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08/09 - Gymnasium Muristalden

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Tag. So gibt es auf Erden vermutlich auch ohne Lüge keine Wahrheit, ohne<br />

Krieg keinen Frieden, und ohne Hass auch keine Liebe. Oder sie wären je<br />

beide mindestens für uns nicht wahrnehmbar.<br />

Beim Nachdenken über diese Phänomene und diese Bilder gehen mir auch<br />

die sehbehinderten und blinden Schülerinnen und Schüler am <strong>Muristalden</strong><br />

durch den Kopf. Seit vielen Jahren gehen stets mehrere bei uns ein und aus<br />

und sind voll in unsere <strong>Gymnasium</strong>sklassen integriert. Für sie bedeuten die<br />

Dunkelheit und das Licht, welches sie nur spärlich oder gar nicht wahrnehmen,<br />

etwas anderes. Unvergessen bleibt mir eine astronomische Nachtexkursion<br />

noch zu Seminarzeiten auf den Monte San Salvatore. Noch bei<br />

Tageslicht führten wir den blinden Mitschüler den steilen Wanderweg hinauf,<br />

und er lauschte unseren Beschreibungen, was am Sternenhimmel zu<br />

sehen war. Wie geblendet vom langen In-die-Sterne-Gucken waren wir beim<br />

Abstieg im dunklen Wald hilflos, und er war es, der Blinde, welcher beim<br />

Abstieg fast flink voranging.<br />

Neben der Relativität auch im Bereich der physischen Materie reizt indessen<br />

ebenso stark der übertragene Sinn von Licht und Dunkelheit. Hier erscheint<br />

der Weg ins Licht (für die Blinden natürlich gleichermassen wie für<br />

die Sehenden) als der erstrebenswerte, jener der glücklich macht. Den Weg<br />

in die Dunkelheit gilt es hingegen unbedingt zu vermeiden, weil er uns, so<br />

meinen wir, unweigerlich ins Unglück führt. Und wer kennt nicht die Redewendung,<br />

dass sie oder wir uns «auf einem Blindflug» befinden könnten,<br />

welcher zweifellos den Absturz zur Folge hätte? Auch wenn es zu Brueghels<br />

Zeiten eine Alltagsszene war, dass Blinde in einer Kolonne, je eine<br />

Hand auf der Schulter des Vorangehenden, dem ersten Blinden folgten, von<br />

welchem anzunehmen war, dass er die besten Ortskenntnisse hatte: Brueghels<br />

eindrückliche «Parabel von den Blinden» will unmissverständlich<br />

deutlich machen, dass sich die Menschen zeitgeistbedingt oder auch grundsätzlich<br />

auf existenzbedrohendem Kollisionskurs befinden. Einerseits blicken<br />

wir besorgt auf unsere globalisierte, beschleunigte, konfliktgeladene,<br />

zunehmend entsolidarisierte Zeit, andererseits fragen sich bei aller Vorsicht<br />

auch die Verantwortlichen am <strong>Muristalden</strong> immer wieder, ob wir hier

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