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Zeitschrift Militärgeschichte [Heft 03/2006]

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ten entbunden, im Dezember 1955 sogar<br />

aus der Partei ausgeschlossen.<br />

Rákosi war in der Folge weder willens<br />

noch fähig, ernsthafte politische Reformen<br />

durchzuführen. Die zunächst noch<br />

parteiinterne Opposition zur von Rákosi<br />

forcierten stalinistischen Restauration<br />

erfasste im Frühjahr 1956 auch Angehörige<br />

der Intelligenz und gesellschaftlicher<br />

Organisationen. Hauptforum war<br />

seit März 1956 der sogenannte Petöfi-<br />

Kreis, ein lockerer Zusammenschluss<br />

von Studenten und Schriftstellern. Den<br />

kommunistischen Führern in der Sowjetunion<br />

blieb die breite gesellschaftliche<br />

Front gegen den ungarischen<br />

Regierungschef nicht verborgen. Das<br />

Präsidium der Kommunistischen Partei<br />

der Sowjetunion (KPdSU) beschloss<br />

daher in Folge der Entstalinisierungspolitik<br />

am 12. Juli 1956, dass Rákosi<br />

von allen politischen Ämtern zu entheben<br />

sei. Nachfolger wurde Ernö Gerö<br />

(1898–1980). Zwar rehabilitierte Gerö<br />

zahlreiche Opfer des Stalinismus, die<br />

innenpolitischen Probleme vermochte<br />

er jedoch nicht zu lösen.<br />

Vor dem Hintergrund der politischen<br />

Umwälzungen in Polen im Laufe des<br />

Oktobers 1956 kam es in Ungarn zu<br />

Sympathiekundgebungen, die anfangs<br />

noch solidarischen Charakter hatten,<br />

aber rasch eine Eigendynamik gewannen.<br />

Am 22. Oktober verabschiedeten<br />

Studenten der Budapester Technischen<br />

Universität eine 14-Punkte-Resolution,<br />

in der u.a. der Abzug der sowjetischen<br />

Truppen, Neuwahlen sowie eine neue<br />

Regierung unter Imre Nagy gefordert<br />

Die Niederschlagung des Volksaufstandes<br />

in Ungarn rief international tiefe<br />

Bestürzung hervor, ein militärisches<br />

Eingreifen wurde allerdings nicht gewagt.<br />

Zur Niederschlagung des Aufstandes werden sowjetische Truppen eingesetzt, die<br />

am 24. Oktober 1956 in Budapest einrücken<br />

wurden. Am 23. Oktober fand in Budapest<br />

eine Großdemonstration statt,<br />

die nach dem gewaltsamen Eingreifen<br />

von ungarischen Sicherheitskräften<br />

eskalierte. Das monumentale Stalin-Denkmal<br />

in Budapest wurde von<br />

den Demonstranten zerstört, es kam<br />

zu bewaffneten Zusammenstößen mit<br />

der Staatssicherheit. Imre Nagy, seit<br />

dem 13. Oktober wieder Mitglied der<br />

MDP, hatte zuvor versprochen, sich innerhalb<br />

der Partei für die Forderungen<br />

der Bevölkerung einzusetzen. Am gleichen<br />

Abend wurde er vom Zentralkomitee<br />

erneut zum Ministerpräsidenten<br />

berufen, gleichzeitig wurde aber eine<br />

bewaffnete Niederschlagung des als<br />

»Konterrevolution« gewerteten Aufstands<br />

der Bevölkerung mit Hilfe der<br />

in Ungarn stationierten sowjetischen<br />

Streitkräfte beschlossen.<br />

Bereits am 24. Oktober rückten erste<br />

sowjetische Einheiten in Budapest<br />

ein, stießen jedoch auf erbitterten Widerstand<br />

der Demonstranten. Überall<br />

in Ungarn kam es zu Widerstands- und<br />

Protestaktionen, die auch nach Beschwichtigungsversuchen<br />

Imre Nagys<br />

nicht eingestellt wurden. Die Auseinandersetzung<br />

zwischen Bevölkerung<br />

und Regierung gewann zunehmend<br />

den Charakter eines nationalen Kampfes<br />

des ungarischen Volkes gegen die<br />

sowjetischen Besatzer. Eine sowjetische<br />

Delegation, die die ungarische Regierung<br />

bei den Unruhen unterstützen<br />

sollte, sprach sich zunächst für eine<br />

friedliche Lösung des Konflikts durch<br />

die politische Gewinnung der Massen<br />

aus. Nagy setzte daraufhin am 30. Oktober<br />

die Wiedereinführung des Mehrparteiensystems<br />

durch, die MDP wurde<br />

aufgelöst und am 31. Oktober unter<br />

dem Namen MSZMP (Magyar Szocialista<br />

Munkáspárt) neugegründet. Spätestens<br />

die einen Tag später deklarierte<br />

Neutralität Ungarns wurde von der<br />

sowjetischen Parteiführung nicht mehr<br />

toleriert, es kam zur militärischen Intervention<br />

und zur Bildung einer sowjetisch<br />

gestützten Gegenregierung unter<br />

János Kádár, der vorher noch Mitglied<br />

der Regierung Nagy gewesen war. Die<br />

letzten größeren Kämpfe zwischen sowjetischen<br />

Truppen und Aufständischen<br />

endeten am 11. November 1956<br />

in Budapest. Insgesamt kostete die Ungarn-Krise<br />

mehr als 20 000 ungarischen<br />

Staatsangehörigen das Leben, mehr als<br />

200 000 Bürger verließen das Land aufgrund<br />

der im November 1956 einsetzenden<br />

politischen Verfolgungen und<br />

Säuberungen gen Westen.<br />

In den Vereinten Nationen boykottierte<br />

die Sowjetunion alle westlichen<br />

Initiativen in der Ungarn-Krise, so dass<br />

seitens der Westmächte lediglich humanitäre<br />

Hilfe geleistet wurde. Die internationale<br />

Entrüstung war groß, ein<br />

militärisches Eingreifen der Westmächte<br />

kam jedoch aufgrund der militärischen<br />

Lage in Europa nicht in Frage.<br />

Das Verhalten der USA in der Ungarn-<br />

Krise bedeutete faktisch die Abkehr der<br />

westlichen Supermacht von der aktiven<br />

Politik des »roll back« und die Anerkennung<br />

der sowjetischen Einflusssphäre<br />

in Osteuropa. Ungarn behielt<br />

im Ostblock dennoch eine gewisse Sonderstellung:<br />

Durch wirtschaftliche Reformen<br />

und dem daraus resultierenden<br />

»Gulaschkommunismus« konnte ein<br />

vergleichsweise hoher Lebensstandard<br />

der Bevölkerung garantiert werden.<br />

Julian-André Finke<br />

Militärgeschichte · <strong>Zeitschrift</strong> für historische Bildung · Ausgabe 3/<strong>2006</strong><br />

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