Wer soll das bezahlen? - SÃDWIND-Institut
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3. Die Nahrungsmittelkrise<br />
einem sehr niedrigen Niveau angelangt waren. 52<br />
Lagerbestände können extreme Preisschwankungen<br />
auffangen, indem je nach Preislage die<br />
Bestände aufgefüllt oder geleert werden. Wenn<br />
sie aber weitgehend aufgebraucht sind, sind die<br />
Länder abrupten Veränderungen auf der Angebots-<br />
oder Nachfrageseite ausgeliefert.<br />
Strukturelle Defi zite in der Agrarpolitik haben<br />
die Angebotsseite zusätzlich geschwächt,<br />
denn in vielen Entwicklungsländern kam es zu<br />
einer sinkenden Produktivität im Agrarsektor.<br />
Während die Erträge in den am wenigsten entwickelten<br />
Ländern in den 1980er Jahren noch<br />
um durchschnittlich 3–6 % wuchsen, steigen<br />
sie gegenwärtig nur um etwa 1–2 %. 53 Sinkende<br />
Verfügbarkeiten von fruchtbarem Ackerland<br />
vor allem für Landwirte mit kleineren Anbauflächen<br />
spielen hierbei ebenso eine Rolle wie eine<br />
verfehlte Agrarpolitik im Zuge der Strukturanpassungen,<br />
die vorrangig auf Exportförderung<br />
gesetzt und dabei die einheimische Produktion<br />
von Nahrungsmitteln und vor allem staatliche<br />
Unterstützung in diesem Bereich vernachlässigt<br />
hat (vgl. Kasten). Durch die Liberalisierung der<br />
Märkte wurde die einheimische Produktion der<br />
Konkurrenz oft hoch subventionierter Agrarprodukte<br />
aus den Industrienationen ausgesetzt.<br />
Und nun kommt die steigende Nachfrage ins<br />
Spiel. Der steigende Bedarf einer wachsenden<br />
Bevölkerung allein kann hierfür jedoch nicht alleine<br />
herangezogen werden. Neu bei der gegenwärtigen<br />
Krise ist, <strong>das</strong>s nicht nur ein paar, sondern<br />
im Wesentlichen alle Nahrungsmittel sowie<br />
auch andere Rohstoffe vom Preisboom betroffen<br />
sind. Auch sind die kurzfristigen Preisschwankungen<br />
(Volatilität) sehr viel stärker als jemals zuvor.<br />
Zwischen Januar 2008 und Mai 2008 waren die<br />
Preisschwankungen für Weizen doppelt so groß<br />
wie im vorangegangenen Jahr, für Reis sogar<br />
fünfmal so groß. 54 Wie lässt sich all <strong>das</strong> erklären?<br />
Dass eine globale Nahrungskrise in diesem Ausmaß<br />
entstehen konnte, ist mit dem Aufeinandertreffen<br />
von langfristigen, strukturellen Faktoren,<br />
sowie akuten, gegenwärtigen Entwicklungen zu<br />
erklären. Die Ursachen sind vielschichtig und oftmals<br />
zueinander interdependent.<br />
52 Vgl. FAO (2009b).<br />
53 Vgl. UNCTAD (2008).<br />
54 Vgl. FAO (2009b).<br />
55 Vgl. Paul / Wahlberg (2008).<br />
56 Vgl. Paul / Wahlberg (2008).<br />
Bevölkerungswachstum<br />
und neues Konsumverhalten<br />
Angesichts einer rasant wachsenden Bevölkerung<br />
mit einem jährlichen Wachstum von 78<br />
Mio. Menschen nimmt die Nachfrage nach Nahrungsmitteln<br />
beständig zu. Schon jetzt kommt die<br />
globale Nahrungsproduktion dem Bedarf kaum<br />
nach. Insbesondere in den Industrienationen,<br />
die wichtige Erzeugerländer sind, ist die Produktivität<br />
bereits sehr hoch. Sie lässt sich durch neue<br />
Investitionen nicht mehr in dem Maße steigern,<br />
wie <strong>das</strong> in der Vergangenheit der Fall war. Da<br />
auch die Produktionskosten aufgrund steigender<br />
Öl- und Düngemittelpreise tendenziell steigen,<br />
gibt es bereits Zweifel, <strong>das</strong>s unter Beibehaltung<br />
der gegenwärtigen energieintensiven Produktionsweise<br />
die Produktion überhaupt noch mit<br />
dem Bevölkerungswachstum mithalten kann. 55<br />
Hinzu kommt, <strong>das</strong>s gerade in bevölkerungsreichen<br />
Ländern wie China und Indien <strong>das</strong> Entwicklungsniveau<br />
immer weiter zunimmt. Immer<br />
mehr Menschen konsumieren mehr und höherwertige<br />
Lebensmittel. Vor allem der erhöhte<br />
Konsum von Fleisch- und Milchprodukten stellt<br />
ein zunehmendes Problem für die Nahrungsmittelproduktion<br />
dar. In China kam es z.B. seit 1985<br />
zu einer Steigerung der Fleischnachfrage um<br />
150 %. 56 Fleischproduktion hat jedoch einen sehr<br />
viel höheren Flächenbedarf landwirtschaftlicher<br />
Nutzflächen für Weidefläche und die Futtermittelproduktion.<br />
Das Konsumverhalten von immer<br />
mehr Menschen gerade in den aufstrebenden<br />
Schwellenländern gleicht sich dabei mehr und<br />
mehr dem energie- und flächenintensiven und<br />
daher nicht nachhaltigen Konsummuster an, <strong>das</strong><br />
die westliche Welt schon seit Jahren prägt.<br />
Solche Veränderungen sind jedoch graduell<br />
und gehen nicht plötzlich vonstatten. Diese<br />
beiden Faktoren sind daher relevant für die längerfristige<br />
Entwicklung der Nachfrageseite, vor<br />
allem in der Zukunft. Sie können aber den plötzlichen<br />
Anstieg der Nahrungsmittelpreise in dem<br />
gegebenen Ausmaß kaum erklären.<br />
Boom der Agrotreibstoffe<br />
Von einer weiteren Seite wurde die Nachfrage<br />
kräftig angekurbelt, dem Boom von Agrotreibstoffen.<br />
Die Basis der Agrotreibstoffe stellen<br />
nachwachsende Rohstoffe dar, die zu Ethanol<br />
28 <strong>Wer</strong> <strong>soll</strong> <strong>das</strong> <strong>bezahlen</strong>? • © SÜDWIND 2010