ES-Spiegel Nr.16.pdf - Technische Universität Chemnitz
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<strong>ES</strong>-<strong>Spiegel</strong> - Halbjährlicher Newsletter der <strong>Chemnitz</strong>er Europa-Studien<br />
Thema<br />
Thema<br />
Grenzen übertanzen<br />
Annemarie Walter<br />
16<br />
Annemarie Walter<br />
annemarie.walter<br />
@s2010.tu-chemnitz.de<br />
Das Experiment: Eine multinationale<br />
Begegnung, bei der die Nationalitäten<br />
einfach mal ignoriert werden. Die<br />
Teilnehmer: 190 Schüler aus Polen,<br />
Tschechien und Deutschland, von<br />
Grund-, Mittel-, Förderschulen und<br />
Gymnasien, 46 Workshopleiter aus<br />
den USA. Das Ziel: eine einstündige<br />
Show – nach zwei Tagen Workshop.<br />
„Polen und Tschechen sind blöd.“<br />
Das saß. Ich kenne die Young Americans<br />
seit acht Jahren, ich weiß, wie<br />
sie arbeiten, was sie schaffen. Jugendgefängnisse,<br />
Gehörlosenschulen,<br />
Schulen, die von Tsunamis verwüstet<br />
waren – die Young Americans<br />
haben in den vergangenen 20 Jahren<br />
auf der ganzen Welt Kinder zum Lachen<br />
gebracht und ihnen Selbstvertrauen<br />
gegeben. Und trotzdem, als<br />
mir mehrere Grundschüler kurz vor<br />
Workshopbeginn diesen Satz servierten,<br />
bekam ich Zweifel.<br />
Dabei sind die Young Americans eine<br />
der wenigen Sachen in der Welt, an<br />
denen man nie zweifeln muss. Nie.<br />
Die Young Americans zu beschreiben<br />
ist für mich ziemlich unmöglich.<br />
Denn die Fakten können nichts von<br />
diesem Glücksgefühl vermitteln, von<br />
der Kraft, von dem, was so ein Workshop<br />
mit einem macht.<br />
Vielleicht sind die Fakten zumindest<br />
ein Ausgangspunkt. Junge Leute aus<br />
den USA und der ganzen Welt gehen<br />
jedes Jahr nach Corona bei Los Angeles<br />
an das “The Young Americans<br />
College of the Performing Arts“. Dort<br />
werden sie ausgebildet in Gesang,<br />
Tanz, Schauspiel, Musik, Psychologie<br />
und Pädagogik. Viele werden<br />
später Schauspieler, Musicaldarsteller,<br />
Produzenten, Tänzer, Choreografen.<br />
(Desperate Housewives beispielsweise<br />
wurde von einem Young<br />
American erfunden.) Aber ganz viele<br />
von ihnen arbeiten nach der Ausbil-<br />
dung mit Kindern, Auslöser dafür sind<br />
meist die “Music Outreach Tours“, ein<br />
besonderes Programm, das sie anhängen<br />
können. Eine Gruppe von 40<br />
bis 50 Young Americans tourt dabei<br />
drei Monate durch die Welt. Alle drei<br />
Tage ein neuer Workshop in einer<br />
neuen Schule, in einem neuen Ort.<br />
Alle drei Tage ein neues Bett, eine<br />
neue Gastfamilie, neue Schüler.<br />
Mit 13 Jahren war ich einer der Schüler.<br />
Die Young Americans strahlten.<br />
Sie tanzten, sie sangen, sie machten<br />
Quatsch, immer und überall. Rissen<br />
uns mit, noch ein Tanz, noch ein Lied,<br />
noch ein Spiel. Trockneten Tränen,<br />
erklärten es langsam, auch fünfmal.<br />
Nie tadelten sie, was auch immer wir<br />
machten, wir wurden gelobt.<br />
“Awesome, you were awesome,<br />
guys!“ Stolz wiederholten wir, was wir<br />
schon so gut konnten – bis es wirklich<br />
saß. Wir schwitzten, wir lachten und<br />
wir wuchsen. Ich begriff, was ich erst<br />
viel später in Worte fassen konnte: Es<br />
geht nicht darum, wie man etwas<br />
macht, sondern dass man es macht,<br />
dass man all seinen Mut zusammennimmt<br />
und etwas wagt. Ich hatte nie<br />
wieder Lampenfieber vor Auftritten.<br />
Gemeinsam mit meinen Eltern organisierte<br />
ich zwei Workshops – mit 16<br />
Jahren für mehrere Erfurter Gymnasien,<br />
mit 18 Jahren für eine Förder- und<br />
meine eigene Schule. Gasteltern, die<br />
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