrhundert dagegen ausrichten können. Die durch die Krise entstandenen Schulden,<br />

führen zu Diskussionen über Gerechtigkeit, wenn es um die Begleichung dieser<br />

Schulden geht. Die Benennung von Schuldigen an der Krise scheint unmöglich. Zu<br />

unüberschaubar sind die Zusammenhänge und zu uneindeutig die<br />

Verantwortlichkeiten. Sind Einzelne dafür in die Pflicht zu nehmen oder ist das System<br />

schuld? 8 Ist dies eine wirtschaftliche Krise oder eine politische?<br />

Lange Zeit galt der Homo Oeconomicus in der Wirtschaftstheorie <strong>als</strong> adäquates Modell<br />

zur Ableitung menschlichen Verhaltens. Es ist das Modell eines Menschen der stets<br />

rational handelt, dabei über vollständige Marktinformationen verfügt, von<br />

Eigeninteresse geleitet eine Maximierung von Nutzen verfolgt und dabei doch zur<br />

Erhöhung des Gesamtwohles der Gemeinschaft beiträgt 9 . Wie von „unsichtbarer<br />

Hand“ 10 , entstehe dabei, so die Theorie, aus den Folgen unmoralischer Handlungen<br />

etwas Gutes. Dies hat sich <strong>als</strong> Trugbild erwiesen. Die gegenwärtige Situation zeigt: die<br />

unsichtbare Hand produziert einen Mangel an Solidarität und Gerechtigkeit, und sie<br />

führt zur Zerstörung der Lebenswelt nachfolgender Generationen.<br />

3.3. Wirtschaftsethik <strong>als</strong> Antwort<br />

Wie sollen sich die Teilnehmer des Wirtschaftssystems auf allen Ebenen verhalten, um<br />

soziale Gerechtigkeit herzustellen und die Vernichtung natürlicher Ressourcen zu<br />

stoppen? Wie kann eine wünschenswerte Wirtschaftsordnung aussehen, welche<br />

Normen und Werte sind nötig, um sie gesellschaftlich einzubetten? Wie können diese<br />

Normen legitimiert werden?<br />

Mit dem Sollen menschlichen Handelns und der Begründung von Normen beschäftigt<br />

sich die Ethik. Deshalb spielen ethische Überlegungen zu wirtschaftlicher Theorie und<br />

7 vgl. Beck, Ulrich, 1986<br />

8 vgl Herold, 2012. 122 f.<br />

9 vgl. Sedlácek, 2012, S.321 ff. sowie Karmasin & Litschka, 2008, S.18 f. und S. 32<br />

10 zum Begriff der unsichtbaren Hand s. Anhang 1, im Anhang, S. A1<br />

3!


!<br />

Praxis zunehmend eine Rolle. Einerseits bleibt die Frage, ob die Krise nicht auch<br />

politischer Natur ist, bestehen, andererseits ist die Bedeutung der Wirtschaft, auch im<br />

politischen Raum, klar zu erkennen. Politik und Wirtschaft lassen sich in diesem<br />

Kontext nicht trennen.<br />

Entstanden ist der Bereich Wirtschaftsethik mit zahlreichen und sehr<br />

unterschiedlichen Ansätzen zur Erforschung von normativen Problemen der<br />

Wirtschaftswissenschaft. Dabei geht es auch um Integration ökonomischer und<br />

ethischer Rationaliät 11 im Spannungsfeld zwischen Ziel- und Wunschvorstellungen<br />

einerseits und realen Möglichkeiten andererseits 12 . Ein Unterbereich der<br />

Wirtschaftsethik ist die Unternehmensethik, die sich entsprechend mit den normativen<br />

Problemen von Unternehmen und den Vorraussetzungen und Möglichkeiten<br />

moralischen Handelns auseinandersetzt. Dabei reflektiert sie interne (im Unternehmen<br />

vorhandene) und externe (von außen an das Unternehmen heran getragene) Werte<br />

und versucht, ihnen entsprechende Regeln abzuleiten 13 . 14 In beiden Bereichen spielt<br />

auch die Individualethik eine Rolle, denn es sind Individuen, die in Organisationen<br />

und auf politischer Ebene tätig sind.<br />

3.4. Besondere Problematik in der Gesundheits- und Pflegewirtschaft<br />

Unternehmen der Gesundheits- und Pflegewirtschaft haben in ihrem Kerngeschäft die<br />

Aufgabe, die Gesundheit der Gesellschaftsmitglieder zu erhalten und zu verbessern<br />

sowie Kranke, Behinderte und Sterbende zu versorgen und zu betreuen. Nach<br />

Einführung der sozialen Marktwirtschaft kamen sie dieser Aufgabe zunächst unter den<br />

Bedingungen einer reinen Sozialwirtschaft nach, die durch Steuern und<br />

Sozialversicherungsbeiträge die Finanzierung des Kerngeschäfts sicher stellen<br />

konnte 15 . Mittlerweile kann mit den finanziellen Mitteln der Sozialversicherungen eine<br />

ausreichende Versorgung nicht mehr geleistet werden. Dieser Trend wird sich<br />

zukünftig fortsetzen. Medizinische und pflegerische Möglichkeiten entwickeln sich<br />

weiter und verursachen dadurch teilweise höhere Kosten. Die demographische<br />

Entwicklung verschärft die Situation zusätzlich. Die Antwort der Politik darauf ist, seit<br />

den 1990er Jahren, der Umbau des Sozi<strong>als</strong>taates mit einer zunehmenden<br />

Ökonomisierung der Sozialwirtschaft. Die leistungserbringenden Unternehmen sind<br />

dadurch gezwungen, betriebswirtschaftlich zu denken und zu handeln 16 , um Gewinne<br />

zu generieren. Dafür müssen sie leistungsorientierter, effizienter und rationeller<br />

11 vgl. Karmasin & Litschka, 2008, S. 22<br />

12 vgl. Homann in Homann (Hrsg), 1992<br />

13 vgl Dietzfelbinger 2008, S. 204<br />

14 Anmerkungen zur Begrifflichkeit siehe Anhang 2, im Anhang, S. A1<br />

15 vgl. Ahlrichs, 2012, S. 58 f.<br />

16 vgl. Ahlrichs, 2012, S. 58 f.<br />

4!


!<br />

arbeiten <strong>als</strong> bisher. Leistungen werden dadurch nicht immer bedarfsgerecht erbracht,<br />

teilweise müssen sie rationiert oder gestrichen werden. Dadurch entstehen<br />

Interessenkonflikte mit Mitgliedern der Gesellschaft, die auf diese Leistungen<br />

angewiesen sind oder sie erbringen.<br />

3.5. Rahmenbedingungen und resultierende ethische Herausforderungen<br />

für Unternehmen der Pflegewirtschaft<br />

Unternehmen der Pflegewirtschaft sind Dienstleistungsunternehmen, deren Leistung u.<br />

a. durch das Sozialversicherungssystem finanziert werden. Daraus ergeben sich<br />

folgende Rahmenbedingungen:<br />

• Unternehmen der Pflegewirtschaft arbeiten mit einem anderen „Kunden“-Begriff<br />

<strong>als</strong> private Unternehmen 17 . Der Pflegende bezieht seine Leistung vom<br />

Unternehmen. Bezahlt wird sie ursprünglich aber nicht vom Pflegebedürftigen <strong>als</strong><br />

Leistungsempfänger, sondern von seinem Sozialversicherer <strong>als</strong> Kostenträger. Im<br />

Zuge von Leistungsabbau wegen leerer Kassen der Solidargemeinschaft und<br />

resultierender Ökonomisierung in der Pflegewirtschaft, werden Pflegebedürftige,<br />

je nach ihren Möglichkeiten, zu Selbstzahlern. Wer sich das Selbstzahlen nicht<br />

leisten kann, wird in der Regel vom Kostenträger dorthin geschoben, wo die<br />

Leistung am günstigsten zu haben ist. Je nach finanziellem Vermögen hat der<br />

eine <strong>als</strong>o die Wahl, der andere nicht. Die Qualität der Leistung die ein<br />

pflegebedürftiger Sozialversicherungsnehmer erhält, ist in der Regel von seinen<br />

finanziellen Möglichkeiten abhängig. Leistungen werden auf diese Weise selektiv<br />

rationiert. 18 . Das widerspricht dem Solidaritätsprinzip des Sozi<strong>als</strong>taates und ist<br />

ein Beispiel für die bei Beck beschriebene „Individualisierung sozialer<br />

Ungleichheit“ 19<br />

• In der Pflege ist der Leistungserbringer auf die Mitwirkung des Pflegebedürftigen<br />

<strong>als</strong> Leistungsempfänger angewiesen. Dieser ist damit nicht nur Konsument,<br />

sondern an der Leistungserstellung aktiv beteiligt. Deren Qualität empfindet er<br />

subjektiv. Die ökonomischen Bedingungen unter denen die Leistung erstellt wird,<br />

und die praktischen Folgen dieser Bedingungen im Pflegeprozess selbst können,<br />

aufgrund der Abhängigkeit und der direkten Betroffenheit des Pflegebedürftigen<br />

von dieser Leistung, zu ethischen Problemen, bis hin zur Verletzung der<br />

Menschenwürde, führen.<br />

Die Herausforderungen die sich aus diesen Besonderheiten ergeben, sind folgende:<br />

• Pflegebedürftige bewegen sich in einem Spannungsfeld zwischen Bedürftigkeit<br />

und Selbstverantwortung. Nicht alle Bedürftigen waren und sind in der Lage den<br />

17 vgl. Ahlrichs, 2012 S. 63<br />

18 vgl. auch Bauer, 2007, S. 106<br />

19 Beck, 1986, S. 122 und 205 ff.<br />

5!


!<br />

Schritt von der Solidar- zur Selbstverantwortung mitzugehen. Für<br />

Pflegebedürftige, die nicht in der Lage sind, das nötige Maß an<br />

Selbstverantwortung zu übernehmen, um im Bedarfsfall benötigte Leistung zu<br />

erhalten oder auf entsprechende Unterstützung aus ihrem Umfeld<br />

zurückzugreifen, kommt es zu einer Verletzung der Menschenwürde.<br />

• Auch die Mitarbeiter der Pflegeunternehmen bewegen sich bei der Erfüllung ihrer<br />

Aufgaben in einem Spannungsfeld. Es entstehen Konflikte zwischen der<br />

Erfüllung ihres sozialen Leistungsauftrages unter Beachtung des professionellen<br />

Ethos einerseits und der Notwendigkeit rational ökonomischen Handelns<br />

andererseits. 20 Ihre Situation ist durch ein Zerissen-Sein zwischen diesen<br />

Ansprüchen gekennzeichnet. Dibelius & Uzarewicz belegen für die Altenpflege<br />

den von Pflegenden empfundenen Mangel an Kommunikationszeit sowie Sachund<br />

Pflegehilfsmitteln, der dazu führt, das Pflegende ihrer eigentlichen Aufgabe,<br />

der würdevollen Pflege von Menschen, nicht gerecht werden können. 21 Bauer<br />

beschreibt anhand der Ergebnisse einer empirischen Untersuchung für das<br />

Gesundheitswesen, dass Pflegende in diesem Konflikt nicht in der Lage sind, <strong>als</strong><br />

Gruppe aktiv eine kritische Haltung einzunehmen. Professionell Pflegende lassen<br />

sich, so Bauer, im Gegenteil stark von „dominanten Deutungsmustern“ 22 lenken,<br />

und unterwerfen sich damit ökonomischen Sachzwängen. Die Folgen des an sich<br />

strukturellen Problems werden dadurch individualisiert. Die Mitarbeiter von<br />

Pflegeunternehmen tragen an diesen Folgen persönlich. Personalmangel und die<br />

fehlende Abrechnungsmöglichkeit von psychosozialen<br />

Betreuungsmöglichkeiten 23 sind strukturelle Folgen der Ökonomisierung von<br />

Pflege und führen zu Konflikten für professionell Pflegende und für<br />

Pflegebedürftige.<br />

4. These<br />

Unternehmen der Pflegewirtschaft haben sich unternehmensethisch der besonderen<br />

Herausforderungen im Bezug auf die Gruppen „Pflegebedürftige“ und „professionell<br />

Pflegende“ zu stellen. Für letztere besteht ein hohes ethisches Konfliktpotential im<br />

Spannungsfeld zwischen gesellschaftlich erwünschtem und ökonomisch rationalen<br />

Handeln. Darüber hinaus sind diese Unternehmen, da sie sich immer mehr dem<br />

Bereich der Privatwirtschaft öffnen, in der Verantwortung auch für alle übrigen Aspekte,<br />

mit denen sich ein Unternehmen, das seine gesellschaftliche Legitimation sichern<br />

20 zum folgenden vgl. Bauer, 2007, S. 108 ff.<br />

21 vgl. Dibelius in Dibelius & Uzarewicz, 2006, S. 178<br />

22 Bauer, 2007, S. 112<br />

23 vgl. Dibelius & Uzarewicz, 2006, S. 178<br />

6!


!<br />

möchte, auseinandersetzen muss. Theoretische Handlungsgrundlagen können<br />

deshalb aus der bestehenden wirtschaftsethischen Literatur entnommen werden.<br />

5. Anwendung von Ethik in konkreten Bereichen<br />

Während die theoretische Ethik allgemein gültige Prinzipien und Normen findet und<br />

legitimiert, ist es Aufgabe der praktischen Ethik aus diesen Prinzipien konkrete<br />

Forderungen abzuleiten. 24 Der Ausdruck „Anwendung“ von Ethik kann irreführen denn,<br />

wie wir später für den Bereich Wirtschaft sehen werden, gibt es eine Forderung nach<br />

integrativem Denken. Das heißt, dass das ethische Denken dem jeweiligen Bereich<br />

immanent sein und nicht aufgesetzt werden soll. Trotzdem entsteht in der Regel ein<br />

Spannungsfeld zwischen dem reinen ethischen Denken und dem Bereichsdenken, was<br />

daran liegt, dass die Wissenschaft das Sein erklärt und die Ethik das Sollen<br />

formuliert. 25 Aßländer und Schumann zitieren in diesem Zusammenhang Popper:<br />

„Ethik ist keine Wissenschaft.“ 26 Pragmatisch gedacht soll dies hier aber keine Rolle<br />

spielen. Wissenschaft oder nicht: Es besteht eine ethische Relevanz in konkreten<br />

Bereichen. „Aufgrund des wissenschaftlich technischen Fortschritts einerseits sowie<br />

der steigenden Komplexität und Interdependenz gesellschaftlicher und ökonomischer<br />

Prozesse andererseits, ergeben sich neue Herausforderungen im Hinblick auf das<br />

konkrete Handeln (...).“ 27 Spezialisierung und Weiterentwicklung in Wissenschaft und<br />

Praxis generieren ethische Situationen, denen die Normen der allgemeinen Ethik nicht<br />

gerecht werden. Auch die Globalisierung macht es immer schwieriger, ethische<br />

Entscheidungen auf Grund von Normen und Werten zu treffen, denn oft besteht für<br />

diese ein Konsens nur in einer bestimmten Kultur. 28 Herold unterscheidet drei Modelle<br />

der ‚Anwendung‘ von Ethik in konkreten Bereichen. 29<br />

Deduktionismus: Die Prinzipien der allgemeinen Ethik werden unabhängig von ihrer<br />

Eignung für die konkrete Situation angewandt. Sehr speziellen Situationen oder<br />

neuartigen Kontexten wird die Anwendung dieser Methode oft nicht gerecht.<br />

Kontextualismus: Jede spezielle Situation wird nach ihrem Kontext ethisch neu<br />

bewertet. So entsteht eine gewisse Unübersichtlichkeit, denn es gibt keine<br />

Verallgemeinerungsmöglichkeit mehr. Normen haben aber auch die Funktion,<br />

Übersichtlichkeit zu schaffen und Entscheidungen zu erleichtern. Die Methode kann zu<br />

Willkür führen, denn eine Begründung für spezielle Normen lässt sich im Einzelfall<br />

24 vgl. Aßländer und Schumann in Aßländer (Hrsg), 2012, S.177<br />

25 vgl. Aßländer und Schumann in Aßländer (Hrsg), 2012, S. 179<br />

26 Popper in Aßländer und Schumann in Aßländer (Hrsg), 2012, S. 179<br />

27 Aßländer und Schumann in Aßländer (Hrsg), 2012, S. 178<br />

28 vgl. Herold, 2012, S. 10 f.<br />

29 zum Folgenden vgl. Herold, 2012, S. 13 f.<br />

7!


!<br />

schnell finden. Das Individuelle und Besondere bekommt durch sie einen hohen<br />

Stellenwert, kann im Umkehrschluss aber den Ruf nach mehr Gleichheit und<br />

Gerechtigkeit provozieren.<br />

Kohärentismus: Beide Herangehensweisen beruhen auf berechtigten Argumenten.<br />

Eine kohärente Anwendung von Ethik soll ihre jeweiligen Schwächen ausgeglichen, die<br />

Methoden werden dabei verknüpft. Das Ziel ist, ein „stimmiges Netz von Argumenten,<br />

Überlegungen und Beispielen zu knüpfen.“ 30 „Da angewandte Ethik nach Lösungen für<br />

reale und gesellschaftlich relevante normative Probleme sucht, müssen diese so<br />

beschaffen sein, dass sie möglichst den Status quo berücksichtigen und an die<br />

geltenden rechtlichen, moralischen oder professionellen Standards anknüpfen.<br />

Kriterien wie Angemessenheit, Machbarkeit, Nachhaltigkeit oder Anschlussfähigkeit<br />

entscheiden über die Qualität der Lösungsvorschläge.“ 31 Auch Aßländer und<br />

Schumann beschreiben <strong>als</strong> zentrale Kennzeichen „angewandter“ Ethik ihre<br />

Kontextabhängigkeit und sehen ihre Aufgabe darin, zustimmungsfähige Lösungen zu<br />

finden. 32<br />

5.1. Anwendungssystematik der Ethik in der Wirtschaftsethik<br />

Für die Wirtschaftsethik unterscheidet Büscher vier Ansatzpunkte nach ihrem<br />

Verhältnis zwischen Ethik und Wirtschaftswissenschaft. 33<br />

Im separativen Ansatz sind Wirtschaft und Ethik unvereinbare Disziplinen. Die<br />

Wirtschaftswissenschaft generiert auf der Anwendungsebene immanente Sachzwänge,<br />

die von den geisteswissenschaftlichen Argumenten der Ethik unberührt bleiben. Es<br />

sind zwei Welten, die methodisch und sachlich nichts miteinander zu tun haben und<br />

strikt getrennt bleiben müssen.<br />

Im funktionalen Ansatz gilt, dass wirtschaftlicher Erfolg von der Beachtung ethischer<br />

Interessen abhängt, und sich deshalb moralisches Verhalten auszahlt. Ethik ist in<br />

diesem Modell der Wirtschaft verfügbar und dient der Senkung von<br />

Transaktionskosten, die bei unmoralischem Verhalten anfallen können.<br />

Der additive oder korrektive Ansatz versucht, moralisch negative Auswirkungen des<br />

ökonomischen Denkens mit den Mitteln der Ethik zu beheben.<br />

In allen drei Ansätzen herrscht die so genannte Zwei-Welten-Theorie vor, in der sich<br />

Wirtschaft und Ethik einander mehr oder weniger unvermittelt gegenüberstehen. Das<br />

muss in der Praxis nicht bedeuten, dass das Ergebnis der Anwendung solcher<br />

Theorien mangelhaft ist. Nicht für alle Situationen sind diese Ansätze aber geeignet.<br />

Vor allem in Dilemma-Situationen versagen sie leicht.<br />

30 Herold, 2012, S. 14<br />

31 Herold, 2012, S. 14<br />

32 vgl. Aßländer und Schumann in Aßländer (Hrsg), 2012, S. 180<br />

33 zum Folgenden vgl. Büscher, 2000, S. 21 ff.<br />

8!


!<br />

Im integrativen Ansatz wird die so genannte Zwei-Welten-Theorie zugunsten einer<br />

Integration ethischer Elemente in die Wirtschaftstheorie aufgegeben. Ethik ist damit<br />

„zum Wesen und Gegenstandsbereich der Wirtschaftswissenschaft selbst zu zählen.“ 34<br />

Integrative Wirtschaftsethik wirkt bestimmend auf das wirtschaftswissenschaftliche<br />

Denken, es relativiert das Ökonomische durch kulturelle und soziale Voraussetzungen.<br />

Damit steht die Wirtschaft nicht mehr für sich alleine, sondern ist eingebunden in ihr<br />

soziales, ökologisches, politisches, gesellschaftsrelevantes Umfeld.<br />

Eine ähnliche Einteilung existiert bei Ulrich 35 . Er unterscheidet ebenfalls vier Ansätze,<br />

von denen drei dualistisch sind, und einer integrativ, in denen sich aber auch das<br />

Verhältnis von wirtschaftsethischen Positionen zum Gewinnprinzip abbildet.<br />

Im instrumentalistischen Ansatz wird der Gewinn auf Grundlage der Beachtung<br />

ethischer Normen erwirtschaftet. Ethik gehört zur Geschäftsstrategie und dient der<br />

Gewinnmaximierung. Sie ist der Ökonomie wie in Büschers funktionalem Ansatz<br />

verfügbar.<br />

Im karitativem Ansatz dient die Ethik dem Ausgleich unmoralischer Handlungen, die<br />

aus rein ökonomischem Denken hervorgegangen sind. Hierdurch entsteht ein<br />

Gewinnverzicht, da dieser Ausgleich Kosten verursacht. Im wirtschaftlichen Handeln<br />

selbst bleiben ethische Aspekte aber unbeachtet.<br />

Im korrektiven Ansatz begrenzt ethisches Denken die ökonomische Rationalität und<br />

damit auch das Gewinnprinzip. Das Gewinnprinzip wird grundsätzlich nicht in Frage<br />

gestellt, doch Einschränkungen sind notwendig. Unmoralisches wird ‚weggelassen‘.<br />

Der integrative Ansatz verwirft die Gültigkeit des Gewinnprinzips <strong>als</strong> Maxime. Somit<br />

muss es auch nicht begrenzt werden. Integrativ gedacht, ist Ethik, wie auch bei<br />

Büscher beschrieben, ein konstitutives Moment ökonomischen Denkens und<br />

Handelns. Die Interessen aller Beteiligten begrenzen nicht, sondern begründen<br />

ökonomische Interessen, und zwar theoretisch und praktisch.<br />

5.2. Orte der Moral in der Wirtschaftsethik<br />

Wie im Kapitel „Wirtschaftsethik <strong>als</strong> Antwort“ gesehen, gibt es drei Ebenen der<br />

Wirtschaftsethik, die <strong>als</strong> Orte der Moral in Frage kommen. Die Mikroebene, auf der das<br />

individuelle Handeln stattfindet, die Mesoebene, auf der Unternehmen operieren und<br />

die Makroebene auf der politisch eine Rahmenordnung gestaltet wird. Alle drei Ebenen<br />

nehmen wechselseitigen Einfluss auf einander. 36 , 37 Bei der Einordnung der<br />

theoretischen Ansätze der Wirtschaftsethik spielen Orte der Moral eine Rolle,<br />

34 Büscher, 2000, S. 51<br />

35 Ulrich, 2001, S. 416 ff.<br />

36 vgl. Ahlrichs, 2012, S. 30<br />

37 s. Abb. 1 im Anhang 3, im Anhang, S. A2<br />

9!


!<br />

6. Moderne theoretische Ansätze von Wirtschafts- und<br />

Unternehmensethik<br />

Eine Reihe von unterschiedlichen Kriterien führt in die Systematik allgemeiner Ethik<br />

und Bereichsethik. In der Wirtschaftsethik scheinen folgende Kriterien zur Einordnung<br />

von Theorien sinnvoll.<br />

1. Anwendungsart der Ethik (deduktionistisch, kontextualistisch, kohärentistisch)<br />

2. Ort der Moral in der Gesellschaft (Makro-, Meso- Mikroebene)<br />

3. Grad der Vermittlungstauglichkeit zwischen Ethik und dem Anwendungsbereich<br />

Wirtschaft, sowie Grad der Nähe des Ansatzes zu einem ethischen oder<br />

ökonomischen Primat. 38 Damit ist gemeint, ob, und in wie weit, eher<br />

ökonomische und vom Gewinnprinzip geleitete oder ethische Prinzipien an erster<br />

Stelle stehen, und in wie weit das jeweils andere Prinzip untergeordnet wird.<br />

4. Standpunkt der Moral. Auch wenn die Wirtschaftsethik eher von einer<br />

teleologischen Haltung dominiert zu sein scheint, können auch deontologische<br />

Aspekte eine Rolle spielen 39 .<br />

Im Folgenden soll eine Auswahl moderner Theorien der Wirtschaftsethik vorgestellt<br />

werden. Dies geschieht in verkürzter Form, doch soll dabei die Vielfalt der oben<br />

beschriebenen unterschiedlichen Ansätze aus ethischer und wirtschaftsethischer Sicht<br />

deutlich werden.<br />

6.1. Ordnungsethischer Ansatz (Karl Homann)<br />

Der Philosoph und Ökonom Karl Homann bezeichnet das Wirtschaften <strong>als</strong> Fortsetzung<br />

der Ethik mit besseren Mitteln 40 .<br />

Das klingt zunächst, <strong>als</strong> ob in dieser Theorie die Prinzipien der Ethik für die Ökonomie<br />

bestimmend seien. Allerdings steht Homanns Ansatz, ganz im Gegenteil, unter<br />

ökonomischem Primat. Ethik muss sich in der Wirtschaft ökonomischen Grundsätzen<br />

beugen. Zu diesen gehört, dass der Wettbewerb <strong>als</strong> wesentliches Kennzeichen der<br />

Marktwirtschaft zu Wohlstand führt und deshalb nicht in Frage gestellt werden soll 41 .<br />

Unternehmen, die dem Gewinnprinzip zuwiderhandeln, bewirken damit nicht nur ihr<br />

Ausscheiden aus dem Markt, sondern verhalten sich dabei auch noch unmoralisch,<br />

denn sie schaden mit ihrem Tun dem Allgemeinwohl. „Langfristige Gewinnmaximierung<br />

ist nicht ein Privileg der Unternehmen, sondern ihre sittliche Pflicht.“ 42 Unternehmen<br />

38 vgl. Dierksmeier in Kaatsch & Rosenau (Hrsg.), 2006, S. 170 und Ahlrichs, 2012, S. 52 in<br />

Anlehnung an Karmasin & Litschka, 2008, S. 80<br />

39 zum ergänzenden Verständnis s. Anhang 4, „Grundlagen der Ethik“, im Anhang, S. A2 ff.<br />

40 vgl. Ahlrichs, 2012, S. 38<br />

41 vgl. Aßländer in Aßländer (Hrsg.), 2011, S. 116<br />

42 Homann in Aßländer in Aßländer (Hrsg.), 2011, S. 116<br />

10!


!<br />

müssen sich <strong>als</strong>o in ihrem Handeln an die Regeln und Grundsätze der Ökonomie<br />

halten. Diese gründen auf dem Modell des homo oeconomicus. Das Bild des rein<br />

rational und nutzen-orientiert handelnden Menschen ist bei Homann sehr lebendig.<br />

Damit ökonomisches Handeln keine unmoralischen Folgen hat, fordert er eine starke<br />

Rahmenordnung. Damit ist die Makroebene der Ort der Moral. Auf ihr müssen Normen<br />

und Werte verankert werden, die dazu führen, dass auf anderen Ebenen, <strong>als</strong>o von<br />

Unternehmen und von einzelnen wirtschaftlichen Akteuren, auch in Dilemma-<br />

Situationen moralisch gehandelt wird. Die Regeln müssen dafür so konzipiert sein,<br />

dass aus ihrer Befolgung eine Vorteilserwartung entsteht. 43 Homann arbeitet in seiner<br />

Theorie mit der Spieltheorie. Nach ihr treffen Menschen in Dilemma-Situationen<br />

Entscheidungen zu ihren eigenen Ungunsten, wenn sie nicht wissen können, wie sich<br />

die anderen Beteiligten verhalten, um nicht die Gefahr eines noch ungünstigeren<br />

Ausgangs für sich selbst einzugehen. 44 Erst wenn alle Beteiligten sicher sein können,<br />

dass sich alle an die gleichen Regeln halten, entsteht das für alle günstigste<br />

Ergebnis 45 . Homann sieht deshalb in der „Arbeit an einer sozialen Ordnung für die<br />

Weltgesellschaft die vordringlichste Aufgabe.“ 46 .<br />

Die Unternehmen selbst sind moralisch nicht verantwortlich Sie tragen zwar eine<br />

ordnungspolitische Mitverantwortung, die sie aber nicht aus immanent moralischer<br />

Pflicht, sondern aus Gründen des Selbsterhalts ausüben sollen. Hier wird die<br />

instrumentelle Natur des Homannschen Ansatzes besonders deutlich: „Um der<br />

„Nachhaltigkeit des eigenen Geschäftserfolges willen, sind die Unternehmen gut<br />

beraten, den bislang weltweit Exkludierten zu helfen, eine solche Ordnung zu finden,<br />

die sie zu Interaktionspartnern werden lässt.“ 47<br />

Der Reiz an Homanns Konzept könnte darin liegen, dass er in den herrschenden<br />

Strukturen gut zu vermitteln sein sollte. Für alle, die diese Strukturen hinterfragen,<br />

bleibt aber zweifelhaft, ob das Modell eines rein rational vorteilsbewusst handelnden<br />

Menschen, <strong>als</strong> Grundlage einer wirtschaftsethischen Theorie noch belastbar ist.<br />

6.2. Governance Ethik (Josef Wieland)<br />

Ökonomisch orientiert nähert sich auch Josef Wieland, Ökonom und Philosoph, dem<br />

Feld der Wirtschaftsethik. 48 Die Implementierung einer staatlichen Rahmenordnung<br />

hält er, angesichts der Globalisierung, für moralisch wirkungsarm. Anders <strong>als</strong> Homann,<br />

verortet er die Moral auf der Mesoebene. Moral definiert Wieland <strong>als</strong> geschlossene und<br />

43 vgl. Homann, (o. Jahresangabe), S. 10<br />

44 Vertiefung zur Spieltheorie s. Anhang 5, im Anhang, S. A8<br />

45 vgl. Herold, 2012, S. 129 f.<br />

46 Homann, (o. Jahresangabe), S. 4 (Kursivdruck im Original)<br />

47 Homann, (o. Jahresangabe), S. 4<br />

48 zum Folgenden vgl. Lehmann, 2006, S. 118 ff.<br />

11!


!<br />

autonome Form der Kommunikation, die im Sinne eines binären Codes Achtung, bzw.<br />

Missachtung gegenüber Handlungsweisen vermittelt. Sie ist ein gesellschaftliches Gut,<br />

nicht Mittel zum Zweck für Unternehmen. Unternehmen müssen sie allerdings<br />

beachten, um mit der Gesellschaft, in der sie bestehen müssen, zu kooperieren. Der<br />

Begriff der Kooperation ist in Wielands Theorie prominent. Wieland ist von der<br />

Systemtheorie beeinflusst. Er beschreibt Unternehmen <strong>als</strong> „multi-referentiell“. Das<br />

bedeutet, dass sie in ihrem Handeln nicht nur der eigenen ökonomischen Logik folgen,<br />

sondern innerhalb und zwischen Unternehmen auch die Logiken anderer Systeme eine<br />

Rolle spielen und das unternehmerische Handeln beeinflussen. Hier muss eine intrainter-<br />

und extraorganisationale moralische Kommunikation stattfinden 49 , 50 . Die<br />

Unternehmen tragen die moralische Verantwortung für ihr Tun, sie müssen einen<br />

Prozess in Gang bringen, innerhalb dessen sie selbst für die Schaffung von Normen<br />

und deren Legitimation zuständig sind. Die Regeln, die daraus hervorgehen, müssen<br />

kulturübergreifend wirksam sein und praktikable Lösungen vor allem in<br />

Entscheidungssituationen ermöglichen. Dabei sind „Kooperationsbereitschaft und<br />

Kooperationsfähigkeit <strong>als</strong> Ressourcen und Kompetenzen einer globalen Ökonomie zu<br />

entwickeln.“ 51 Governance Ethik ist vor allem eine unternehmensethische Theorie. Sie<br />

ist zudem sehr praxisbezogen, mit genauen Vorstellungen über Möglichkeiten der<br />

Implementierung von konkreten Instrumenten, denn Wieland hält die Begründung von<br />

Normen in heutigen Gesellschaftsformen für wesentlich leichter <strong>als</strong> die „Anwendung<br />

und Durchsetzung moralischen Handelns“ 52 . Zwar werden „moralische Werte [...] in der<br />

Gesellschaft kommunikativ bevorratet, aber eben nicht in anwendungsspezifischer<br />

Form.“ 53<br />

Auf der operationalen Ebene empfiehlt Wieland deshalb den Einsatz eines so<br />

genannten Ethikmanagementsystems, ein „firmenspezifisches Instrument, welches<br />

dazu beiträgt, die moralische Verfassung einer Organisation und deren spezifische<br />

Leitwerte zu definieren und kontinuierlich mit Leben zu füllen“ 54 . Gesetze und Regeln,<br />

Anreize und Kontrollen, Unternehmenskultur und Kodizes sollen den Mitarbeitern und<br />

dem Unternehmen individuell und kollektiv moralisches Verhalten ermöglichen und<br />

abfordern. In Anwendung seiner Theorie möchte Wieland moralische und<br />

nichtmoralische (<strong>als</strong>o zum Beispiel ökonomische) Überzeugungen integrieren, es geht<br />

ihm, ganz pragmatisch, um akzeptable, angemessene Lösungen. Seine Anwendung<br />

von Ethik ist kohärent 55 . Andererseits sind Wielands Überlegungen immer an die<br />

49 vgl. Beschorner in Aßländer (Hrsg.), 2011, S. 126<br />

50 zur Vertiefung s. Anhang 6, im Anhang S. 9<br />

51 Beschorner in Aßländer (Hrsg.), 2011, S. 127<br />

52 vgl. Karmasin & Litschka, 2008, S. 86<br />

53 Wieland in Beschorner in Aßländer (Hrsg.), 2011, S. 127<br />

54 Lehmann, 2006, S. 129<br />

55 vgl. Karmasin & Litschka, 2008, S. 90<br />

12!


