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Zeitschrift Militärgeschichte [Heft 03/2006]

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No dead bodies!<br />

Der moderne<br />

Krieg und<br />

die Anfänge<br />

der Kriegsberichterstattung<br />

No dead<br />

bodies!<br />

1855 im Krimkrieg: eine Gruppe<br />

britischer Soldaten des<br />

47. (Lancashire) Infanterieregiments<br />

in Winter ausrüstung,<br />

fotografiert von Roger Fenton.<br />

akg-images/Roger Fenton<br />

Der Krimkrieg von 1853 bis 1856<br />

gilt als erster mili tä ri scher Konflikt<br />

des Industrie zeit alters.<br />

Dampfbetriebene Kriegs schif fe, weitreichende<br />

Gewehre und Ge schütze<br />

mit Sprengmunition bestimmten seinen<br />

Verlauf. Modern an der Auseinandersetzung<br />

zwischen dem zaristischen<br />

Russland und den mit dem Osmanischen<br />

Reich verbündeten Westmächten<br />

Frankreich und Großbritannien<br />

war allerdings auch, dass die Öffentlichkeit<br />

in London und Paris erstmals<br />

zeitnah Nachrichten von der Front erhielt.<br />

Telegrafie und Fotografie bedienten<br />

im Zeitalter der Massenheere und<br />

des aufkommenden Nationalismus<br />

ein stetig wachsendes Interesse der Öffentlichkeit<br />

an der Kriegführung. Zu<br />

Hause wollte man nun wissen, wie es<br />

um die Söhne und Ehemänner im Felde<br />

stand.<br />

Kriegsberichterstatter<br />

auf der Krim<br />

Noch zu Beginn des Jahrhunderts hatte<br />

Arthur Wellesley, der Herzog von<br />

Wellington (1769–1852), befürchtet,<br />

der Feind könne aus der Presse Informationen<br />

über Stärke und Position seiner<br />

Armee gewinnen. Die Anwesenheit<br />

von Kriegsberichterstattern auf<br />

der Krim hätte jedoch auch der »Eiserne<br />

Herzog« kaum verhindern können.<br />

Der Bekannteste von ihnen war der Ire<br />

William Howard Russell (1821–1907),<br />

der im Auftrag der Londoner Tageszeitung<br />

The Times schrieb. Seine Berichte<br />

von den untragbaren Zuständen<br />

auf der umkämpften Halbinsel Krim<br />

im Winter 1854/55 sorgten in London<br />

für ein ungeahntes Aufsehen. Militärische<br />

Inkompetenz hatte zu schlechter<br />

Verpflegung, haarsträubenden hygienischen<br />

Verhältnissen und extrem hohen<br />

Krankenständen geführt. Auf den<br />

harten Winter vor der belagerten Festung<br />

Sewastopol war die britische Armee<br />

kaum vorbereitet. Als die Details<br />

in London bekannt wurden, richtete<br />

das Unterhaus nach heftigen Debatten<br />

einen Untersuchungsausschuss ein<br />

und Ende Januar 1855 wurde schließlich<br />

eine neue Regierung ernannt. Dank<br />

der Berichte Russells und anderer Korrespondenten<br />

war der Krieg nicht mehr<br />

länger eine Angelegenheit ausschließlich<br />

der Armee, des Kriegsministe riums<br />

und des Kabinetts, sondern Sache der<br />

ganzen Nation geworden.<br />

Dass Russell seine Berichte noch auf<br />

dem Seeweg nach London schickte, wo<br />

sie erst zwei oder drei Wochen später<br />

eintrafen, minderte kaum ihre Wirkung.<br />

Auch als die Telegrafenverbindung<br />

von der Krim nach Großbritannien<br />

im Frühjahr 1855 endlich zustande<br />

kam, verließ sich Russel weiter auf den<br />

traditionellen Postweg, der es ihm erlaubte,<br />

ausführlichere Berichte zu schicken.<br />

Eine Steigerung des Realismus in der<br />

jungen Kriegsberichterstattung versprach<br />

eine weitere technische Neuentwicklung:<br />

die Fotografie. Alexander<br />

Gardner (1821–1882), der bekannte Fotograf<br />

des Amerikanischen Bürgerkrieges,<br />

glaubte sogar, dass im Vergleich<br />

zu den sprachlichen Beschreibungen<br />

des Kriegsgeschehens die fotografischen<br />

Wiedergaben von der Nachwelt<br />

mit »zweifelsfreiem Vertrauen« aufgenommen<br />

würden.<br />

Vorerst erforderte die Technik jedoch<br />

noch eine minutenlange Belichtung,<br />

so dass bewegte Szenen und besonders<br />

Kampfaufnahmen sich nach wie<br />

vor der fotografischen Abbildung entzogen.<br />

Unter den ersten 15 Kriegsfotografen<br />

auf der Krim machte besonders<br />

der Brite Roger Fenton (1819–1869) von<br />

sich reden. Seine 360 Fotografien vom<br />

Geschehen vor Sewastopol fanden in<br />

Großbritannien die weiteste Verbreitung<br />

und prägten nachdrücklicher als<br />

jede Berichterstattung die Vorstellungen<br />

seiner Landsleute vom Krimkrieg.<br />

Doch die auf Glasplatten festgehaltenen<br />

Aufnahmen des ehemaligen Malers<br />

hatten wenig mit den Realitäten<br />

im Kampfgebiet zu tun. Unklar ist, ob<br />

Fenton tatsächlich vom britischen Königshaus<br />

mit der Auflage: »No dead<br />

bodies« auf die Krim geschickt wurde,<br />

um eine durch Russels Berichte irritierte<br />

Öffentlichkeit zu beruhigen. Vor allem<br />

die britische Oberschicht schätzte<br />

10 Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong>

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