Wer soll das bezahlen? - SÃDWIND-Institut
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3. Die Nahrungsmittelkrise<br />
62 Europäische Banken werben gar für Ihre »strukturierten Finanzprodukte<br />
im Agrarbereich«: »Die genannten Gründe sprechen<br />
gegenwärtig für eine derartige Investition und sind sichere<br />
Voraussetzungen für nachhaltig steigende Preise und satte<br />
Gewinne« (Bank ABM Amro, Niederlande).<br />
63 Zitiert nach Wahl (2008).<br />
64 Vgl. FAO (2009b).<br />
65 Vgl. Wahl (2008).<br />
den Trend für die Nahrungsmittelpreise eher<br />
nach oben als nach unten gehen lassen. Es sind<br />
aber Entwicklungen, die längerfristig wirken und<br />
je nach Geschwindigkeit die Preise auch mehr<br />
oder weniger rasch steigen lassen können. Die<br />
dramatischen Preisanstiege, insbesondere in<br />
den Jahren 2007 und 2008 können sie aber<br />
kaum erklären. Auffällig ist auch, <strong>das</strong>s nach Ausbruch<br />
der Finanzkrise die Preise fast ebenso dramatisch<br />
wieder gefallen sind (vgl. Abbildung 5).<br />
Vieles deutet darauf hin, <strong>das</strong>s es sich bei diesen<br />
dramatischen Auswüchsen um eine klassische<br />
Spekulationsblase handelt.<br />
Diese Art der Spekulation beruht auf einem<br />
an den Rohstoffbörsen üblichen und eigentlich<br />
auch sinnvollen Versicherungsmechanismus,<br />
den sogenannten Termingeschäften (engl. futures).<br />
Bei Termingeschäften wird zwischen dem<br />
Produzenten (Verkäufer der Ware) und dem<br />
Abnehmer (Käufer) gewissermaßen ein Vertrag<br />
abgeschlossen, in dem der Abnehmer sich verpflichtet,<br />
die Ware zu einem zum Vertragszeitpunkt<br />
festgelegten Preis zu kaufen. Für beide<br />
Seiten hat dies den klaren Vorteil der besseren<br />
Kalkulierbarkeit und Sicherheit. Der Produzent<br />
kann sich so gegen fallende Preise, der Abnehmer<br />
gegen steigende Preise absichern.<br />
Bei tendenziell steigenden Preisen sind solche<br />
Termingeschäfte aber nicht nur für die Händler<br />
interessant, sondern zunehmend auch für institutionelle<br />
Investoren, die nicht selbst mit Rohstoffen<br />
handeln, aber für die von ihnen verwalteten<br />
Gelder möglichst hohe Renditen suchen. 62<br />
Für diese Investoren sind vor allem im Vorfeld<br />
der globalen Finanzkrise (vgl. Kapitel 4) solche<br />
Investitionen auf den Rohstoffmärkten interessant<br />
geworden. Je mehr der Hypothekenmarkt<br />
in den USA zu kippen drohte – lange Zeit vermeintlicher<br />
Garant für hohe Rendite – desto<br />
mehr investierten sie auf den Rohstoffmärkten,<br />
was wiederum die Preise für Nahrungsmittel weiter<br />
nach oben drückte. Eine Studie der Lehman<br />
Brothers Bank gibt an, <strong>das</strong>s die Summen, die in<br />
kombinierte Rohstoffi ndices investiert wurden<br />
(von denen agrarische Rohstoffe zwischen 10 %<br />
und 20 % ausmachen) zwischen dem Jahr 2003<br />
und März 2008, von 13 Mrd.US-Dollar auf 260<br />
Mrd. US-Dollar gestiegen sind. 63 Bestandteil solcher<br />
Rohstoffi ndices und Ziel der Spekulationen<br />
war auch Erdöl. Dies hatte Auswirkungen auf die<br />
Produktion von Nahrungsmitteln, da damit auch<br />
die Preise für Düngemittel stiegen, die aufgrund<br />
ihrer energieintensiven Herstellung stark vom<br />
Ölpreis abhängen.<br />
Mittlerweile haben sich auf den internationalen<br />
Märkten die Preise zwar wieder etwas erholt,<br />
liegen aber dennoch deutlich über dem langjährigen<br />
Durchschnitt. Besonders in den meisten<br />
Entwicklungsländern sind die Preise noch immer<br />
doppelt so hoch wie zu Zeiten der relativen<br />
Niedrigpreisphase zu Beginn des Jahrtausends.<br />
Aus den genannten Gründen sind Investitionen<br />
in agrarische Rohstoffe auch in Zukunft lukrativ.<br />
Wenn die rein spekulativen Tätigkeiten nicht<br />
klaren Regeln unterworfen werden, so könnten<br />
ähnliche Preisblasen und -sprünge auch in Zukunft<br />
die Preise für Nahrungsmittel weitgehend<br />
mitbestimmen. Je größer aber solche Preissprünge<br />
ausfallen, desto höher sind auch die<br />
möglichen Gewinnchancen für die Spekulanten,<br />
mit der Folge, <strong>das</strong>s eben die Preissprünge<br />
selbst die spekulativen Attacken noch weiter<br />
verstärken können. 64 Umgekehrt stellen genau<br />
solche Preissprünge aber eine ernst zu nehmende<br />
Gefahr für die Ernährungssicherheit in vielen<br />
Ländern dieser Erde dar. Mehr Transparenz im<br />
Rohstoffhandel und klare Regeln gegen die Spekulation<br />
mit Nahrungsmitteln <strong>soll</strong>ten somit auch<br />
ein Gebot des Rechts auf Nahrung sein.<br />
Es ist schwer zu beurteilen, welchen Anteil die<br />
Spekulation auf Nahrungsmittel tatsächlich an<br />
den mittelfristigen Preisentwicklungen ab dem<br />
Jahr 2003 hatte. Vor allem die blasenähnliche<br />
Entwicklung zwischen 2007 und 2008 mit einem<br />
starkem Anstieg und einem ebenso abrupten<br />
Rückgang spricht aber sehr für eine nicht<br />
unerhebliche Bedeutung dieses Faktors. Einige<br />
Experten gehen davon aus, <strong>das</strong>s Spekulationen<br />
insgesamt die Preisentwicklung erheblich beeinflussen,<br />
die Märkte instabiler machen und periodisch<br />
zu spekulativen Blasen führen, und <strong>das</strong>s sie<br />
an der Nahrungsmittelkrise den »Löwenanteil«<br />
ausgemacht haben. 65<br />
32 <strong>Wer</strong> <strong>soll</strong> <strong>das</strong> <strong>bezahlen</strong>? • © SÜDWIND 2010