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BLICK IN DIE ZEIT<br />
Natürlich waren seine Vorstelllungen<br />
sehr konkret, welche Ausstattungen<br />
<strong>und</strong> Eigenschaften die<br />
nächste Bike-Generation haben<br />
sollte. Der Markt bot einige interessante<br />
fahr- <strong>und</strong> sicherheitstechnische<br />
Neuerungen. Das Beste war<br />
für ihn eigentlich schon immer gerade<br />
gut genug. Seine Ansprüche<br />
entwickelten sind entsprechend.<br />
Aber die Mutter spürte, dass es gerade<br />
mal so nebenbei eine solche<br />
Anschaffung nicht geben sollte.<br />
Also bekam er eine erste Sparrate<br />
für das Objekt der Begierde zu<br />
Ostern. Die Omas <strong>und</strong> Opas steuerten<br />
auch ein bisschen bei. Dann<br />
standen noch der 15. Geburtstag<br />
an <strong>und</strong> das Zeugnis im Sommer.<br />
Christian musste sich wohl oder<br />
übel in Geduld üben. Das fiel ihm<br />
noch nie leicht. Am Schaufenster<br />
des Fahrradgeschäfts drückte er<br />
sich regelmäßig die Nase platt.<br />
Sehnsüchtig. Aber auch mit raffinierten<br />
Argumentationen, warum<br />
er das Rad schon früher gut gebrauchen<br />
könnte, scheiterte er. Die<br />
Eltern blieben standhaft, überlegten<br />
aber mit ihm, was er dazu beitragen<br />
könnte. Man einigte sich<br />
darauf, dass er sein hochwertiges<br />
Marken-Spielzeug sichtet <strong>und</strong> das<br />
aussortiert, was eigentlich nur<br />
noch herumsteht. Auf dem nächsten<br />
Flohmarkt könnte er es verkaufen.<br />
Das sollte Geld bringen <strong>und</strong><br />
Platz schaffen.<br />
Der Teenager ließ sich mehr oder<br />
weniger freiwillig darauf ein. Er<br />
kramte <strong>und</strong> räumte, entschied, was<br />
er behalten wollte, <strong>und</strong> trennte<br />
sich von etlichen Sachen, die an<br />
Bedeutung verloren hatten. Ein<br />
wichtiger Prozess. Dann saß er einen<br />
ganzen Tag an einem üppig<br />
gefüllten Tisch auf dem Flohmarkt.<br />
Das Interesse an seinem Angebot<br />
war rege. Seine Verkaufsgespräche<br />
fruchteten. Er erfuhr, dass es Eltern<br />
<strong>und</strong> auch Kinder gab, die sich nicht<br />
alles neu leisten können <strong>und</strong> ziemlich<br />
rechnen müssen. Seine komfortable<br />
Situation war also nicht<br />
<strong>selbst</strong>verständlich. Sie versetzte<br />
ihn darüber hinaus in die Lage, aus<br />
seinem Überfluss Kapital zu schlagen.<br />
Immerhin hatte er am Abend<br />
mehr als 350 Euro in der Kasse.<br />
Christian war nicht nur stolz auf<br />
sich, sondern auch hochzufrieden.<br />
Der eigene Beitrag zur Erfüllung<br />
seines Wunsches ließ das künftige<br />
Mountain-Bike in greifbarere Nähe<br />
rücken <strong>und</strong> machte es überdies<br />
wertvoller. Er nahm sich vor, besser<br />
darauf achtzugeben als auf sein<br />
altes.<br />
Die Überlegungen des Jungen gingen<br />
sogar noch weiter. Er werde<br />
mit dem neuen Rad nicht mehr in<br />
die Schule fahren, eröffnete er<br />
seinen Eltern. Dort bekommt es<br />
nämlich im Gewühl zwangsläufig<br />
Macken <strong>und</strong> Kratzer. Für 80 Euro<br />
erstand er von seinem Geld ein<br />
altersgerechtes gebrauchtes Rad<br />
auf dem Fahrrad-Flohmarkt. Damit<br />
kann er jeden Tag zwar nicht so<br />
flott, dafür aber unbesorgt in die<br />
Schule radeln. Die Eltern reagierten<br />
auf den Vorschlag mit Anerkennung.<br />
Sie sparen dadurch die<br />
Monatskarte für den Bus. Die Hälfte<br />
des Betrages bekommt Christian<br />
künftig als Zusatztaschengeld.<br />
Denn das hat er sich redlich „erstrampelt“.<br />
Auf einmal fand Christian<br />
es sogar spannend, auf die<br />
Anschaffung hinzuarbeiten. Für<br />
die Eltern wäre es sicher einfacher<br />
gewesen, mit ihm in ein Geschäft<br />
zu gehen, das Bike auszusuchen,<br />
die Kreditkarte zu zücken <strong>und</strong> das<br />
Thema vom Tisch zu haben. Der<br />
eingeschlagene Weg war mühsamer,<br />
aber lehrreicher.<br />
Regeln einhalten<br />
Zugegeben – es klappt nicht immer<br />
so. Den langen Atem für die<br />
richtige Motivation aufzubringen,<br />
macht Mühe. Wobei wir wieder bei<br />
der Erziehungsarbeit, wären. Mit<br />
Betonung auf Arbeit. Lehrer, die<br />
mit 20 oder 30 Jugendlichen verschiedenster<br />