!<br />

Bedingungen ökonomischer Rationalität gekettet. Das Gewinnprinizip wird nicht<br />

hinterfragt. Eine Lösung soll innerhalb seiner Logik gefunden werden.<br />

Ahlrichs bemerkt, dass die Governance-Ethik besonders für Unternehmen interessant<br />

erscheint, die international agieren 56 . Rein national tätige Unternehmen seien zwar<br />

auch von der Globalisierung betroffen, für sie könne eine staatliche Rahmenordnung<br />

moralisches Verhalten trotzdem vereinfachen. Nach Meinung der Autorin schließt die<br />

Arbeit an der Rahmenordnung den Wielandschen Ansatz auf Unternehmensebene<br />

aber nicht aus.<br />

Karmasin und Litschka beschreiben Wielands Vernachlässigung der Aspekte<br />

Gerechtigkeit und Freiheit. 57 . Beschorner kritisiert, dass Aspekte wie Innovation,<br />

Wandel, Lernen, Kultur und Wissen in der Governance Ethik keine Beachtung finden 58 .<br />

Wieland denkt systemtechnisch, wodurch sein Managementvorschlag bürokratisch<br />

erscheint. Bei aller Kritik weist Wielands Ansatz in einer in sich schlüssigen Theorie,<br />

eine praktische Perspektive auf, die in anderen Theorien eher unklar bleibt.<br />

Trotz ökonomischen Primats und Gewinnmaxime, hat Wielands Theorie einen<br />

integrativen Ansatz. Er funktionalisiert die Ethik nicht, wie bei Homann der Fall,<br />

sondern er definiert sie <strong>als</strong> einen Sprachmodus zur Verständigung über Gut und Böse.<br />

In seiner Theorie sind Unternehmen auf die Kenntnis und Anwendung dieses Modus<br />

angewiesen, um mit der Gesellschaft über deren Vorstellungen wünschenswerter<br />

wirtschaftlicher Handlung zu kommunizieren und kooperieren zu können. Unternehmen<br />

realisieren damit moralische Vorstellungen von Individuen. Die Bereitschaft und die<br />

Fähigkeit dies zu tun definiert Wieland <strong>als</strong> Tugend. Seine Ethik beschreibt er deshalb<br />

<strong>als</strong> starke Form der Tugendethik. 59<br />

6.3. Diskursethik (Habermas/Apel, Steinmann/Löhr)<br />

Die Philosophen Jürgen Habermas und Karl Otto Apel sind die Begründer der<br />

Diskursethik. In ihr geht es um die Begründung von Normen und Werten durch die<br />

Herstellung eines Konsens im machtfreien, rationalen und öffentlichen Diskurs 60 .<br />

Voraussetzung ist die Annahme, dass der Mensch über eine „immanente Sittlichkeit“<br />

verfügt. Nur mit ihr zusammen, lässt sich der Begründungsanspruch für ethische<br />

Normen aus einem solchen Diskurs ableiten. 61 Zwar begründen schon die<br />

Philosophen der Antike ethische Grundhaltungen durch Kommunikation, die Idee einer<br />

Systematisierung des Diskurses zur Begründung von Normen entsteht aber erst in den<br />

56 Ahlrichs, 2012, S. 42<br />

57 vgl. Karmasin & Litschka, 2008, S. 89<br />

58 vgl. Beschorner in Aßländer (Hrsg.), 2011, S. 130<br />

59 vgl. Wieland in Wieland, 2006, S. 7<br />

60 Karmasin & Litschka, 2008, S. 93<br />

61 vgl. Büscher in Aßländer, 2011, S. 103<br />

13!


!<br />

1960er Jahren. Die historischen Umstände, dieser Zeit spielen im Anliegen der<br />

Diskursethik mit Sicherheit eine Rolle. Aber nicht nur für das Nachkriegsdeutschland<br />

erscheint die Diskursethik aus heutiger Sicht interessant, sondern auch im Hinblick auf<br />

gesellschaftliche Probleme in Zeiten der Globalisierung.<br />

Der Ökonom Horst Steinmann und der Soziologe Albert Löhr entwickeln ab Mitte der<br />

1980er Jahre eine Unternehmensethik auf Grundlage der Diskursethik. Sie sind der<br />

Überzeugung, dass Unternehmen sich „zunehmend mit Konflikten zwischen<br />

unterschiedlichen Anspruchs- und Interessengruppen konfrontiert sehen, die sich nicht<br />

mehr ausschließlich über die Gestaltung der wirtschaftlichen Rahmenordnung regeln<br />

lassen“ 62 . Dies bedrohe den gesellschaftlichen Frieden. 63 Steinmann und Löhr<br />

entwickeln Regeln für den Diskurs <strong>als</strong> Einigungsverfahren zwischen Unternehmen und<br />

Anspruchs-, bzw. Interessengruppen. Aus dem Ergebnis des Diskurs, dem Konsens,<br />

müssen entsprechende Konsequenzen auf Handlungsebene folgen.<br />

In Anlehnung an Habermas muss der Diskurs machtfrei, rational, öffentlich sein, um<br />

einem Begründungsanspruch für Normen zu behaupten. Dabei ist der Umgang mit<br />

„praktischen Herstellungsbeschränkungen“ 64 zu berücksichtigen. Aus den<br />

verschiedensten Gründen können nicht immer alle Beteiligten am Diskurs teilnehmen.<br />

Es gibt zeitliche und räumliche Hindernisse. Nicht alle können dauernd über alles im<br />

Diskurs sein. Beteiligte können überfordert sein mit der Einhaltung von Diskursregeln,<br />

oder durch deren Missachtung Machtinteressen durchsetzen. In der Praxis muss <strong>als</strong>o<br />

unter den Beteiligten selektiert werden. Andererseits müssen diese befähigt werden,<br />

die Diskursregeln anzuwenden. In manchen Situationen ist ein Stellvertreter-Diskurs zu<br />

führen, in dem die zu erwartenden Argumente der Nichtanwesenden berücksichtigt<br />

werden. Auch bei der praktischen Umsetzung des gefundenen Konsens bestehen<br />

Schwierigkeiten. So kann sich ein Unternehmen zu Schritten gezwungen sehen, die<br />

seine Existenz gefährden. Ethische Überlegungen sind nach Steinmann und Löhr „auf<br />

der Unternehmensebene dem Gewinnprinzip [zwar] systematisch vorgeordnet“ 65 , doch<br />

wird diese Prinzip in ihrer Theorie auch nicht grundsätzlich hinterfragt. Hier können<br />

Entscheidungsdilemmata entstehen. Um solchen Situationen vorzubeugen, schlagen<br />

Steinmann und Löhr die unternehmerische Mitgestaltung der Rahmenordnung durch<br />

Engagement der Unternehmen in der politischen Entscheidungsfindung und<br />

Willensbildung vor (zum Beispiel durch Private Public Partnership). Trotzdem können<br />

Dilemma-Situationen entstehen. Das Rangverhältnis zwischen gesellschaftlichen<br />

Interessen und Gewinnprinzip bleibt unklar. 66 Ein weiterer Kritikpunkt an der Theorie<br />

von Steinmann und Löhr, besteht darin, dass sie zwar ein ethisches Konzept für den<br />

62 Aßländer in Aßländer, 2011, S. 108<br />

63 vgl. Aßländer in Aßländer, 2011, S. 108<br />

64 vgl. auch zum Folgenden Aßländer in Aßländer, 2011, S. 109 ff<br />

65 Steinmann & Löhr, in Aßländer in Aßländer, 2011, S. 112<br />

66 vgl. auch Ulrich, 2001, S. 425 f.<br />

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!<br />

Prozess von Entscheidungsfindungen anbietet, die Werte, die hinter dessen<br />

Anwendung, und damit hinter einer konkreten Entscheidung stehen, aber keine Rolle<br />

spielen 67 . Dem könnte man entgegnen, dass die Annahme, dass der Diskurs unter<br />

oben beschriebenen Voraussetzungen <strong>als</strong> Garant für ethisch legitime Entscheidungen<br />

gilt, schon ganz bestimmte Werte impliziert, und zwar jene Werte, die hinter dem<br />

Diskurs selbst stehen: Freiheit, Gleichheit. Gerechtigkeit. Es ist dies eine Praxis der<br />

Kant‘schen Theorie. Der kategorische Imperativ <strong>als</strong> Grundlage ethischen Verhaltens<br />

verlangt, eine Norm daraufhin zu überprüfen, ob sie ohne Widerspruch verallgemeinert<br />

werden kann 68 . Diesen Prozess ermöglicht die Diskursethik. Sie ist somit<br />

deontologisch bestimmt. Der Ort der Moral liegt in der Rahmenordnung, die ethische<br />

Entscheidungen ermöglicht und verantwortet.<br />

6.4. Integrative Wirtschaftsethik (Peter Ulrich, ergänzt durch Amartya Sen)<br />

Peter Ulrich, Ökonom und Begründer der Integrativen Wirtschaftsethik, baut seine<br />

Theorie auf der Kritik des reinen Ökonomismus auf. 69 Innerhalb der Logik der<br />

Ökonomie komme es zu Sachzwängen. Beuge man sich ihnen im wirtschaftlichen<br />

Handeln, ginge die „Lebensdienlichkeit“ des Wirtschaftens verloren. Soziale und<br />

ökologische Zustände unserer Gegenwart zeigten, so Ulrich, dass aus rein<br />

ökonomisch vernünftigem, <strong>als</strong>o von Gewinnstreben geleitetem Handeln des Einzelnen,<br />

kein gutes Leben für Alle hervorgehe. Ulrich hat den Begriff der Lebensdienlichkeit <strong>als</strong><br />

normative Forderung an die Wirtschaft geprägt. Die wirtschaftliche Theorie habe sich,<br />

so Ulrich, in ihrer Logik von einem „lebensweltlichen“ Bezug abgelöst. Dorthinein,<br />

versucht er sie zu reintegrieren. Dafür müsse, so Ulrich, ökonomisches Denken und<br />

Handeln aber auf dem „Werteboden“ nicht mehr der ökonomischen, sondern in erster<br />

Linie der sozialen Vernunft, stattfinden. Die „Lebenswelt“ umfasst bei Ulrich, neben der<br />

Sicherung materieller Lebensgrundlagen, auch qualitative Merkmale wie „Sinn“ <strong>als</strong><br />

conditio humana, und „Lebensfülle“, die inhaltlich von soziokulturellen Umständen<br />

abhänge. Materielle Grundsicherung ist die Voraussetzung für das Leben <strong>als</strong> solches.<br />

Wie dieses Leben dann aussehen soll, müssten die Mitglieder einer Gesellschaft<br />

entscheiden. „Letzten Endes geht es nicht um die Systemorganisation, sondern um<br />

unsere Lebensform und den ihr angemessenen Wirtschaftsstil: Wie möchten wir in<br />

Zukunft leben? Dass ist die sozialökonomische Kernfrage der Zeit.“ 70 Gerechtigkeit und<br />

Gleichheit spielen eine große Rolle, um den Entscheidungsprozess zu ermöglichen.<br />

Die normative Grundlage der Wirtschaft soll kommunikativ entwickelt werden. Hierfür<br />

greift Ulrich auf die Diskursethik zurück (s. dort). Die Orte der Moral verteilt Ulrich auf<br />

67 vgl. Ahlrichs, 2012, S. 44<br />

68 vgl. Anhang 3: Grundlagen der Ethik, Deontologie, Anhang, S. A3<br />

69 zum Folgenden vgl. Ulrich, 2001, Kapitel 2,3,4<br />

70 Ulrich in Büscher in Aßländer, 2011, S. 106<br />

15!


!<br />

alle gesellschaftlichen Ebenen. Auf der Mikroebene finden freie und mündige<br />

„Wirtschaftsbürger“ einen Konsens für normative Grundlagen. Dies setzt einen<br />

„republikanischen Wirtschaftsbürgersinn“ 71 , d. h. bestimmte Tugenden des<br />

Individuums voraus. Reflexions-, Verständigungs-, und Kompromissbereitschaft<br />

gehören ebenso zu diesen Tugenden wie die Bereitschaft, das eigene Handeln,<br />

öffentlicher Legitimtätsprüfung zu unterstellen 72 . Auf dieser Grundlage kann der<br />

Wirtschaftsbürger ordnungspolitische Mitverantwortung übernehmen. Die Schaffung<br />

und Sicherung der Möglichkeiten für den Diskursprozess und die Befähigung der<br />

Bürger, an ihm teilzunehmen, liegt in der freiheitlich orientierten und gerechten<br />

Rahmenordnung, die auch die nötigen Verfahrensweisen festlegen und sichern muss.<br />

Der dritte Ort der Moral liegt auf der Mesoebene in den Unternehmen. Ulrich fordert,<br />

dass diese die Zumutbarkeit ihrer Strategien gegenüber allen Betroffenen dialogisch<br />

begründen müssen. Wie die Wirtschaftsbürger sind auch die Unternehmen für die<br />

Gestaltung einer Rahmenordnung mitverantwortlich, in der ethisches Handeln möglich<br />

wird. 73<br />

Wie oben beschrieben, baut Ulrichs Ansatz auf der Annahme eines vorhandenen<br />

menschlichen Minimalethos auf. Sein Ansatz ist von größtem Willen zu<br />

gesellschaftlicher Gestaltung geprägt und enthält utopische Elemente.<br />

Amartya Sen, Ökonom und Philosoph, setzt sich in seiner Forschung u. a. mit<br />

ökonomischer und politischer Freiheit auseinander und hat mit seiner Arbeit die<br />

Entwicklung der wirtschaftsethischen Theorie Ulrichs unterstützt. Unter anderem steht<br />

er Ulrich in puncto Minimalethos zur Seite: „ Wir müssen im menschlichen Verstand<br />

nicht erst künstlich Platz schaffen für die Idee der Gerechtigkeit oder der Fairneß, (...)<br />

Der Platz existiert bereits, und die Frage ist, wie wir die allgemeinen Interessen der<br />

Menschen systematisch stringent und effktiv einsetzen können.“ 74<br />

6.5. Zur Diskussion der beschriebenen wirtschaftsethischen Ansätze<br />

Im zusammenfassenden Vergleich der vorgestellten Theorien ergibt sich, in der<br />

dargestellten Reihenfolge der Ansätze, für diese ein abnehmendes Gefälle im Bezug<br />

auf die Gültigkeit ökonomischer Rationalität. Die Bedeutung der Übernahme sozialer<br />

Verantwortung im wirtschaftlichen Handeln nimmt dagegen zu 75 .<br />

Im Sinne der Anwendungssystematik besteht in den methodisch separativen Ansätzen<br />

ein eher kontextuelles Denken. Als Kontext dient die ökonomische Rationalität, der<br />

71 Ulrich, 2001, S. 367<br />

72 Ulrich, 2001, S. 316<br />

73 vgl. Ulrich in Ulrich Wieland (Hrsg), 1999, S. 22 ff.<br />

74 Sen, 2003, S. 312<br />

75 s. Abb. 2 im Anhang 7, S. A10<br />

16!


!<br />

ethische Normen angepasst werden, das heißt, ethische Normen, die für das<br />

ökonomische System begründet werden, müssen sich in die Logik des Systems<br />

einordnen. Im integrativen Ansatz ist auch eine deduktive Anwendungsmethode von<br />

Ethik möglich, kann aber nicht immer eingehalten werden, da dies in der Realität<br />

unmöglich wäre. So macht Ulrich Zugeständnisse an die unternehmerische<br />

Wirklichkeit 76 und lässt damit kohärentes Denken zu. Diese Kohärenz findet sich auch<br />

bei Wieland, sowie bei Steinmann und Löhr.<br />

Die Kritik zu den Inhalten der Theorien wurde bereits im vorhergehenden Abschnitt, im<br />

Anschluss an die Vorstellung der einzelnen Schulen, aufgeführt. In der<br />

abschliessenden Bewertung lässt sich feststellen, dass sich die Theorien weniger<br />

durch die ihnen zu Grunde liegenden Werte voneinander unterscheiden. Schlagworte<br />

wie Gleichheit, Gerechtigkeit oder gutes Leben tauchen bei Ulrich (und Sen), wie auch<br />

schon bei Steinmann & Löhr, zwar öfter auf, doch auch Homann und Wieland sind<br />

diese Werte wichtig. Der Glaube an die individuelle Moral ist nicht ausgeschlossen.<br />

Homan beschreibt sich selbst <strong>als</strong> wertkonservativ 77 . In seinem wirtschaftsethischen<br />

Ansatz spielt das methodisch aber keine Rolle.<br />

Unterschiede entstehen vor allem durch verschiedene ethische Grundhaltungen die zu<br />

unterschiedlichen Vorstellungen darüber führen, wie und von wem die Regeln, deren<br />

Einhaltung zu einem guten Leben in einer Gesellschaft führen sollen, aufzustellen sind.<br />

Dabei spielt das Menschenbild und die gesellschaftstheoretische Haltung der Autoren<br />

eine große Rolle. Einzelne Elemente der verschiedenen Theorien überschneiden sich<br />

jedoch, und so scheinen sie inhaltlich zum Teil kombinationsfähig.<br />

7. Gedanken zur Auswahl und Implementierung eines<br />

wirtschaftsethischen Ansatzes für Pflegeunternehmen<br />

Ein Unternehmen dass wirtschaftsethische Verantwortung übernehmen möchte, sollte<br />

sich mit den oben beschriebenen Theorien auseinandersetzen, bevor es sich auf den<br />

Weg macht. Dabei wird es keinen richtigen oder f<strong>als</strong>chen, möglicherweise aber einen<br />

passenden und realisierbaren Weg geben. Passend wird der Weg sein, wenn er die<br />

Umstände, unter denen das Unternehmen existiert, berücksichtigt. Realisierbar kann<br />

ein Weg sein, wenn er auf dem Fundament ethischer Grundhaltungen aller<br />

Unternehmensbeteiligten basiert. Nach Meinung der Autorin muss die Anwendung der<br />

Theorien allerdings auf proaktive Weise stattfinden. Es muss um die Sache gehen, um<br />

nachhaltige gesellschaftliche Gerechtigkeit. Nur dann basiert das Konzept auf den<br />

selben Werten, die es realisieren soll.<br />

76 Ulrich in Ulrich, Wieland (Hrsg.), 1999, S.22<br />

77 vgl. Herold, 2012, S. 127<br />

17!


!<br />

Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen lassen sich aus der breiten Aufstellung<br />

der vorgestellten wirtschaftsethischen Ansätze, im Hinblick auf wirtschaftliche und<br />

ethische Grundpositionen, theoretische Ansätze für Pflegeunternehmen finden, die<br />

sich, je nach ihren individuellen Umständen, den in Kapitel 3.5. beschriebenen<br />

Herausforderungen zu stellen haben.<br />

Ulrich spricht in diesem Zusammenhang von einem Handlungsspielraum der<br />

Unternehmensleitung für geschäftsethische und -stategische Synthesen. Diese, so<br />

Ulrich, kann man sich <strong>als</strong> mehr oder weniger grosse Schnittmenge vorstellen, deren<br />

Größe wesentlich auch von ordnungspolitischen Rahmenbedingungen abhängt 78 .<br />

Die These, dass Pflegeunternehmen theoretische Handlungsgrundlagen aus den<br />

vorhandenen Theorien ableiten können, soll somit aufrecht erhalten werden.<br />

7.1. Zur Implementierung von Unternehmensethik<br />

Zur Implementierung bedarf es zunächst einer Bestandsaufnahme, die den Ist-Zustand<br />

über die oben beschriebenen externen und internen Bedingungen bewusst macht. 79<br />

Anschließend muss eine Einigung über eine gemeinsam vertretbare<br />

unternehmensethische Haltung erfolgen. Wichtige Fragen in diesem Prozess sind,<br />

welche moralischen Vorstellungen im Unternehmen existieren, welche Menschenbilder<br />

vorherrschen, und welche Ideale verfolgt werden. Eine angemessene, konsensfähige<br />

Grundhaltung basiert auch auf der Beachtung externer Bedingungen. Es muss <strong>als</strong>o<br />

geklärt werden, in welchem politischen, rechtlichen, gesellschaftlichen und kulturellen<br />

Umfeld das Unternehmen agiert. Schließlich sollte eine Rolle spielen, wie groß der<br />

Wille und die Möglichkeit des Unternehmens sind, Verantwortung für die Gestaltung<br />

gesellschaftlichen Zusammenlebens zu übernehmen. So erkennen Bauer et al. im<br />

Rahmen einer Forschungsarbeit zu den Bedingungen ethischen Handelns im<br />

Pflegemanagement: „Ethisch verantwortliches Handeln in Institutionen muss von<br />

gemeinsamen Handlungsdispositionen getragen werden, die beispielsweise innerhalb<br />

einer Institutionsphilosophie verankert sind und sich im gemeinsamen Diskurs immer<br />

wieder einer kritischen Hinterfragung unterziehen.“ 80<br />

Wer weiß wo er steht, kann Pläne schmieden. Nachdem eine Grundhaltung entwickelt<br />

worden ist, müssen konkrete Ziele abgeleitet werden. Das übergeordnete Ziel wird die<br />

Herstellung von Strukturen sein, die dazu führen, dass eine „Reflexion und<br />

Argumentation über ethische Gesichtspunkte des unternehmerischen Handelns in<br />

jedem Bereich und auf allen hierarchischen Ebenen zu einem selbstverständlichen,<br />

«normalen» Moment des Denkens, Redens und Tuns aller Beteiligten werden kann“ 81 .<br />

78 Ulrich, in Ulrich & Wieland (Hrsg.), 1999, S. 22<br />

79 s. dazu Naegler, 2011, S. 197 ff.<br />

80 Bauer et al. in Dibelius & Arndt (Hrsg.), 2003, S.48 f.<br />

81 Ulrich, 2001, S. 456 f.<br />

18!


!<br />

Denn unabhängig davon, welcher theoretische Ansatz <strong>als</strong> Vorlage dient - er muss sich<br />

in der Alltagsrealität unternehmerischen Handelns widerspiegeln, um wirksam zu<br />

werden. Dafür bedarf es einer Unternehmenskultur, in der Offenheit und Transparenz<br />

herrscht. Auch muss die Möglichkeit zu Kritik und Widerspruch bestehen, damit sich<br />

die vom unternehmerischen Handeln Betroffenen gegen die Folgen unmoralischen<br />

Handelns des Unternehmens wehren, konstruktiv an einer Lösung mitarbeiten und sich<br />

unmoralischen Forderungen widersetzen können. Dafür bedarf es hierarchiefreier Orte<br />

innerhalb des Unternehmens, an denen dies sanktionsfrei geschehen kann. 82<br />

In einem zweiten Schritt kann über die praktische Umsetzung der Ziele nachgedacht<br />

werden. Dafür stehen eine Reihe von Strategien, Techniken und Instrumenten zur<br />

Verfügung, die in der unternehmensethischen Fachliteratur beschrieben werden 83 .<br />

7.2. Projektarbeit <strong>als</strong> geeignete Arbeitsorganisation zur Implementierung<br />

von Unternehmensethik<br />

Für den oben beschriebenen Prozess und eine anschließende Implementierung des<br />

Beschlossenen, erscheint die Gründung eines Projektteams sinnvoll.<br />

Unternehmensethik erfordert die Bereitschaft und die Fähigkeit zu<br />

Auseinandersetzung, Diskurs, Konsens, Widerspruch, Veränderung und Erneuerung.<br />

All dies ist der Projektarbeit implizit 84 .<br />

Der grundlegende Nutzen von Projekten besteht darin, die Hierarchie zu ergänzen in<br />

dem sie den Entscheidungsbeauftragten in einer Organisation für Entscheidungen<br />

nötiges Wissen zur Verfügung stellt. Das ist besonders sinnvoll in Situationen, in denen<br />

bereichs- und themenübergreifend entschieden werden muss. Bei der Entwicklung<br />

einer unternehmensethischen Positionierung oder Strategie ist dies der Fall, denn die<br />

Praxis der Unternehmensethik wird in allen Bereichen der Einrichtung zu<br />

Veränderungen führen. Gelungene Projektarbeit zeichnet sich auch dadurch aus, dass<br />

sie einen Widerspruch zur Organisation erzeugen kann. Unternehmensethik impliziert<br />

diesen Widerspruch innerhalb einer Organisation, denn schliesslich geht es um die<br />

Interessen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen, die zu berücksichtigen sind, und<br />

die oft im Widerspruch zueinander stehen werden. In diesem Prozess müssen<br />

horizontale und vertikale Entscheidungswege zu Gunsten alternativer Informationsund<br />

Entscheidungsinstanzen aufgehoben werden.<br />

Projektarbeit kann deshalb sowohl eine Übung, <strong>als</strong> auch eine geeignete Arbeitsform für<br />

erste Schritte in die Unternehmensethik darstellen.<br />

82 vgl. Bauer et al. in Dibelius & Arndt (Hrsg.), 2003, S.48<br />

83 siehe dazu Dietzfelbinger, 2008, S. 224 ff. und Noll, 2002, Kapitel 9<br />

84 vgl., auch zum Folgenden, Heintel & Krainz, 2011, für den Bereich Pflege zusätzlich relevant:<br />

Krainz in Ratheiser et al., 2011<br />

19!


!<br />

8. Blick in die Alltagsrealität<br />

Für den empirischen Teil der Arbeit wurden Daten in einer Einrichtung der<br />

vollstationären Pflege erhoben. Die Einrichtung gehört zu einem Unternehmen, das<br />

Pflegewohnanlagen für ältere Menschen betreibt. Dieses Unternehmen ist wiederum<br />

ein Tochterunternehmen eines börsennotierten Konzerns.<br />

8.1. Methodisches Vorgehen<br />

In dem bislang wenig erforschten Gebiet der Unternehmensethik in der<br />

Pflegewirtschaft soll explorativ nach Einstiegsmöglichkeiten für Unternehmen gesucht<br />

werden, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen möchten.<br />

Es geht zunächst um die Entdeckung subjektiver Sichtweisen, folglich muss ein<br />

Zugang über die subjektive Perspektive erfolgen. Es wurde deshalb ein qualitativer<br />

Ansatz gewählt 85 .<br />

Die Form der Experteninterviews erfüllt den Zweck, spezielles Wissen zum Thema zu<br />

generieren, dass nur von Experten, in diesem Falle dem Führungspersonal der<br />

untersuchten Einrichtung, bereitgestellt werden kann. Da in diesem Fall<br />

unternehmenskulturelle Strukturen eine große Rolle spielen, ist nicht nur das Wissen<br />

der Experten von Bedeutung, sondern es können auch deren Meinungen,<br />

Einstellungen und Gefühle eine Rolle spielen. Der explorative Charakter des<br />

Experteninterviews ermöglichte deren Erfassung.<br />

In der kleinen Stichprobe von drei Experten, wurde ein leitfadengestütztes Interview 86<br />

durchgeführt, dass bei vorgegebenen Themen eine flexible, auf den jeweiligen Partner<br />

abgestimmte Interviewführung ermöglichte.<br />

Erfragt wurden Sichtweisen und Praktiken im Unternehmen, die <strong>als</strong> Ansatzpunkte für<br />

die Umsetzungen der wirtschaftsethischen Theorien identifiziert werden sollten.<br />

Die Transkription der Interviews erfolgte vollständig. Nicht-wörtliche Äußerungen, wie<br />

Mimik, Betonung, Gestik, Pausen, Lachen, etc.) wurden nur kommentiert, sofern sie für<br />

die Bedeutung der Aussagen relevant erschienen. Die Daten wurden anonymisiert. Ein<br />

Transkript befindet sich im Anhang. Die anderen Tanskripte sind <strong>als</strong> elektronische<br />

Medien verfügbar.<br />

Es erfolgte eine qualitative Inhaltsanalyse in Anlehnung an Mayring. Dazu wurden<br />

thematische Kategorien gebildet. Sie entstanden in einer Mischung aus Deduktion und<br />

85 Die theoretischen Grundlagen zur Methodik sind entnommen aus: Hug & Poscheschnik,<br />

2010, sowie Kuckartz, 2012<br />

86 Leitfaden im Anhang, Anhang 8, S. A11<br />

20!


!<br />

Induktion. Zunächst wurden Kategorien aus der Theorie abgeleitet. Während der<br />

Datenanalyse wurden im Datenmaterial relevante Themenbereiche <strong>als</strong> zusätzliche<br />

Kategorien identifiziert. Es folgten Einzelfallzusammenfassungen der Interviews<br />

entlang der gebildeten Kategorien und die Zuordnung der Daten zu den Kategorien in<br />

einer Kreuztabelle. Der so strukturierte Inhalt der Interviews wurde in einem weiteren<br />

Schritt entlang der Kategorien zusammenfassend und vergleichend analysiert und<br />

interpretiert. In Rückbezug auf die Theorie wurden zur Beantwortung der<br />

Forschungsfrage taugliche Ansätze für Unternehmensethik identifiziert, um<br />

Handlungsempfehlungen daraus ableiten zu können.<br />

An dieser Stelle soll bereits auf die Begrenztheit der Aussagen dieser Empirie<br />

hingewiesen werden. Als Einzelfall-Forschung mit sehr kleiner Stichprobe können die<br />

Ergebnisse nicht generalisiert werden. Bestimmte Fragen sind offen geblieben, neue<br />

Fragen sind entstanden 87 .<br />

8.2. Kriterien für die Empirie<br />

Folgende Kriterien wurden deduktiv und induktiv gebildet 88 :<br />

Voraussetzung unternehmensethischen Handelns ist die Bereitschaft der<br />

Leitungsebene eines Unternehmens nach ethischen Gesichtspunkten zu handeln.<br />

Durch Festschreibung in offiziellen Führungsstatements, wie zum Beispiel dem Leitbild,<br />

sollte eine Verpflichtung erfolgen, dieser Bereitschaft entsprechend zu handeln. Dieses<br />

formelle Bekenntnis ist eine wirkungsvolle Voraussetzung für erfolgreiche<br />

unternehmensethische Praxis. Eine Kategorie muss deshalb heißen: „Offizielles<br />

Bekenntnis zu Unternehmensethik“.<br />

Da anhand des Datenmateri<strong>als</strong> klar wurde, dass die Pflege der Führungskultur eine<br />

große Rolle im Führungsprozess spielt. die auch den Kommunikationsprozess in der<br />

Einrichtung mit bestimmt, der für die Praxis der Unternehmensethik von großer<br />

Bedeutung ist, soll „Führungskultur“ ein weiteres Kriterium für die Analyse darstellen.<br />

In allen beschriebenen wirtschaftsethischen Theorien geht es um die Wahrung der<br />

Interessen gesellschaftlicher Gruppen. Eine Voraussetzung hierfür ist die<br />

Wahrnehmung dieser Interessen durch das Unternehmen. Voraussetzung hierfür ist<br />

die Kommunikation mit den gesellschaftlichen Gruppen. Daraus ergibt sich die<br />

Kategorie „Kommunikation“<br />

Für Unternehmen der Pflegewirtschaft ist, wie oben beschrieben, die Wahrnehmung<br />

der Interessen von Mitarbeitern und Kunden/Patienten/Klienten unternehmensethisch<br />

87 Der Leitfaden für die Interviews und alle relevanten Aufzeichnungen für die genannten<br />

Auswertungsschritte befinden sich im Anhang<br />

88 Kurzfassung der Übersicht im Anhang 9, im Anhang S. A15<br />

21!


!<br />

besonders brisant. Es ergeben sich deshalb die Unterkategorien „Kommunikation mit<br />

Mitarbeitern“, „Kommunikation mit Kunden“, „Kommunikation mit anderen<br />

gesellschaftlichen Gruppen“.<br />

Die Qualität der Kommunikation ist im Zusammenhang mit Unternehmensethik<br />

abhängig von ihrer gerechten Gestaltung. In Bezug auf die Wahrnehmung und<br />

Wahrung von Interessen gesellschaftlicher Gruppen, ist Diskurs eine angestrebte Form<br />

der Kommunikation, durch die eine Möglichkeit zur sanktionsfreien Ausübung von Kritik<br />

und Mitgestaltung entsteht. Daraus ergibt sich die Kategorie „Diskurs“.<br />

Unterkategorien hierzu sollten zunächst „Bereitschaft zum Diskurs“ und „Befähigung<br />

zum Diskurs“ sein. Wegen mangelnden Hinweisen auf Diskurs in den Daten, wurden<br />

die Unterkategorien verworfen.<br />

Die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Gruppen und mit deren Interessen ist in<br />

ihrer unternehmensethischen Qualität abhängig davon, wie viel Widerspruch zur<br />

Hierarchie in einem Unternehmen möglich ist. Wegen der beschriebenen besonderen<br />

ethischen Herausforderung, die Unternehmen der Pflegewirtschaft gegenüber Kunden<br />

und Mitarbeitern haben, sollen hier die Widerspruchsmöglichkeiten von Kunden und<br />

Mitarbeitern gegenüber dem Unternehmen herausgefiltert werden. Die übergeordnete<br />

Kategorie hierzu heißt „Hierarchie“.<br />

Die Öffnung eines Unternehmens gegenüber den Interessen gesellschaftlicher<br />

Gruppen ist eine strategische Veränderung und wird in seiner Konsequenz<br />

Veränderungen nötig machen. Sie erfordert deshalb die Fähigkeit des Unternehmens<br />

Erneuerungsprozesse zu ermöglichen und zu gestalten. Hieraus ergibt sich die<br />

Kategorie „Erneuerungs- und Veränderungsmanagement“<br />

Zur Einordnung im theoretischen Feld der Wirtschaftsethik in eine ökonomisch<br />

orientierte oder integrative Richtung ergibt sich die Kategorie „Primat der Ethik oder<br />

der Ökonomie in Entscheidungssituationen“.<br />

Aus der Theorie geht hervor, dass es ein Spannungsfeld zwischen den Polen Ethik und<br />

Ökonomie gibt. Es ist zu erwarten, dass Entscheidungen in diesem Spannungsfeld zur<br />

Herausforderung werden und systematische Unterstützung in solchen<br />

Entscheidungssituationen angebracht ist. Deshalb wird die Kategorie „Strukturen, die<br />

ethische Entscheidungen in Dilemmasituationen erleichtern“ gebildet.<br />

Der Bedeutung des Engagements von Unternehmen in Bezug auf eine<br />

Rahmenordnung, die ethisches Handeln ermöglicht, soll die Kategorie „Engagement<br />

für die Rahmenordnung“ gerecht werden.<br />

Schließlich entsteht auf induktivem Wege während der Analyse der Eindruck, dass es<br />

das Bemühen um Projektarbeit in der Einrichtung gibt. Diese wurde in der Theorie <strong>als</strong><br />

für die Praxis der Unternehmensethik wichtige Arbeitsform identifiziert. Induktiv entsteht<br />

deshalb die Kategorie „Projektarbeit“.<br />

22!


