Zeitschrift Militärgeschichte [Heft 03/2006]
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Zweierlei Untergang<br />
Unabhängig vom Reich und zum Teil<br />
eben gegen das Reich war spätestens<br />
nach dem Siebenjährigen Krieg (1756–<br />
1763) Preußens Aufstieg zur europäischen<br />
Großmacht geglückt – wenn<br />
auch auf Abruf. Friedrich II. verkörperte<br />
geradezu den aufgeklärten Absolutismus:<br />
Als »erster Diener seines<br />
Staates« entsprach er dem neuen Ideal<br />
des durch Leistung legitimierten Monarchen.<br />
Nicht prunkvolle Schlösser<br />
und Hofzeremoniell bildeten den Kristallisationspunkt<br />
seiner Herrschaft,<br />
sondern die Bürokratie und vor allem<br />
das stehende, gedrillte und meist siegreiche<br />
Heer. Neben persönlichen Fähigkeiten,<br />
rücksichtslosen Ambitionen<br />
und purem Glück lag der Grund<br />
für Friedrichs Erfolg in einem höheren<br />
Grad der inneren Kohäsion seines<br />
Territoriums. Der absolutistische Staat<br />
setzte sich gegen das ältere Modell des<br />
Ständestaats durch.<br />
In allen größeren Reichsterritorien<br />
voll zogen sich eine Fülle von Reformen<br />
in der Binnenorganisation: in Verwaltung,<br />
Heer und Bildungswesen.<br />
Da mit wurden althergebrachte ständische<br />
Rechte nach und nach zurückgedrängt.<br />
Ende und Anfang: 1806 und die<br />
»Deutsche Frage«<br />
agk-images<br />
Am 5. November 1757 siegte König Friedrich II (1712 + 1786) bei Roßbach über<br />
die Reichsarmee und die französische Armee. Kupferstich, 1801, von Johann<br />
Friedrich Bolt (1769–1836).<br />
Mit der Französischen Revolution 1789<br />
vollzog sich ein grundlegender Wandel.<br />
Viele Projekte der Reformabsolutisten<br />
wurden von der französischen Regierung<br />
und ab 1799 von Napoleon umgesetzt.<br />
Zugleich aber wurde die Nation<br />
als Trägerin des Staates begriffen und<br />
die Bevölkerung für die Armee mobilisiert,<br />
um die revolutionären Errungenschaften<br />
zu sichern. Dem zunehmend<br />
ausgehöhlten und von starken Einzelterritorien<br />
durchsetzten Reich war nun<br />
ein Nachbar entstanden, dessen administrative<br />
und militärische Effizienz an<br />
der Spitze der Möglichkeiten der Zeit<br />
stand; dies alles gepaart mit einem<br />
Machtwillen, dem nichts Gleichwertiges<br />
gegenüberstand. Das Deutschland<br />
links des Rheins fiel mit dem Frieden<br />
von Lunéville 1801 an Frankreich. Zusammen<br />
mit dem »Reichsdeputationshauptschluss«<br />
von 18<strong>03</strong> bedeutete dies<br />
das Ende vieler weltlicher und aller<br />
geistlichen Reichsstände. Die weltlichen<br />
Fürsten links des Rheins wurden<br />
territorial entschädigt oder entschädigten<br />
sich selbst auf Kosten der geistlichen<br />
Reichsstände. Im Inneren dieser<br />
Staaten begann mit der Säkularisierung<br />
der Sturm auf die Besitzungen der Kirchen<br />
und Klöster; im Reich wurden<br />
Reichsklöster und Hochstifte »verstaatlicht«.<br />
Während der folgenden Jahre erfolgte<br />
die »Mediatisierung« der meisten<br />
Reichsstädte, Reichsritterschaften<br />
und Reichsdörfer, also deren Einverleibung<br />
durch die Flächenstaaten. Der<br />
vielzitierte »Fleckenteppich« des Reiches<br />
war durch den verlorenen Krieg<br />
des Reiches gegen Frankreich »bereinigt«<br />
worden. Mit der Auflösung der<br />
Reichsstände war ein wichtiger Teil der<br />
traditionellen Hausmacht des Kaisers<br />
vernichtet worden. Langfristig profitierten<br />
davon sowohl Frankreich als<br />
auch die »modernen« deutschen Staaten.<br />
Auf dem Höhepunkt napoleonischer<br />
Macht zerbrach jedoch nicht nur<br />
das Alte Reich, sondern auch das alte<br />
Preußen. Es hatte sich am rücksichtslosesten<br />
auf Kosten des Reichs profiliert.<br />
Nun steuerte es sich in einen militärischen<br />
Konflikt hinein, den es nur<br />
zertrümmert überlebte. Aus dem ersten<br />
Koalitionskrieg (1792–1797) war<br />
Preußen 1795 mit dem Frieden von Basel<br />
vorzeitig ausgeschert. Mit der Zusicherung<br />
der Rheingrenze an Frankreich<br />
konnte sich Preußen sogar nun<br />
der Aufteilung Polens widmen und damit<br />
sein Territorium erheblich erweitern.<br />
Mit dem Ausgreifen Frankreichs<br />
über den Rhein, besonders der Besetzung<br />
Kur-Hannovers und der preußischen<br />
Gebiete Ansbach-Bayreuth einerseits,<br />
dem preußischen Schwanken<br />
zwischen Frankreich und der Koalition<br />
andererseits verspielte es jedoch bald<br />
jede Glaubwürdigkeit. Nachdem sich<br />
der russische Zar im Herbst 1805 lange<br />
persönlich, aber vergeblich um ein<br />
preußisch-russisches Bündnis bemüht<br />
hatte, zog er an der Seite Österreichs in<br />
den Krieg, der am 2. Dezember 1805 mit<br />
der Niederlage von Austerlitz endete.<br />
Der Friede von Preßburg läutete 1805<br />
die letzte Runde des Alten Reiches ein.<br />
Am 1. Januar 1806 wurden Bayern und<br />
Württemberg durch Napoleons Gnaden<br />
zu Königreichen erhoben. Sie und<br />
14 andere Reichsstände erklärten die<br />
Zugehörigkeit zum Reich für beendet<br />
und gründeten am 12. Juli 1806 den an<br />
Frankreich angelehnten »Rheinbund«.<br />
Ihm schlossen sich bis 1808 insgesamt<br />
20 weitere deutsche Staaten an.<br />
Wie im Alten Reich existierte auch im<br />
Rheinbund eine Kontingentsarmee. Sie<br />
umfasste nun 63 000 Mann, die sich aus<br />
den einzelnen Armeen speisten, und<br />
sie hatte für die napoleonischen Feldzüge<br />
Truppen zu stellen. Ausbildung,<br />
Einsatz, Kriegsverfassung und Anfänge<br />
einer allgemeinen Wehrpflicht orientierten<br />
sich am französischen Vorbild.<br />
Nur Österreich, Preußen, Hessen<br />
und Braunschweig traten dem Rheinbund<br />
nicht bei, waren aber zeitweilig<br />
Verbündete Frankreichs. Auf ein Ultimatum<br />
Napoleons hin legte der letzte<br />
»deutsche« Kaiser am 6. August 1806<br />
die Kaiserkrone des Heiligen Römischen<br />
Reiches Deutscher Nation nie-<br />
8 Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong>