Zeitschrift Militärgeschichte [Heft 03/2006]
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Deutsche Interessen im Kongo<br />
eines Revanche-Kriegs gegen Deutschland<br />
auf –, mit der französische Nationalisten<br />
die Phase der Kongoharmonie<br />
beendeten, konnte dank der hastigen<br />
Ausrüstung der deutschen Armee mit<br />
einem (allerdings noch unausgereiften)<br />
Mehrlader, dem Gewehr 88, eingedämmt<br />
werden. Ohne den französischen<br />
Kooperationspartner war aber<br />
Bismarck nicht in der Lage zu verhindern,<br />
dass König Leopold den Kongo-<br />
Freistaat systematisch von den internationalen<br />
Bezügen abtrennte und in<br />
sein eigenes, privates Ausbeutungsobjekt<br />
umwandelte. Deutschlands afrikanischer<br />
Einfluss beschränkte sich bald<br />
auf die eigenen vier Schutzgebiete Kamerun,<br />
Togo, Deutsch-Südwestafrika<br />
und Deutsch-Ostafrika, deren geringe<br />
Bedeutung Bismarck nach dem Wiederaufleben<br />
militärischer Spannungen in<br />
Europa einem eifrigen Kolonialpublizisten<br />
gegenüber wie folgt umschrieb:<br />
»Ihre Karte von Afrika ist ja sehr schön<br />
[...] Aber hier liegt Russland und hier<br />
liegt Frankreich, und wir sind in der<br />
Mitte – das ist meine Karte von Afrika!«<br />
Aus dem Protest gegen die nicht<br />
ausreichend gewürdigte Mäßigung in<br />
Ostafrika und am Kongo entwickelte<br />
sich der chauvinistische »Alldeutsche<br />
Verband«, dessen Agitation die deutsche<br />
Politik in der Folge schwer belasten<br />
und schließlich mit in den Ersten<br />
Weltkrieg treiben sollte.<br />
Von der Kolonie Belgisch-Kongo<br />
bis in die Gegenwart<br />
Leopold II. schottete den Kongo-Freistaat<br />
derart gegen die Welt ab, dass die<br />
dort an der lokalen Bevölkerung begangenen<br />
Gräuel, die bis 1908 vermutlich<br />
bis zu zehn Millionen Einheimische<br />
das Leben kosteten, erst ab 1904<br />
in das öffentliche Bewusstsein traten.<br />
Askarikompanie in Deutsch-Ostafrika. Farbdruck nach Aquarell, aus: Deutschland<br />
in Waffen, Stuttgart u.a.: DVA [1913].<br />
Askaris: einheimische Soldaten Afrikas im Dienste der Kolonialmächte<br />
Askari ist ein an Arabisch und Persisch angelehntes bzw. dem Swahili entliehenes Wort und bedeutet<br />
»Soldat«. Es wurde für einheimische Soldaten verwendet, die in Ostafrika und im Mittleren<br />
Osten freiwillig den europäischen Kolonialmächten dienten. Der Begriff umfasste aber auch Polizisten<br />
und Wachleute im Allgemeinen.<br />
Ein herausragendes Beispiel für die Askaris waren jene 11 000 Soldaten, die im Ersten Weltkrieg in<br />
Deutsch-Ostafrika unter dem Kommando des Offiziers Paul Erich von Lettow-Vorbeck trotz erheblicher<br />
numerischer Unterlegenheit vier Jahre lang ungeschlagen den Kolonialtruppen des Vereinigten<br />
Königreiches widerstanden.<br />
Während des Apartheidregimes in Südafrika wurden Rebellen, die durch die südafrikanische Armee<br />
zum Wechsel der Seiten bewegt werden konnten, Askaris genannt. Der gleiche Ausdruck war<br />
im Zweiten Weltkrieg für russische Überläufer gebräuchlich, die sich freiwillig der SS anschlossen.<br />
Dieter H. Kollmer<br />
Akg<br />
Der drohenden Re-Internationalisierung,<br />
die insbesondere in Großbritannien<br />
und Amerika gefordert wurde,<br />
kam Leopold durch Übertragung des<br />
Landes aus seinem Privatbesitz an das<br />
Königreich Belgien zuvor. Der diskreditierte<br />
Kongo-Freistaat wurde 1908<br />
in die Kolonie Belgisch-Kongo umgewandelt.<br />
In der Phase der Unsicherheit<br />
über das endgültige Schicksal des<br />
Kongo zeigte Deutschland ein gesteigertes<br />
Interesse an der Übernahme<br />
des Landes. Im Marokko-Kongo-Vertrag<br />
gelang es Deutschland 1911, eine<br />
Territorialverbindung von Kamerun<br />
zum Kongo zu schaffen. Die Rückführung<br />
des Kongo in die Internationalität<br />
misslang jedoch, zumal deutsch-britische<br />
Gespräche über die Aufteilung<br />
der portugiesischen Kolonien im Fall<br />
eines Staatsbankrotts die Vision des<br />
Projekts »Deutsch-Mittelafrika« erkennbar<br />
werden ließen, das die Alldeutschen<br />
propagierten. Die deutsche<br />
Wirtschaft äußerte sich in diesem Zusammenhang<br />
zurückhaltender. In der<br />
deutschen Kriegszieldebatte während<br />
des Ersten Weltkrieges galt die Übernahme<br />
des Kongo dann aber als selbstverständlich.<br />
Die Kriegszieldebatte wirkte sich allerdings<br />
kontraproduktiv aus, weil<br />
Belgien im Gegenzug Deutsch-Ostafrika<br />
angriff, um ein Faustpfand zu gewinnen.<br />
Die belgische Kongo-Armee<br />
(Force Publique) unterstützte die britischen<br />
und südafrikanischen Truppen<br />
bei den schweren Schlachten um das<br />
Deutsche Schutzgebiet. Der Militärkommandeur<br />
des Schutzgebietes, Paul<br />
Erich von Lettow-Vorbeck (1870–1964),<br />
wich mit seinen einheimischen Soldaten,<br />
den Askaris, aus. 1917/18 wurde<br />
der Kampf schließlich auf portugiesischem<br />
und britischem Kolonialboden<br />
fortgesetzt.<br />
Der Versailler Vertrag sprach Bel gien<br />
1919 die deutsch-ostafrikanischen, Residenturen<br />
genannten Verwaltungseinheiten<br />
Ruanda und Urundi als<br />
Mandatsgebiete zu. Umgekehrt sah<br />
die nationalsozialistische Kolonialplanung<br />
von 1940 bis 1943 konkret den<br />
Anschluss des Kongo an »Deutsch-Mittelafrika«<br />
vor. Gegen die USA, die sich<br />
ab 1942 in Belgisch-Kongo militärisch<br />
festsetzten, wäre die Annexion aber<br />
kaum durchsetzbar gewesen. Das kongolesische<br />
Uran war die Voraussetzung<br />
für den Bau der Atombombe, den die<br />
16 Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong>