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Zeitschrift Militärgeschichte [Heft 03/2006]

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der, die Geschichte des Reiches war beendet.<br />

Das Jahr 1805 brachte Preußen Vorteile:<br />

Im Frieden von Schönbrunn sicherte<br />

es sich die Inbesitznahme Hannovers<br />

im Tausch gegen die fränkischen Gebiete.<br />

Nie zuvor hatte Preußens Territorium<br />

eine solche Ausdehnung erreicht.<br />

Umso tiefer war dann der Fall: Preußen<br />

musste sich entscheiden. Es führte<br />

einerseits Geheimverhandlungen mit<br />

dem russischen Zarenhof, andererseits<br />

gab es französische Gebietsübertretungen<br />

nach Westfalen. Das Misstrauen<br />

zwischen Frankreich und Preußen<br />

eskalierte in einen von beiden letztlich<br />

nicht gewollten Krieg. Am 14. Oktober<br />

1806 wurde die preußische Armee in<br />

zwei Schlachten bei Jena und Auerstedt<br />

vernichtend geschlagen. Im Frieden<br />

von Tilsit 1807 wurde Preußens Beute<br />

aus den polnischen Teilungen als Großherzogtum<br />

Warschau, das gesamte Gebiet<br />

westlich der Elbe zusammen mit<br />

Braunschweig und Kurhessen als »Königreich<br />

Westfalen« abgetrennt. Dazu<br />

kam eine riesige Summe an Entschädigungen,<br />

die Armee wurde um 80 Prozent<br />

reduziert. Die bittere Niederlage<br />

wurde erst sechs Jahre später und nur<br />

mit russischer Hilfe in den »Befreiungskriegen«<br />

überwunden. Sie blieb eine<br />

schwärende Wunde im preußischen<br />

kollektiven Bewusstsein. Sie war Anstoß<br />

für die grundlegende Reform von<br />

Militär- und Staatswesen 1807–1813,<br />

bildete aber auch den Anknüpfungspunkt<br />

für einen preußisch-deutschen<br />

Revanchismus, der bis ins 20. Jahrhundert<br />

hineinwirkte.<br />

Ende und Anfang:<br />

bleibende Wirkungen<br />

Mit dem Untergang des Alten Reiches<br />

ging für Gesamtdeutschland in staatsrechtlicher<br />

Hinsicht das »einigende«<br />

Band verloren. Die »deutschen« Staaten<br />

waren nunmehr vollständig souverän<br />

geworden, was im Wiener Kongress<br />

1814/15 auch bestätigt wurde. Der von<br />

1815 bis 1866 existierende Deutsche<br />

Bund bildete einen Staatenbund unter<br />

letztlich österreichischer Führung,<br />

auch er kannte Kontingentstreitkräfte.<br />

In der Revolution 1848/49 wurde der<br />

(erfolglose) Versuch einer demokratischen<br />

Einigung »von unten« gewagt.<br />

Während der Einigungskriege 1864,<br />

1866 und 1870/71 wurde die deutsche<br />

Frage mit der militärischen Lösung<br />

»von oben« beantwortet; Österreich<br />

war staatsrechtlich ausgeschlossen.<br />

Reste der deutschen Pluralität blieben<br />

im Militärwesen des Kaiserreichs ab<br />

1871 erhalten: Bis 1918 existierte eine<br />

Kontingentarmee aus preußischen,<br />

bayerischen, württembergischen und<br />

sächsischen Truppen.<br />

Das Alte Reich erlag also letztlich<br />

den »modernen« Territorialstaaten<br />

wie dem aufkommenden Nationalgefühl.<br />

Dennoch erwies es sich trotz großer<br />

Schwächen als äußerst langlebig.<br />

Es war fast 850 Jahre Bezugspunkt der<br />

Politik in Europa, in Deutschland und<br />

in den deutschen Einzelterritorien gewesen.<br />

Der Föderalismus der Bundesrepublik<br />

Deutschland ist ohne einen<br />

Blick auf dieses Reich schwer verständlich.<br />

Gleichwohl hat auch die Zerschlagung<br />

des Reiches Spuren hinterlassen.<br />

Die Grenzen der heutigen Bundesländer,<br />

der Regierungsbezirke und andere<br />

Verwaltungsgrenzen sind oft solche,<br />

die im Zuge der Säkularisierung und<br />

Mediatisierung entstanden sind.<br />

Das oft komplex wirkende Aushandeln<br />

von Interessen durch die betroffenen<br />

Gebietskörperschaften, Verbände<br />

und berufliche Standesvertretungen<br />

in der Bundesrepublik Deutschland<br />

heute erinnert an Mechanismen, die<br />

eher dem Verfahrensweisen im Alten<br />

Reich ähneln als dem Ideal des bürokratisch-absolutistischen<br />

Staates des<br />

19. Jahrhunderts. Gleiches gilt für die<br />

Verfahrensweisen im militärischen<br />

Aufgabenspektrum des angebrochenen<br />

21. Jahrhunderts: Oft ist hier ein hochkomplexes<br />

Gefüge zwischen verbündeten<br />

Kontingenten, Teilstreitkräften,<br />

zivilen Regierungsstellen und Nichtregierungsorganisationen<br />

zu berücksichtigen.<br />

Das Alte Reich ist tot, doch<br />

Spuren seiner Geschichte sind nach wie<br />

vor lebendig.<br />

Martin Rink und Harald Potempa<br />

agk-images<br />

In der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt (hier: Jena) wurde die sächsischpreußische<br />

Armee am 14. Oktober 1806 von Napoleon vernichtend geschlagen.<br />

Zeitgen. Lithographie.<br />

Literaturtipps:<br />

Axel Gotthard, Das Alte Reich 1495–1806, Darmstadt 20<strong>03</strong><br />

Peter Claus Hartmann, Das Heilige Römische Reich<br />

deutscher Nation in der Neuzeit 1486–1806, Stuttgart 2005<br />

Barbara Stollberg-Rilinger, Das Heilige Römische Reich<br />

Deutscher Nation. Vom Ende des Mittelalters bis 1806,<br />

München <strong>2006</strong><br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />

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