!<br />

8.3. Vergleichende Analyse und Interpretation der Daten<br />

Die Analyse folgt in ihrer Gliederung im Wesentlichen den zur Auswertung der<br />

Interviews gebildeten Kategorien. Der Quellennachweis befindet sich in Klammern und<br />

bezieht sich auf den jeweiligen Absatz in der Kreuztabelle (K) im Anhang.<br />

Offizielles Bekenntnis zur Unternehmensethik<br />

Es gibt in der Einrichtung kein offizielles Bekenntnis zur Unternehmensethik. Es gibt<br />

aber ein Leitbild, in dem der Aspekt der Wertschätzung hervorgehoben wird (K 1,3,4).<br />

Wertschätzung gegenüber verschiedenen gesellschaftlichen Anspruchsgruppen muss<br />

<strong>als</strong> Voraussetzung für die Bereitschaft zu der in der Theorie geforderten Übernahme<br />

gesellschaftlicher Verantwortung gelten und ist somit ein wichtiger Ansatzpunkt für die<br />

Einrichtung auf dem Weg in die Unternehmensethik. Geteilte Werte spielen ebenfalls<br />

ein Rolle im Leitbild. (K 3) Nur auf ihrer Grundlage können sich Mitarbeiter eines<br />

Unternehmens, wie bei Wieland beschrieben, kollektiv und individuell moralisch<br />

verhalten. Außerdem ist im Leitbild das Vorhaben beschrieben, zu den Besten der<br />

Branche zu gehören (K 1). Dies muss für ein Unternehmen der Pflegewirtschaft mit der<br />

ethische Reflexion über das unternehmerische Handeln einhergehen. Angesprochen<br />

ist hier die Qualität der Leistung, die aufgrund des Kerngeschäfts „Pflege“, eng mit<br />

moralischem Verhalten gegenüber Kunden und Mitarbeitern gekoppelt ist. Mit diesen<br />

drei Aspekten - Wertschätzung, geteilte Werte und Reflexion über ethisches Verhalten<br />

gegenüber Mitarbeitern und Kunden - sind wichtige Voraussetzungen erfüllt, um ein<br />

Bekenntnis zur Unternehmensethik in das Leitbild zu integrieren und damit eine<br />

offizielle und verbindliche Handlungsgrundlage für unternehmensethisches Handeln zu<br />

schaffen.<br />

Die Aufnahme des Aspekts der Nachhaltigkeit in die Unternehmensvision wird<br />

momentan auf Ebene des Gesamtunternehmens vorbereitet. Außerdem gibt es im<br />

Mutterkonzern einen Standard zur Verhinderung von Korruption (K 2).<br />

Dies spricht für die Bereitschaft, über die Bedeutung von Verantwortungsübernahme<br />

für das eigene Handeln nachzudenken. Für die unternehmensethische Bestrebung der<br />

einzelnen Einrichtung kann das günstig sein.<br />

Führungskultur:<br />

Die Werte und Vorsätze aus dem Leitbild werden u. a. durch die Führungskultur, in die<br />

Alltagsrealität des Unternehmens integriert. Die Leitung nimmt sich Zeit und zeigt sich<br />

offen für die Wahrnehmung der Bedürfnisse von Mitarbeitern und Kunden. Sie bemüht<br />

sich, diesen Bedürfnissen durch ihr Handeln gerecht zu werden (K 5). Die<br />

Führungskultur basiert offenbar auf einem Menschenbild, das von der Überzeugung<br />

der Entwicklungsfähigkeit des Menschen geprägt ist. Mitarbeiter erhalten<br />

Weiterbildungen, das Unternehmen kümmert sich um interne berufliche<br />

Weiterentwicklung und fördert selbstständiges, eigenverantwortliches Handeln soweit<br />

23!


!<br />

das möglich ist (K 7). Zur Positionierung, gegenüber der aus unternehmensethischer<br />

Sicht in der Pflegewirtschaft besonders beachtenswerten Gruppe der Mitarbeiter,<br />

scheint dies ein sinnvoller Ansatz, denn offenes, wertschätzendes Verhalten der<br />

Führung den Mitarbeitern gegenüber muss <strong>als</strong> Voraussetzung dafür gelten, dass die<br />

Kommunikation zwischen Einrichtungsleitung und Mitarbeitern gelingen kann.<br />

Kommunikation<br />

Die Interviewten beschreiben eine rege Kommunikationskultur in der Einrichtung.<br />

Dabei verläuft die Kommunikationsrichtung hauptsächlich entlang der hierarchischen<br />

Strukturen. Dies gilt besonders für die Kommunikation mit den Mitarbeitern . Die<br />

Ausprägung der Kommunikation gegenüber den verschiedenen gesellschaftlichen<br />

Gruppen ist unterschiedlich stark. Der Schwerpunkt liegt bei Kunden (K 19-23) und<br />

Mitarbeitern (K 8-18). In geringerem Umfang wird mit Kooperationspartnern<br />

kommuniziert (K 24-25). Andere Gruppen spielen in der Kommunikation eine<br />

untergeordnete Rolle.<br />

Kommunikation mit Mitarbeitern<br />

Kommunikation wird <strong>als</strong> Mittel zur Wertschätzung der Leitung gegenüber den<br />

Mitarbeitern beschrieben (K 14). Hierzu existiert in der Einrichtung ein Maßnahmen-<br />

Katalog. Wertschätzende Kommunikation soll durch Maßnahmen nicht nur verbal<br />

sondern auch auf Erlebnisebene stattfinden. (K 9)<br />

„Wir haben einen Katalog von - ich glaube da sind 30 Massnahmen darauf, die man<br />

reflektieren kann, was man Mitarbeitern im Rahmen von weichen Faktoren mal schenken<br />

kann. Dass das nicht nur so vage immer ist. Wir loben halt mal hier und da - sondern<br />

ganz konkret wie zum Beispiel mal ein Eis ausgeben, oder auch mal zur Teamsitzung<br />

gehen.“ (K 9)<br />

Hier geschieht Informationsweitergabe entlang der hierarchischen Linie, einseitig von<br />

Oben nach Unten. Es findet <strong>als</strong>o kein Austausch und somit keine Kommunikation statt.<br />

An anderen Stellen wird durchaus im Sinne des Wortes kommuniziert. Der Impuls geht<br />

zwar häufig von der Leitung aus, der Informationsaustausch erfolgt dann aber in<br />

beiden Richtungen (K 10). Die Führungskräfte sind den Belangen aller Mitarbeiter<br />

gegenüber aufgeschlossen (K 9 und 11). So werden die Mitarbeiter nach ihren<br />

Wünschen und Vorschlägen, etwa in Bezug auf Fortbildungen (K 9) befragt. Es besteht<br />

Offenheit gegenüber Mitarbeiterinteressen und das ehrliche Anliegen, sie zu<br />

befriedigen (K 11).<br />

Diese Art der Kommunikation mit den Mitarbeitern gehört zur Unternehmenskultur. Sie<br />

ist aber unsystematisch. Ihre Art und Ausprägung ist themenabhängig und wird von der<br />

Leitung bestimmt. Es gibt Themen, die von der Führung bearbeitet werden, ohne<br />

Mitarbeiter zu involvieren, bei anderen Themen sind die Meinungen der Mitarbeiter<br />

gefragt (K10).<br />

24!


!<br />

„... Es gibt Themen die jede Führungskraft auf jeder Ebene natürlich ganz klar steuern<br />

muss, wo es dann um Informationen geht. Aber es gibt auch immer viele Themen, [...] ,<br />

oder ob ich vorher sage, ich fördere hier auch etwas, eine Diskussion. In dem ich sage,<br />

ich würde gerne in die und die Richtung gehen, dieses Projekt haben wir vor, was habt ihr<br />

für Ideen?“ (K10)<br />

Die Kommunikationswege verlaufen sehr stark entlang hierarchischer Strukturen. Das<br />

ist von der Leitung gewollt (K 13)<br />

Aus unternehmensethischer Sicht ist es ein guter Ansatz, dass die Einrichtungsleitung<br />

offenbar die ehrliche Sorge um das Wohlergehen ihrer Mitarbeiter antreibt. Allerdings<br />

sind die Mitarbeiter der Willkür der Leitung ausgesetzt. Aufgrund der hierarchischen<br />

Wege und der fehlenden Systematik zur Kommunikation, sind die Chancen zur<br />

Durchsetzung von Interessen für Leitung und der Mitarbeiter ungleich verteilt.<br />

Hinzu kommt, dass die Mitarbeiter kein offizielles Organ haben. Es existiert keine<br />

Mitarbeitervertretung. Die Mitarbeiter werden zur Bildung einer solchen auch nicht<br />

ermutigt oder dabei unterstützt. Im Gegenteil, man ist froh, dass es keine Vertretung<br />

gibt, denn es besteht die Sorge vor zu viel Unruhe, die sonst entstehen könnte (K 17).<br />

„Aber es kann natürlich auch sein, dass dann Leute, die gewählt werden womöglich, die<br />

vielleicht gar nicht so konstruktiv auf die Sache zu gehen. Also MA-Vertretung muss ja<br />

nicht immer heißen wohlwollendes Miteinander. Ich will‘s nicht Schwarzmalen oder so.<br />

Aber es kann natürlich auch sein, dass persönliche Unzufriedenheiten dazu führen, dass<br />

es da eine kleine Verschwörung oder Zusammenballung gibt, und dass es womöglich für<br />

die Leitung des Hauses äußerst beschwerlich werden kann.“ (K 18)<br />

Dieses Zitat deutet auf ein tradiertes, herrschaftliches Konzept von<br />

Unternehmensführung hin. Das unternehmensethische Potenzial einer systematischen<br />

Vertretung von MA-Interessen zur Beteiligung dieser wichtigen gesellschaftlichen<br />

Anspruchsgruppe an der Legitimation unternehmerischer Ziele, Strategien und<br />

Handlungen durch Kommunikation und Diskurs, bleibt ungenutzt.<br />

Karrieregespräche sollen der Einrichtung und den Mitarbeitern bei der<br />

Weiterentwicklung helfen (K 14).<br />

„Karrieregespräche finden statt, die ja auch sehr wichtig sind. Dass ich MA erkenne, die<br />

Potential haben, die sich einbringen wollen, die ich halten möchte. Dass ich mit denen ein<br />

Gespräch führe: Was stellst du dir vor, wo siehst du dich in drei Jahren, was sind deine<br />

Ziele. Dass man <strong>als</strong> Unternehmer zeigt, ich sehe und wertschätze dich, ich kann dir was<br />

anbieten.“ (K 14)<br />

25!


!<br />

An der Systematik der Mitarbeitergespräche im Unternehmen wird derzeit gearbeitet,<br />

nicht zuletzt aus Gründen der Mitarbeiter-Bindung in Zeiten des Fachkräftemangels in<br />

der Pflege (K 15).<br />

„Da ist jetzt eine zunehmende Systematik erwünscht. Das ist ein wichtiger Bereich<br />

geworden. Im Rahmen des ganzen Pflegenotstands muss man auch erkennen, das gute<br />

Fachkräfte auch gehalten werden wollen.“ (K 15)<br />

Diese Gespräche sollten im Zuge der Beachtung von Mitarbeiterinteressen fester<br />

Bestandteil der Kommunikation zwischen der Einrichtung und ihren Mitarbeitern sein.<br />

Hier besteht ein Ansatz zur systematischen und transparenten Kommunikation mit<br />

Mitarbeitern, der weiterentwickelt werden muss.<br />

Zusammenfassend zeigt die Auswertung der Interviews in diesem Punkt, dass eine<br />

große Herausforderung für die Einrichtung darin bestehen wird, die Qualität der<br />

Kommunikation mit den Mitarbeitern zu verbessern. Mitarbeiter sind eine wichtige<br />

gesellschaftliche Interessengruppe für das Unternehmen. Diese Erkenntnis zieht sich<br />

durch alle neueren wirtschaftsethischen Theorien, und sie ist, wie beschrieben eine<br />

besondere Herausforderung für die Pflegewirtschaft. Insofern verwundert es auch<br />

nicht, dass im Rahmen der Empirie ein Defizit in diesem Bereich zu Tage tritt.<br />

Die Mitarbeiter müssen Rechte erhalten, die es ihnen ermöglichen, das<br />

Kommunikationsverfahren zu beeinflussen. Dazu brauchen sie zunächst eine<br />

Vertretung. Ein systematisiertes, transparentes Verfahren muss entwickelt werden, in<br />

dem die Anliegen von Mitarbeitern kommunikativ bearbeitet werden können.<br />

Voraussetzung hierfür ist, dass Kommunikationswege geschaffen werden, die sich<br />

nicht an der Hierarchie orientieren, damit machtfreier Raum für den Diskurs entstehen<br />

kann. Eine Willkür der Einrichtungsleitung in der Beachtung von Mitarbeiterinteressen<br />

wird so vermieden, und ein erster Schritt ist getan, um die Mitarbeiter in die Lage zu<br />

versetzen, die Beachtung ihrer Interessen selber zu beeinflussen.<br />

Kommunikation mit Kunden<br />

Das größte und erfolgreichste, Bemühen um Kommunikation besteht offenbar<br />

gegenüber der Gruppe der Kunden. Die Wahrung der Interessen der Bewohner ist<br />

eines der wichtigsten Anliegen der Einrichtung (K 19 und 21). Voraussetzung dafür, ist<br />

die Kommunikation mit den Bewohnern. Als Kunden werden die Bewohner, und im<br />

weiteren Sinne auch deren Angehörige betrachtet (K 20, 21)).<br />

Die Kommunikation mit Bewohnern wird <strong>als</strong> gut und systematisch beschrieben (K 21<br />

und 23).<br />

Es gibt ein Beschwerde- und Hinweismanagement, mit dem die Weitergabe und<br />

Bearbeitung von Informationen gesteuert wird (K 20).<br />

Zwei mal jährlich, erhalten auch die Angehörigen der Bewohner die Chance zur<br />

direkten Kommunikation bei den Angehörigen-Abenden (K 20).<br />

26!


!<br />

Die Bewohner vertreten ihre Interessen durch den Heimbeirat. Sie werden von der<br />

Leitung zu Aktivität im Kommunikationsprozess aufgefordert und dabei unterstützt (K<br />

20).<br />

„Also wir haben einen Heimbeirat, den müssen wir auch haben, aber mir ist es auch ein<br />

Anliegen, den wirklich auch wach zu rütteln, zu fördern, zu sagen, kommen Sie doch<br />

dazu, dass es kein geschlossener Kreis ist, sondern jeder Bewohner der Lust hat, kann<br />

dazu kommen.“ (K 20)<br />

Abgesehen davon, bestehen informelle Wege der Kommunikation. So gibt es keine<br />

Kunden-Sprechzeiten der Leitung, denn diese ist jederzeit ansprechbar (K 21).<br />

Die Einrichtung sieht ihren Auftrag in erster Linie darin, Kundeninteressen zu<br />

befriedigen. Den Bewohnern gegenüber besteht deshalb Offenheit zur Kommunikation.<br />

Die Strukturen für die Kommunikation in diesem Bereich zeigen, dass die Einrichtung<br />

gute Voraussetzungen entwickelt hat, um ihrer kommunikativen Aufgabe gegenüber<br />

der Gruppe der Kunden aus unternehmensethischer Sicht gerecht zu werden. Hier<br />

liegt Potential und Anregung, um Strategien auch für die vernachlässigte<br />

Kommunikation mit den Mitarbeitern zu entwickeln.<br />

Kommunikation mit anderen gesellschaftlichen Gruppen<br />

In den Interviews finden sich wenige Hinweise auf Zusammenarbeit und<br />

Kommunikation mit anderen gesellschaftlichen Gruppen <strong>als</strong> denen der Kunden und<br />

Mitarbeiter.<br />

Es gibt aber den Hinweis auf gute Kommunikation mit Kooperationspartnern. Dazu<br />

zählen zum Beispiel Hausärzte, die offenbar gut in die fachliche Arbeit im Unternehmen<br />

eingebunden sind, und die <strong>als</strong> grosse Unterstützung geschätzt werden (K 58).<br />

Außerdem gibt es eine rege Kommunikation mit der Forschung. Auch hier bestehen<br />

Kooperationen K 39). Kooperationspartner werden <strong>als</strong> Multiplikatoren verstanden, die<br />

für die Außenwirkung eine wichtige Rolle spielen. Durch gute Kommunikation soll die<br />

Wahrung von Interessen der Kooperationspartner möglich werden, denn deren Gunst<br />

ist von Bedeutung für den Erfolg der Einrichtung (K 25).<br />

„Also, Zufriedenheit der Partner steht ganz oben. Dass es ein Geben und Nehmen ist,<br />

weil Partner, Kooperationspartner auch immer <strong>als</strong> Multiplikatoren begriffen werden. Wer<br />

mit uns zufrieden ist, wird auch gut über uns sprechen. Und das kann uns ja wiederum<br />

nutzen.“ (K 25)<br />

Im Zuge unternehmensethischer Entwicklung sollten weitere relevante Gruppen<br />

identifiziert werden, die von den Auswirkungen des Handelns der Einrichtung betroffen<br />

sind. Schon im Interview wurde herausgearbeitet, dass die Gruppe der Lieferanten und<br />

Kooperationspartner kommunikativ bislang vernachlässigt wurde (K 24A).<br />

27!


!<br />

„...ist mir jetzt im Interview aufgefallen, mal zu schauen, wie sind die Lieferanten und<br />

Kooperationspartner aufgestellt. Das muss ich sagen ist ein ganz neuer Gedanke,der<br />

kam bis jetzt noch nicht, da ist noch Luft nach oben, das ist `ne spannende Sache. Weil<br />

das ja auch ein Gebot der Stunde ist, Da sind wir beim Anfang wieder, da geht es um<br />

Nachhaltigkeit. Das interessiert mich. Da könnte sich noch was entwickeln.“ (K 24A)<br />

Auch die Kommunikation mit Investoren könnte unternehmensethisch zielführend sein,<br />

denn diese bilden eine Interessengruppe die wegen der Börsennotierung des<br />

Mutterkonzerns der Einrichtung, überproportional bestimmend auf das<br />

unternehmerische Handeln einwirkt. Zunächst hat die Einrichtung keinen Einfluss auf<br />

die Kommunikation mit den Investoren (K24), doch im Zuge des Engagements für eine<br />

Unternehmensordnung die moralisches Verhalten erleichtert, könnte die Leitung die<br />

Kommunikation über unternehmensethische Themen anregen und somit Einfluss auf<br />

die Voraussetzungen für die moralische Güte eigenen Handelns nehmen.<br />

Diskurs<br />

Die Aussagen der Interviewten sprechen dafür, dass die Kommunikation der<br />

Einrichtungsleitung mit den Bewohnern und ihren Angehörigen diskursiven Charakter<br />

hat. Zumindest besteht gegenüber der Kritik und den Wünschen dieser Gruppe die<br />

größte Offenheit, und Hierarchie spielt gegenüber den Bewohnern keine Rolle.<br />

Mitarbeiter und Leitung sind für jeden Bewohner ansprechbar, es gibt die<br />

Voraussetzungen für eine zwanglose, machtfreie Kommunikation in der sich die<br />

Beteiligten um Konsens bemühen können (K 19-23).<br />

Die Bereitschaft zum Diskurs wird durch die Tatsache unterstrichen, dass die Leitung<br />

die Bewohner ermutigt, ihre Interessen zu vertreten (K 20). In der Einrichtung herrscht<br />

<strong>als</strong>o eine gewisse Erfahrung im Diskurs, der nun auf andere Gruppen ausgeweitet, und<br />

in der Systematik entsprechend weiterentwickelt werden muss.<br />

Wie theoretisch beschrieben und im Punkt Kommunikation nachvollzogen, sind die<br />

Mitarbeiter eine kommunikativ und damit diskursiv bislang vernachlässigte Gruppe, die,<br />

aufgrund der unternehmensethischen Herausforderungen für die Pflegewirtschaft,<br />

besonderer Aufmerksamkeit bedarf. Gerade die Kommunikation mit den Mitarbeitern<br />

ist in ihren Abläufen stark von der Hierarchie beeinflusst. Es gibt für Äußerungen der<br />

Mitarbeiter offiziell keine sanktionsfreien Räume (K 10, 13, 17). Damit ist kein Diskurs<br />

möglich.<br />

Aus unternehmensethischer Sicht sollte sich die Einrichtung auch für die Befähigung<br />

von Diskursteilnehmern zum Diskurs einsetzen. Auch hier wäre an erster Stelle an die<br />

Befähigung der Mitarbeiter <strong>als</strong> besonders relevante Interessengruppe zu denken<br />

Hierarchie<br />

Die Unternehmenskultur ist stark von der bestehenden Hierarchie geprägt. Das wird<br />

von allen Interviewpartnern übereinstimmend <strong>als</strong> gewollt beschrieben. So verlaufen<br />

28!


!<br />

formell alle Kommunikations- und Entscheidungsprozesse entlang der hierarchischen<br />

Linie (K 10, 13, 28, 29, 54).<br />

„Wir sagen, Entscheidungen sind hierarchisch aufgebaut, und zwar von unten nach oben.<br />

Wir versuchen das so genannte Vier-Augen-Prinzip durchzuhalten. Das heißt<br />

Entscheidungen werden immer im Vier-Augen-Prinzip gefällt. Was heißt: Die Ebene auf<br />

der eine Entscheidung gefällt oder vorbereitet werden muss, trägt den Lösungsansatz,<br />

nicht das Problem, zur nächsthöheren Ebene. Zusammen mit der nächsthöheren Ebene<br />

wird dann im Vier-Augen-Prinzip gemeinsam beschlossen, ja oder nein, [...]“ (K 54)<br />

Den Mitarbeitern wird Eigenverantwortlichkeit in ihrem jeweiligen Arbeitsbereich<br />

ermöglicht, diese wird aber hierarchisch kontrolliert (K 29).<br />

„Auch Selbstständigkeit, Verantwortung. Zutrauen. Eigenverantwortung. Dass jeder seine<br />

Aufgaben kennt, seinen Bereich kennt. [...] klar regelmäßigen Austausch,<br />

Kommunikation. Man muss die Ziele des Unternehmens ja auch weitergeben, Aufgaben<br />

weitergeben, im Sinne des grossen Ganzen, für den Einzelbereich. Aber das dann jeder<br />

doch schon seinen Bereich in Eigenverantwortung führt.“ (K 29)<br />

Wie im Punkt „Diskurs“ beschrieben, verhindert die ausgeprägte Hierarchie den<br />

Diskurs. Die angeführten Zitate verdeutlichen, dass die Hierarchie in dieser Einrichtung<br />

dazu führt, dass Entscheidungen gemäss den Interessen der Leitungsebene, ohne<br />

Beteiligung der Mitarbeiter getroffen werden. Aus unternehmensethischer Sicht, sollte<br />

der Verlauf der Prozesse zur Entscheidungsfindung die Berücksichtigung der<br />

Interessen möglichst vieler vom unternehmerischen Handeln der Einrichtung<br />

betroffener Gruppen gewährleisten. Dafür sind flache Hierarchien nötig, in denen es<br />

aufgrund geringerer Machtunterschiede und höherer Transparenz eine gerechtere<br />

Chancenverteilung für die Durchsetzung von Interessen und die Legitimation von<br />

Normen <strong>als</strong> Entscheidungsgrundlagen gibt.<br />

Erneuerungs- und Veränderungsmanagement<br />

Veränderung hat einen hohen Stellenwert im Arbeitsalltag der Einrichtung und ist Teil<br />

der Strategie (K 30, 37).<br />

„Also ich würde schon davon ausgehen, dass unser Haus, unser Betrieb, sich <strong>als</strong><br />

lernende Organisation versteht, dieses Stichwort, wo es wichtig ist, dass Veränderung<br />

dazu gehört.“ (K 30)<br />

Die Impulse zu Veränderungen kommen oft von der Leitung K 31, 38), aber auch<br />

Mitarbeiter können Veränderungsimpulse setzen, und sollen dann, je nach Dafürhalten<br />

der Leitung, die Veränderung umsetzen (K 32,33). Die Veränderungsprozesse werden<br />

von der Leitung gesteuert (K 33). Kommunikation und Transparenz sind wichtige<br />

Aspekte in diesen Prozessen K 35). Die Leitung hat eine streng kontrollierende<br />

Funktion bei der Auswahl von Ideen, die umgesetzt werden (K 33). Viele<br />

29!


!<br />

Veränderungsprozesse werden auch im Rahmen des Qualitätsmanagements<br />

erarbeitet und umgesetzt, zum Teil in projektartiger Form (K 41, 61, 63). Notwendig<br />

werden Veränderungen vor allem im Rahmen von Kooperationen, fachlicher<br />

Weiterentwicklung und im Bereich Unternehmenskultur (K 39).<br />

Sollte die Einrichtung unternehmensethische Ziele in ihr Leitbild aufnehmen, läge hier<br />

ein guter Ansatz zur Operationalisierung. Veränderungen, die nach einem solchen<br />

Schritt notwendig werden, müssen systematisch und gesteuert verlaufen. Die<br />

Erfahrung mit und die Bereitschaft zu Veränderungen und dazugehörigen Prozessen<br />

scheint in der Einrichtung vorhanden zu sein. Diese gute Voraussetzung für die<br />

Implementierung von Unternehmensethik kann durch ein verstärktes Bemühen um<br />

Projektarbeit, die zur Implementierung empfohlen wird, ausgebaut werden.<br />

Primat der Ethik oder der Ökonomie<br />

Grundsätzlich steht das unternehmerische Handeln in der Einrichtung unter dem<br />

Primat der Ökonomie. Entscheidungen, die unter diesem Primat getroffen werden,<br />

entsprechen nicht immer den Werten aus dem Leitbild. Da für diese aber auch eine<br />

gewisse Verbindlichkeit gilt, entsteht formal eine Unklarheit.<br />

„ Natürlich ist das Primat der Ökonomie sehr deutlich. [...] Aber, das immer wieder unter<br />

einen Hut zu kriegen... Dass wir zu den besten der Branche gehören, das heißt ja eben<br />

nicht nur, wir wollen die Reichsten werden, sondern das heißt, der Betrieb soll gut,<br />

vorbildlich laufen.““<br />

Im Zuge einer unternehmensethischen Entwicklung der Einrichtung muss diese<br />

Unklarheit reflektiert und ein Weg, mit ihr umzugehen, erarbeitet werden. Da die<br />

Einrichtung zu einem übergeordneten Unternehmen und dieses wiederum zu einem<br />

börsennotierten Konzern gehört, wird sich am ökonomischen Vorrang so bald nichts<br />

ändern. Auf dem Weg der Einrichtung in die Unternehmensethik wird diese Unklarheit<br />

immer wieder zur Herausforderung werden.<br />

Die Reflexion über und die Arbeit an dem Thema sollte mit anderen zum Konzern<br />

gehörigen Einrichtungen erfolgen. Ethische Grundhaltungen und Menschenbilder<br />

müssen dabei reflektiert werden.<br />

Ziel der Kommunikation der zum Konzern gehörenden Einrichtungen wird es sein, an<br />

einer unternehmensinternen Rahmenordnung zu arbeiten, die moralisches Verhalten<br />

vereinfacht.<br />

Dies kann <strong>als</strong> analoge Handlung zu Ulrichs Theorie von der unternehmensethischen<br />

Aufgabe eines Engagements auf der Makroebene verstanden werden, dessen Ziel es<br />

ist, eine Rahmenordnung zu schaffen, die moralisches Verhalten für Unternehmen<br />

ermöglicht.<br />

Die Konsequenzen von Entscheidungen, die unter dem Primat der Ökonomie getroffen<br />

werden, müssen diejenigen tragen, die diese Entscheidungen nicht fällen. Die<br />

30!


!<br />

Interviews belegen, dass es vor allem die Mitarbeiter sind, für die sich ungünstige<br />

Konsequenzen ergeben. Zwei Beispiele verdeutlichen das:<br />

Beim so genannten therapeutischen Essen werden Pausen der Mitarbeiter zur<br />

Betreuung der Bewohner eingesetzt. Bewohner und Mitarbeiter nehmen dann in den<br />

Wohngruppen gemeinsame Mahlzeiten ein. (K 51)<br />

„Ja, wir haben noch zum Beispiel eingeführt, dass Mitarbeiter zusammen mit Bewohner<br />

essen darf. Wir nennen das therapeutisches Essen, und das ist irgendwie auch MA-<br />

Pflege. Nimm dir Zeit, setz dich zusammen. Das nutzt dem Bewohner sehr viel, aber<br />

auch mir, <strong>als</strong> Mitarbeiter. Ich komme zum Austausch mit dem Bewohner, das gibt mir viel<br />

für meine Tätigkeit, <strong>als</strong> Krankenschwester. Ich hab alles zwar unter Kontrolle, dabei, aber<br />

ich kann auch dabei essen, mich entspannen, ne, Gespräche anregen.“ (K 51)<br />

Mitunter leisten Mitarbeiter unentgeltliche Mehrarbeit bei Personalmangel, wenn<br />

Bewohner im Sterben liegen. (K 52)<br />

„Also wie Sie jetzt beschrieben haben, jemand liegt im Sterben. Ich müsste dafür<br />

zwanzig Stunden vor Ort sein. Vielleicht ist das noch nicht zu gewährleisten, weil die<br />

finanziellen Mittel vielleicht noch nicht geregelt sind. Aber dann haben wir für uns hier<br />

einen Weg gefunden. Dass wir tatsächlich untereinander uns gut absprechen. Mal ist das<br />

schon ehrenamtliche Lösung. Aber Lösung, die trotzdem uns viel gibt.“ (K 52)<br />

Hier werden Situationen <strong>als</strong> für die Mitarbeiter günstig beschrieben, die aus objektiver<br />

Sichtweise gegen deren Interessen verstossen. Mitarbeitern werden die Pausen<br />

entzogen, Überstunden werden nicht bezahlt. Die Mitarbeiter scheinen nicht in der<br />

Lage zu sein, für sie ungünstige Situationen zu verändern. Dies liegt sowohl an der<br />

Hierarchie, an fehlenden Möglichkeiten zu Diskurs, <strong>als</strong> auch an der von Bauer<br />

beschriebenen Übernahme dominanter Deutungsmuster durch Mitarbeiter der Pflege,<br />

die ihrerseits durch die starke Hierarchie gefestigt werden. Um diesem circulus vitiosus<br />

entgegenzuwirken, ist es wichtig, alle Mitarbeiter in die Reflexion und Kommunikation<br />

über die oben beschriebene Unklarheit des Verhältnisses zwischen Ökonomie und<br />

Ethik in Entscheidungssituationen einzubinden.<br />

Strukturen, die Entscheidungen in ethischen Dilemmasituationen erleichtern<br />

Für schwierige unternehmerische Entscheidungen ist systematisch eine Hilfe durch<br />

das in diesem Kapitel unter dem Punkt „Hierarchie“ beschriebene Vier-Augen-Prinzip<br />

vorgesehen. Entscheidungen werden <strong>als</strong>o von der jeweils nächsthöheren Ebene<br />

mitbestimmt und -getragen.<br />

Dies gilt auch für fachethische Entscheidungen. Stellen sich diese <strong>als</strong> besonders<br />

schwierig dar, finden mitunter interdisziplinäre Fallbesprechungen statt . Andere<br />

Hilfestrukturen stehen nicht zur Verfügung. Eine Einrichtung die sich<br />

unternehmensethischen Herausforderungen stellen möchte, sollte ein System<br />

entwickeln, das in Entscheidungsprozessen, die ethische Aspekte beinhalten,<br />

unterstützend wirkt. Eine Einrichtung der Pflegewirtschaft könnte ein Ethik-Komitee<br />

31!


!<br />

einrichten, das systematische Hilfestellung bei fachethischen Entscheidungen leistet.<br />

Auch andere, unternehmerische Entscheidungen in denen ethische Aspekte zukünftig<br />

eine größere Rolle spielen sollen, könnten auf diese Art unterstützt und systematisch<br />

begleitet werden, z. Bsp. in Form eines Arbeitskreises, und durch Tätigkeit eines<br />

unternehmensethisch ausgebildeten Mitarbeiters der in entsprechende<br />

Entscheidungen eingebunden wird. Die Fallbesprechungen bei pflegeethischen<br />

Entscheidungen, die in der gegenwärtigen Arbeitspraxis der Einrichtung stattfinden,<br />

können hierfür ein Ansatzpunkt sein.<br />

Engagement in der Rahmenordnung<br />

Ein Engagement für eine Rahmenordnung die den Unternehmen moralisches<br />

Verhalten ermöglicht, findet in der Einrichtung nicht statt.<br />

Wie auch im Zusammenhang mit anderen Kategorien beschrieben, besteht die<br />

Möglichkeit des Engagements auf Unternehmensebene.<br />

Zusammen mit den Leitungen anderer, zum gleichen Unternehmen gehörenden<br />

Einrichtungen, sollte sich die Einrichtungsleitung dort für eine<br />

Unternehmensphilosophie und, in Anlehnung an den Begriff der Rahmenordnung, für<br />

die Gestaltung einer „Unternehmensordnung“ engagieren, die das moralische Handeln<br />

für die einzelne Einrichtung erleichtert. Das langfristige Ziel wäre der Einsatz des<br />

übergeordneten Unternehmens auf der Ebene der Rahmenordnung. Operationaler<br />

Ansatzpunkt hierfür kann die Kommunikation und Zusammenarbeit der Einrichtungen<br />

im Rahmen übergreifender Projekte sein, die bereits stattfinden. (K 60)<br />

Projektarbeit<br />

Aufgrund der steilen Hierarchie in dieser Einrichtung (K 27-29), ist Projektarbeit nur<br />

begrenzt möglich. Im theoretischen Teil dieser Arbeit wurde sie aber bereits <strong>als</strong><br />

sinnvolle Arbeitsform auf dem Weg in die unternehmensethische Praxis beschrieben<br />

und begründet. Im Rahmen des Qualitätsmanagements finden gegenwärtig<br />

Qualitätszirkel und Workshops statt (K 61-63). Über Prozessoptimierung in der Pflege<br />

wird in Teamsitzungen gesprochen. Gesteuert wird dies durch die Leitung (K 16). Auch<br />

auf Leitungsebene gibt es unternehmensübergreifende Gruppenarbeit (K 61). All dies<br />

sind Ansatzpunkte für Projektarbeit. Die Erfahrung mit Gruppen- und Teamarbeit, die<br />

bereits zur Verfügung steht, sollte durch externe Beratung ergänzt und zu einer echten<br />

Projektarbeit weiterentwickelt werden.<br />

32!