Elternhäuser klarkommen<br />
müssen, bringen nicht<br />
immer die nötige Geduld <strong>und</strong> Kraft<br />
auf. Sie haben einen Lehrplan zu<br />
erfüllen <strong>und</strong> der muss funktionieren.<br />
Wenn das Ziel aus dem Blick zu<br />
geraten droht, müssen sie auch<br />
mal die Reißleine ziehen. Dann<br />
sind sie auf das Verständnis <strong>und</strong><br />
die Unterstützung des Elternhauses<br />
angewiesen.<br />
Der elfjährige Stefan bekam als<br />
Zugabe in die Pfingstferien von<br />
seiner Klassenlehrerin eine saftige<br />
Strafarbeit <strong>und</strong> einen Brief an die<br />
Eltern mit. Dem war zu entnehmen,<br />
dass er zu einer Gruppe gehörte,<br />
die in letzter Zeit häufig zu<br />
spät im Unterricht erschien. Stefan<br />
war verärgert. Die Lehrerin sei blöd.<br />
So schlimm sei das gar nicht ge -<br />
wesen. Höchstens zwei Minuten.<br />
Kein Gr<strong>und</strong> zur Aufregung. Fand<br />
er. Der leidenschaftliche Fußballspieler<br />
hatte sich in den letzten<br />
Wochen in der großen Pause mit<br />
Klassenkameraden auf dem Bolzplatz<br />
der Schule ausgepowert. Allerdings<br />
war dort der Pausengong<br />
nicht zu hören. Deshalb wurde die<br />
freie Zeit bis zur letzten Minute<br />
ausgekostet. Dann rannte das<br />
Bolz-Team zum Klassenraum. Dass<br />
die Schul-Uhr mit ihrer Zeitmessung<br />
nicht übereinstimmte, nutzten<br />
sie als Ausrede. Zu oft, wie es<br />
schien. Irgendwann akzeptierte die<br />
Lehrerin das nicht mehr. Und weil<br />
ihre Ermahnungen ins Leere gingen,<br />
informierte sie die Eltern. Die<br />
haben nun zwei Möglichkeiten:<br />
Sie verteidigen ihren Filius <strong>und</strong><br />
nehmen ihn in Schutz oder folgen<br />
der erzieherischen Maßnahme der<br />
Schule.<br />
Stefans Vater ließ sich den Sachverhalt<br />
von seinem Sohn erläutern<br />
<strong>und</strong> pflichtete der Lehrkraft bei,<br />
dramatisierte den Vorgang aber<br />
nicht. „Ihr habt niemanden verletzt<br />
<strong>und</strong> nichts kaputt <strong>gemacht</strong>. Das ist<br />
gut“, schickte er seiner Bewertung<br />
voraus. „Aber ihr habt eine Regel<br />
gebrochen, die da lautet: Wenn der<br />
Unterricht beginnt, haben alle in<br />
der Klasse zu sein. Wer das nicht<br />
tut, muss mit Konsequenzen rechnen.“<br />
Der Vater bezog eindeutig<br />
Stellung <strong>und</strong> schickte seinen Sohn<br />
aufs Zimmer, um die Zusatzaufgaben<br />
zu erledigen. Der fand dafür<br />
deutliche Worte: „Das ist gemein“.<br />
Er hatte jedoch keine Wahl. Die Eltern<br />
waren zwar nicht erfreut über<br />
das Verhalten, sahen aber einen<br />
positiven Effekt: Ihr Sohn hatte<br />
eine entscheidende Lektion gelernt,<br />
ohne dass gravierender<br />
Schaden entstanden war.<br />
Keine Frage: Solche Eltern wünschen<br />
sich Lehrkräfte. Oft genug<br />
erleben sie jedoch, wie Eltern ihre<br />
Sprösslinge verteidigen. Und das<br />
geht bereits bei Erstklässlern los.<br />
Kritik verhallt oft ungehört. Oder<br />
es gibt Erklärungen wie: Das Kind<br />
befindet sich gerade in einer<br />
Wachstumsphase. Die ist mal körperlich<br />
<strong>und</strong> mal geistig. Im Wechsel.<br />
Also eigentlich immer. Will meinen:<br />
Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer müssen<br />
das aushalten. Denn Wachs -<br />
tum ist normal <strong>und</strong> nicht aufzuhalten.<br />
Eltern haben damit zu Hause<br />
zu kämpfen. Die Schule muss damit<br />
ebenfalls fertig werden. Für alle<br />
kein leichtes Unterfangen. Und<br />
manch mal ist ganz schön viel Kreativität<br />
gefragt.<br />
Unkonzentriert<br />
<strong>und</strong> flegelhaft<br />
Der Erstklässler Florian ist eigentlich<br />
ein guter Schüler, fällt jedoch<br />
durch lautes Grölen im Klassenzimmer,<br />
Prügeleien auf dem Schulhof,<br />
Unkonzentriertheit im Unterricht<br />
<strong>und</strong> flegelhaftes Verhalten<br />
mit den Füßen auf dem Tisch immer<br />
wieder unangenehm auf. Die<br />
Lehrerin weiß sich nicht mehr zu<br />
helfen <strong>und</strong> verfasst einen schriftlichen<br />
Verweis an die Eltern. Die<br />
Mutter unterschreibt das Schrift-<br />
138 <strong>Ratgeber</strong> 8/2014<br />
8/2014<br />
<strong>Ratgeber</strong><br />
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