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Zeitschrift Militärgeschichte [Heft 03/2006]

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Militärgeschichte im Bild<br />

Ulrich de Maizière war Soldat in<br />

drei deutschen Armeen. Ausgebildet<br />

wurde er noch in der Reichswehr<br />

(1930–1933), weitere Prägung erfuhr<br />

er als Generalstabsoffizier der Wehrmacht<br />

(1933–1945), um schließlich bei<br />

Planung und Aufbau der Bundeswehr<br />

(1951–1972) führend mitzuwirken. Damit<br />

verbunden waren einschneidende<br />

Übergänge: von der Diktatur zur Demokratie,<br />

von der Nationalarmee zur<br />

Bündnisstreitmacht, vom Angehörigen<br />

eines herausgehobenen Kriegerstandes<br />

zum »Staatsbürger in Uniform«.<br />

Die »Gründergeneration« neuer und<br />

zunächst westdeutscher, seit 1990 gesamtdeutscher<br />

Streitkräfte stand somit<br />

vor ganz neuen Herausforderungen:<br />

Sicherheit würde es nach dem Untergang<br />

des Reiches künftig nicht mehr<br />

national, sondern nur noch im Bündnisrahmen<br />

geben. Die neuen Streitkräfte<br />

waren fest in die Ordnung des<br />

Grundgesetzes zu integrieren. Die<br />

Bundeswehr als Wehrpflichtarmee<br />

musste sich aber auch in ihrem inneren<br />

Zuschnitt an die gesellschaftlichen<br />

Veränderungen anpassen und zu einer<br />

kritischen Öffentlichkeit hin öffnen.<br />

In der Himmeroder Denkschrift<br />

von 1950 hatten die künftigen militärischen<br />

Planer zwar ein wichtiges Signal<br />

für Reformen gegeben, dass »ohne<br />

Anlehnung an die Formen der alten<br />

Wehrmacht heute grundlegend Neues<br />

zu schaffen ist«. Schaffen musste man<br />

dieses Neue aber mit dem Führerkorps<br />

aus den Streitkräften vor 1945, denn die<br />

Bündnispartner forderten mit Vorrang<br />

rasche und effiziente Verstärkungen ihrer<br />

Verbände gegen einen zahlenmäßig<br />

weit überlegenen Gegner.<br />

Dieser Spannungsbogen aus militärischen<br />

Forderungen von außen und<br />

inneren Vorgaben für eine Integration<br />

der Streitkräfte in Staat und Gesellschaft<br />

lässt sich an der Laufbahn<br />

Ulrich de Maizière (1912–<strong>2006</strong>)<br />

Herausforderungen<br />

und Antworten eines<br />

Soldaten im Übergang<br />

von Ulrich de Maizière nachzeichnen.<br />

Schon der militärische Sachverständige<br />

in den Verhandlungen um einen westdeutschen<br />

Allianzbeitritt orientierte<br />

sich an einer Ausgewichtung des transatlantischen<br />

und des westeuropäischen<br />

Pfeilers im Bündnis. Nur so ließ sich<br />

dem eigentlichen Dilemma deutscher<br />

Verteidigung begegnen: der Abhängigkeit<br />

von atomarer Abschreckung zur<br />

Kriegsverhinderung, aber verbunden<br />

mit der Forderung nach einer wirksamen<br />

Verteidigung im Falle eines Krieges,<br />

um das eigene Territorium vor unannehmbaren<br />

Schäden zu bewahren.<br />

Dabei blieb der Rückgriff auf Atomwaffen<br />

aus Sicht der NATO auch dann<br />

noch notwendig, wenn deutsche Streitkräfte<br />

die größten Lücken im mitteleuropäischen<br />

Verteidigungsschild geschlossen<br />

haben würden. Daraus zog<br />

schon de Maizière als Leiter der Unterabteilung<br />

Führung im Bundesministerium<br />

für Verteidigung<br />

(1955–1958) zwei weitere<br />

Folgerungen, denen<br />

er seiner ganzen<br />

Laufbahn bis hin<br />

zum Generalinspekteur<br />

(1966–1972) treu<br />

blieb: Militärische<br />

Verteidigung musste<br />

mit dem Zivilschutz<br />

schon im Frieden so<br />

engmaschig verzahnt<br />

werden, dass daraus<br />

ein wirksames System<br />

der zivil-militärischen<br />

Gesamtverteidigung<br />

entstand.<br />

Und der neue Soldat<br />

musste die Werte des<br />

Grundgesetzes alltäglich<br />

erfahren können,<br />

um sie als »Staatsbürger<br />

in Uniform« im<br />

Kalten Krieg wie im<br />

Einsatz aus Überzeugung verteidigen<br />

zu wollen. Innere Führung war so gesehen<br />

kein taktisches Entgegenkommen<br />

an einen gewandelten Zeitgeist, sondern<br />

ein notwendiges Führungsinstrument<br />

zur Heranbildung und Führung<br />

des modernen Soldaten unter veränderten<br />

militärischen Herausforderungen.<br />

In den Augen mancher Kritiker der<br />

Gründergeneration der Bundeswehr<br />

(Heusinger, Graf Kielmansegg, Graf<br />

Baudissin und de Maizière) stellten solche<br />

komplexen Antworten ein zu großes<br />

Entgegenkommen an Politik und<br />

Öffentlichkeit dar. Sie übersahen, dass<br />

der Systemkonflikt zwischen Ost und<br />

West mit seinen politischen, ökonomischen,<br />

gesellschaftlichen und militärischen<br />

Bedrohungsmustern zu komplex<br />

war, um einfache, vermeintlich soldatischere<br />

Antworten zuzulassen.<br />

Bruno Thoß<br />

Die Erprobung der Brigadegliederung während der<br />

Lehr- und Versuchsübung (LV 58) im Herbst 1958.<br />

Brigadegeneral Ulrich de Maizière, Kommandeur der<br />

Kampfgruppe A 1 in Hannover, als Kommandeur einer<br />

Übungsbrigade<br />

Bundesregierung/Egon Steiner<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />

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