!<br />

Im Gesamteindruck der Analyse fällt auf, wie sehr die einzelnen Kriterien miteinander<br />

verwoben sind. Für einige Kategorien wird das durch die Auswertung der Daten<br />

besonders deutlich: Das Leitbild wirkt sich auf die Führungskultur aus, diese hat<br />

Einfluss auf die interne Kommunikation. Kommunikationsstrukturen beeinflussen die<br />

Möglichkeiten zum Diskurs, dessen Qualität seinerseits bestimmt wird, durch<br />

Engagement<br />

Rahmenordnung<br />

Leitbild<br />

Führungskultur<br />

Kommunikation<br />

Primat<br />

von E/Ö<br />

Projekte<br />

Hierarchie<br />

Diskurs<br />

Abbild 1:<br />

Alle in der Grafik gezeigten Aspekte sind untereinander wirkungsvoll vernetzt.<br />

(eigene Darstellung<br />

Ausformung und Grad der Hierarchie. Dies alles wirkt sich auf die Möglichkeit zur<br />

Projektarbeit aus, welche wiederum Folgen für die Hierarchie und die Möglichkeit zum<br />

Diskurs hat. Der Diskurs beeinflusst Inhalte des Leitbildes und bestimmende Werte der<br />

Führungskultur. Gemeinsam beeinflussen alle Aspekte die Haltung in der Einrichtung<br />

zu einem zentralen Punkt der Unternehmensethik, der Stellung von Ethik und<br />

Ökonomie zueinander. Auch das Engagement für die Rahmenordnung wird von allen<br />

genannten Aspekten beeinflusst und beeinflusst in seinem Ergebnis wiederum die<br />

einzelnen Aspekte.<br />

33!


!<br />

9. Fazit<br />

Wenn Pflege unter Wettbewerbsbedingungen stattfindet, dann bringt das für die<br />

Pflegewirtschaft ethische Probleme besonders im Bereich Kunden und Mitarbeiter<br />

hervor. Moderne Ansätze der Wirtschaftsethik liefern Ideen dazu, was Unternehmen<br />

tun können, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Unternehmen agieren auf<br />

der Mesoebene. Ihre Handlungen haben aber Auswirkungen auch auf die Mikroebene,<br />

auf der sie das Verhalten von Individuen beeinflussen. Zusätzlich vollzieht sich das<br />

Verhalten der Unternehmen durch Individuen. Individualethik spielt deshalb eine Rolle.<br />

Das Verhalten auf der Mesoebene kann außerdem Auswirkungen auf die Makroebene<br />

haben, wodurch Einflussnahme auf die Rahmenordnung möglich ist, von der die<br />

Möglichkeiten der Unternehmen zu moralischem Handeln wiederum abhängen. In den<br />

verschiedenen Ansätzen moderner Wirtschaftsethik ist strittig, welche gesellschaftliche<br />

Ebene den größten Einfluss auf die Moral des Marktes hat. Einige Schulen fordern ein<br />

gleichzeitiges Handeln von Unternehmen auf mehreren Ebenen. Am deutlichsten wird<br />

dies in Peter Ulrichs integrativem Ansatz. Angesichts der Ergebnisse der vorgestellten<br />

Empirie hält die Autorin dieser Arbeit den Ansatz Ulrichs für Unternehmen der<br />

Pflegewirtschaft für geeignet. Da verschiedene gesellschaftliche Ebenen an der<br />

Entstehung und Manifestation ethischer Probleme in der Pflegewirtschaft beteiligt sind,<br />

müssen Veränderungsimpulse zur Verbesserung des Status Quo auf mehreren<br />

Ebenen gleichzeitig gesetzt werden, um wirksam zu werden. Pflegeunternehmen<br />

müssen ihre Handlungsstrategien auf alle gesellschaftlichen Ebenen hin ausrichten.<br />

Individuen in den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, die vom<br />

unternehmerischen Handeln betroffen sind, müssen in ihren Möglichkeiten zur<br />

Verantwortungsübernahme für das was im Unternehmen geschieht, gefördert werden.<br />

Der Mitverantwortung dieser Gruppen müssen sich die Unternehmen öffnen. Um mit<br />

dieser Strategie wirtschaftlich überleben zu können, müssen sich Unternehmen der<br />

Pflegewirtschaft gleichzeitig für eine Änderung der Rahmenordnung einsetzen.<br />

Dies ist die utopische Erkenntnis dieser Forschungsarbeit. Pflege ist ein Bedarf im<br />

sozialen Kontext. Die Möglichkeiten die Pflege den Interessen der Pflegebedürftigen<br />

gemäß zu gestalten sind auch von der Gesellschaftsordnung abhängig. Damit ist das<br />

utopische Element bedeutsam.<br />

Praktisch und realistisch können Unternehmen interne Strukturen schaffen, die ihnen<br />

selbst und ihren Mitarbeitern moralisches Verhalten ermöglichen. In der Einrichtung,<br />

die in dieser Arbeit beschrieben wird, ist die Gruppe mit dem größten Förderbedarf die<br />

Gruppe der Mitarbeiter. Das Potential eines Erstarkens dieser Gruppe zur Entfaltung<br />

unternehmensethischer Möglichkeiten scheint bisher unerkannt. Die proaktive<br />

Entwicklung einer unternehmensethischen Strategie mit resultierender Einführung<br />

eines Ethik-Management-Systems, das sich an den in der Empirie genannten<br />

34!


!<br />

Schwerpunkten Leitbild, Führungskultur, Kommunikation, Diskurs, Hierarchie,<br />

Projektarbeit und Engagement für die Rahmenordnung orientiert, wäre zu empfehlen.<br />

Dadurch könnten strukturelle Veränderungen angestoßen werden, die der Einrichtung,<br />

angesichts der für die Pflegewirtschaft benannten Herausforderungen für die nähere<br />

Zukunft, eine stabile Grundposition verschaffen würde.<br />

Beim Blick in eine mögliche Zukunft, in der die Mitarbeiter der untersuchten<br />

Einrichtung, in der Vertretung ihrer Interessen und der Beteiligung an der Begründung<br />

von Normen, die <strong>als</strong> Grundlage unternehmerischer Entscheidungen dienen sollen,<br />

beteiligt sind, könnte sich ein neues Forschungsfeld zum Thema der Befähigung von<br />

Mitarbeitern ergeben. Dabei könnte es um die Frage gehen, in wie weit die Gruppe der<br />

Mitarbeiter in der Pflege, deren Mitglieder bislang aufgrund der beschriebenen Muster<br />

nicht immer gelernt haben ihre Interessen autonom wahrzunehmen und zu vertreten,<br />

bereit sind, oben beschriebene Aufgaben und die dazugehörige Verantwortung zu<br />

übernehmen. Eine anschliessende Frage könnte sein, in wie fern die Mitarbeiter in<br />

diesem Prozess der Übernahme von Aufgaben und Verantwortung durch Befähigung<br />

unterstützt werden könnten.<br />

In der vorliegenden Empirie fällt auf, dass in der untersuchten Einrichtung die<br />

Interessen der Gruppe der Pflegebedürftigen verhältnismässig stark berücksichtigt<br />

werden. Das ist sehr erfreulich. Unter anderem mag es daran liegen, dass es sich bei<br />

diesen Kunden um eine relative solvente Untergruppe in der Gesamtgruppe der<br />

Pflegebedürftigen handelt, die in der Lage zu sein scheint finanzielle<br />

Eigenverantwortung zu übernehmen, und deshalb ihre Interessen unter dem Primat<br />

der Ökonomie, das in dieser Einrichtung herrscht, durchsetzen kann. Ein Teil der<br />

Interessenwahrung von Kunden geschieht, wie gezeigt, trotzdem auf Kosten der<br />

Mitarbeiter. Zum Vergleich wäre eine weitere Empirie nötig, in einem Unternehmen,<br />

das eine weniger solvente Gruppe von Pflegebedürftigen <strong>als</strong> Kunden anspricht.<br />

Der Fokus in dieser Arbeit wurde auf soziale Aspekte der Wirtschafts- und<br />

Unternehmensethik gelegt. Dies geschah aufgrund der benannten dringenden<br />

Herausforderungen speziell für die Pflegewirtschaft. Wenn es um die Interessen von<br />

Kunden und Mitarbeitern von Pflegeunternehmen geht, ist hinsichtlich der<br />

Unternehmensethik auch die Pflegeethik relevant. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die<br />

Beachtung ökologischer Aspekte. Eine Vertiefung in diesen Bereichen war im<br />

begrenzten Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht möglich.<br />

35!


A1<br />

Anhang<br />

Anhang 1<br />

Der Begriff der „unsichtbaren Hand“ geht auf den Moralphilosophen Adam Smith<br />

zurück. Mittlerweile ist die unsichtbare Hand zum geflügelten Wort geworden, und<br />

Smiths Schriften werden mitunter auf verkürzte theoretische Hintergründe des<br />

Terminus reduziert. Wie Sedlácek belegt, taucht die „unsichtbare Hand“ jedoch im<br />

gesamten Werk Smiths nur drei mal auf. Smith betrachtete den Menschen <strong>als</strong> ein<br />

vorwiegend soziales Wesen. Im Gegensatz zu rational-ökonomischen Theoretikern<br />

ging er davon aus, dass das Gefühl von Verbundenheit mit anderen Menschen eine<br />

tragende Rolle in dessen Entscheidungsprozessen spiele. (Vgl. dazu Sedlácek, 2012,<br />

S. 247 ff.)<br />

Anhang 2<br />

Zur Begrifflichkeit: Oft ist in der Unternehmensethik die Rede von der Übernahme<br />

sozialer Verantwortung. Diese Wendung wird mitunter fast synonym für eine<br />

unternehmensethische Praxis benutzt. Dies ergibt sich aus der beschriebenen<br />

Grundhaltung, dass Individuen und Organisationen ihre gesellschaftliche Legitimation<br />

durch die Übernahme von Aufgaben und Verantwortung erhalten. Im Hinblick auf die<br />

Wirtschaft beschreibt der Sozialethiker Arthur Rich 1 das „Verantwortlichsein des<br />

Menschen im Umgang mit dem Menschen, sei es der ‚eigene‘ oder sei es der ‚andere‘<br />

Mensch, sowie mit allem, was zum Menschsein gehört“ <strong>als</strong> Gegenstand der Ethik.<br />

Auch das Wort Nachhaltigkeit findet sich oft in unternehmensethischen<br />

Überlegungen. Hierbei geht es auch um Verantwortung, und zwar um die<br />

Verantwortung für den Erhalt von Umwelt- und Wirtschaftsressourcen für zukünftige<br />

Generationen.<br />

Der Begriff Nachhaltigkeit wird nicht nur inflationär, sondern oft ungenau benutzt.<br />

Nachhaltigkeit wird oft auf (vermeintlichen) Umweltschutz reduziert. Requate 2 stellt im<br />

Übrigen dar, wie schwierig es ist, die Nachhaltigkeit zur Norm zu erheben, weil die<br />

Interessen zukünftiger Generationen unbekannt und schwer vertretbar, sowie die<br />

ethische Haltung zum Erhalt von Ressourcen doch abhängig von den Präferenzen der<br />

gegenwärtigen Generation sei.<br />

1 Rich, 1984, S. 41<br />

2 vgl. Requate in Kaatsch und Rosenau, S. 155f.


A2<br />

Anhang 3<br />

Anhang 4<br />

Grundlagen der Ethik<br />

Moderne Wirtschafts- und Unternehmensethiker bauen ihre Theorien auf dem<br />

Fundament der Philosophie der letzten zweieinhalbtausend Jahre auf. Manche<br />

Theorien und Ansätze aus dieser Zeit sind dabei besonders einflussreich. Ihr<br />

Verständnis ist für die Entwicklung eines wirtschafts- oder unternehmensethischen<br />

Standpunktes hilfreich. Sie sollen deshalb im Folgenden kurz vorgestellt werden.<br />

Begriffsklärung<br />

Ethik ist ein Teilgebiet der Philosophie. Ethos ist das griechische Wort für Sitte. Ethik ist<br />

<strong>als</strong>o Sittenlehre. Sie erforscht die Qualität menschlichen Handelns und ist deshalb der<br />

praktischen Philosophie zugeordnet. Ethik beobachtet, beschreibt und interpretiert das<br />

Handeln (deskriptiver Ansatz) und sie sucht nach Begründungen und Legitimation für<br />

das richtige Handeln (normativer Ansatz), um Normen und Regeln daraus ableiten zu<br />

können. 3<br />

3 Karmasin & Litschka, 2008, S. 14


A3<br />

In der modernen Ethik herrscht die Auffassung vor, dass der Mensch vernünftigen<br />

Argumenten zugänglich ist, und die Fähigkeit zur Reflexion besitzt. Mit diesen<br />

Voraussetzungen beeinflusst und gestaltet er die Regeln seines eigenen Handelns.<br />

Religion, Tradition oder politische Autoritäten gelten in der modernen Ethik dagegen<br />

nicht <strong>als</strong> letzte Instanzen der Moral. 4<br />

In Abgrenzung zur Ethik sprechen wir von Moral, wenn ethische Überlegungen auf der<br />

Handlungsebene Anwendung finden.<br />

Werte und Normen spielen eine grundlegende Rolle in der Ethik. Werte sind<br />

handlungsleitende Auffassungen über die Wirklichkeit, die mit wünschenswerten Zielen<br />

verbunden sind 5 . Dazu gehören große Ziele wie Gerechtigkeit, Freiheit, Fairness und<br />

Gleichheit 6 , die auch in der Wirtschaftsethik Bedeutung haben. Normen sind<br />

Handlungsanleitungen, Regeln, die sich aus Wertvorstellungen ergeben 7 . Sie geben<br />

darüber Auskunft, was zu tun oder zu lassen ist 8 .<br />

Der moralische Standpunkt<br />

Es gibt unterschiedliche Systematiken, zur Einteilung der Ethik nach bestimmten<br />

Grundhaltungen. Sie unterscheiden sich durch die Kriterien, die zur Bestimmung des<br />

moralisch Richtigen und Guten führen.<br />

Eine wichtige Unterscheidung ist die zwischen Deontologie und Teleologie.<br />

Unterschieden wird hier, ob der moralische Fokus, der „moral point of view“ 9 auf der<br />

Handlung <strong>als</strong> solcher (Deontologie), oder auf den Folgen der Handlung (Teleologie)<br />

liegt.<br />

Deontologie<br />

Das Wort Dentologie stammt vom griechischen to deon , zu deutsch die Pflicht, das<br />

Nötige. Nach Ansicht der Deontologen, ist das wichtigste Kriterium für moralisches<br />

Handeln, ob das Handeln <strong>als</strong> solches moralisch ist. 10 So kann eine Handlung aus<br />

deontologischer Sicht richtig sein, auch wenn ihre absehbare Konsequenz <strong>als</strong> nicht<br />

wünschenswert erscheint. In den philosophischen Ideen der alten Griechen, sind es<br />

4 vgl Herold, 2012, S. 9<br />

5 vgl. Karmasin und Litschka, S. 13, Noll, 2002, S. 8, und Müller, Halder (Hrsg), 1976, S. 302<br />

6 ebd., S. 54<br />

7 ebd., S. 13 und Dietzfelbinger, 2008, S. 67<br />

8 Ahlrichs, 2012, S.28<br />

9 vgl. Herold, 2012, S. 79<br />

10 vgl. Herold, 2012, S. 52


A4<br />

die Stoiker, die diese Haltung vertreten. 11 Die Moral einer Handlung hing bei ihnen<br />

ausschließlich von der Handlung selbst ab. Die Auswirkungen unterstanden dem<br />

Einfluss des Schicks<strong>als</strong>. In der neuzeitlichen Philosophie ist Immanuel Kant<br />

(1724-1804) der bedeutendste Vertreter dieser Strömung. Sein Denken bestimmt die<br />

europäische Aufklärung. Kant beschreibt den verstandesgeleiteten Willen <strong>als</strong><br />

wichtigstes Instrument der Moral 12 . Mit dem Verstand ist der Mensch in der Lage,<br />

seinen Willen zu steuern. Das macht ihn zum autonomen Wesen. Die Qualität des<br />

Willens entscheidet dabei über die moralische Güte einer Handlung. Sie ist davon<br />

abhängig, ob dem Willen eine (natürliche) Neigung zu Grunde liegt - dann wäre er<br />

moralisch wertlos, oder ob der Wille vom Verstand gesteuert ist. Nur der Wille, der<br />

unabhängig von unseren Neigungen oder Fähigkeiten ist, hat die Qualität, die zu<br />

moralischer Handlung führt. So ist der Mensch gehalten, seine Vernunft zu benutzen.<br />

Das moralische Gebot, dass sich aus dieser Haltung ergibt hat die Form des so<br />

genannten kategorischen Imperativs, der dafür sorgt, dass die Regel die zu<br />

moralischem Verhalten führt, bedingungslos ist. Sie besagt, dass die Maximen unseres<br />

Handelns daraufhin zu überprüfen sind, ob sie <strong>als</strong> allgemeines Gesetz taugen. Damit<br />

kann jede Norm moralisch überprüft werden. Nur diejenige Verhaltensregel kann<br />

moralisch bestehen, die in keiner anderen denkbaren Situation unmoralisch erscheinen<br />

könnte. Der große Einfluss Kants auf das aufgeklärte Denken, erklärt sich aus der<br />

Chance, die für den Menschen aus dieser Theorie entsteht: Die Freiheit und die<br />

Würde, sich selbst Gesetze zu geben, und die Tatsache, dass ihm Beides nicht<br />

genommen werden kann 13 .<br />

In der praktischen Philosophie unterscheidet man die Handlungs- von der<br />

Regeldeontologie. Die Handlungsdeontologen betonen die Einmaligkeit von<br />

Situationen. Damit sind die Pflichten die der moralischen Handlung zu Grunde liegen<br />

von Fall zu Fall unterschiedlich. Dadurch entsteht ein Handlungsspielraum, der<br />

Entscheidungen erfordert. Allerdings lassen sich die meisten Situationen untereinander<br />

vergleichen und nach Kriterien in Gruppen zusammenfassen. Regeldeontologen sehen<br />

Pflichten <strong>als</strong> Norm für Handlungen situationsunabhängig. 14<br />

Teleologie<br />

Die Teleologen gehen davon aus, dass die Folgen einer Handlung bestimmen, ob die<br />

Handlung <strong>als</strong> solche moralisch ist. Die Herkunft des Wortes Teleologie stammt<br />

ebenfalls aus dem griechischen. Dort bedeutet télos soviel wie Zweck und auch Ziel.<br />

Das Augenmerk liegt <strong>als</strong>o auf der Konsequenz einer Handlung, weshalb diese Haltung<br />

11 vgl. Sedlácek, 2012. S.163 f<br />

12 vgl. Großklaus-Seidel 2002, S. 45 ff, Norman E. Bowie in Aßländer (Hrsg.), S. 137ff.<br />

13 vgl. Herold, 2012. S. 60<br />

14 Herold, 2012, S. 53


A5<br />

<strong>als</strong> konsequentialistisch bezeichnet wird. Anders <strong>als</strong> in der Deontologie, kann eine<br />

unmoralisch motivierte Handlung eine moralisch wünschenswerte Folge zeigen.<br />

Egoismus zum Beispiel, der <strong>als</strong> solcher in unserem Kulturkreis moralisch keinen hohen<br />

Stellenwert geniesst, kann in der einzelnen Handlung eine positive Wirkung haben, die<br />

diese aus teleologischer Sicht moralisch legitimieren würde. Im alten Griechenland<br />

waren es die Hedonisten, die so dachten. 15 Der Nutzen einer Handlung bestimmte für<br />

sie deren Moralität. Wobei die Nutzeneinschätzung vom persönlichen Urteil des<br />

Individuums abhing. Nutzen war dabei gleichgesetzt mit Lust, die körperlich oder<br />

intellektuell empfunden werden konnte. Dahinter stand u. a. die Auffassung, dass<br />

sowieso niemand die Folgen seines Handelns vollständig einschätzen könnte.<br />

Allerdings hatten die Hedonisten dabei die Vorstellung von einem rational handelnden<br />

Menschen, der bedenkt, dass seine Taten auch auf längere Sicht einen Nutzen bringen<br />

sollten.<br />

Im aufgeklärten Europa sind es die Utilitaristen, die die teleologische Tradition wieder<br />

beleben. Der Begriff Utilitarismus leitet sich vom lateinischen utilitas ab, das so viel<br />

bedeutet wie Nutzen und Vorteil. Jeremy Bentham (1748-1832) gilt <strong>als</strong> Begründer<br />

dieser Schule. „By the principle of utility is meant that principle which approves or<br />

disapproves of every action whatsoever, according to the tendency which it appear to<br />

have to augment or diminish the happiness of the party whose interest is in question.<br />

[ ...]By utility is meant that property in any object, whereby it tends to produce benefit,<br />

advantage, pleasure, good or happiness.“ 16 „Das größte Glück, der größten Zahl“ 17<br />

war für ihn ausschlaggebend, wenn es um die Bestimmung der moralischen Qualität<br />

einer Handlung, sprich deren Folgen ging. Aber wie lassen sich die Folgen einer<br />

Handlung in Einheiten messen? Und wer bestimmt, was Glück und Wohlergehen<br />

bedeutet? Diese Fragen werden auch von John Stuart Mill (1806-1873) nicht<br />

beantwortet, der den quantitativen Ansatz Benthams qualitativ erweitert, vor allem in<br />

dem er zwischen sinnlichen und geistigen Freuden unterscheidet 18 .<br />

Interessanter erscheint es, zu unterscheiden um wessen Nutzen es geht. So steht<br />

beim Individualutilitarismus das Wohl des Einzelnen, beim Sozialutilitarismus das Wohl<br />

der Allgemeinheit im Vordergrund 19 . Herold 20 bezeichnet den Individualutilitarismus <strong>als</strong><br />

15 Vgl. Sedlácek, 2012, s.164 f.<br />

16 Bentham in Burns & Hart (Hrsg), 1982, S. 2 f. (Mit dem Prinzip des Nutzens ist jenes Prinzip<br />

gemeint, das jede beliebige Handlung befürwortet oder ablehnt, entsprechend ihrer Tendenz, mit der sie<br />

das Glück derjenigen Gruppe um deren Interessen es geht zu vermehren oder zu vermindern scheint […]<br />

Mit ‚Nutzen‘ ist diejenige Eigenschaft eines Objekts gemeint, durch die es dazu neigt, Wohlergehen,<br />

Vorteil, Freude, Gutes oder Glück zu schaffen.)<br />

17 Karmasin und Litschka, 2008, S. 62<br />

18 vgl, Keul & Schumann in Aßländer (Hrsg.), 2011, S.15<br />

19 Karmasin und Litschka, 2008, S. 63<br />

20 Herold, 2012. S. 66 ff.


A6<br />

rationalen Egoismus. „Er [der rationale Egoist] ist klug genug zu erkennen, dass er die<br />

Interessen anderer einkalkulieren muss“ 21 . Moralisches Handeln in Foge persönlicher<br />

Nutzenerwägung entsteht <strong>als</strong>o nur unter der Voraussetzungen von Rationalität.<br />

Setzen wir das Wohl den Interessen der Allgemeinheit gleich, dann finden sich<br />

sozialutilitaristische Gedanken bei den Kommunitaristen wieder. Diese abstrahieren,<br />

bei der Gestaltung von Normen vom Handeln und Wollen des Individuums zu Gunsten<br />

des Wollens der Gemeinschaft. Individuelle Entfaltung muss in Abstimmung mit den<br />

Interessen der Allgemeinheit erfolgen, das heißt mit der sozialen Gruppe, in die der<br />

Einzelne hineingeboren, und von der er abhängig ist. 22 Einzelne dürfen in ihren<br />

Interessen dabei geschädigt werden.<br />

Diskussion von Deontologie und Teleologie<br />

Vergleicht man beide Modelle, hat das teleologische zunächst den Reiz des<br />

Machbaren. Die Erfahrung zeigt, dass der Mensch egoistisch ist, und seinen Vorteil<br />

sucht. Einige Menschen behaupten sogar, noch jeder altruistische Funke sei egoistisch<br />

bedingt. Um dem moralisch zu begegnen, fordert Kant einen mächtigen Verstand vom<br />

Menschen. Dieser Verstand gibt ihm die Freiheit, sein Handeln zu gestalten. Freiheit<br />

wollen alle. Aber ist der Mensch in der Lage sie zu erfahren, in dem er seinen Verstand<br />

so benutzt wie Kant es fordert? Entspricht das dem Menschsein? Schon der<br />

hedonistische Epikur (ca. 341-270 v. Chr.) hat erkannt, dass kein Mensch in der Lage<br />

ist, die Folgen seines Handelns vollständig abzusehen. Was spricht <strong>als</strong>o dagegen, den<br />

Fokus auf die Handlungsfolgen zu legen? Was ist unmoralisch an einem moralischen<br />

Ergebnis; an Nutzen, Lust, Glück und Wohlergehen? Offensichtlich gar nichts. Doch<br />

wer definiert den Nutzen? „Was dem einen sein‘ Freud, ist dem anderen sein Leid“,<br />

weiß der Volksmund. Was ist das Gute, dass durch eine Tat entstehen soll? Und wie<br />

viel Gutes ist ein Nutzen? Wenn Interessen kollidieren: Wessen Nutzen hat Vorrang?<br />

Und endlich: was entspricht dem Menschsein? Gibt es wirklich nur den egoistisch<br />

motivierten Antrieb? Haben Menschen nicht auch andere Beweggründe?<br />

Weder Teleologie noch Deontologie können den Anspruch auf Alleingültigkeit erheben.<br />

Je nach persönlicher Disposition und Situation, wird die eine oder die andere Theorie<br />

überzeugender wirken. Für die Praxis scheint es wichtig, sich mit beiden Ansätzen<br />

beschäftigt zu haben, um einen Standpunkt entwickeln und vertreten zu können.<br />

Tugendethik<br />

Die Tugendethik ist ein eigenständiger ethischer Ansatz. Gleichzeitig schafft sie eine<br />

Verbindung zwischen Deontologie und Teleologie. Auch Sie hat ihren Ursprung im alten<br />

21 Herold, 2012. S. 67<br />

22 Karmasin & Litschka, 2008, S.90 f.


A7<br />

Griechenland. Platon war ihr Begründer und Aristoteles verhalf ihr in seiner praktischen<br />

Lehre vom guten Leben zum Durchbruch 23 .<br />

Auch für Aristoteles, ist der Nutzen einer Handlung von großem Interesse. Der Nutzen<br />

ist ein Nebenprodukt auf dem Weg zum Ziel einer Handlung. Das Gute liegt im Ziel<br />

selbst. Dieses wird durch den Einsatz von Tugend erreicht. Eine der Grundideen von<br />

Tugend ist für Aristoteles die Mäßigung. „...das Schlechte gehört ja zum<br />

Unbegrenzten ... das Gute aber zum Begrenzten. ... Auch aus diesem Grunde gehört<br />

demnach das Übermaß und der Mangel dem Laster an, die Mitte aber der Tugend“ 24 .<br />

Aristoteles definiert die Tugend <strong>als</strong> „eine Haltung, die der Einzelne seinen<br />

Leidenschaften gegenüber einnimmt, eine Einstellung, die sich zwar auf seine<br />

Begierden und Affekte bezieht, jedoch durch Übung, Erziehung und Gewöhnung zum<br />

Bestandteil seines Charakters geformt wird, aus dem heraus er lebt und handelt.“ 25<br />

Klugheit, Tapferkeit, Besonnenheit und Gerechtigkeit galten Aristoteles <strong>als</strong><br />

Kardinaltugenden. 26 Tugendhaftigkeit ist in diesem Sinne ein aktiver Vorgang. Man<br />

muss sich bemühen, um das gute Leben.<br />

Unsere Gegenwart ist von großer Unübersichtlichkeit und hohem Veränderungstempo<br />

geprägt. In diesem Zustand können feste Regeln in ihrer moralischen Wirkung<br />

versagen. Herold bescheinigt der Tugendethik, die sich an die Verantwortung und an<br />

die Vernunft des Einzelnen wendet, deshalb eine Renaissance 27 . „Unabhängig von der<br />

favorisierten Lebensform gilt, dass wir bestimmte Tugenden brauchen, um unser<br />

Lebensziel zu verwirklichen und um die Werte zu realisieren, die das Leben zu einem<br />

guten Leben machen sollen.“ 28 Die Tugendethik verzichtet auf die Kriterien<br />

deontologischer und teleologischer Modelle. Sie stellt aber die Möglichkeit eines<br />

angemessenen Handelns in unterschiedlichen Situationen mit unterschiedlichen<br />

ethischen Herausforderungen in Aussicht. 29 Der Gebrauch von Tugenden führt zu<br />

moralischem Handeln. Tugenden sind Haltungen und Charaktereigenschaften, die<br />

tauglich sind (Tugend stammt vom deutschen Wort taugen ab). Welche Tugend in einer<br />

Situation tauglich, und damit erforderlich ist, hängt nicht nur von der Situation ab,<br />

sondern auch von den gesellschaftlichen und kulturellen Umständen. Die Tugendethik<br />

ist methodisch kohärent und sie verbindet den kontextuellen Aspekt der Teleologie mit<br />

der deontologisch begründeten Pflicht, die aber in der Tugendethik nicht für sich steht,<br />

23 vgl. Sedlácek, 2012, S. 154 f.<br />

24 Aristoteles in Nikomachische Ethik, zitiert von Sedlácek, 2012, S. 161<br />

25 Keul & Schumann in Aßländer (Hrsg.), 2011, S.12<br />

26 vgl. Herold, 2012, S. 47<br />

27 vgl. Herold, 2012 S. 50 f.<br />

28 Herold, 2012, S. 47<br />

29 vgl. Herold, 2012, S. 47


A8<br />

sondern flexibler und handhabbarer wird. Ihre Zielorientierung fordert zu<br />

Entscheidungen auf, die sowohl dem Handelnden, <strong>als</strong> auch der Situation gegenüber<br />

angemessen sein sollen. Herold beschreibt eine „Affinität der Tugendethik zum Bereich<br />

der Wirtschaft“. Sie setze bei „unserem Alltagsverständnis von Moral“ an, erhebe nicht<br />

„abstrakte moralische Forderungen“, sondern knüpfe „bei den Maßstäben, gängigen<br />

Standards und Erwartungen in der gegenwärtigen Gesellschaft an.“ 30<br />

Anhang 5<br />

Das bekannteste Beispiel der Spieltheorie ist das Gefangenendilemma:<br />

Zwei Verbrecher, A und B, sitzen im Gefängnis. Die Staatsanwaltschaft schlägt ihnen<br />

vor ihrer Gerichtsverhandlung folgenden Handel vor: Wenn einer gesteht und<br />

zusätzlich seinen Komplizen belastet, dann erhält derjenige <strong>als</strong> Strafe ein Jahr Haft,<br />

und sein Komplize 5 Jahre. Verraten sich A und B gegenseitig, dann erhalten beide<br />

eine Haftstrafe von je vier Jahren. Schweigen beide, wird jeder von ihnen mit zwei<br />

Jahren Haft bestraft.<br />

B verrät A nicht<br />

B verrät A<br />

A verrät B nicht A: 2 Jahre, B: 2 Jahre A: 5 Jahre, B: 1 Jahr<br />

A verrät B A: 1 Jahr, B: 5 Jahre A: 4 Jahre, B: 4 Jahre<br />

A weiß zwar, dass beide am besten beraten wären, wenn sie dicht hielten. Er weiß<br />

aber erstens nicht, ob B schlau genug ist, um das zu erkennen und sich<br />

dementsprechend zu verhalten, und zweitens vertraut er B auch nicht. Denn A weiß: B<br />

könnte versuchen A‘s Kooperationsbereitschaft mit B auszunutzen. B könnte A<br />

verraten. Wenn A dann vorher geschwiegen hätte, dann würde das mit 5 Haftjahren<br />

den für ihn ungünstigsten Ausgang bedeuten. A wird B deshalb verraten. Die gleichen<br />

Überlegungen wird B über A anstellen. B wird deshalb A auch verraten. So erhalten<br />

beide vier Jahre Haft, obwohl sie die Möglichkeit gehabt hätten, mit jeweils zwei Jahren<br />

davonzukommen.<br />

Das bedeutet: Jeder einzelne von den beiden hat das günstigste Ergebnis verfehlt.<br />

Darüber hinaus haben sie gemeinsam gesehen, das ungünstigste Ergebnis erhalten,<br />

das möglich war. Zusammen gerechnet sitzen sie acht Jahre im Gefängnis, doppelt so<br />

lange, wie es nötig gewesen wäre.<br />

30 Herold, 2012, S. 50


A9<br />

Anhang 6<br />

Kooperationen der Unternehmen unterteilt Wieland in Intra-Team-, Inter-Team und<br />

Extra-Team-Kooperationen. Intra- und Inter-Team-Kooperationen sind marktbezogen.<br />

Extra-Team-Kooperationen sind nicht marktbezogen. Intra-Team-Kooperationen<br />

verlaufen innerhalb der Organisationsstrukturen eines Unternehmens, Inter-Team-<br />

Kooperationen verlaufen zwischen Unternehmen. Die folgende Tabelle enthält<br />

Stichworte zu den jeweiligen Themen der drei Kooperationsformen und ist in leicht<br />

gekürzter Form abgebildet 31 .<br />

Intra-Team<br />

Organisation/ Markt<br />

Inter-Team<br />

Markt/Organisation<br />

Extra-Team<br />

Gemeinde/Welt<br />

Leistungser<br />

-stellung<br />

• Produktion<br />

Sicherheit,<br />

Umwelt, Medien)<br />

• Produkt<br />

(Sicherheit,<br />

Information)<br />

• Kapital<br />

(Information,<br />

Kontrolle)<br />

• Personal<br />

(Kompetenz,<br />

Diversity,<br />

Kontrolle,<br />

Temporalisierung)<br />

• Netzwerke<br />

(Vertrauen,<br />

Integrität)<br />

• Strategi-sche<br />

Allianzen<br />

• Joint Ventures<br />

• Lizenzver-träge<br />

• Legitimierung<br />

moralisch<br />

sensibler<br />

Produkte<br />

(Zigaretten,<br />

Alkohol,<br />

Rüstung)<br />

• Legitimie-rung<br />

moralisch<br />

sensibler<br />

Produktionstechno-lgien<br />

(Risiko,<br />

Ökologie)<br />

Beschaffung/<br />

Absatz<br />

• Netzwerke<br />

• Strategische<br />

Allianzen<br />

• Joint Ventures<br />

• Franchising<br />

• Lizenzver-träge<br />

• Mitarbeiterorientierung<br />

• Kundenorientierung<br />

(Qualität,<br />

Serviceversprechu-ngen,<br />

Garantieversprechu-ngen)<br />

• Partnerorientierung<br />

(Just in<br />

time)<br />

• Wettbewerb<br />

(Korruption,<br />

Fairness)<br />

• Legitimierung<br />

moralisch<br />

sensibler<br />

Transaktio-nen<br />

(Menschenrechte,<br />

Entwicklungsrechte,<br />

Ökologie)<br />

• Legitimie-rung<br />

moralisch<br />

sensibler<br />

Standortentschei-dungen<br />

(Regionalisierung,<br />

Globalisie-rung<br />

31 Tabelle entnommen aus: Wieland in Ulrich & Wieland, 1999, S. 35


Anhang 7<br />

A10


A11<br />

Anhang 8<br />

Interviewleitfaden<br />

Einleitung<br />

Thema der BA-Arbeit: Wege in die Unternehmensethik. Ethische/Wirtschaftsethische<br />

Theorie. Als Blick in die Wirklichkeit und <strong>als</strong> Anregung für Unternehmen: Beispielhaft:<br />

Wo gibt es im Unternehmen Ansatzpunkte für Unternehmensethik.<br />

Ziel des Interviews: Herausfinden, wo Ethik in diesem Unternehmen in der Praxis ein<br />

Rolle spielt, ob Themen der Unternehmensethik schon bearbeitet werden, ohne dass<br />

es „Unternehmensethik“ genannt wird. Herausfinden, welche Situationen im<br />

Unternehmensalltag ethisch herausfordernd sind.<br />

Anonymisierung<br />

Zustimmung zur Aufzeichnung<br />

Einstimmung<br />

Seit wann arbeiten Sie im Unternehmen<br />

Was ist Ihre Aufgabe im Unternehmen<br />

Wie viele MA gehören zu Ihrem Verantwortungsbereich<br />

Hauptteil<br />

1: formeller Umgang mit Ethik<br />

gibt es einen Bezug zum Thema Unternehmensethik / Übernahme gesellschaftlicher<br />

Verantwortung / Nachhaltigkeit<br />

in der U-Vision<br />

im Leitbild<br />

Unternehmenskultur<br />

! formell festgeschrieben.<br />

2: Übertragung in die Wirklichkeit der Mitarbeiter im Unternehmen allgemein<br />

Wissen die MA davon?<br />

Haben Sie das Gefühl, diese Werte werden von den MA gelebt?


Gibt es ein Bemühen ethische Kompetenzen im Unternehmen zu fördern (Schulung,<br />

Training, Vorleben der Führungskräfte)<br />

A12<br />

3: Ethische Herausforderungen und Umgang mit Situationen in denen ethische<br />

Herausforderungen eine Rolle spielen in Ihrem persönlichen Arbeitsbereich<br />

Wo kommen Sie selbst in Ihrem Arbeitsgebiet mit ethischen Themen in Berührung?<br />

Welche Strukturen und Ressourcen stehen Ihnen zur Verfügung um mit diesen<br />

Konflikten umzugehen?<br />

• Gibt es kommunikative Strukturen, zuständige Mitarbeiter, zeitliche und<br />

finanzielle Ressourcen?<br />

•<br />

• Gibt es Standards zum Umgang mit ethischen Themen?<br />

• Werden Standards eingehalten?<br />

• Wird die Einhaltung von Standards kontrolliert?<br />

In wie weit sind die in 1 genannten formellen Werte in der täglichen Arbeit und für<br />

übergeordnete Entscheidungen bindend?<br />

Wurde eine Ethik-Komitee, Ethik-Café o. ä implementiert?<br />

4: Unternehmensethik: Beachtung von Interessen von Menschen die auf<br />

unterschiedliche Art und Weise von der Aktivität des Unternehmens betroffen<br />

sind. Auswirkungen unternehmensethischen Handelns für gesellschaftliche<br />

Gruppen.<br />

Welche Rolle spielen die Interessen folgender Gruppen in Ihrem Unternehmen?<br />

• Mitarbeiter (was tun Sie für Ihre MA, Ausbildung, Familienfreundlichkeit,<br />

Gesundheit, Anerkennung, Möglichkeiten zur Beteiligung an der<br />

Entwicklung des Unternehmens, Ideen, Umgang mit Kritik)<br />

• Kunden (Leistungsqualität, Einbeziehung von Erwartungen und Bewertung<br />

der Bewohner und deren Angehöriger)<br />

! externe Kunden:<br />

• Soziales (Engagement, Spenden, Regelungen für soziale Härtefälle?)<br />

• Umwelt (umweltfreundliche Produkte zur Leistungserstellung)


A13<br />

• Lieferanten (Kontrolle von/Hilfe bei der Beachtung sozialer und ökologischer<br />

Aspekte)<br />

• Kooperationspartner<br />

• Geschäftspartner<br />

• (Verbände (Schaffung einer Rahmenordnung, freiwillige Selbstverpflichtungen))<br />

s. Punkt 5<br />

5: Verhältnis Ethik und Ökonomie<br />

!Manchmal möchte man sich ethisch verantwortungsvoll verhalten, aber es scheint<br />

ökonomisch nicht möglich. Dilemma-Situationen. Welchen Stellenwert hat in solchen<br />

Dilemmasituationen die Ethik, bzw. die Ökonomie?<br />

Gibt es Situationen in denen Sie einen ökonomischen Spielraum haben, wenn es um<br />

ethische Entscheidungen geht?<br />

In wie weit sind Sie in der Lage ökonomisch ungünstige Entscheidungen zu treffen,<br />

wenn dies ethisch notwendig scheint?<br />

6: Veränderungsprozesse:<br />

!Unternehmen die auf der Suche nach einem Weg zur Übernahme<br />

unternehmensethischer Verantwortung sind, wollen ja offenbar etwas anders machen<br />

<strong>als</strong> bisher, und müssen auch in der Lage sein, auf Bedürfnisse der Gesellschaft<br />

einzugehen. Das erfordert, dass diese Unternehmen Veränderungen initiieren und<br />

umsetzen können müssen.<br />

Welche Rolle spielen Veränderungen in Ihrer Arbeit,<br />

Welchen Stellenwert messen Sie Veränderungen zu?<br />

Woher bezieht das Unternehmen Impulse zur Veränderung?<br />

Oder Sie selbst: woher beziehen Sie diese Impulse in Ihrer Arbeit?<br />

Gibt es vorgesehene Strukturen für den Umgang mit Veränderung?<br />

Welche?<br />

Welche Rolle spielt dabei die Hierarchie?<br />

7:Engagement für unternehmerische Rahmenordnung<br />

! um eine Rahmenordnung zu schaffen, in der es überhaupt möglich ist, sich<br />

moralisch zu Verhalten <strong>als</strong> Unternehmen ohne seine Existenz aufs Spiel zu setzen, ist<br />

die Rahmenordnung von Bedeutung. Es gibt die Möglichkeit für Unternehmen sich<br />

dahingehend zu engagieren.


A14<br />

Engagiert sich Ihr Unternehmen für die Gestaltung einer Rahmenordnung?<br />

Verbandsarbeit? Lobbyarbeit?<br />

Gibt es dazu Diskussionen hausintern oder mit der nächst höheren Ebene?<br />

8: persönliche Wünsche für den Bereich Übernahme unternehmensethischer<br />

Verantwortung<br />

In welchen Bereichen würden Sie gerne mehr ethische Verantwortung übernehmen?<br />

In welchen Bereichen wäre das Ihrer Ansicht nach besonders nötig?<br />

9:<br />

Möchten Sie noch etwas hinzufügen?<br />

Abschluss<br />

Fragen des Interviewpartners an mich?<br />

Dokumente zum Thema?<br />

Dank.


A15<br />

Anhang 9<br />

Die Kriterien in der Übersicht:<br />

1.Offizielles Bekenntnis zu Unternehmensethik<br />

2.Führungskultur<br />

3.Kommunikation<br />

3.1. Kommunikation mit Mitarbeitern<br />

3.2. Kommunikation mit Kunden<br />

3.3. Kommunikation mit anderen gesellschaftlichen Gruppen<br />

4.Diskurs<br />

4.1. Bereitschaft zum Diskurs<br />

4.2. Befähigung zum Diskurs<br />

5. Hierarchie<br />

6. Erneuerungs- und Veränderungsmanagement<br />

7. Primat der Ethik oder der Ökonomie in Entscheidungssituationen<br />

8. Strukturen, die ethische Entscheidungen in Dilemmasituationen erleichtern<br />

9. Engagement für die Rahmenordnung<br />

10. Projektarbeit


Literaturverzeichnis<br />

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Unternehmensethische Impulse für die Sozialwirtschaft, Springer VS, Wiesbaden 2012<br />

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Unternehmensethik in Aßländer, Michael S. (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsethik,<br />

Metzler‘sche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart, 2011<br />

Aßländer Michael S., Ordnungstheoretischer Ansatz (Karl Homann), in Aßländer,<br />

Michael S. (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsethik, Metzler‘sche Verlagsbuchhandlung,<br />

Stuttgart, 2011<br />

Aßländer, Michael S., Republikanischer Ansatz (Horst Steinmann und Albert Löhr), in<br />

Aßländer, Michael S. (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsethik, Metzler‘sche<br />

Verlagsbuchhandlung, Stuttgart, 2011<br />

Bauer, N. et al., »Management-by-heartbeat mache ich hier nicht!« Ethisches Handeln<br />

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Benedicta (Hrsg.), Pflegemanagement zwischen Ethik und Ökonomie. Eine<br />

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Bowie, Norman E., Kantischer Ansatz, in Aßländer, Michael S. (Hrsg), Handbuch<br />

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Büscher, Martin, Marktwirtschaft und kontextuelle Ökonomie. Wirtschaftsethische<br />

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Dibelius, Olivia und Uzarewicz, Charlotte, Pflege von Menschen höherer Lebensalter,<br />

Kohlhammer Verlag, Stuttgart, 2006<br />

Dierksmeier, Klaus, Zur theoretischen Begründung der Wirtschaftsethik - ein Rück- und<br />

Ausblick, in Kaatsch, Hans-Jürgen & Rosenau, Hartmut (Hrsg.), Ethik Interdisziplinär,<br />

Bd. 6, Gesammelte Vorträge zur Ringvorlesung Wirtschaftsethik 1/2, Lit Verlag, Berlin<br />

2006<br />

Dietzfelbinger, Daniel, Praxisleitfaden Unternehmensethik. Kennzahlen, Instrumente,<br />

Handlungsempfehlungen, Gabler Verlag, Wiesbaden 2008


Goldschmidt, Nils, Ethische Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft, in Aßländer,<br />

Michael S. (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsethik, Metzler‘sche Verlagsbuchhandlung,<br />

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Großklaus-Seidel, Marion, Ethik im Pflegealltag. Wie Pflegende ihr Handeln<br />

reflektieren und begründen können, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2002<br />

Heintel, Peter & Krainz, Ewald, Projektmanagement. Hierarchiekrise, Systemabwehr,<br />

Komplexitätsbewältigung, Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler, 5. Auflage,<br />

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Herold, Norbert, Einführung in die Wirtschaftsethik, Wissenschaftliche<br />

Buchgesellschaft, Darmstadt, 2012<br />

Homann, K., Diskussionspapier Nr. 04-6: Gesellschaftliche Verantwortung der<br />

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Überlegungen, Wittenbergzentrum für Globale Ethik, Wittenberg, o. Jahresangabe<br />

Homann, Karl, Ethik und Ökonomik, in aktuelle Probleme der Wirtschaftsethik,<br />

Schriften des Vereins für Socialpolitik, Duncker & Humblot Verlag, Berlin, 1992<br />

Hug, Theo und Poscheschnik, Gerald, Empirisch Forschen, Verlag Huter & Roth, Wien,<br />

2010<br />

Krainz, Ewald, Leiden an der Organisation, in: Ratheiser, K., Menschik-Bendele, J.,<br />

Krainz, E., Burger, M., Burnout und Prävention. Ein Lesebuch für Ärzte, Pfleger und<br />

Therapeuten, Springer Verlag, Wien, 2011<br />

Keul, Hans-Klaus & Schumann, Olaf J., Grundpositionen der philosophischen Ethik, in<br />

Aßländer, Michael S. (Hrsg), Handbuch Wirtschaftsethik, Metzler‘sche<br />

Verlagsbuchhandlung, Stuttgart, 2011<br />

Kuckartz, Udo, Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Computerunterstützung,<br />

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Anforderungen an die formalen Strukturen internationaler Unternehmen, Lit Verlag<br />

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Naegler, Heinz, Management der sozialen Verantwortung im Krankenhaus. Corporate<br />

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Verlagsgesellschaft, Berlin, 2011<br />

Noll, Bernd, Wirtschafts- und Unternehmensethik in der Marktwirtschaft, Kohlhammer<br />

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Requate, Till, in Kaatsch, H.-J. und Rosenau, H., Wirtschaftsethik. Gesammelte<br />

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Sedlácek, Thomás, Die Ökonomie von Gut und Böse, Hanser Verlag München, 2012<br />

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Streeck, Wolfgang, Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen<br />

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Ulrich, Peter, Integrative Wirtschaftsethik. Grundlagen einer lebensdienlichen<br />

Ökonomie, 3. Auflage, Verlag Paul Haupt, Bern, 2001<br />

Wieland, Josef, Tugend der Governance, in Wieland, Josef (Hrsg), Die Tugend der<br />

Governance, Metropolis Verlag, Marburg, 2006<br />

Wieland, Josef, Wie kann Unternehmensethik praktiziert werden? Aufgabenfelder und<br />

strategische Anknüpfungspunkte, in: Ulrich, P. und Wieland, J., Unternehmensethik in<br />

der Praxis. Impulse aus den USA, Deutschland und der Schweiz, 2. Auflage, Verlag<br />

Paul Haupt, 1999<br />

Ulrich, Peter, Worauf kommt es in der ethikbewussten Unternehmensführung an?<br />

Integrative Unternehmensethik in fünf Thesen, in Ulrich, P. und Wieland, J.,<br />

Unternehmensethik in der Praxis. Impulse aus den USA, Deutschland und der<br />

Schweiz, 2. Auflage, Verlag Paul Haupt, Bern, 1999<br />

Quellen aus dem Internet:<br />

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in Bundeszentrale für politische Bildung, Soziale Marktwirtschaft,<br />

http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/politiklexikon/18224/soziale-marktwirtschaft<br />

Letzter Zugriff 3. Juni 2013


T1<br />

Transkript des Interviews mit dem Einrichtungsleiter<br />

B: Befragende<br />

E: Einrichtungsleiter MA=Mitarbeiter<br />

(Die Nummern vor den einzelnen Absätzen dienen der Zuordnung von Inhalten und Zitaten in den<br />

weiteren Auswertungsschritten.)<br />

1B: Seit wann arbeiten Sie im Unternehmen?<br />

2E: Seit dreieinhalb Jahren:<br />

3B: Was ist Ihre Aufgabe im Unternehmen?<br />

4E: Ich bin der Einrichtungsleiter. Ich habe die Gesamtverantwortung für das ganze<br />

Haus - Budgetverantwortung, Personalverantwortung, Qualitätsverantwortung,<br />

Prozessverantwortung, Verantwortung für die ganze Betriebsführung des Hauses.<br />

5B: Wie viele Mitarbeiter gehören zu Ihrem Verantwortungsbereich?<br />

6E: ca. Hundert.<br />

7B: Im ersten Fragenblock geht es um den formellen Umgang mit Unternehmensethik.<br />

Ich würde gerne wissen, ob Sie das Thema Unternehmensethik in ihrem Haus an<br />

irgendeiner Stelle formell verankert haben. Also in der Unternehmensvision, im<br />

Leitbild, ... gibt es irgendwelche Kodizes?<br />

8E: Ich kenne keine Stelle im Unternehmen, formal, wo wir das Wort Ethik <strong>als</strong> solches<br />

gebrauchen. Das nicht, aber dennoch glaube ich, dass wir ganz viele<br />

unternehmensethische Ansätze implementiert haben, ohne es vielleicht <strong>als</strong> solches zu<br />

benennen. Also zum Beispiel, anfänglich in der Unternehmensvision. Die wird gerade<br />

aktuell bearbeitet. Wir sind ja Tochter eines börsennotierten Unternehmens, und dieses<br />

Unternehmen hat auch für seine Stakeholder kurzfristig eine Befragung gemacht, und<br />

eine Vision entwickelt gerade in Richtung auf Nachhaltigkeit. Davon abgeleitet gab es<br />

im Oktober letzten Jahres eine Strategietagung von unserem Gesamtbetrieb, wo wir<br />

uns einer Unternehmensvision annähern. Und Ziel dieser Unternehmensvision ist auch<br />

ganz klar, die Nachhaltigkeit unserer Betriebsführungen in allen Betrieben zu betonen.<br />

Insofern ist aktuell eine Unternehmensvision in Arbeit aber die ist noch nicht<br />

verschriftlicht. Auf Geschäftsführungsebene wird das gerade implementiert. Der<br />

Mutterkonzern, die AG, hat schon eine nachhaltige Unternehmensvision, jetzt wird für<br />

die Tochter, der wir angehören, eine Unternehmensvision erarbeitet, die auch den<br />

Aspekt der Nachhaltigkeit betonen will.


T2<br />

Unabhängig davon aber, auf der 2. Ebene des Unternehmensleitbildes, haben wir seit<br />

Jahren schon, ein Unternehmensleitbild, und in diesem Leitbild, denke ich, haben wir<br />

auch ganz klar unternehmensethische Ansätze... in allen vier Punkten, das Leitbild<br />

kennen Sie ja, oder können Sie sich auch noch mal angucken. Wir sagen zum einen,<br />

wir wollen zu den Besten der Branche gehören. Damit ist nicht gemeint, die<br />

wirtschaftlich Besten, sondern damit ist gemeint wirklich die Besten, <strong>als</strong>o im Sinne von<br />

qualitativ, von wirklich gut, wirklich gut auch für die Bewohner. Zweitens sagen wir, wir<br />

begegnen unseren Kunden auf einer Brücke der Wertschätzung. Es ist wichtig, dass<br />

wir eine Beziehung zum Kunden aufbauen. Drittens sagen wir, dass wir uns <strong>als</strong><br />

Gemeinschaft verstehen, gemeinsame Werte leben, dass wir uns gegenseitig<br />

respektieren. Und viertens sagen wir, dass wir glauben, dass jeder Bewohner der in<br />

unseren Häusern lebt, Entwicklungspotenzial in sich hat, und an Lebensqualität<br />

gewinnen kann. Wir zielen <strong>als</strong>o auf den Gewinn an Lebensqualität der Bewohner. Da<br />

werden <strong>als</strong>o vier ethische Aspekte gestreift, wo vielleicht keiner sich dessen bewusst<br />

ist, dass das jetzt Ethik ist, <strong>als</strong>o wir sprechen nicht davon, aber es sind ethische<br />

Ansätze.<br />

Dann denke ich, wir leben eine gewisse Führungsethik, da kommen wir vielleicht<br />

später noch mal dazu. Aber darüber hinaus - weil sie nach Ethikkodizes fragten, solche<br />

haben wir nicht.<br />

1B: Wenn es jetzt um die Übertragung ins Unternehmen geht - das eine ist ja, dass<br />

man es sich aufgeschrieben hat und vornimmt, aber wie werden die Werte und<br />

Vorsätze aus dem Leitbild ins Unternehmen transportiert? Was wissen die MA von<br />

diesen von Ihnen beschriebenen Bestrebungen, Bemühungen, Gedanken, und wie<br />

weit können Sie das leben?<br />

2E: Also der Begriff der Nachhaltigkeit ist bei den MA noch nicht angekommen, weil<br />

das eine ganz aktuelle Entwicklung ist. Das ist jetzt auf der aller obersten Ebene und<br />

das muss noch runter gebrochen werden. Also dieser Begriff ist sicherlich den MA noch<br />

nicht so bekannt. Das Unternehmensleitbild ist den MA bekannt. Es wird den MA auch<br />

vorgestellt bei der Einarbeitung. Ich denke, dass Sie es im praktischen Alltag erfahren.<br />

Dass sie erfahren, wie wir auf der Führungsebene das auch vorbildlich vorleben.<br />

Kundenorientierung, zum Beispiel, Wertschätzung. Ich hoffe, dass sie auch spüren,<br />

dass wir eine wertschätzende, verbindliche Führungsethik vorleben. In dem Sinne<br />

denke ich, dass die MA das auf der praktischen Erfahrungsebene mitbekommen. In<br />

wie weit sie das für sich reflektieren oder formal gefasst sehen, das weiß ich nicht.<br />

3B: Also könnten Sie sagen, dass das Vorleben von Verhalten durch die Führung<br />

systematisch geschieht und Bestandteil ihres Führungsstils ist?


T3<br />

1E: Ja. Soll so sein!<br />

2B: Schulungen oder Trainings zu diesem Thema gibt es aber momentan nicht?<br />

3E: Na ja, auf der Führungsebene schon. Wir haben zum Beispiel so genannte<br />

Führungs- und Entwicklungsworkschops, die von der Geschäftsführung mit den<br />

Einrichtungsleitern und den Führungskräften zusammen durchgeführt werden - zwei im<br />

Jahr, zu Führungsthemen, zu Themen wie Motivation, Wertschätzung, aber auch<br />

Mitarbeiterführung. So auf der Ebene schon. In-House Schulungen sind das schon.<br />

4B: Im nächsten Frageblock geht es darum, in wie weit Ihr Arbeitsalltag mit ethischen<br />

Dingen zu tun hat. Ich wüsste gerne in welchen Situationen Sie in Ihrem Arbeitsalltag<br />

mit ethischen Themen in Berührung kommen.<br />

5E: Ja das ist sicherlich nahezu fast täglich. Weil ich ja die absolute<br />

Budgetverantwortung habe, und zum einen natürlich den Auftrag einer wirtschaftlich<br />

guten Betriebsführung, und da stellt sich natürlich immer wieder die Frage: was heißt<br />

das? Das ist immer wieder der Spagat. Also jeder Betrieb ist verpflichtet aus der Logik<br />

heraus Gewinn zu erwirtschaften, das muss er ja auch, und das ist ja letztendlich<br />

ethisch, auch den MA gegenüber, das man dafür sorgt, dass der Betrieb funktioniert.<br />

Und im Prinzip funktioniert er nur, wenn auch ein gewisser Gewinn da ist. Und<br />

deswegen bin ich natürlich täglich im Spagat zwischen der Sicherung des Gewinns auf<br />

der einen Seite - Sicherung des Betriebes, und auf der anderen Seite der<br />

Fragestellung: Wie stelle ich das sicher? Wie kann ich das gewährleisten, ohne am<br />

f<strong>als</strong>chen Ende zu sparen? Zum Beispiel ist es ja immer naheliegend, oder es könnte<br />

naheliegend sein, im Personalbereich zu sparen. Die größten Kosten, gerade in<br />

Dienstleistungsbetrieben, - da machen die Personalkosten ja 60 bis 70, teilweise bis 80<br />

Prozent aus. Also ist es eigentlich sehr naheliegend zu sagen, ich spare im<br />

Personalkostenbereich. Das wäre aber fast vielleicht auch wieder unethisch, weil ich<br />

dann wiederum die Qualität nicht aufrecht erhalten kann, bzw. das, was ich Eingangs<br />

gesagt habe, das Lebensgefühl der Bewohner nicht gewährleisten kann. Also das ist<br />

fast ein täglicher Spagat zwischen ökonomischen Interessen und qualitativen<br />

Interessen. Wobei die sich nicht ausschliessen. Aber das immer wieder unter einen Hut<br />

zu kriegen... Das wir zu den besten der Branche gehören, das heißt ja eben nicht nur<br />

wir wollen die Reichsten werden, sondern das heißt, der Betrieb soll gut, vorbildlich<br />

laufen.<br />

Um zur Frage zurück zu kommen ist das fast ein täglicher Spagat in allen finanziellen<br />

Fragen, und zweitens dann natürlich auch im Bereich der Personalführung.


T4<br />

1B: Das heißt, dass der Hauptteil der Dilemmata im Bereich Personal auftaucht. Wenn<br />

Sie Entscheidungen treffen müssen zwischen: ‚Folge ich eher dem Ökonomischen<br />

oder dem Ethischen‘, geht es da oft um das Personal?<br />

2E: Ja. Das kann man so sagen.<br />

3B: Gibt es irgendwelche Hilfen bei solchen Entscheidungen? Gibt es Strukturen in<br />

denen solche Entscheidungen ablaufen, Menschen mit denen Sie reden,<br />

vorgesehenes Personal das in solchen Situationen zur Seite steht?<br />

4E: Wir haben im Unternehmen eine relativ klare Kommunikationsstruktur. Wir sagen,<br />

Entscheidungen sind hierarchisch aufgebaut, und zwar von unten nach oben. Wir<br />

versuchen das so genannte Vier-Augen-Prinzip durchzuhalten. Das heißt<br />

Entscheidungen werden immer im Vier-Augen-Prinzip gefällt. Was heißt: Die Ebene<br />

auf der eine Entscheidung gefällt oder vorbereitet werden muss, trägt den<br />

Lösungsansatz, nicht das Problem, zur nächsthöheren Ebene. Zusammen mit der<br />

nächsthöheren Ebene wird dann im Vier-Augen-Prinzip gemeinsam beschlossen, ja<br />

oder nein, wir folgen diesem Lösungsansatz oder die übergeordnete Stelle sagt ‚ich<br />

habe eine Alternative zu diesem Lösungsansatz‘. Das heißt, ich bekomme vorbereite<br />

Entscheidungen, ich bekomme Lösungsansätze vorgelegt, konkret jetzt von meiner<br />

untergeordneten Stelle, der Pflegedienstleitung. Die sagt dann zum Beispiel: Mein<br />

Vorschlag ist, wir stellen jetzt den und den ein, und ich sage dann ja oder nein. Also wir<br />

treffen diese Entscheidung gemeinsam. Und genauso was mir hilft, dass ich über mir<br />

einen Geschäftsführer habe, dem ich dann auch, auf einer anderen Ebene sagen<br />

kann, ich habe jetzt dieses und dieses Dilemma, und würde das so lösen, eigentlich<br />

muss ich sparen, aber, um die Qualität zu halten, müssen wir jetzt mal alle Flure<br />

streichen. Das erhöht unseren Budgeteinsatz, aber ist mittelfristig auch gewinnträchtig.<br />

Mit diesem Lösungsvorschlag gehe ich dann auch zum Geschäftsführer und wir treffen<br />

die Entscheidung gemeinsam. Insofern ist diese klare Struktur sehr hilfreich. Ich fühle<br />

mich nicht alleine mit meinen Entscheidungen. Nicht alle Entscheidungen müssen bis<br />

nach ganz oben gehen. Wenn zum Beispiel Wohnbereichsleitung und<br />

Pflegedienstleitung zusammen sich einig sind, und es in deren<br />

Entscheidungskompetenzbereich liegt, dann brauchen sie mich nicht fragen. Wenn die<br />

Pflegedientstleitung dann aber auch nicht weiß, oder Hilfe braucht, dann kann sie zu<br />

mir gehen. Es gibt diese Möglichkeit.<br />

5B: Gibt es Standards, ausser Pflegestandards, die mit Ethik zu tun haben?<br />

6E: Bin ich mir nicht sicher. Standards, insofern dass es formulierte Standards sind,<br />

gibt es nicht. Das heißt doch ........ Es gibt seitens des Mutterkonzerns einen Standard,


T5<br />

der sich darauf bezieht, wie wir mit Kunden umgehen. Zum Beispiel<br />

Kundengeschenke, Umgang mit Kunden. Diesen Standard gibt es auf der<br />

Führungsebene. Aber nur bis zu meiner Ebene, die PDL hat ihn schon nicht. Wobei<br />

doch. Sie merken ich bin im Schwanken, und das ist auch dann ehrlich und die<br />

Wahrheit, das gab‘s mal, das wurde dann doch auch der PDL vorgelegt, ich erinnere<br />

mich jetzt wieder daran, aber zum Beispiel aktuell die PDL hat das nicht. Das scheint<br />

auch nicht wirklich weitertransportiert worden zu sein. Also es gibt da was, aber wenn<br />

ich ehrlich bin, das lebt nicht wirklich.<br />

Ansonsten gibt es Standards in dem Sinne vielleicht wie dieses Vier-Augen-Prinzip der<br />

Kommunikation, im Bereich von Führung. Bestimmte verbindliche<br />

Führungsinstrumente, die Alle anwenden sollten. Aber darüber hinausgehend<br />

Standards nicht.<br />

Ich merke daran, ich weiß dass es da was gibt, aber das gibt es nicht von der Tochter,<br />

das gibt‘s von der Mutter.<br />

1B: Bei Unternehmensethik geht es ja um die Übernahme von Verantwortung, um die<br />

Wahrnehmung von Interessen gesellschaftlicher Gruppen die davon betroffen sind, wie<br />

das Unternehmen handelt. Das sind die so genannten Stakeholder. Ich wüsste gerne,<br />

in wie fern die Interessen dieser Gruppen in ihrem Unternehmen eine Rolle spielen und<br />

beachtet werden. Angefangen mit den Mitarbeitern...<br />

2E: Die MA sind uns sehr wichtig. Uns ist bewusst, dass wir faktisch nur mit den MA<br />

und von den MA leben. Daher versuchen wir schon für die MA ein angenehmes<br />

Arbeitsklima zu schaffen, sie durch Wertschätzung und Motivation sie zu unterstützen,<br />

durch so genannte weiche Faktoren die ja auch ganz wichtig sind, durch eine gewisse<br />

Gesprächskultur, wie gehen wir miteinander um, durch Lob. Da stehen die MA schon<br />

deutlich im Interesse (gemeint „Fokus“?) unserer Bemühungen.<br />

3B: Die Kunden?<br />

4E: Unsere Bewohnerkunden ohnehin. Das ist unser Auftrag. Sie stehen an erster<br />

Stelle. Alle Bemühungen, alle Prozesse, sie drehen sich natürlich um den<br />

Bewohnerkunden und auch die Angehörigen <strong>als</strong> erweiterte Kunden. Das sollte so sein,<br />

die stehen natürlich absolut im Mittelpunkt.<br />

5B: Noch mal zu den MA: gibt es bestimmte Strukturen, innerhalb derer Sie sich<br />

gegenüber den MA verhalten?<br />

6E: Es ist zum Beispiel das. Das wir darüber ganz klar reflektieren. Also wenn man<br />

sich überlegt, welche Bedürfnisse hat ein Mensch und ein MA, dann kann man, wenn


T6<br />

man die Bedürfnis-Pyramide sieht, geht es erstmal um die soziale Sicherheit, die<br />

Sicherung. Dafür machen wir Verträge, dafür gibt es Lohn und Gehalt, damit<br />

finanzielle, existenzielle Bedürfnisse befriedigt sind. Darüber hinaus hat ein Mensch ja<br />

auch noch weitere Bedürfnisse. Wie Anerkennung, Wertschätzung, Selbstwertgefühl,<br />

Entwicklungsmöglichkeiten. Darüber tauschen wir uns schon aus. Da reflektieren wir,<br />

das es eben nicht reicht, MA nur gut zu bezahlen. Weil da wird es immer welche<br />

geben, die besser zahlen. MA, davon bin ich überzeugt, bindet man nur, wenn zu der<br />

Bezahlung auch noch die so genannten weichen Faktoren kommen. Und da tauschen<br />

wir uns im Unternehmen darüber aus. Da haben wir auch einen Katalog erstellt, einen<br />

internen Katalog, was es für Möglichkeiten gibt. Wir haben einen Katalog von - ich<br />

glaube da sind 30 Massnahmen darauf, die man reflektieren kann, was man MA im<br />

Rahmen von weichen Faktoren mal schenken kann. Dass das nicht nur so vage immer<br />

ist. Wir loben halt mal hier und da - sondern ganz konkret wie zum Beispiel mal ein Eis<br />

ausgeben, oder auch mal zur Teamsitzung gehen. Wenn ich unvorbereitet einfach mal<br />

zur Teamsitzung gehe - ich bin heute mal Gast, ich höre einfach mal zu. Also da gibt es<br />

einen ganzen Katalog von Massnahmen wie man MA auch wertschätzend begegnen<br />

kann und das ist jetzt keine Liste die wir abhaken, aber wir tauschen uns schon<br />

darüber aus. Und jede Führungskraft für sich reflektiert das auch. Habe ich, bin ich mal<br />

wieder durchs Haus gegangen. Was kann ich mehr machen. Also in so fern arbeiten<br />

wir schon daran, diese Wertschätzung zu leben.<br />

1B: Das ist ja jetzt etwas, das von Ihnen an die MA geht, gibt es umgekehrt etwas wo<br />

die MA involviert und beteiligt sind, Ideen einbringen können für Neuerungen,<br />

Veränderungen?<br />

2E: Das geht auch wieder von uns aus. Also das vorzuleben, immer wieder<br />

einzuladen, immer wieder die MA ins Boot holen. Das geht von uns aus, und wir wollen<br />

schon eine Kultur, wo das möglich ist. Für Ideen offen sein, für Anregungen, für<br />

Wünsche. Wir fragen immer wieder auch nach Fortbildungswünschen. Oder bei<br />

bestimmten Themen. Es gibt Themen die jede Führungskraft auf jeder Ebene natürlich<br />

ganz klar steuern muss, wo es dann um Informationen geht. Aber es gibt auch immer<br />

viele Themen, und das differenzieren wir, <strong>als</strong>o wir legen uns immer vorher, ist das jetzt<br />

ein Thema was ich einfach nur steuere, und sage, Leute. das ist jetzt so, nehmen Sie<br />

das bitte zur Kenntnis, oder ob ich vorher sage, ich fördere hier auch etwas, eine<br />

Diskussion. In dem ich sage, ich würde gerne in die und die Richtung gehen, dieses<br />

Projekt haben wir vor, was habt ihr für Ideen?<br />

Das versuchen wir einzusetzen, die MA immer wieder einzuladen. Ideen zu äußern, in<br />

Qualitätszirkeln zum Beispiel. In Fortbildungen.<br />

3B: Gibt es so etwas auch für die Kunden, für die Bewohner und ihre Angehörigen?


