Zeitschrift Militärgeschichte [Heft 03/2006]
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Alte Russin mit Kind, 1942<br />
Insbesondere die in fast allen Bauernhäusern<br />
gefundenen Ikonen und die<br />
Beobachtung, dass russische Flüchtlinge<br />
in ihrem Unterschlupf zuerst das orthodoxe<br />
Kreuz aufstellten, zeigten ihm,<br />
dass das Christentum durch die stalinistische<br />
Herrschaft noch nicht vollständig<br />
ausgerottet worden war.<br />
Hohly konnte in diesen Menschen<br />
nicht den »slawischen Untermenschen«<br />
erkennen. Für ihn waren sie<br />
einfache, christlich-orthodox geprägte<br />
Bauern; deshalb zeichnete und malte<br />
er sie als das, wofür er sie ansah – als<br />
Menschen.<br />
Besonders beeindruckend wirkten<br />
auf Hohly auch die unvergessenen<br />
Sonnenuntergänge in der Steppe und<br />
die Nächte unter einem tiefblauen, mit<br />
Sternen übersäten Himmel in der unermesslichen<br />
Weite des Kosmos.<br />
Seine Bilder zeigten den Tod in fremder<br />
Erde als ausdruckslos und sinnlos<br />
im Gegensatz zu der verklärenden<br />
Darstellung toter Wehrmachtssoldaten<br />
durch die offizielle Kriegsmalerei,<br />
die den Gefallenen meist als schlafenden<br />
Jüngling oder heroisch im Kampf<br />
sterbenden Frontkämpfer stilisierte.<br />
Auch das in den Grundzügen 1942/43<br />
entstandene und 1948 vollendete, eindrucksvolle<br />
Gemälde »Todesmarsch<br />
von Stalingrad« begreift den Zug zehntausender<br />
deutscher Soldaten der 6. Armee<br />
nach der Schlacht um Stalingrad in<br />
die sowjetische Gefangenschaft als einen<br />
kalten kontur- und hoffnungslosen,<br />
stets anklagenden Todesmarsch.<br />
Dieses wichtige Werk deutscher Kriegsmalerei<br />
befindet sich heute im Wehrgeschichtlichen<br />
Museum in Rastatt.<br />
Im März 1943 wurde Hohly nach<br />
Paris kommandiert, wo er nicht mehr<br />
als offizieller Kriegsmaler, sondern im<br />
Nachrichtendienst eingesetzt war. Hier<br />
stand er auch in Kontakt mit Ernst Jünger,<br />
der als Hauptmann im Schutze von<br />
General der Infanterie Carl-Heinrich<br />
von Stülpnagel im Hotel Majestic in Paris<br />
stationiert war. Auch hier in Frankreich,<br />
wo er bis Ende 1944 blieb, malte<br />
Hohly weiter. So riss er, als ihn der<br />
»Drang nach malerischer Gestaltung«<br />
überkam und da er keine Leinwand<br />
besaß, ohne »Gewissensbisse« die auf<br />
dem Dach des Hotels Majestic wehende<br />
Hakenkreuzfahne ab und benutzte<br />
sie als Malfläche für sein Bild »Heimatlos«.<br />
Darin skizzierte Hohly einen<br />
schemenhaft erkennbaren Flüchtlingszug<br />
zum fernen, unbekannten Ort.<br />
Die durchschimmernde rote Farbe der<br />
Fahne ist noch immer deutlich auf dem<br />
Bild erkennbar.<br />
Resümee<br />
Ein Resümee über das Werk Hohlys<br />
im Kriege könnte daher zu folgendem<br />
Ergebnis kommen: Im Gegensatz zum<br />
offiziellen Auftrag der Darstellung aktionsgetragener<br />
Heroisierung, einer<br />
Apotheose des Kampfes, einer neuen,<br />
auf den Grundlagen nationalsozialistischer<br />
Weltanschauung aufbauenden<br />
sogenannten germanischen Kunstvorstellung,<br />
zeichnete Hohly – fundamental<br />
von diesem Auftrag abweichend –<br />
defensiv, einfühlsam und emphatisch.<br />
Dabei legte er den Blick frei auf die<br />
tiefere Wahrheit des von ihm als weiterhin<br />
dem christlichen Glauben verbunden<br />
eingestuften und wahrgenommenen<br />
russischen und ukrainischen<br />
Volkes sowie der im Vernichtungskrieg<br />
geschundenen Kreatur Mensch<br />
im 20. Jahrhundert.<br />
Hohly ist somit einer der ganz wenigen<br />
bekannten Beispiele für eine<br />
die offizielle »Leitkultur»« negierende<br />
Haltung. Sein bisher zu wenig beachtetes<br />
Oeuvre der Kriegszeit zeigt<br />
ihn als kritischen Geist in einer Zeit,<br />
in der nur unkritische Blicke ausgezeichnet<br />
wurden. Das gültige Urteil<br />
über seine Werke dieser Schaffensperiode<br />
erfuhr Hohly bereits aus dem Kreise<br />
seiner Kameraden, der »einfachen«<br />
Soldaten: »So ist es, genauso, wie Sie es<br />
malen. Und nicht so, wie es die Illustrierten<br />
publizieren.« Und damit wurde<br />
auch Hohlys Kunstverständnis verifiziert:<br />
danach gilt es – so schrieb er<br />
1972 – »das Lebensgefühl oder die Lebensauffassung<br />
seiner Zeitgenossen<br />
auf die künstlerische Form [zu] bringen,<br />
dass sie nicht nur Gleichschaltung<br />
gestaltet, sondern zukunftsweisend ist.<br />
Darin liegt das Unverstandensein des<br />
Schaffenden und das Vorbeileben seiner<br />
Zeitgenossen.«<br />
Eberhard Birk<br />
Heimatlos, 1943/46<br />
Literaturtipps:<br />
Dorothea Rapp, Richard Hohly. Leben und Werk, Stuttgart 1980<br />
Wolfgang Schmidt, »Maler an der Front«. Zur Rolle der<br />
Kriegsmalerei und Pressezeichner der Wehrmacht im Zweiten<br />
Weltkrieg. In: Rolf-Dieter Müller und Hans-Erich Volkmann<br />
(Hrsg.), Die Wehrmacht. Mythos und Realität, München<br />
1999, S. 635-684<br />
Bilder von Richard Hohly sind zu sehen in:<br />
»Felsengalerie«, Wobachstraße 49, 74321 Bietigheim<br />
Tel. Voranmeldung unter (07142) 5 16 69<br />
Abbildungen aus: Richard Hohly. Leben und Werk, Stuttgart 1980<br />
Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />
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