T7<br />

1E: Da gibt es das so genannte Beschwerdemanagement, Hinweismanagement, das<br />

wir Anregungen aufnehmen. Dann leben wir das vor, oder versuchen immer wieder zu<br />

definieren, zu kommunizieren, das wir ansprechbar sind. Wir haben ganz bewusst<br />

keine festen Sprechzeiten, Pflegedienstleitung, Wohnbereichsleitung, sondern sagen<br />

ganz klar: Sprechen Sie uns an, machen Sie Termine, wir nehmen uns für Sie Zeit, wir<br />

sind für Sie da. Für Angehörige haben wir zwei mal im Jahr Angehörigenabende extra,<br />

wir haben Feste, wo wir die Angehörigen einladen. Also wir versuchen schon ganz viel<br />

für die Angehörigen zu machen. Und Heimbeirat fällt mir noch ein, ganz wichtig. Also<br />

wir haben einen Heimbeirat, den müssen wir auch haben, aber mir ist es auch ein<br />

Anliegen, den wirklich auch wach zu rütteln, zu fördern, zu sagen, kommen Sie doch<br />

dazu, dass es kein geschlossener Kreis ist, sondern jeder Bewohner der Lust hat, kann<br />

dazu kommen. Der Heimbeirat ist zum Beispiel auch so ein Organ für die Bewohner.<br />

2B: Was die externen Kunden angeht. Da fällt mir die Lieferkette ein, ich weiß aber<br />

nicht in wie fern Sie die selber bestimmen.<br />

3E: Ja das machen wir schon selbst, das ist sehr dezentral bei uns im Unternehmen.<br />

Dafür sind dann die Bereiche zuständig. Also Lieferungen im Bereich der Küche, im<br />

Bereich der Haustechnik, im Bereich der medizinischen Pflegeartikel, Apotheke.<br />

4B: In wie weit berücksichtigen Sie deren Interessen und wie, nach welchen<br />

Gesichtspunkten wählen Sie die aus?<br />

5E: ....<br />

6B: Sie haben mir zum Beispiel erzählt, dass es eine Wäscherei gibt, die extern ist, da<br />

könnte man ja jetzt auf der einen Seite sagen, wir gucken mal wie die Arbeiten, auf der<br />

anderen Seite könnte man sagen, wir gucken auch mal, zum Beispiel, unter welchen<br />

Bedingungen deren Angestellte arbeiten.<br />

7E: Also wenn ich da ganz ehrlich bin, spielt das eine untergeordnete Rolle, aktuell.<br />

Die Auswahl erfolgt nach Qualitäts- und Kostenkriterien. Das klassische, das man auf<br />

das Preis-Leistungs-Verhältnis guckt, wie ist das Kostenangebot und wie ist die<br />

laufende Zusammenarbeit. Aber nein, das denke ich haben wir noch nicht.<br />

8B: Gibt es sonst irgendwo im Haus irgendwelche Ansatzpunkte wo Ihnen etwas<br />

einfällt, zum Beispiel in der Küche, in der Pflege, wenn Materialien bestellt werden, um<br />

das Haus herum oder in den Wohnbereichen an baulichen Materialien die Sie<br />

verwenden?


T8<br />

1E: Wenn ich ganz ehrlich bin: fällt mir nichts ein. Nein.<br />

2B: Im nächsten Punkt geht es um das Verhältnis zwischen Ethik und Ökonomie bei<br />

Entscheidungen. Unternehmensethische Theorien lassen anordnen an einem Strahl<br />

zwischen dem Primat der Ökonomie und dem Primat der Ethik. Die einen sagen, Ethik<br />

muss auch immer unter wirtschaftlichen Aspekten funktionieren, die stehen bei<br />

Entscheidungen oben drüber, anders geht es nicht. Die anderen sagen, die ethische<br />

Entscheidung muss oben drüber stehen und die ökonomische muss sich dann auch<br />

mal unterordnen, aber letztendlich funktioniert es trotzdem. Das spiegelt wieder, dass<br />

es dieses Dilemma immer gibt, in der Unternehmensethik, und das haben wir ja auch<br />

vorhin schon angesprochen. Können Sie dazu noch mal was sagen, gibt es dazu eine<br />

Haltung von Ihnen oder vom Unternehmen, wie sind Ihre Erfahrungen im Alltag?<br />

3E: Wir versuchen das schon gut unter einen Hut zu bekommen. Natürlich ist das<br />

Primat der Ökonomie sehr deutlich. Ich hatte ja eingangs gesagt, jeder Betrieb ist<br />

verpflichtet, wirtschaftlich gut zu arbeiten. Darüber hinaus ist es bei uns natürlich schon<br />

noch mal besonders dadurch, dass wir eben nicht gemeinnützig sind sondern zu einem<br />

börsennotierten Unternehmen gehören, denke ich ist das schon auch noch mal ein<br />

starker Ansatz. Der ökonomische Ansatz. Unabhängig davon aber, haben wir innerhalb<br />

dieses Gerüsts, dieser Zielvorgabe, schon ganz klare ethische Haltung, dass wir<br />

zumindest in Einzelfragen versuchen, alles mögliche auszuloten, was auszuloten ist.<br />

Also ganz konkret gibt es Einzelfälle wo man sich sagt, gut, ich verzichte jetzt auch mal<br />

konkret auf Einnahmen. Wir haben da Einzelfälle wo ich auch ganz konkret verzichte,<br />

weil ich mich anders entschieden habe. Wir haben jetzt zum Beispiel eine<br />

hundertjährige Frau, die hat nicht damit gerechnet, dass sie so alt wird, und die<br />

Ersparnisse sind verbraucht. Die kann hier nicht mehr volles Entgelt bezahlen. Aber<br />

dieser Frau werde ich nicht kündigen. Da verzichte ich dann auf Einnahmen. Das<br />

könnte ich aber natürlich nicht bei 120 Einwohnern machen. Und das wird von der<br />

Unternehmensleitung auch mit getragen.<br />

4B: Das heißt, dass Sie sich in Einzelfällen auch gegen das Ökonomische, zu Gunsten<br />

des Gesamthandelns entscheiden können.<br />

5E: Das ist ja dieser Kreis. Das ist ja auch ökonomisch langfristig. Man muss immer<br />

zwischen ökonomisch kurzfristig und langfristig unterscheiden. Vielleicht verzichte ich<br />

kurzfristig auf Einnahmen. Aber ich behalte dadurch einen zutiefst zufriedenen Kunden,<br />

der das wiederum anderen weitererzählt. Das spricht sich rum im Angehörigen-<br />

Netzwerk. Und das trägt zur Zufriedenheit und zu Image-Steigerung bei, und führt<br />

darum auch mittelfristig zum Erfolg. Anders herum, wenn ich es jetzt nicht machen


T9<br />

würde, das könnte sogar zu Schaden, zu Image-Schaden führen. Stellen sie sich vor,<br />

das geht in die Zeitungen: Ein Heim kündigt einer hundertjährigen, setzt sie auf die<br />

Strasse.<br />

1B: Ganz schlechte Presse.<br />

2E: Und deshalb kann ich gar nicht sagen, hat hier die Ethik über die Ökonomik<br />

gesiegt, sondern auch das ist eine ökonomische Entscheidung, kurzfristig auf Gewinn<br />

zu verzichten, um ihn langfristig zu bekommen.<br />

3B: Sie sagten ja vorhin auch selber schon, dass es sich nicht immer widersprechen<br />

muss. - Es ist nur die Frage, in wie weit man im Alltag solche Entscheidungen treffen<br />

kann.<br />

4E: Deshalb habe ich gesagt, dass die ökonomische Sorge bei uns stark ausgeprägt<br />

ist, muss auch so sein, von der ganzen Unternehmenslogik her. Weil die Investoren<br />

natürlich nur investieren, wenn sie auch eine größere Rendite bekommen. Sonst<br />

würden sie zur Bank gehen, dort das Geld hinbringen. Da können sie sicher sein. Da<br />

kriegen sie zwar nur zwei Prozent aber die kriegen sie sicher. Bei uns tragen sie das<br />

Risiko. Kann auch sein, dass sie keine Rendite bekommen. Also so von der ganzen<br />

Logik her, muss das ja auch so sein, dass die ökonomische Sorge groß ist, aber im<br />

Alltag in Einzelfällen, habe ich Entscheidungsfreiheit.<br />

5B: Investoren sind ja wichtig und haben Macht. In wie weit sind Sie mit denen im<br />

Gespräch, <strong>als</strong>o auch über Unternehmensethik im weitesten Sinne, Nachhaltigkeit,<br />

soziale Verantwortung?<br />

6E: Das bin ich gar nicht. Das ist dann die höhere Ebene. Die Geschäftsführung, die<br />

dann wiederum dem Aufsichtsrat rechenschaftspflichtig ist. Also ganz persönlich habe<br />

ich da keinen Kontakt und bin auch in keine Gespräche involviert.<br />

7B: Wissen Sie, ob es solche Gespräche gibt? Über diese Themen?<br />

8E: Ich weiß es nicht, die Inhalte kenne ich nicht, aber ich gehe davon aus, dass auch<br />

das thematisiert wird, vor dem Hintergrund, wenn man nicht vergisst, dass wir in der<br />

Gesundheitswirtschaft sind. Das ist ja noch mal was anderes. Es geht hier immer auch<br />

um gewisse Nöte, Sorgen, und das denke ich, wird auch dem Aufsichtsrat transportiert,<br />

das man hier natürlich Budgets auch anders planen muss. <strong>als</strong> vielleicht in der reinen<br />

Wohnungswirtschaft.


T10<br />

1B: Zu Veränderungsprozessen haben Sie vorhin ja schon etwas gesagt.<br />

Veränderungsmanagement, Change-Management, möchten Sie dazu noch etwas<br />

sagen?<br />

2E: Na ja, aktuell ist das ja so, dass wir auch vier neue Einrichtungen aufgekauft<br />

haben in (Ortsangabe), zu unserem Unternehmen dazu. Und das ist ja ein<br />

Veränderungsprozess der ganz ernst genommen wird, wo wir uns auch gegenseitig<br />

unterstützen, wo auch klar ist, dass es nicht damit getan ist, zu sagen, so, ihr seid jetzt<br />

auch das XXXX (Name des Unternehmens), sondern dass wir sagen, dieser Prozess<br />

wird begleitet, da tauschen wir uns gegenseitig aus. Das ist schon im Bewusstsein<br />

drin, dass Veränderungen gut begleitet werden müssen. Und das findet auch statt.<br />

3B: Die Impulse zu diesen Veränderungen, woher kommen Sie? Gibt es auch Impulse,<br />

die Sie aufnehmen, die aus dem Unternehmen selber kommen? Mehr von Unten?<br />

4E: Generell versuchen wir uns in allen Bereichen einem Qualitätsdenken zu<br />

unterwerfen. Das wir immer wieder überdenken, wie zufrieden sind (unverständlich).<br />

Das ist ja Qualitätsdenken, <strong>als</strong>o dieser PDCA-Zyklus. Und in dem Rahmen werden<br />

aber auch die MA involviert und wenn da Vorschläge kommen, seitens der MA, wird<br />

das aufgenommen.<br />

Also ich würde schon davon ausgehen, dass unser Haus, unser Betrieb, sich <strong>als</strong><br />

lernende Organisation versteht, dieses Stichwort, wo es wichtig ist, das Veränderung<br />

dazu gehört. Das ist das A und O. Dass man nie stehen bleibt, sondern immer bereit ist<br />

für Neues.<br />

5B: Projektarbeit könnte wichtig sein, wenn man solche Dinge angehen will....<br />

6E: Ja, wir haben dreimal im Jahr Qualitätszirkel mit den MA, wo wir gemeinsam, das<br />

ist letztendlich Projektarbeit. Es gibt übergeordnete Projekte auch, die auf<br />

Einrichtungsleiter-Ebene initiiert werden und die wir runter tragen.<br />

Zum Beispiel zum Thema MA, Mitarbeitergewinnung, Mitarbeiterbindung. Das ist ein<br />

ganz großes Thema. Das haben wir gemeinsam verabschiedet im gesamten<br />

Unternehmen, das uns das wichtig ist und das wir dieses Jahr daran arbeiten wollen.<br />

Jeder Einrichtungsleiter hat ein Projekt übernommen. Ich habe jetzt zum Beispiel ein<br />

Projekt Karrieregespräche. Ich entwickele hier gerade ein Leitfaden-Modell zum Thema<br />

Karrieregespräche und mache dann ein Pilotprojekt zusammen mit einer<br />

Arbeitsgruppe.<br />

Projektarbeit gibt es und Qualitätszirkel.


1B: Dass so was wie Widerspruch den so eine Projektarbeit ja auch mit sich bringt <strong>als</strong>o<br />

auch möglich ist und ausgehalten werden kann?<br />

T11<br />

2E: Ja.<br />

3B: Unter dem Primat der Ökonomie muss man sich ja oft unmoralischer Verhalten <strong>als</strong><br />

man selber das gerne möchte, weil die Konkurrenz es auch macht, und man sonst<br />

einen ökonomischen Nachteil hätte. Es wäre vorstellbar dass auch die Unternehmen<br />

selber aktiv werden, um die Rahmenordnung in der sie agieren, so zu verändern, dass<br />

sie sich ethischer Verhalten können. Gibt es da Bestrebungen wie Verbandsarbeit,<br />

Lobby-Arbeit, sich zusammen zu tun, aktiv zu werden, um die Rahmenordnung so zu<br />

verändern dass man sich moralisch verhalten kann?<br />

4E: Nun, wir sind Mitglieder in einem Berufsverband privater Anbieter, und innerhalb<br />

dessen sind wir dort auf Geschäftsführungsebene präsent, aber darüber hinaus nicht.<br />

Ich speziell für mein Haus - na gut- doch, ich bin auch Mitglied in zwei Arbeitskreisen<br />

vernetzt. Ja. aber das Ziel ist nicht ethische Rahmenbedingungen zu schaffen, sondern<br />

das Thema ist eher die Qualität. Das wir versuchen, die Qualität zu verbessern. Aber<br />

es ist weniger politische Lobby-Arbeit. Also abschließend: ansatzweise findet das statt.<br />

5B: Gibt es persönliche Wünsche von Ihnen für den Bereich Unternehmensethik in<br />

Ihrem Unternehmen, etwas wo sie denken: das würde ich gerne machen, das brennt<br />

mir unter den Nägeln?<br />

6E: ist mir jetzt im Interview aufgefallen, mal zu schauen, wie sind die Lieferanten und<br />

Kooperationspartner aufgestellt. Das muss ich sagen ist ein ganz neuer Gedanke,der<br />

kam bis jetzt noch nicht, da ist noch Luft nach oben, das ist ne spannende Sache. Weil<br />

das ja auch ein Gebot der Stunde ist, Da sind wir beim Anfang wieder, da geht es um<br />

Nachhaltigkeit. Das interessiert mich. Da könnte sich noch was entwickeln.<br />

7B: Gibt es noch etwas was Sie hinzufügen wollen, oder Fragen, die Sie an mich<br />

haben?<br />

8E: Spontan nicht.<br />

9B: Dann herzlichen Dank für das Gespräch!


Zusammenfassende Darstellung: Interview Einrichtungsleiter<br />

Motto: „Ich glaube, dass wir gute Ansätze haben“<br />

(Die Quellenangaben aus dem Transkript sind in Klammern angegeben. T steht für<br />

Transkript des Interviews mit dem Einrichtungsleiter, es folgt die Seitenzahl, und hinter<br />

dem Querstrich der jeweilige Absatz auf den sich der Text bezieht, bzw. dem das<br />

entsprechende Zitat entnommen ist.) MA steht für Mitarbeiter.<br />

1 EL seit dreieinhalb Jahren im Unternehmen. Trägt Gesamtverantwortung für die<br />

Einrichtung mit ca. einhundert MA. (T, S. 1/1-6)<br />

2 Im Unternehmen existiert kein offizielles Bekenntnis zur Unternehmensethik. Es gibt<br />

aber Aspekte im Leitbild, die auf den Vorsatz ethischen Verhaltens hinweisen. Das<br />

Unternehmen möchte zu den Besten der Branche gehören, womit beste Qualität und<br />

nicht finanzieller Erfolg gemeint ist. Wertschätzung und gegenseitiger Respekt, sowie<br />

Steigerung der Lebensqualität für den Kunden ist ein weiterer Ansatz im Leitbild (T, S.<br />

1f./8)<br />

3 Der Aspekt der Nachhaltigkeit unternehmerischen Handelns soll zukünftig in die<br />

Unternehmensvision aufgenommen werden. Dies wird auf nächst höherer Ebene<br />

gerade erarbeitet. (T, S. 1/8)<br />

4 Interne Regelungen zum Thema Ethik in Form von Standards, gibt es in der<br />

Einrichtung nicht. Allerdings gibt es im Mutterkonzern einen Standard zur Bekämpfung<br />

von Korruption. Er regelt die Entgegennahme von Geschenken u. ä. (T, S. 4f./6) Man<br />

könnte überlegen, welche Standards auf Einrichtungsebene sinnvoll sein könnten, und<br />

ob es sich lohnen würde sie zu implementieren und zu kontrollieren.<br />

5 Die Kommunikation mit Kunden, sprich mit den Bewohnern, scheint im Vergleich<br />

zu der Kommunikation mit anderen Interessengruppen der Einrichtung am besten<br />

ausgebaut.<br />

6 Das Unternehmen versucht eine „Beziehung zum Kunden“ aufzubauen.<br />

Es gibt eine Systematik in der Kommunikation zum Kunden. Es gibt ein Beschwerdeund<br />

Hinweismanagement. Ausserdem vermittelt die Einrichtung ständige<br />

Ansprechbarkeit für Bewohner und deren Angehörige. Es finden zweimal jährlich<br />

Angehörigenabende statt. Die Einrichtungsleitung versucht aktivierend auf den<br />

Heimbeirat einzuwirken. Zitat: „Also wir haben einen Heimbeirat, den müssen wir auch<br />

haben, aber mir ist es auch ein Anliegen, den wirklich auch wach zu rütteln, zu fördern,<br />

zu sagen, kommen Sie doch dazu, dass es kein geschlossener Kreis ist, sondern jeder<br />

Bewohner der Lust hat, kann dazu kommen.“ Hier besteht eine grosse Offenheit und<br />

Diskurs-Bereitschaft, die auch an anderer Stelle wünschenswert wäre. (Von der<br />

Offenheit gegenüber den Interessen der Kunden verspricht sich das Unternehmen


estimmt finanziellen Erfolg????darf ich nicht vermuten). Es sollte über größere<br />

Offenheit gegenüber MA und anderen Interessengruppen nachgedacht werden.<br />

Bestehen Befürchtungen dass sich eine solche ökonomisch ungünstig auswirken<br />

könnte. Das sollte zumindest reflektiert werden. Vielleicht bestehen Möglichkeiten in<br />

Richtung Offenheit, die einer unternehmensethischen Strategie entgegenkommen.<br />

(T, S. 7/1)<br />

7 Kommunikation mit MA: Kommunikation des Leitbildes an die MA über Vorleben.<br />

Es herrscht eine „gewisse Gesprächskultur“ (Umgang miteinander, Lob) (T, S. 5/2)<br />

Wertschätzung und Motivation sind oft gebrauchte Wörter des EL im Verlauf des<br />

Interviews.<br />

8 Kommunikation läuft auch über Wertschätzung, Anerkennung, oder der Frage nach<br />

Wünschen, wie zum Beispiel Fortbildungswünschen. (S. 6/2) Es gibt einen<br />

Massnahmenkatalog zur Wertschätzung und Anerkennung von MA. („Da haben wir<br />

auch einen Katalog erstellt, einen internen Katalog, was es für Möglichkeiten gibt. Wir<br />

haben einen Katalog von - ich glaube da sind 30 Massnahmen darauf, die man<br />

reflektieren kann, was man MA im Rahmen von weichen Faktoren mal schenken kann.<br />

Dass das nicht nur so vage immer ist. Wir loben halt mal hier und da - sondern ganz<br />

konkret wie zum Beispiel mal ein Eis ausgeben, oder auch mal zur Teamsitzung<br />

gehen“). Hier findet aber kein Austausch statt. Die Kommunikationsrichtung ist hier<br />

einseitig, verläuft von der Leitung Richtung MA. (S. 5f/6)<br />

9 Die Kommunikation in der Einrichtung verläuft ansonsten hierarchisch gesehen in<br />

beide Richtungen. Sie ist aber nicht diskursiv. Impulse von Seiten der MA werden <strong>als</strong><br />

Vorschläge und Ideen gewürdigt aber die Leitung fühlt sich nicht verpflichtet, ihnen<br />

nachzugehen, sie zu diskutieren, sondern nimmt sie lediglich dankbar auf. Das ist aber<br />

ausbaufähig: Zitat: „Aber es gibt auch immer viele Themen (...) [wo] ich vorher sage,<br />

ich würde gerne in die und die Richtung gehen, diese Projekt haben wir vor, was habt<br />

ihr für Ideen?“ (T, S. 6/2)<br />

Systematische Karrieregespräche sind derzeit in der Entwicklungsphase. (T, S. 10/6)<br />

10 Schulungen und Trainings zum Thema Ethik gibt es für die MA nur auf<br />

Leitungsebene. Da geht es dann um Führungsthemen wie Motivation,<br />

Mitarbeiterführung und Wertschätzung. (T, S. 3/3)<br />

11 Kommunikation mit Investoren findet auf Einrichtungsebene nicht statt, wohl aber<br />

auf höherer Ebene des Unternehmens. Art und Inhalt der Kommunikation sind dem EL<br />

nicht bekannt. (T, S.9/5-8)<br />

12 Keine Hinweise auf Diskurs (gibt es nicht, auch keine Bemühungen zu<br />

Befähigung und Strukturen für einen)


13 Die Unternehmenskultur ist stark von der bestehenden hierarchischen Ordnung<br />

geprägt. So werden Entscheidungen im Zweifelsfall von der nächsthöheren<br />

Entscheidungsebene abgelehnt oder befürwortet. „Wir haben im Unternehmen eine<br />

relativ klare Kommunikationsstruktur. Wir sagen, Entscheidungen sind hierarchisch<br />

aufgebaut, und zwar von unten nach oben. Wir versuchen das so genannte Vier-<br />

Augen-Prinzip durchzuhalten. Das heißt Entscheidungen werden immer im Vier-<br />

Augen-Prinzip gefällt. Was heißt: Die Ebene auf der eine Entscheidung gefällt oder<br />

vorbereitet werden muss, trägt den Lösungsansatz, nicht das Problem, zur<br />

nächsthöheren Ebene. Zusammen mit der nächsthöheren Ebene wird dann im Vier-<br />

Augen-Prinzip gemeinsam beschlossen, ja oder nein, [...]“ (T, S.4/4)<br />

14 Veränderungen wird ein grosser Stellenwert beigemessen. „Also ich würde schon<br />

davon ausgehen, dass unser Haus, unser Betrieb, sich <strong>als</strong> lernende Organisation<br />

versteht, dieses Stichwort, wo es wichtig ist, dass Veränderung dazu gehört. Das ist<br />

das A und O. Dass man nie stehen bleibt, sondern immer bereit ist für Neues.“ (T, S.<br />

10/4) Es gibt das Bewusstsein dafür, dass Veränderungen begleitet werden müssen.<br />

Die Begleitung geschieht durch kommunikativen, unternehmensinternen Austausch<br />

und durch den Einsatz von Instrumenten des Qualtiätsmanagements. (T, S. 10/2) Man<br />

kann insofern im Ansatz von einem systematischen Management für Veränderungen<br />

sprechen.<br />

15 Impulse zu Veränderungen gehen in erster Linie von der Leitung aus. Andererseits<br />

besteht die Offenheit für Anregungen zum Beispiel durch die Mitarbeiter. Diese wird<br />

aber nicht systematisch gelebt. (T, S. 10/4)<br />

16 In ethisch-ökonomischen Dilemma-Situationen besteht einerseits eine<br />

eindeutige Vorrangstellung der Ökonomie gegenüber der Ethik. „ Natürlich ist das<br />

Primat der Ökonomie sehr deutlich.“ (T, S. 8/3) Das bedingt einen täglichen „Spagat“<br />

bei unternehmerischen Entscheidungen, in denen neben ökonomischen<br />

Notwendigkeiten, gleichzeitig die ethischen Vorsätze aus dem Leitbild berücksichtigt<br />

werden sollen. (T, S. 3/5) Hier besteht formal eine Unklarheit. „Aber das immer wieder<br />

unter einen Hut zu kriegen... Dass wir zu den besten der Branche gehören, das heißt<br />

ja eben nicht nur, wir wollen die Reichsten werden, sondern das heißt, der Betrieb soll<br />

gut, vorbildlich laufen.“ (T, S. 3/5)<br />

17 Vom ökonomischen Handlungsprinzip wird in Einzelfällen abgewichen. „Wir haben<br />

da Einzelfälle wo ich auch ganz konkret verzichte, weil ich mich anders entschieden<br />

habe. Wir haben jetzt zum Beispiel eine hundertjährige Frau, die hat nicht damit<br />

gerechnet, dass sie so alt wird, und die Ersparnisse sind verbraucht. Die kann hier<br />

nicht mehr volles Entgelt bezahlen. Aber dieser Frau werde ich nicht kündigen. Da<br />

verzichte ich dann auf Einnahmen. Das könnte ich aber natürlich nicht bei 120


Einwohnern machen. Und das wird von der Unternehmensleitung auch mit<br />

getragen.“ (T, S. 8/3)<br />

18 Das zeigt die Bereitschaft zu ethischem Verhalten, und deutet auf ein<br />

instrumentelles Verständnis von Unternehmensethik hin, denn man verspricht sich<br />

von einem Verhalten dass im Ausnahmefall gegen ökonomische Interessen verstößt,<br />

dafür aber ethisch erforderlich ist, eine langfristig positive ökonomische Wirkung. „Man<br />

muss immer zwischen ökonomisch kurzfristig und langfristig unterscheiden. Vielleicht<br />

verzichte ich kurzfristig auf Einnahmen. Aber ich behalte dadurch einen zutiefst<br />

zufriedenen Kunden, der das wiederum anderen weitererzählt. Das spricht sich rum im<br />

Angehörigen-Netzwerk. Und das trägt zur Zufriedenheit und zu Image-Steigerung bei,<br />

und führt darum auch mittelfristig zum Erfolg. (...) Und deshalb kann ich gar nicht<br />

sagen, hat hier die Ethik über die Ökonomik gesiegt, sondern auch das ist eine<br />

ökonomische Entscheidung, kurzfristig auf Gewinn zu verzichten, um ihn langfristig zu<br />

bekommen.“ (T, S. 8/5 und S. 9/2)<br />

19 Es gibt eine allgemeine Systematik für die Handhabung von Situationen, in denen<br />

Entscheidungen schwer fallen. Sie gilt auch für Dilemma-Situationen die ethische<br />

Aspekte beinhalten. Eine Lösung wird auf der vorgesehenen Ebene vorbereitet und<br />

vom Entscheidungs-Verantwortlichen dem Verantwortlichen auf der nächsthöheren<br />

Hierarchieebene vorgeschlagen. Im so genannten Vier-Augen-Prinzip wird die Lösung<br />

befürwortet oder abgelehnt. Eine Entscheidung wird auf diese Art gemeinsam<br />

getroffen. „ Ich fühle mich nicht alleine mit meinen Entscheidungen.“ (T, S. 4/4)<br />

20 Projektarbeit und damit eine Arbeitsform die auch das kreative Potenzial der<br />

Widerspruchsmöglichkeit gegenüber der Hierarchie zugänglich macht, findet in<br />

schwacher Form statt. Es gibt Qualtitätszirkel die in Projektform arbeiten, und im<br />

Unternehmen werden Projekte initiiert, die von den jeweiligen Einrichtungsleitern<br />

geleitet, in deren Häusern durchgeführt werden. In dieser Einrichtung existiert eine<br />

Arbeitsgruppe zum Thema Karrieregespräche.<br />

„Es gibt übergeordnete Projekte auch, die auf Einrichtungsleiter-Ebene initiiert werden<br />

und die wir runter tragen. Zum Beispiel zum Thema MA, Mitarbeitergewinnung,<br />

Mitarbeiterbindung. Das ist ein ganz großes Thema. Das haben wir gemeinsam<br />

verabschiedet im gesamten Unternehmen, das uns das wichtig ist und das wir dieses<br />

Jahr daran arbeiten wollen. Jeder Einrichtungsleiter hat ein Projekt übernommen. Ich<br />

habe jetzt zum Beispiel ein Projekt Karrieregespräche. Ich entwickele hier gerade ein<br />

Leitfaden-Modell zum Thema Karrieregespräche und mache dann ein Pilotprojekt<br />

zusammen mit einer Arbeitsgruppe.“<br />

(T, S. 10/6)


21 Ein Engagement auf der Makroebene, zur Schaffung einer Rahmenordnung die<br />

unternehmensethischem Verhalten Vorschub leistet, findet durch die<br />

Einrichtungsleitung nicht statt. (T, S. 11/4)<br />

22 Der EL würde gerne bei der Auswahl der Lieferanten- und Kooperationspartner<br />

berücksichtigen, wie nachhaltig sich diese Verhalten.<br />

Die Lieferkette im Unternehmen ist dezentral organisiert. Die Einrichtung kümmern sich<br />

<strong>als</strong>o selber darum, woher sie Lieferungen für Küche, Haustechnik, medizinische Pflege<br />

oder Apotheke bezieht, oder wo sie zum Beispiel ihre Wäsche waschen lässt. „...ist mir<br />

jetzt im Interview aufgefallen, mal zu schauen, wie sind die Lieferanten und<br />

Kooperationspartner aufgestellt. Das muss ich sagen ist ein ganz neuer Gedanke,der kam bis<br />

jetzt noch nicht, da ist noch Luft nach oben, das ist ne spannende Sache. Weil das ja auch ein<br />

Gebot der Stunde ist, Da sind wir beim Anfang wieder, da geht es um Nachhaltigkeit. Das<br />

interessiert mich. Da könnte sich noch was entwickeln.“ (Transkript des Interviews mit dem<br />

Einrichtungsleiter, S. 11, Absatz 6)<br />

(T, S.11/6)<br />

23 Erwähnt Führungsethik.( T, S. 1f./8 und S. 2/2) „Ich hoffe, dass sie (die MA) auch<br />

spüren, dass wir eine wertschätzende, verbindliche Führungsethik vorleben“ (T, S. 2/2)


Zusammenfassende Darstellung: Interview Pflegedienstleitung (PDL)<br />

Motto: Wir müssen uns verändern<br />

(Die Quellenangaben aus dem Transkript sind in Klammern angegeben. TP steht für<br />

Transkript des Interviews mit der Pflegedienstleitung), es folgt die Seitenzahl, und<br />

hinter dem Querstrich der jeweilige Absatz auf den sich der Text bezieht, bzw. dem das<br />

entsprechende Zitat entnommen ist.)<br />

MA steht für Mitarbeiter<br />

1 Die Interviewpartnerin ist seit elf Jahren im Unternehmen und seit ca. zwei Jahren<br />

dort <strong>als</strong> PDL tätig. Gleichzeitig ist sie die stellvertretende Einrichtungsleiterin. Als PDL<br />

ist sie für ca. sechzig MA der Pflege, <strong>als</strong> stellvertretende Einrichtungsleiterin für<br />

insgesamt ca. einhundert MA verantwortlich. (TP, S. 1/2 und 4)<br />

2 Es existiert ein Leitbild, dass das Leben gemeinsamer Werte und die gegenseitige<br />

Wertschätzung betont. (TP, S. 2/1)<br />

3 In der Einrichtung wird eine Unternehmens- und Führungskultur gepflegt, unter<br />

deren Wirkung eine Integration der Gedanken aus dem Leitbild in die<br />

Unternehmenswirklichkeit stattfindet. Die Unternehmenskultur beinhaltet, dass die<br />

Leitung immer Zeit hat, um sich um die Belange von MA, Bewohnern und Angehörigen<br />

zu kümmern. „Ich denke, Leitung spielt hier schon eine sehr, sehr, sehr grosse Rolle.<br />

Wie wir Führung verstehen, ne, mit Führung beginnt das schon. (...) Wir machen das<br />

so, für MA, Angehörigen, Bewohner wir haben immer Zeit. Immer.“.<br />

(TP, S. 2/3)<br />

4 Die Wertschätzung der MA geschieht über den Kontakt zu ihnen auf verschiedenen<br />

Ebenen: über eine ausgeprägte Gesprächskultur, in der Authentizität eine grosse Rolle<br />

spielt (TP, S.2/5 und S. 3/2) und gemeinsame Unternehmungen. „Dass wir gemeinsam<br />

auch feiern, dass wir gemeinsam Ausflüge machen. Dass wir eben zum Gespräch<br />

kommen, dass wir uns nicht verlaufen: nur unsere Abläufe, nur unsere Sorgen, nur<br />

unsere Termine. Dass wir auch viel Raum suchen, so dass der MA auch das Gefühl<br />

hat, auf verschiedenen Ebenen Kontakt zu uns zu haben. .“ (TP, S. 6f./8)<br />

5 Die Führung begegnet den MA mit grosser Offenheit für Ihre Wünsche und<br />

Probleme. (TP, S. 2/f./5 und S. 3/2) Es gibt Teamsitzungen, in denen darüber<br />

gesprochen wird, und auch im Alltag ist Platz für diese Themen. Dies wird an vielen<br />

Stellen des Textes deutlich. Bsp: „Es gibt bestimmte Instrumente wie Teamsitzungen,<br />

wie kommunizieren wir untereinander? Hat ein MA eine Sorge, ist das Geld, ist das<br />

Freizeit, betrifft das... ja, gesundheitliche Sorgen, u.s.w.? Dann schauen wir mal immer<br />

gemeinsam nach einer Lösung.“ (TP, S. 2/3) Die MA werden auch ermutigt, ihre<br />

Anliegen gegenüber der Leitung auszusprechen. Dies geschieht auch durch Vorleben:


„Und ich sage, Leute, heute kann ich nicht mehr, es tut mir sehr leid. So, damit gebe<br />

ich das Gefühl, wenn du die Grenze auch erreichst, komm auf mich zu, sag einfach,<br />

heute kann ich nicht mehr, das ist doch nicht schlimm. Das ist keine Schwäche,<br />

sondern eher versuche ich mitzuteilen, dass das auch eine Stärke sein kann.“ (TP, S.<br />

3/2)<br />

6 Die Sorge um die MA ist ausgeprägt und ehrlich. Authentizität ist dabei gewünscht<br />

und wird gelebt. „Das beginnt schon bei Bewerbungsgespräch. Ich gehe nicht nach<br />

bestimmte Schema, so wie man vielleicht so kennt. Frage A und dann warte ich die<br />

Antwort. Ne, ich versuche authentisch zu bleiben. Gebe jemanden auch das Gefühl,<br />

das darfst du auch, das kannst du auch. Und ich habe auch meine Sorgen. Wo treffen<br />

wir uns und wie sprechen wir zukünftig miteinander?“ (TP, S. 2f/5)<br />

7 Die Bearbeitung der Inhalte der Kommunikation mit den MA ist geprägt von der<br />

Hierarchie. In erster Linie versuchen wir, ist uns die Hierarchie schon sehr sehr wichtig.<br />

So dass der MA weiß, erster Ansprechpartner ist die Wohnbereichsleiterin. Sie muss<br />

mir helfen, wenn ich eine Sorge habe. Wenn sie nicht weiterhelfen kann wendet sie<br />

sich weiter an mich. [PDL meint damit sich selbst]“ (TP, S. 6/6) Die Hierarchie ist das<br />

System, innerhalb dessen Kommunikationswege für die MA vorgesehen sind.<br />

8 In schwierigen Situationen findet aber auch Kommunikation im größeren Kreis statt.<br />

„Es gibt aber schon mal Situationen wo wir uns gemeinsam treffen müssen“. (TP, S.<br />

6/6)<br />

9 Die Bedürfnisse und Interessen der Bewohner sind sehr wichtig. Die<br />

Kommunikation ist systematisch. Sie findet über tägliche Ansprechbarkeit der MA,<br />

über regelmässige Sitzungen mit Bewohnern und Angehörigen, über Befragungen und<br />

das regelmäßige Gespräch mit dem Heimbeirat statt. Bewohnerinteressen zu<br />

befriedigen ist erste und selbstverständliche Aufgabe aller Beteiligten. Der Prozess<br />

dazu läuft systematisch ab. Es gibt klare Informations- und Arbeitswege dazu. (TP, S.<br />

8/2 bis 6)<br />

10 Manchmal entsteht die Situation, dass Bewohnerinteressen nicht vollständig<br />

befriedigt werden können, weil zu wenig Geld vorhanden ist. Oft findet sich aber durch<br />

Kreativität trotzdem eine Lösung. (TP, S. 9/2) Falls die Bewohnerinteressen nicht<br />

erfüllt werden können, empfindet die PDL das <strong>als</strong> belastend. „...aber ist was anderes<br />

wenn ich vertrete Interesse von Dritten, Interesse unserer Bewohner. Damit habe ich<br />

schon Schwierigkeiten. Das fällt mir schwer. Darauf zu verzichten, wenn ich höre, dafür<br />

haben wir kein Geld. Weil, ich denke damit kann man viel erreichen. Das ist nicht nur<br />

Qualität, sondern Bewohnerzufriedenheit, man möchte auch zeigen, das man was<br />

Gutes tut.“ (TP, S. 8f./8)<br />

11 Entscheidungen sind in zwei Bereichen herausfordernd:


Pflegeethische Entscheidungen: Dilemma-Situationen wird systematisch vorgebeugt,<br />

z. Bsp., in dem im Vorfeld die Frage nach Patientenverfügungen gestellt wird. (TP, S.<br />

4f./4) In schwierigen Akut-Situationen, ist der systematisch vorgesehene Weg zur<br />

Erleichterung von Entscheidungen, das Zusammenkommen aller Beteiligten, und für<br />

die PDL das Gespräch mit ihrem Vorgesetzten, dem EL. (TP, S. 4f./4)<br />

12 Die Entscheidungssituation wird trotzdem <strong>als</strong> belastend und einsam erlebt: „Das<br />

sind Momente, in Minuten, treffen wir über Leben, über Sterben, müssen wir, sind wir<br />

dazu gezwungen Entscheidungen zu treffen. Das sind schwierige Entscheidungen.<br />

Weil es bleibt immer die Frage: War die Entscheidung, die ich getroffen habe richtig?<br />

Und die Frage kann mir niemand, niemand beantworten. Das ist nun mein Gewissen.<br />

Das Problem liegt daran, wenn ich auch zu der Erkenntnis komme, das war f<strong>als</strong>che<br />

Entscheidung, ich kann sowieso nichts mehr daran ändern. Ich muss nur gucken, wie<br />

ich damit zurecht komme, wie die MA damit zurecht kommen.“ (TP, S. 4/2)<br />

13 Ein anderes Dilemma entsteht manchmal in der Unvereinbarkeit von Interessen der<br />

Bewohner, mit Interessen der MA. Bedürfnisse der Bewohner müssen befriedigt<br />

werden, MA haben aber zu wenig Zeit dafür, müssen unter grossem Zeitdruck arbeiten.<br />

„Wenn ich durch Etagen gehe, gucken, und das ist manchmal mein Dilemma. Also ich<br />

merke, der MA steht unter so einem Zeitdruck, dass er vielleicht selber noch nicht<br />

gegessen hat, dass er noch nicht getrunken hat. Ich hab auch die Sorge zu wissen, der<br />

MA muss sich auch hinsetzen und essen. Es gibt Situationen, ja es steht auf dem<br />

Dienstplan, aber das die Zeit heute vielleicht gerade nicht gegeben ist.“ (TP, S. 3f./4)<br />

14 Das Problem wird <strong>als</strong> strukturell erkannt. Die Problematik der Struktur wird aber<br />

hingenommen. „Dass in Pflege immer alles zu wenig ist das ist ja anderes Thema. Das<br />

ist ja aber schon von Struktur her vorgegeben.“ (TP, S. 4f. /4) Das strukturelle Problem<br />

wird im Folgenden auf die individuelle Ebene verlagert. „Die Dilemma die wir haben,<br />

verstehe ich <strong>als</strong> selbstverständlich. Die gehören halt zu meinem Leben, die gehören zu<br />

uns.“ (TP, S. 11/2) Innerhalb dieser Logik wird die Lösung auf die Ebene persönlicher<br />

Verantwortlichkeit aller MA verschoben. Diese müssen durch kluge Einschätzung Zeit<br />

sparen, in dem sie nur die „wirklichen“, nicht die schematisch erwarteten Bedürfnisse<br />

der Bewohner befriedigen. „Aber vielleicht möchte er gar nicht, dass ich ihm tagtäglich<br />

die Füsse wasche, er hat früher vielleicht auch gar nicht gemacht. Schaue in die Augen<br />

und erkenne was der Mensch braucht“ (TP, S. 10/2) (...) „Wir <strong>als</strong> Familie, ist das so, ne,<br />

wenn Mutter fünf Kinder hat, ist das so, dass sie alle schafft gleichzeitig, nee, auch<br />

nicht.“ (TP, S. 10f. 6)<br />

15 Damit sind die MA nun individuell dafür verantwortlich und dazu angehalten, dafür<br />

zu sorgen, dass sich die Auswirkungen des strukturell bedingten Zeitmangels nicht<br />

negativ auf ihre Arbeit, die Pflege der ihnen anvertrauten Bewohner, auswirkt. „So und<br />

deswegen, es ist schon eine Kunst, aber wir müssen an uns selbst arbeiten: Was<br />

brauche ich, wo gebe ich und wie erkenne ich den Bedarf. Damit hat man weniger<br />

Dilemma und weniger Konflikte.“ [lacht] (TP, S. 10f/6)


16 Ein weiteres Beispiel hierfür ist der Umgang mit der Schwierigkeit, die Pausen für<br />

die MA zu garantieren. Das so genannte therapeutische Essen ermöglicht die Pausen<br />

des MA zur Betreuung der Bewohner einzusetzen, in dem Bewohner und MA in den<br />

Wohngruppen gemeinsame Mahlzeiten einnehmen. „Ja, wir haben noch zum Beispiel<br />

eingeführt, dass MA zusammen mit Bewohner essen darf. Wir nennen das<br />

therapeutisches Essen und das ist irgendwie auch MA-Pflege. Nimm dir Zeit, setz dich<br />

zusammen. Das nutzt dem Bewohner sehr viel, aber auch mir, <strong>als</strong> MA. Ich komme zum<br />

Austausch mit dem Bewohner, das gibt mir viel für meine Tätigkeit, <strong>als</strong><br />

Krankenschwester. Ich hab alles zwar unter Kontrolle, dabei, aber ich kann auch dabei<br />

essen, mich entspannen, ne, Gespräche anregen.“ (TP, S. 4f. 4)<br />

17 Auch bei zeitintensiven Aufgaben wie der Betreuung von Bewohnern in der<br />

Sterbephase, wird eine ausreichende Versorgung nur durch den zusätzlich<br />

persönlichen und individuellen Einsatz der MA gewährleistet. Die PDL beschreibt dies<br />

<strong>als</strong> Bereicherung: „Also wie Sie jetzt beschrieben haben, jemand liegt im Sterben. Ich<br />

müsste dafür zwanzig Stunden vor Ort sein. Vielleicht ist das noch nicht zu<br />

gewährleisten, weil die finanziellen Mittel vielleicht noch nicht geregelt sind. Aber dann<br />

haben wir für uns hier einen Weg gefunden. Das wir tatsächlich untereinander uns gut<br />

absprechen. Mal ist das schon ehrenamtliche Lösung. Aber Lösung, die trotzdem uns<br />

viel gibt.“ (TP, S. 10/2)<br />

Die Frage ist nur, wem das „etwas gibt“. Wiederum sind es die MA, die sich die<br />

Bewältigung eines strukturellen Problems zur individuellen Aufgabe machen, und eine<br />

Führung, die dieses Konzept unterstützt.<br />

18 Impulse zur Veränderung gehen von MA, von Kunden und von der Leitung aus.<br />

Daraus folgende Veränderungen werden in jedem Fall systematisch umgesetzt. (TP, S.<br />

7f./2 und S. 8/2)<br />

19 Wenn die MA sich in Ihren Veränderungsvorschlägen einig sind, und die Leitung<br />

durch Argumente überzeugen können, bekommen sie die Möglichkeit ihre Vorschläge<br />

im Arbeitsablauf auszuprobieren. Gesteuert wird das von der Leitung. Das Ergebnis<br />

des Versuchs wird evaluiert und je nach Ergebnis dauerhaft umgesetzt. (TP, S. 7/2)<br />

20 Bei Veränderungen, die durch die Leitung initiiert werden, gibt es einen ebenso klar<br />

vorgegebenen Weg. Von Veränderungen betroffene MA sind in den Prozess<br />

einbezogen und haben ein - allerdings geringes - Recht zur Mitgestaltung. „Wir sind<br />

uns erstmal einig, nach Absprache mit Geschäftsführung, was wir wollen. Dann geht<br />

das die gleiche Linie nach zum Bereichsleiter runter. Das wird vorgestellt, wir hören<br />

uns Meinungen an, sind aber bereit auch noch was Kleines zu verändern. Wir wissen,<br />

was wir wollen, aber wir geben auch Freiräume.“ (TP, S. 8f. 2)<br />

21 Kommunikation und Transparenz spielen bei den Veränderungsprozessen eine<br />

grosse Rolle. (TP, S. 7f./2)


Zusammenfassende Darstellung: Interview Qualitätsbeauftragte) (QB)<br />

Motto „Veränderung ist die Basis.“<br />

(Die Quellenangaben aus dem Transkript sind in Klammern angegeben. T steht für<br />

Transkript des Interviews mit der Qualitätsbeauftragten, es folgt die Seitenzahl, und<br />

hinter dem Querstrich der jeweilige Absatz auf den sich der Text bezieht, bzw. dem das<br />

entsprechende Zitat entnommen ist.)<br />

MA steht für Mitarbeiter<br />

1 Die QB arbeitet seit eineinhalb Jahren in der Einrichtung. Sie ist der PDL unterstellt,<br />

und für den Erhalt und die Fortentwicklung der Qualität im Hause verantwortlich, und<br />

zwar in erster Linie für die Qualität der Pflege. Für diese Aufgabe ist sie alleine<br />

zuständig. Sie arbeitet eng mit der Führung zusammen. (T S. 1/1-10)<br />

2 Das Leitbild enthält den Hinweis auf Wertschätzung, mit der sich die MA des<br />

Unternehmens untereinander und den Kunden gegenüber begegnen.<br />

In der Praxis verbindet die QB mit dem Begriff der Wertschätzung Respekt<br />

voreinander und die Möglichkeit zu Eigenständigkeit und Selbstbestimmung für die<br />

Bewohner. Für diese soll größtmögliche Zufriedenheit und größtmögliches<br />

Wohlbefinden entstehen. (T S. 2/2)<br />

3 Die Werte aus dem Leitbild werden auch von der Führung vorgelebt, und damit in<br />

die Praxis des Arbeitsalltags vermittelt. Von jedem MA wird erwartet, dass er sich<br />

das vorbildhafte Verhalten zu eigen macht. (T S. 4/5)<br />

4 Im Bezug auf die MA heißt Wertschätzung auch die Bedürfnisse der MA zu<br />

beachten. Konkret gemeint ist damit: Wahrnehmung, Weiterbildung, berufliche<br />

Entwicklung im Unternehmen (T S. 2/4) und, soweit möglich, selbstständiges und<br />

eigenverantwortliches Arbeiten. T S. 3/4)<br />

5 Zur Wahrnehmung von MA -Interessen werden den MA systematisch Fortbildungen<br />

und Kurse angeboten, mit dem Ziel, MA in ihrer Arbeit und in belastenden Situationen<br />

die im Zusammenhang mit der Arbeit entstehen, zu unterstützen. Dabei geht die<br />

Einrichtung auf die Wünsche der MA ein. So werden z. Bsp. Kurse zu<br />

rückenfreundlichem Arbeiten und Work-Life-Balance angeboten. (T S. 6/2)<br />

6 Eine MA-Vertretung gibt es nicht. Sie wird auch nicht gewünscht, weder von der<br />

Leitung noch von den MA selber (auch wenn klar ist, dass die MA jederzeit dazu befugt<br />

wären, eine Vertretung einzurichten). Die QB hält das für ein gutes Zeichen: „Es spricht<br />

ja eigentlich für das Haus und für das Unternehmen, wenn sich MA noch nicht<br />

zusammengetan haben, um zu sagen, wir brauchen hier eine starke Vertretung, die für<br />

unsere Interessen eintritt“. (T S. 9/5)


7 Auszug aus dem Interview:<br />

B: Und es gibt umgekehrt vom Unternehmen aber auch nicht den Wunsch an die MA,<br />

sich zu organisieren?<br />

Q: (erschrocken) Um Gottes Willen!<br />

B: ... um...<br />

Q: Aber nein.<br />

B: Das muss ja nicht negativ sein, ne? Das kann doch auch positiv sein.<br />

Q: Das kann natürlich auch... gut, es kann positiv sein. Aber es kann natürlich auch<br />

sein, dass dann Leute, die gewählt werden womöglich, die vielleicht gar nicht so<br />

konstruktiv auf die Sache zu gehen. Also MA-Vertretung muss ja nicht immer heißen<br />

wohlwollendes Miteinander. Ich will‘s nicht Schwarzmalen oder so. Aber es kann<br />

natürlich auch sein, dass persönliche Unzufriedenheiten dazu führen, dass es da eine<br />

kleine Verschwörung oder Zusammenballung gibt, und dass es womöglich für die<br />

Leitung des Hauses äusserst beschwerlich werden kann. (T S. 9f./6 - 11)<br />

8 Es findet eine regelmäßige Kommunikation im Unternehmen statt, um MA Ziele zu<br />

vermitteln und Aufgaben zuzuteilen. Es gibt Personalgespräche, „wenn Sachen nicht<br />

gut laufen“ (T S. 4/1), und Karrieregespräche, die Unternehmen und MA bei der<br />

Weiterentwicklung helfen sollen. „Karrieregespräche finden statt, die ja auch sehr<br />

wichtig sind. Dass ich MA erkenne, die Potential haben, die sich einbringen wollen, die<br />

ich halten möchte. Dass ich mit denen ein Gespräch führe: Was stellst du dir vor, wo<br />

siehst du dich in drei Jahren, was sind deine Ziele. Dass man <strong>als</strong> Unternehmer zeigt,<br />

ich sehe und wertschätze dich, ich kann dir was anbieten.“ (T S. 16/1)<br />

9 Am Thema MA-Gespräche wird gearbeitet. In Zeiten des Fachkräftemangels in der<br />

Pflege werden Sie <strong>als</strong> wichtiges Instrument der MA-Gewinnung und -Bindung<br />

angesehen. „Da ist jetzt eine zunehmende Systematik erwünscht. Das ist ein wichtiger<br />

Bereich geworden. Im Rahmen des ganzen Pflegenotstands muss man auch<br />

erkennen, das gute Fachkräfte auch gehalten werden wollen.“ (T S. 16/3)<br />

In diesem Zusammenhang ist die Leitung offen für Kritik aus den Reihen der MA, und<br />

bereit zur Kommunikation mit den MA. (T S. 16/5)<br />

10 In Teamsitzungen wird bei Bedarf über verbesserungswürdige Prozesse in der<br />

Pflege kommuniziert. Die Leitung steuert das systematisch. (T S. 5/2)<br />

11 Die Bewohner vertreten Ihre Interessen durch den Heimbeirat. Die<br />

Kommunikation ist gut und systematisch. Es finden regelmäßige Sitzungen des<br />

Heimbeirats statt und das Besprochene wird nötigenfalls an die Zuständigen Stellen<br />

der Einrichtung kommuniziert. (T S. 9/3)


12 Interessen der Kooperationspartner werden ernst genommen.<br />

Kooperationspartner werden <strong>als</strong> Multiplikatoren verstanden, die in der Öffentlichkeit<br />

und damit bei potentiellen Kunden, MA, Partnern positiv über Qualität und<br />

Zusammenarbeit berichten. „Also, Zufriedenheit der Partner steht ganz oben. Dass es<br />

ein Geben und Nehmen ist, weil Partner, Kooperationspartner auch immer <strong>als</strong><br />

Multiplikatoren begriffen werden. Wer mit uns zufrieden ist, wird auch gut über uns<br />

sprechen. Und das kann uns ja wiederum nutzen.“ (T S. 10/4)<br />

13 Veränderungen sind ein Kernpunkt der Arbeit in der Einrichtung. „Veränderung, im<br />

Sinne von Weiterentwicklung? Das ist quasi die Basis des ganzen.“ (T S. 11/4)<br />

14 Der Impuls zu Veränderungen geht in der Regel vom EL aus, und dient der<br />

Etablierung des Unternehmens. (T S. 11/6)<br />

15 Themen der Veränderung sind: Unternehmenskultur (hier geht es darum, die<br />

Unternehmenskultur im Arbeitsalltag zu pflegen, damit das was auf dem Papier an<br />

Unternehmenskultur beschrieben wird, auch gelebt wird) und fachliche<br />

Weiterentwicklung durch Orientierung an neuen Erkenntnissen und Zusammenarbeit<br />

mit anderen Organisationen (Forschung, Hospize, etc). Veränderung wird <strong>als</strong><br />

Voraussetzung für Qualität erkannt. (T S. 11/8)<br />

16 Nachdem die Vorgaben zum Thema der Veränderung von der Leitung gekommen<br />

sind, werden u. a. Workshops zur Umsetzung organisiert. (T S. 12/4)<br />

17 In den Workshops arbeiten alle MA zusammen, die mit dem Bereich, in dem die<br />

Veränderung stattfinden soll zu tun haben. „Wie so ein Projekt. Dass man einfach<br />

sagt, jeder sagt mal wie er zufrieden ist. Oder was er für Vorstellungen hat zu den<br />

Arbeitsabläufen, zu den Prozessen. Erst mal gibt es eine Art Brainstorming, eine<br />

Sammlung, und dann wird das zugeordnet. Schwerpunktsetzung, Prioritäten-<br />

Setzung.“ (T S. 12/6)<br />

18 Auch wenn viele Impulse zur Veränderung von der Leitung ausgehen, ist diese doch<br />

genauso offen und interessiert gegenüber den Impulsen die von den MA ausgehen.<br />

Die Leitung fördert es, dass MA Ideen zur Veränderung einbringen und ist dankbar,<br />

wenn das passiert. Ideen werden geprüft und falls sie nicht sofort aufgenommen<br />

werden können, werden sie nicht vergessen, sondern vielleicht etwas später noch<br />

einmal aufgegriffen. Dies soll auch eine Art von Wertschätzung der MA durch die<br />

Leitung zu sein. (T S. 13/5 und S. 13f./9)<br />

19 Für die QB gibt es keine Situationen in denen sie in ein Dilemma zwischen Ethik<br />

und Ökonomie gerät. Offensichtlich hat sie solche Entscheidungen nicht zu treffen.<br />

Sie sieht allerdings durchaus dass die Konsequenzen solcher Entscheidungen in ihrem


Arbeitsalltag. Zum Bsp. entsteht für die MA der Pflege ein hoher Zeitdruck unter dem<br />

sie ihre Arbeit erledigen müssen. Nicht alle MA scheinen damit gut umgehen zu<br />

können. „Na gut, wir fordern natürlich eine 1A Qualität, dass es manchmal zeitlich<br />

schwer zu schaffen ist für die Pfleger, das umzusetzen. Natürlich ist das Unternehmen<br />

so aufgestellt, dass der Stundenumfang voll ausgeschöpft wird, und man muss sich<br />

super organisieren, um das richtig gut hinzukriegen. Wenn dann noch Zusatzaufgaben<br />

kommen, muss ich mich noch besser organisieren. Der eine schafft das sehr gut,<br />

andere schaffen es nicht so gut. Das ist schon ein Dilemma, dass man<br />

unterschiedliche MA erlebt, die das große Ziel verfolgen, es vielleicht aber nicht so gut<br />

umsetzen können.“ (T S. 7/1)<br />

20 Auch die Schlagworte Burnout und Depression fallen. Es existiert offenbar das<br />

Problem in der Einrichtung, zumindest werden Kurse und Vorträge zu den Themen<br />

angeboten. „Sonst ethisch, hab ich es nur mit MA zu tun und ihren Sorgen. Ethisch<br />

wäre ja auch Thema Burnout zum Beispiel. Und Depressionen. Wenn ich<br />

Fortbildungen mache, und Wünsche der MA erfülle, dass ich da einfach drauf<br />

eingehe.“ (T. S. 6/2)<br />

21 Ethische Entscheidungen finden für die QB nicht im ökonomischen, sondern im<br />

fachlichen Bereich statt (T S. 6/3 bis S. 7/1); Momentan wird dem Thema Palliativ-<br />

Pflege große Aufmerksamkeit gewidmet. Hier liegt deshalb gerade ein Schwerpunkt in<br />

der Arbeit des Qualtitätsmanagements. Es wurde ein Qualitätszirkel zum Thema<br />

Sterbebegleitung gegründet, in dem neue Verfahrensweisen und eine Form der<br />

Zusammenarbeit mit einem Hospiz entwickelt werden. Ziel ist es, den Bewohnern ein<br />

würdevolles Sterben, nach Möglichkeit in der Einrichtung, zu ermöglichen. (T S. 5/5)<br />

22 Für schwierige ethische Entscheidungen in der Pflege, stehen keine ausgeprägten<br />

Hilfestrukturen zur Verfügung. Es gibt kein Ethik-Komitee oder ähnliches. Allerdings<br />

existiert eine gute Zusammenarbeit mit den Hausärzten, die offenbar unterstützend<br />

wirkt. (T S. 7/5)<br />

23 Unterstützend können auch Fallbesprechungen wirken, die in Einzelfällen<br />

durchgeführt werden, zum Beispiel bei aggressiven Bewohnern oder in Situationen, in<br />

denen über den Einsatz lebensverlängernder Massnahmen entschieden werden muss.<br />

Dort wird interprofessionell überlegt, welche Handlungsmöglichkeiten bestehen, die<br />

dem Wohle des Bewohners und der MA dienen. (T S. 7/6 - S. 9/7) „Es gibt<br />

Fallbesprechungen wo von verschiedenen Berufsgruppen gemeinsam überlegt wird,<br />

wie können wir das am besten zum Wohle des Bewohners und der MA besprechen.<br />

Ich glaube nicht, dass da jemand von ausserhalb so hilfreich wäre. Die Berufsgruppen<br />

die an dem Fall beteiligt sind, sollten besprechen - da sollte auch der Krankengymnast<br />

dazu kommen, die Ergotherapeutin. der Arzt, idealer weise. Dass man auch überlegt,<br />

wie können wir biografiebezogen mit gewissen Verhaltensweisen umgehen?“ (T S. 8/3)


24 Für ihren persönlichen Bereich wünscht sich die QB mehr Aufmerksamkeit für ihre<br />

Arbeit und ihr Wohlergehen bei ihrer Arbeit durch die Leitung, besonders in Situationen<br />

in denen offenbar zu wenig Zeit dafür ist, weil gerade eine besondere Herausforderung<br />

zu bewältigen ist, wie zum Beispiel die eine anstehende Prüfung durch den MDK.


Kreuztabelle: Zuordnung relevanter Inhalte der Interviews zu den identifizierten<br />

Kategorien.<br />

(Die Quellenangaben aus den Zusammenfassenden Darstellungen der Interviews sind<br />

in Klammern angegeben. Z steht für Zusammenfassende Darstellung, E für Interview<br />

mit dem Einrichtungsleiter, P für Interview mit der Pflegedienstleitung, Q für Interview<br />

mit der Qualitätsbeauftragten. Es folgen die Absatznummern aus dem jeweiligen Text.<br />

Bsp: ZE 2 = Zusammenfassende Darstellung des Interviews mit der<br />

Einrichtungsleitung, Absatz Nummer 2)<br />

Zusätzliche Quellenangaben in Klammern beziehen sich direkt auf das Transkript. T<br />

steht dabei für Transkript, der zweite Buchstabe, wie oben für den jeweiligen<br />

Interviewten. Bsp: TE S. 3/4 = Transkript mit Einrichtungsleitung, S. 3, Absatz 4)<br />

Im nachfolgenden Text bestehen folgende (fettgedruckte) Abkürzungen:<br />

EL = Einrichtungsleiter, PDL = Pflegedienstleitung, QB = Qualitätsbeauftragte<br />

Kategorie 1: „Offizielles Bekenntnis zu Unternehmensethik“.<br />

EL:<br />

1 Im Unternehmen existiert kein offizielles Bekenntnis zur Unternehmensethik. Es gibt<br />

aber Aspekte im Leitbild, die auf den Vorsatz ethischen Verhaltens hinweisen. Das<br />

Unternehmen möchte zu den Besten der Branche gehören, womit beste Qualität und<br />

nicht finanzieller Erfolg gemeint ist. Wertschätzung und gegenseitiger Respekt, sowie<br />

Steigerung der Lebensqualität für den Kunden ist ein weiterer Ansatz im Leitbild (ZE 2)<br />

2 Der Aspekt der Nachhaltigkeit unternehmerischen Handelns soll zukünftig in die<br />

Unternehmensvision aufgenommen werden. Dies wird auf nächst höherer Ebene<br />

gerade erarbeitet. (ZE 3)<br />

Interne Regelungen zum Thema Ethik in Form von Standards, gibt es in der<br />

Einrichtung nicht. Allerdings gibt es im Mutterkonzern einen Standard zur Bekämpfung<br />

von Korruption. Er regelt die Entgegennahme von Geschenken u. ä. (ZE 4)<br />

PDL:<br />

3 Es existiert ein Leitbild, dass das Leben gemeinsamer Werte und die gegenseitige<br />

Wertschätzung betont. (ZP 2)<br />

Die Wertschätzung der MA geschieht über den Kontakt zu ihnen auf verschiedenen<br />

Ebenen: über eine ausgeprägte Gesprächskultur und gemeinsame Unternehmungen.<br />

„Dass wir eben zum Gespräch kommen, dass wir uns nicht verlaufen: nur unsere


Abläufe, nur unsere Sorgen, nur unsere Termine. Dass wir auch viel Raum suchen, so<br />

dass der MA auch das Gefühl hat, auf verschiedenen Ebenen Kontakt zu uns zu<br />

haben.“ (ZP 4)<br />

QB:<br />

4 Das Leitbild enthält den Hinweis auf Wertschätzung, mit der sich die MA des<br />

Unternehmens untereinander und den Kunden gegenüber begegnen.<br />

In der Praxis verbindet die QB mit dem Begriff der Wertschätzung Respekt<br />

voreinander und die Möglichkeit zu Eigenständigkeit und Selbstbestimmung für die<br />

Bewohner. Für diese soll größtmögliche Zufriedenheit und größtmögliches<br />

Wohlbefinden entstehen. (ZQ 2)<br />

Kategorie 2: „Führungskultur“:<br />

PDL:<br />

5 In der Einrichtung wird eine Unternehmens- und Führungskultur gepflegt, unter<br />

deren Wirkung eine Integration der Gedanken aus dem Leitbild in die<br />

Unternehmenswirklichkeit stattfindet. Es wird eine Führungskultur gepflegt, in der die<br />

Leitung immer Zeit hat, um sich um die Belange von MA, Bewohnern und Angehörigen<br />

zu kümmern. „Ich denke, Leitung spielt hier schon eine sehr, sehr, sehr grosse Rolle.<br />

Wie wir Führung verstehen, ne, mit Führung beginnt das schon. (...) Wir machen das<br />

so, für MA, Angehörigen, Bewohner wir haben immer Zeit. Immer.“. (ZP 3)<br />

QB:<br />

6 Die Werte aus dem Leitbild werden auch von der Führung vorgelebt, und damit in<br />

die Praxis des Arbeitsalltags vermittelt. Von jedem MA wird erwartet, dass er sich<br />

das vorbildhafte Verhalten zu eigen macht. (ZQ 3)<br />

7 Im Bezug auf die MA heißt Wertschätzung auch die Bedürfnisse der MA zu<br />

beachten. Konkret gemeint ist damit: Wahrnehmung, Weiterbildung, berufliche<br />

Entwicklung im Unternehmen (ZQ 4) und, soweit möglich, selbstständiges und<br />

eigenverantwortliches Arbeiten. (ZQ 4)


Kategorie 3: „Kommunikation“<br />

Kategorie 3.1. „Kommunikation mit Mitarbeitern“<br />

EL:<br />

8 Kommunikation des Leitbildes an die MA geschieht über Vorleben.<br />

Es herrscht eine „gewisse Gesprächskultur“ (Umgang miteinander, Lob) (ZE 7)<br />

Wertschätzung und Motivation sind oft gebrauchte Wörter des EL.<br />

9 Kommunikation läuft auch über Wertschätzung, Anerkennung, oder die Frage nach<br />

Wünschen, wie zum Beispiel Fortbildungswünschen. (ZE 8) Es gibt einen<br />

Massnahmenkatalog zur Wertschätzung und Anerkennung von MA. „Da haben wir<br />

auch einen Katalog erstellt, einen internen Katalog, was es für Möglichkeiten gibt. Wir<br />

haben einen Katalog von - ich glaube da sind 30 Massnahmen darauf, die man<br />

reflektieren kann, was man MA im Rahmen von weichen Faktoren mal schenken kann.<br />

Dass das nicht nur so vage immer ist. Wir loben halt mal hier und da - sondern ganz<br />

konkret wie zum Beispiel mal ein Eis ausgeben, oder auch mal zur Teamsitzung<br />

gehen“. Hier findet aber kein Austausch statt. Die Kommunikationsrichtung ist einseitig,<br />

verläuft von der Leitung Richtung MA. (ZE 8)<br />

10 Die Kommunikation in der Einrichtung verläuft ansonsten hierarchisch gesehen in<br />

beide Richtungen. Sie ist aber nicht diskursiv. Impulse von Seiten der MA werden <strong>als</strong><br />

Vorschläge und Ideen gewürdigt aber die Leitung fühlt sich nicht verpflichtet, ihnen<br />

nachzugehen, sie zu diskutieren, sondern nimmt sie lediglich dankbar auf. Das ist aber<br />

ausbaufähig: Zitat: „Aber es gibt auch immer viele Themen (...) [wo] ich vorher sage,<br />

ich würde gerne in die und die Richtung gehen, diese Projekt haben wir vor, was habt<br />

ihr für Ideen?“ (ZE 9) Systematische Karrieregespräche sind derzeit in der<br />

Entwicklungsphase. (ZE 9)<br />

PDL:<br />

11 Die Führung begegnet den MA mit grosser Offenheit für Ihre Wünsche und<br />

Probleme. Es gibt Teamsitzungen, in denen darüber gesprochen wird, und auch im<br />

Alltag ist Platz für diese Themen. Dies wird an vielen Stellen des Textes deutlich. „Es<br />

gibt bestimmte Instrumente wie Teamsitzungen, wie kommunizieren wir untereinander?<br />

Hat ein MA eine Sorge, ist das Geld, ist das Freizeit, betrifft das... ja, gesundheitliche<br />

Sorgen, u.s.w.? Dann schauen wir mal immer gemeinsam nach einer Lösung.“ Die MA<br />

werden auch ermutigt, ihre Anliegen gegenüber der Leitung auszusprechen. Dies<br />

geschieht auch durch Vorleben: „Und ich sage, Leute, heute kann ich nicht mehr, es tut<br />

mir sehr leid. So, damit gebe ich das Gefühl, wenn du die Grenze auch erreichst,<br />

komm auf mich zu, sag einfach, heute kann ich nicht mehr, das ist doch nicht schlimm.


Das ist keine Schwäche, sondern eher versuche ich mitzuteilen, dass das auch eine<br />

Stärke sein kann.“ (ZP 5)<br />

12 Die Sorge um die MA ist ausgeprägt und ehrlich. Authentizität ist dabei gewünscht<br />

und wird gelebt. „Das beginnt schon bei Bewerbungsgespräch. Ich gehe nicht nach<br />

bestimmte Schema, so wie man vielleicht so kennt. Frage A und dann warte ich die<br />

Antwort. Ne, ich versuche authentisch zu bleiben. Gebe jemanden auch das Gefühl,<br />

das darfst du auch, das kannst du auch. Und ich habe auch meine Sorgen. Wo treffen<br />

wir uns und wie sprechen wir zukünftig miteinander? Ich denke so ungefähr.“ (ZP 6)<br />

13 Die Bearbeitung der Inhalte der Kommunikation mit den MA ist geprägt von der<br />

Hierarchie. In erster Linie versuchen wir, ist uns die Hierarchie schon sehr sehr wichtig.<br />

So dass der MA weiß, erster Ansprechpartner ist die Wohnbereichsleiterin. Sie muss<br />

mir helfen, wenn ich eine Sorge habe. Wenn sie nicht weiterhelfen kann wendet sie<br />

sich weiter an mich. [PDL meint damit sich selbst]“ Die Hierarchie ist das System,<br />

innerhalb dessen Kommunikationswege für die MA vorgesehen sind. (ZP 7)<br />

In schwierigen Situationen findet aber auch ein Treffen im größeren Kreis statt. „Es gibt<br />

aber schon mal Situationen wo wir uns gemeinsam treffen müssen“. (ZP 8)<br />

QB:<br />

14 Es findet eine regelmäßige Kommunikation im Unternehmen statt, um MA Ziele zu<br />

vermitteln und Aufgaben zuzuteilen. Es gibt Personalgespräche, „wenn Sachen nicht<br />

gut laufen“ (ZQ 8), und Karrieregespräche, die Unternehmen und MA bei der<br />

Weiterentwicklung helfen sollen. „Karrieregespräche finden statt, die ja auch sehr<br />

wichtig sind. Dass ich MA erkenne, die Potential haben, die sich einbringen wollen, die<br />

ich halten möchte. Dass ich mit denen ein Gespräch führe: Was stellst du dir vor, wo<br />

siehst du dich in drei Jahren, was sind deine Ziele. Dass man <strong>als</strong> Unternehmer zeigt,<br />

ich sehe und wertschätze dich, ich kann dir was anbieten.“ (ZQ 8)<br />

15 Am Thema MA-Gespräche wird gearbeitet. In Zeiten des Fachkräftemangels in der<br />

Pflege werden Sie <strong>als</strong> wichtiges Instrument der MA-Gewinnung und -Bindung<br />

angesehen. „Da ist jetzt eine zunehmende Systematik erwünscht. Das ist ein wichtiger<br />

Bereich geworden. Im Rahmen des ganzen Pflegenotstands muss man auch<br />

erkennen, das gute Fachkräfte auch gehalten werden wollen.“ (ZQ 9)<br />

In diesem Zusammenhang ist die Leitung offen für Kritik aus den Reihen der MA, und<br />

bereit zur Kommunikation mit den MA. (ZQ 9)<br />

16 In Teamsitzungen wird bei Bedarf über verbesserungswürdige Prozesse in der<br />

Pflege kommuniziert. Die Leitung steuert das systematisch. (ZQ 10)<br />

17 Eine MA-Vertretung gibt es nicht. Sie wird auch nicht gewünscht, weder von der<br />

Leitung noch von den MA selber (auch wenn klar ist, dass die MA jederzeit dazu befugt<br />

wären, eine Vertretung einzurichten). Die QB hält das für ein gutes Zeichen: „Es spricht


ja eigentlich für das Haus und für das Unternehmen, wenn sich MA noch nicht<br />

zusammengetan haben, um zu sagen, wir brauchen hier eine starke Vertretung, die für<br />

unsere Interessen eintritt“. (ZQ 6)<br />

18 Auszug aus dem Interview:<br />

B: Und es gibt umgekehrt vom Unternehmen aber auch nicht den Wunsch an die MA,<br />

sich zu organisieren?<br />

Q: (erschrocken) Um Gottes Willen!<br />

B: ... um...<br />

Q: Aber nein.<br />

B: Das muss ja nicht negativ sein, ne? Das kann doch auch positiv sein.<br />

Q: Das kann natürlich auch... gut, es kann positiv sein. Aber es kann natürlich auch<br />

sein, dass dann Leute, die gewählt werden womöglich, die vielleicht gar nicht so<br />

konstruktiv auf die Sache zu gehen. Also MA-Vertretung muss ja nicht immer heißen<br />

wohlwollendes Miteinander. Ich will‘s nicht Schwarzmalen oder so. Aber es kann<br />

natürlich auch sein, dass persönliche Unzufriedenheiten dazu führen, dass es da eine<br />

kleine Verschwörung oder Zusammenballung gibt, und dass es womöglich für die<br />

Leitung des Hauses äusserst beschwerlich werden kann. (ZQ 7)<br />

Kategorie 3.2 „Kommunikation mit Kunden“<br />

EL:<br />

19 Die Kommunikation mit Kunden, sprich mit den Bewohnern, scheint im Vergleich zu<br />

der Kommunikation mit anderen Interessengruppen der Einrichtung am besten<br />

ausgebaut.<br />

20 Das Unternehmen versucht eine „Beziehung zum Kunden“ aufzubauen.<br />

Es gibt eine Systematik in der Kommunikation zum Kunden. Es gibt ein Beschwerdeund<br />

Hinweismanagement. Ausserdem vermittelt die Einrichtung den Bewohnern und<br />

ihren Angehörigen, dass sie ständig für sie ansprechbar ist. Es finden zweimal jährlich<br />

Angehörigenabende statt. Die Einrichtungsleitung versucht aktivierend auf den<br />

Heimbeirat einzuwirken. Zitat: „Also wir haben einen Heimbeirat, den müssen wir auch<br />

haben, aber mir ist es auch ein Anliegen, den wirklich auch wach zu rütteln, zu fördern,<br />

zu sagen, kommen Sie doch dazu, dass es kein geschlossener Kreis ist, sondern jeder<br />

Bewohner der Lust hat, kann dazu kommen.“ (ZE 6)<br />

PDL:<br />

21 Die Bedürfnisse und Interessen der Bewohner sind sehr wichtig. Die<br />

Kommunikation ist systematisch. Die MA sind für die Bewohner immer ansprechbar.<br />

Regelmässig finden Sitzungen mit Bewohnern und Angehörigen statt, Befragungen zur


Zufriedenheit werden durchgeführt und es gibt regelmäßige Gespräche der Leitung<br />

mit dem Heimbeirat. Bewohnerinteressen zu befriedigen ist erste und<br />

selbstverständliche Aufgabe aller Beteiligten. Der Prozess dazu läuft systematisch ab.<br />

Es gibt klare Informations- und Arbeitswege dazu. (ZP 9)<br />

22 Manchmal entsteht die Situation, dass Bewohnerinteressen nicht vollständig<br />

befriedigt werden können, weil zu wenig Geld vorhanden ist. Oft findet sich aber durch<br />

Kreativität trotzdem eine Lösung. (ZP 10) Falls die Bewohnerinteressen nicht erfüllt<br />

werden können, empfindet die PDL das <strong>als</strong> belastend. „...aber ist was anderes wenn<br />

ich vertrete Interesse von Dritten, Interesse unserer Bewohner. Damit habe ich schon<br />

Schwierigkeiten. Das fällt mir schwer. Darauf zu verzichten, wenn ich höre, dafür<br />

haben wir kein Geld. Weil, ich denke damit kann man viel erreichen. Das ist nicht nur<br />

Qualität, sondern Bewohnerzufriedenheit, man möchte auch zeigen, das man was<br />

Gutes tut.“ (ZP 10)<br />

QB:<br />

23 Die Bewohner vertreten Ihre Interessen durch den Heimbeirat. Die<br />

Kommunikation ist gut und systematisch. Es finden regelmäßige Sitzungen des<br />

Heimbeirats statt und das Besprochene wird nötigenfalls an die Zuständigen Stellen<br />

der Einrichtung kommuniziert. (ZQ 11)<br />

Kategorie 3.3. „Kommunikation mit anderen gesellschaftlichen Gruppen“.<br />

EL:<br />

24 Kommunikation mit Investoren findet auf Einrichtungsebene nicht statt, wohl aber<br />

auf höherer Ebene des Unternehmens. Art und Inhalt der Kommunikation sind dem EL<br />

nicht bekannt. (ZE 11)<br />

24A Der EL würde gerne bei der Auswahl der Lieferanten- und Kooperationspartner<br />

berücksichtigen, wie nachhaltig sich diese Verhalten.<br />

Die Lieferkette im Unternehmen ist dezentral organisiert. Die Einrichtung kümmern sich<br />

<strong>als</strong>o selber darum, woher sie Lieferungen für Küche, Haustechnik, medizinische Pflege<br />

oder Apotheke bezieht, oder wo sie zum Beispiel ihre Wäsche waschen lässt. (T, S.<br />

11/6) „...ist mir jetzt im Interview aufgefallen, mal zu schauen, wie sind die Lieferanten und<br />

Kooperationspartner aufgestellt. Das muss ich sagen ist ein ganz neuer Gedanke,der kam bis<br />

jetzt noch nicht, da ist noch Luft nach oben, das ist ne spannende Sache. Weil das ja auch ein<br />

Gebot der Stunde ist, Da sind wir beim Anfang wieder, da geht es um Nachhaltigkeit. Das<br />

interessiert mich. Da könnte sich noch was entwickeln.“ (Transkript des Interviews mit dem<br />

Einrichtungsleiter, S. 11, Absatz 6)<br />

(EZ 21,22)


QB:<br />

25 Interessen der Kooperationspartner werden ernst genommen.<br />

Kooperationspartner werden <strong>als</strong> Multiplikatoren verstanden, die in der Öffentlichkeit<br />

und damit bei potentiellen Kunden, MA, Partnern positiv über Qualität und<br />

Zusammenarbeit berichten. „Also, Zufriedenheit der Partner steht ganz oben. Dass es<br />

ein Geben und Nehmen ist, weil Partner, Kooperationspartner auch immer <strong>als</strong><br />

Multiplikatoren begriffen werden. Wer mit uns zufrieden ist, wird auch gut über uns<br />

sprechen. Und das kann uns ja wiederum nutzen.“ (ZQ12)<br />

Kategorie 4. „Diskurs“<br />

4.1 „Bereitschaft zum Diskurs“<br />

4.2 „Befähigung zum Diskurs“.<br />

26 Keine Hinweise auf Diskurs in den Interviews<br />

Kategorie 5. „Hierarchie“<br />

EL:<br />

27 Die Unternehmenskultur ist stark von der bestehenden hierarchischen Ordnung<br />

geprägt. So werden Entscheidungen im Zweifelsfall von der nächsthöheren<br />

Entscheidungsebene abgelehnt oder befürwortet. (s. auch 6.1 „Strukturen die ethische<br />

Enstscheidungen, z. B. in Dilemmasituationen, erleichtern“ ) (ZE 13)<br />

PDL:<br />

28 Die Bearbeitung der Inhalte der Kommunikation mit den MA ist geprägt von der<br />

Hierarchie. In erster Linie versuchen wir, ist uns die Hierarchie schon sehr sehr wichtig.<br />

So dass der MA weiß, erster Ansprechpartner ist die Wohnbereichsleiterin. Sie muss<br />

mir helfen, wenn ich eine Sorge habe. Wenn sie nicht weiterhelfen kann wendet sie<br />

sich weiter an mich. [PDL meint damit sich selbst]“ (ZP 7) Die Hierarchie ist das<br />

System, innerhalb dessen Kommunikationswege für die MA vorgesehen sind.<br />

In schwierigen Situationen findet aber auch ein Treffen im größeren Kreis statt. „Es gibt<br />

aber schon mal Situationen wo wir uns gemeinsam treffen müssen“. (ZP 8)<br />

QB:<br />

29 Den Mitarbeitern soll trotzdem Eigenverantwortung für ihren Arbeitsbereich<br />

ermöglicht werden.


„Auch Selbstständigkeit, Verantwortung. Zutrauen. Eigenverantwortung. Dass jeder<br />

seine Aufgaben kennt, seinen Bereich kennt. Und es ist wirklich von der Leitung so<br />

gewünscht, dass es dann einfach ... klar regelmäßigen Austausch, Kommunikation.<br />

Man muss die Ziele des Unternehmens ja auch weitergeben, Aufgaben weitergeben,<br />

im Sinne des grossen Ganzen, für den Einzelbereich. Aber das dann jeder doch schon<br />

seinen Bereich in Eigenverantwortung führt. Das ist schon so gewünscht. Und ich<br />

glaube, nur so funktioniert es.“ (Quelle: Transkript mit QB, S. 3, Absatz 4)<br />

Kategorie 6. „Erneuerungs- und Veränderungsmanagement“<br />

EL:<br />

30 Veränderungen wird ein grosser Stellenwert beigemessen. „Also ich würde schon<br />

davon ausgehen, dass unser Haus, unser Betrieb, sich <strong>als</strong> lernende Organisation<br />

versteht, dieses Stichwort, wo es wichtig ist, dass Veränderung dazu gehört. Das ist<br />

das A und O. Dass man nie stehen bleibt, sondern immer bereit ist für Neues.“ (ZE 14)<br />

Es gibt das Bewusstsein dafür, dass Veränderungen begleitet werden müssen. Die<br />

Begleitung geschieht durch kommunikativen, unternehmensinternen Austausch und<br />

durch den Einsatz von Instrumenten des Qualitätsmanagements. (T, S. 10/2) Man kann<br />

insofern im Ansatz von einem systematischen Management für Veränderungen<br />

sprechen.<br />

31 Impulse zu Veränderungen gehen in erster Linie von der Leitung aus. Andererseits<br />

besteht die Offenheit für Anregungen zum Beispiel durch die Mitarbeiter. Diese wird<br />

aber nicht systematisch gelebt. (ZE 15)<br />

PDL:<br />

32 Impulse zur Veränderung gehen von MA und von der Leitung aus. Daraus folgende<br />

Veränderungen werden in jedem Fall systematisch umgesetzt. (ZP 18)<br />

33 Wenn die MA sich in Ihren Veränderungsvorschlägen einig sind, und die Leitung<br />

durch Argumente überzeugen können, bekommen sie die Möglichkeit ihre Vorschläge<br />

im Arbeitsablauf auszuprobieren. Gesteuert wird das von der Leitung. Das Ergebnis<br />

des Versuchs wird evaluiert und je nach Ergebnis dauerhaft umgesetzt. (ZP 19)<br />

34 Bei Veränderungen, die durch die Leitung initiiert werden, gibt es einen ebenso klar<br />

vorgegebenen Weg. Von Veränderungen betroffene MA sind in den Prozess<br />

einbezogen und haben ein - allerdings geringes - Recht zur Mitgestaltung. „Wir sind<br />

uns erstmal einig, nach Absprache mit Geschäftsführung, was wir wollen. Dann geht<br />

das die gleiche Linie nach zum Bereichsleiter runter. Das wird vorgestellt, wir hören<br />

uns Meinungen an, sind aber bereit auch noch was Kleines zu verändern. Wir wissen,<br />

was wir wollen, aber wir geben auch Freiräume.“ (ZP 20)


35 Kommunikation und Transparenz spielen bei den Veränderungsprozessen eine<br />

grosse Rolle. (ZP 21)<br />

36 Auch von Bewohnern, können Impulse zu Veränderungen ausgehen. (ZP 9)<br />

QB:<br />

37 Veränderungen sind ein Kernpunkt der Arbeit in der Einrichtung. „Veränderung, im<br />

Sinne von Weiterentwicklung? Das ist quasi die Basis des ganzen.“ (ZQ 13)<br />

38 Der Impuls zu Veränderungen geht in der Regel vom EL aus, und dient der<br />

Etablierung des Unternehmens. (ZQ 14)<br />

39 Themen der Veränderung sind: Unternehmenskultur (es geht darum sie im<br />

Arbeitsalltag zu pflegen, damit das was auf dem Papier an Unternehmenskultur<br />

beschrieben wird, auch gelebt wird) und fachliche Weiterentwicklung (Orientierung an<br />

neuen Erkenntnissen und Zusammenarbeit mit anderen Organisationen (Forschung,<br />

Hospize, etc). Veränderung wird <strong>als</strong> Voraussetzung für Qualität erkannt. (ZQ 15)<br />

40 Nachdem die Vorgaben zum Thema der Veränderung von der Leitung gekommen<br />

sind, werden Workshops zur Umsetzung organisiert. (ZQ 16)<br />

41 In den Workshops arbeiten alle MA zusammen, die mit dem Bereich, in dem die<br />

Veränderung stattfinden soll zu tun haben. „Wie so ein Projekt. Dass man einfach sagt,<br />

jeder sagt mal wie er zufrieden ist. Oder was er für Vorstellungen hat zu den<br />

Arbeitsabläufen, zu den Prozessen. Erst mal gibt es eine Art Brainstorming, eine<br />

Sammlung, und dann wird das zugeordnet. Schwerpunktsetzung, Prioritäten-<br />

Setzung.“ (ZQ 17)<br />

42 Auch wenn viele Impulse zur Veränderung von der Leitung ausgehen, ist diese doch<br />

genauso offen und interessiert gegenüber den Impulsen die von den MA ausgehen.<br />

Die Leitung fördert es, dass MA Ideen zur Veränderung einbringen und ist dankbar,<br />

wenn das passiert. Ideen werden geprüft und falls sie nicht sofort aufgenommen<br />

werden können, werden sie nicht vergessen, sondern vielleicht etwas später noch<br />

einmal aufgegriffen. Dies soll auch eine Art von Wertschätzung der MA durch die<br />

Leitung zu sein. (ZQ 18)<br />

Kategorie 7. „Primat der Ethik oder Ökonomie in Entscheidungssituationen“<br />

EL:<br />

43 In ethisch-ökonomischen Dilemma-Situationen besteht einerseits eine eindeutige<br />

Vorrangstellung der Ökonomie gegenüber der Ethik. „ Natürlich ist das Primat der<br />

Ökonomie sehr deutlich.“ (ZE 16) Das bedingt einen täglichen „Spagat“ bei<br />

unternehmerischen Entscheidungen, in denen neben ökonomischen Notwendigkeiten,


gleichzeitig die Werte aus dem Leitbild berücksichtigt werden sollen. (ZE 16) Hier<br />

besteht formal eine Unklarheit. „Aber das immer wieder unter einen Hut zu kriegen...<br />

Dass wir zu den besten der Branche gehören, das heißt ja eben nicht nur, wir wollen<br />

die Reichsten werden, sondern das heißt, der Betrieb soll gut, vorbildlich laufen.“ (ZE<br />

16)<br />

44 Vom ökonomischen Handlungsprinzip wird in Einzelfällen abgewichen. „Wir haben<br />

da Einzelfälle wo ich auch ganz konkret verzichte, weil ich mich anders entschieden<br />

habe. Wir haben jetzt zum Beispiel eine hundertjährige Frau, die hat nicht damit<br />

gerechnet, dass sie so alt wird, und die Ersparnisse sind verbraucht. Die kann hier<br />

nicht mehr volles Entgelt bezahlen. Aber dieser Frau werde ich nicht kündigen. Da<br />

verzichte ich dann auf Einnahmen. Das könnte ich aber natürlich nicht bei 120<br />

Einwohnern machen. Und das wird von der Unternehmensleitung auch mit<br />

getragen.“ (ZE 17)<br />

45 Das zeigt einerseits die Bereitschaft zu ethischem Verhalten, andererseits deutet es<br />

auf ein instrumentelles Verständnis von Unternehmensethik hin, denn man verspricht<br />

sich von einem Verhalten dass im Ausnahmefall gegen ökonomische Interessen<br />

verstößt, dafür aber ethisch erforderlich ist, eine langfristig positive ökonomische<br />

Wirkung. „Man muss immer zwischen ökonomisch kurzfristig und langfristig<br />

unterscheiden. Vielleicht verzichte ich kurzfristig auf Einnahmen. Aber ich behalte<br />

dadurch einen zutiefst zufriedenen Kunden, der das wiederum anderen weitererzählt.<br />

Das spricht sich rum im Angehörigen-Netzwerk. Und das trägt zur Zufriedenheit und zu<br />

Image-Steigerung bei, und führt darum auch mittelfristig zum Erfolg. (...) Und deshalb<br />

kann ich gar nicht sagen, hat hier die Ethik über die Ökonomik gesiegt, sondern auch<br />

das ist eine ökonomische Entscheidung, kurzfristig auf Gewinn zu verzichten, um ihn<br />

langfristig zu bekommen.“ (ZE 18)<br />

QB<br />

46 Für die QB gibt es keine Situationen in denen sie in ein Dilemma zwischen Ethik<br />

und Ökonomie gerät. Offensichtlich hat sie solche Entscheidungen nicht zu treffen. Sie<br />

sieht allerdings durchaus dass die Konsequenzen solcher Entscheidungen in ihrem<br />

Arbeitsalltag. Zum Bsp. entsteht für die MA der Pflege ein hoher Zeitdruck unter dem<br />

sie ihre Arbeit erledigen müssen. Nicht alle MA scheinen damit gut umgehen zu<br />

können. „Na gut, wir fordern natürlich eine 1A Qualität, dass es manchmal zeitlich<br />

schwer zu schaffen ist für die Pfleger, das umzusetzen. Natürlich ist das Unternehmen<br />

so aufgestellt, dass der Stundenumfang voll ausgeschöpft wird, und man muss sich<br />

super organisieren, um das richtig gut hinzukriegen. Wenn dann noch Zusatzaufgaben<br />

kommen, muss ich mich noch besser organisieren. Der eine schafft das sehr gut,<br />

andere schaffen es nicht so gut. Das ist schon ein Dilemma, dass man


unterschiedliche MA erlebt, die das große Ziel verfolgen, es vielleicht aber nicht so gut<br />

umsetzen können.“ (ZQ 19)<br />

47 Auch die Schlagworte Burnout und Depression fallen. Es existiert offenbar das<br />

Problem in der Einrichtung, zumindest werden Kurse und Vorträge zu den Themen<br />

angeboten. „Sonst ethisch, hab ich es nur mit MA zu tun und ihren Sorgen. Ethisch<br />

wäre ja auch Thema Burnout zum Beispiel. Und Depressionen. Wenn ich<br />

Fortbildungen mache, und Wünsche der MA erfülle, dass ich da einfach drauf<br />

eingehe.“ (ZQ 20)<br />

PDL:<br />

48 Ein anderes Dilemma entsteht manchmal in der Unvereinbarkeit von Interessen der<br />

Bewohner, mit Interessen der MA. Bedürfnisse der Bewohner müssen befriedigt<br />

werden, MA haben aber zu wenig Zeit dafür, müssen unter grossem Zeitdruck arbeiten.<br />

„Wenn ich durch Etagen gehe, gucken, und das ist manchmal mein Dilemma. Also ich<br />

merke, der MA steht unter so einem Zeitdruck, dass er vielleicht selber noch nicht<br />

gegessen hat, dass er noch nicht getrunken hat. Ich hab auch die Sorge zu wissen, der<br />

MA muss sich auch hinsetzen und essen. Es gibt Situationen, ja es steht auf dem<br />

Dienstplan, aber das die Zeit heute vielleicht gerade nicht gegeben ist.“ (ZP 13)<br />

49 Das Problem wird <strong>als</strong> strukturell erkannt. Die Problematik der Struktur wird aber<br />

hingenommen. „Dass in Pflege immer alles zu wenig ist das ist ja anderes Thema. Das<br />

ist ja aber schon von Struktur her vorgegeben.“ Das strukturelle Problem wird im<br />

Folgenden auf die individuelle Ebene verlagert. „Die Dilemma die wir haben, verstehe<br />

ich <strong>als</strong> selbstverständlich. Die gehören halt zu meinem Leben, die gehören zu uns.“<br />

Innerhalb dieser Logik wird die Lösung auf die Ebene persönlicher Verantwortlichkeit<br />

aller MA verschoben. Diese müssen durch kluge Einschätzung Zeit sparen, in dem sie<br />

nur die „wirklichen“, nicht die schematisch erwarteten Bedürfnisse der Bewohner<br />

befriedigen. „Aber vielleicht möchte er gar nicht, dass ich ihm tagtäglich die Füsse<br />

wasche, er hat früher vielleicht auch gar nicht gemacht. Schaue in die Augen und<br />

erkenne was der Mensch braucht“ (...) „Wir <strong>als</strong> Familie, ist das so, ne, wenn Mutter fünf<br />

Kinder hat, ist das so, dass sie alle schafft gleichzeitig, nee, auch nicht.“ (ZP 14)<br />

50 Damit sind die MA nun individuell dafür verantwortlich und dazu angehalten, dafür<br />

zu sorgen, dass sich die Auswirkungen des strukturell bedingten Zeitmangels nicht<br />

negativ auf ihre Arbeit, die Pflege der ihnen anvertrauten Bewohner, auswirkt. „So und<br />

deswegen, es ist schon eine Kunst, aber wir müssen an uns selbst arbeiten: Was<br />

brauche ich, wo gebe ich und wie erkenne ich den Bedarf. Damit hat man weniger<br />

Dilemma und weniger Konflikte.“ [lacht] (ZP 15)<br />

51 Ein weiteres Beispiel hierfür ist der Umgang mit der Schwierigkeit, die Pausen für<br />

die MA zu garantieren. Das so genannte therapeutische Essen ermöglicht die Pausen


des MA zur Betreuung der Bewohner einzusetzen, in dem Bewohner und MA in den<br />

Wohngruppen gemeinsame Mahlzeiten einnehmen. „Ja, wir haben noch zum Beispiel<br />

eingeführt, dass MA zusammen mit Bewohner essen darf. Wir nennen das<br />

therapeutisches Essen und das ist irgendwie auch MA-Pflege. Nimm dir Zeit, setz dich<br />

zusammen. Das nutzt dem Bewohner sehr viel, aber auch mir, <strong>als</strong> MA. Ich komme zum<br />

Austausch mit dem Bewohner, das gibt mir viel für meine Tätigkeit, <strong>als</strong><br />

Krankenschwester. Ich hab alles zwar unter Kontrolle, dabei, aber ich kann auch dabei<br />

essen, mich entspannen, ne, Gespräche anregen.“ (ZP 16)<br />

52 Auch bei zeitintensiven Aufgaben wie der Betreuung von Bewohnern in der<br />

Sterbephase, wird eine ausreichende Versorgung nur durch den zusätzlich<br />

persönlichen und individuellen Einsatz der MA gewährleistet. Die PDL beschreibt dies<br />

<strong>als</strong> Bereicherung: „Also wie Sie jetzt beschrieben haben, jemand liegt im Sterben. Ich<br />

müsste dafür zwanzig Stunden vor Ort sein. Vielleicht ist das noch nicht zu<br />

gewährleisten, weil die finanziellen Mittel vielleicht noch nicht geregelt sind. Aber dann<br />

haben wir für uns hier einen Weg gefunden. Das wir tatsächlich untereinander uns gut<br />

absprechen. Mal ist das schon ehrenamtliche Lösung. Aber Lösung, die trotzdem uns<br />

viel gibt.“ (ZP 17)<br />

53 Die Frage ist nur, wem das „etwas gibt“. Wiederum sind es die MA, die sich die<br />

Bewältigung eines strukturellen Problems zur individuellen Aufgabe machen, und eine<br />

Führung, die dieses Konzept unterstützt.<br />

Kategorie 8. „Strukturen die ethische Entscheidungen in Dilemmasituationen,<br />

erleichtern“<br />

EL:<br />

54 Es gibt eine allgemeine Systematik für die Handhabung von Situationen, in denen<br />

Entscheidungen schwer fallen. Sie gilt auch für Dilemma-Situationen die ethische<br />

Aspekte beinhalten. Eine Lösung wird auf der vorgesehenen Ebene vorbereitet und<br />

vom Entscheidungs-Verantwortlichen dem Verantwortlichen auf der nächsthöheren<br />

Hierarchieebene vorgeschlagen. Im so genannten Vier-Augen-Prinzip wird die Lösung<br />

befürwortet oder abgelehnt. Eine Entscheidung wird auf diese Art gemeinsam<br />

getroffen. „Wir haben im Unternehmen eine relativ klare Kommunikationsstruktur. Wir<br />

sagen, Entscheidungen sind hierarchisch aufgebaut, und zwar von unten nach oben.<br />

Wir versuchen das so genannte Vier-Augen-Prinzip durchzuhalten. Das heißt<br />

Entscheidungen werden immer im Vier-Augen-Prinzip gefällt. Was heißt: Die Ebene<br />

auf der eine Entscheidung gefällt oder vorbereitet werden muss, trägt den<br />

Lösungsansatz, nicht das Problem, zur nächsthöheren Ebene. Zusammen mit der<br />

nächsthöheren Ebene wird dann im Vier-Augen-Prinzip gemeinsam beschlossen, ja<br />

oder nein“... „ Ich fühle mich nicht alleine mit meinen Entscheidungen.“ (ZE 19)


PDL:<br />

55 Pflegeethische Entscheidungen: Dilemma-Situationen wird systematisch<br />

vorgebeugt, in dem im Vorfeld die Frage nach Patientenverfügungen gestellt wird.<br />

56 In schwierigen Akut-Situationen, ist der systematisch vorgesehene Weg zur<br />

Erleichterung von Entscheidungen, das Zusammenkommen aller Beteiligten, und für<br />

die PDL das Gespräch mit ihrem Vorgesetzten, dem EL. (TP 11)<br />

57 Die Entscheidungssituation wird trotzdem <strong>als</strong> belastend und einsam erlebt: „Das<br />

sind Momente, in Minuten, treffen wir über Leben, über Sterben, müssen wir, sind wir<br />

dazu gezwungen Entscheidungen zu treffen. Das sind schwierige Entscheidungen.<br />

Weil es bleibt immer die Frage: War die Entscheidung, die ich getroffen habe richtig?<br />

Und die Frage kann mir niemand, niemand beantworten. Das ist nun mein Gewissen.<br />

Das Problem liegt daran, wenn ich auch zu der Erkenntnis komme, das war f<strong>als</strong>che<br />

Entscheidung, ich kann sowieso nichts mehr daran ändern. Ich muss nur gucken, wie<br />

ich damit zurecht komme, wie die MA damit zurecht kommen.“ (ZP 12)<br />

QB:<br />

58 Für schwierige ethische Entscheidungen in der Pflege, stehen keine ausgeprägten<br />

Hilfestrukturen zur Verfügung. Es gibt kein Ethik-Komitee oder ähnliches. Allerdings<br />

existiert eine gute Zusammenarbeit mit den Hausärzten, die offenbar unterstützend<br />

wirkt. (ZQ 22)<br />

59 Unterstützend können auch Fallbesprechungen wirken, die in Einzelfällen<br />

durchgeführt werden, zum Beispiel bei aggressiven Bewohnern oder in Situationen, in<br />

denen über den Einsatz lebensverlängernder Massnahmen entschieden werden muss.<br />

Dort wird interdisziplinär überlegt, welche Handlungsmöglichkeiten bestehen, die dem<br />

Wohle des Bewohners und der MA dienen. (ZQ 23) „Es gibt Fallbesprechungen wo von<br />

verschiedenen Berufsgruppen gemeinsam überlegt wird, wie können wir das am<br />

besten zum Wohle des Bewohners und der MA besprechen. Ich glaube nicht, dass da<br />

jemand von ausserhalb so hilfreich wäre. Die Berufsgruppen die an dem Fall beteiligt<br />

sind, sollten besprechen - da sollte auch der Krankengymnast dazu kommen, die<br />

Ergotherapeutin. der Arzt, idealer weise. Dass man auch überlegt, wie können wir<br />

biografiebezogen mit gewissen Verhaltensweisen umgehen?“ ((ZQ 23)


Kategorie 9. „Engagement für die Rahmenordnung“<br />

EL:<br />

60 Ein Engagement auf der Makroebene, zur Schaffung einer Rahmenordnung die<br />

unternehmensethischem Verhalten Vorschub leistet, findet nicht statt. (ZE 21)<br />

Kategorie 10. „Projektarbeit“<br />

EL:<br />

61 Projektarbeit und damit eine Arbeitsform die auch das kreative Potenzial der<br />

Widerspruchsmöglichkeit gegenüber der Hierarchie zugänglich macht, findet in<br />

schwacher Form statt. Es gibt Qualtitätszirkel die in Projektform arbeiten, und im<br />

Unternehmen werden Projekte initiiert, die von den jeweiligen Einrichtungsleitern<br />

geleitet, in deren Häusern durchgeführt werden. In dieser Einrichtung existiert eine<br />

Arbeitsgruppe zum Thema Karrieregespräche. (ZE 20)<br />

QB:<br />

62 Veränderungen werden mit Hilfe von Workshops gesteuert.<br />

In den Workshops arbeiten alle MA zusammen, die mit dem Bereich, in dem die<br />

Veränderung stattfinden soll zu tun haben. „Wie so ein Projekt. Dass man einfach sagt,<br />

jeder sagt mal wie er zufrieden ist. Oder was er für Vorstellungen hat zu den<br />

Arbeitsabläufen, zu den Prozessen. Erst mal gibt es eine Art Brainstorming, eine<br />

Sammlung, und dann wird das zugeordnet. Schwerpunktsetzung, Prioritäten-<br />

Setzung.“ (ZQ 17)<br />

63 Momentan wird dem Thema Palliativ-Pflege große Aufmerksamkeit gewidmet. Hier<br />

liegt deshalb gerade ein Schwerpunkt in der Arbeit des Qualtitätsmanagements. Es<br />

wurde ein Qualitätszirkel zum Thema Sterbebegleitung gegründet, in dem neue<br />

Verfahrensweisen und eine Form der Zusammenarbeit mit einem Hospiz entwickelt<br />

werden. Ziel ist es, den Bewohnern ein würdevolles Sterben, nach Möglichkeit in der<br />

Einrichtung, zu ermöglichen. (ZQ 21)<br />

Verschiedenes:<br />

64 Schulungen und Trainings zum Thema Ethik gibt es für die MA nur auf<br />

Leitungsebene. Da geht es dann um Führungsthemen wie Motivation,<br />

Mitarbeiterführung und Wertschätzung. (ZE 10)

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