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MdB <strong>Anette</strong> <strong>Kramme</strong> zum Thema...<br />
Streikgeld<br />
Ausgabe März / April / Mai 2006<br />
Rede von MdB <strong>Anette</strong> <strong>Kramme</strong> zu dem von den Abgeordneten Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der<br />
Fraktion der LINKEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch<br />
(16/856)<br />
[Hintergrund: Die 1986 beschlossene Änderung des §116 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG), der in dieser Form als<br />
§ 146 in das Dritte Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) übernommen wurde, bestimmt, das Ausgesperrte kein Kurzarbeitergeld<br />
mehr erhalten, wenn streik- und aussperrungsbedingte Produktionsausfälle dazu beitragen, dass in einem nicht<br />
umkämpften Betrieb die Arbeit ebenfalls ruhen muss („kalte Aussperrung“).]<br />
Sehr geehrter Herr Präsident!<br />
Liebe Kolleginnen und Kollegen!<br />
Meine Damen und Herren von der Linken,<br />
an sich müsste Ihnen unsere Antwort auf den Gesetzentwurf<br />
bekannt sein. Ihre Vorgängerfraktion PDS brachte<br />
denselben Antrag wortidentisch bereits in der 14. Legislaturperiode<br />
ein.<br />
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Wirklich? Das gibt es ja<br />
nicht! Faul und einfallslos sind sie auch noch!)<br />
Damals hat die SPD diesen Gesetzentwurf abgelehnt und<br />
ich kann es gleich vorwegnehmen: Er wird auch aktuell<br />
keine Zustimmung erfahren. Ihre vorgeschlagene Neuregelung<br />
stellt keine Lösung dar, sondern ist, wie so oft bei<br />
Ihnen, blanker Populismus.<br />
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/ CSU -<br />
Zurufe von der LINKEN: Oh!)<br />
Einer rechtlichen Überprüfung hält Ihr Vorschlag nämlich<br />
nicht stand. Die Rückkehr zum ursprünglichen § 116 AFG<br />
funktioniert nicht. Sie wollen, dass die Bundesagentur für<br />
Arbeit wieder die Entscheidung über die Neutralität von<br />
Lohnersatzleistungen treffen soll. Es handelt sich hierbei<br />
aber um eine grundrechtsrelevante Entscheidung nach<br />
Art. 9 und Art. 14 des Grundgesetzes. Diese darf der<br />
Verwaltung vom Gesetzgeber nicht überlassen werden.<br />
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der<br />
CDU/CSU)<br />
In der Praxis dürfte es überdies illusorisch sein, zu erwarten,<br />
dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der<br />
Selbstverwaltung auf eine neue Neutralitätsanordnung<br />
einigen. Deshalb dürfte Ihr Vorschlag keine tatsächliche<br />
Hilfestellung für die Gewerkschaften bedeuten.<br />
(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sehr richtig!)<br />
Was bedeutet § 146 SGB III in der aktuellen Fassung für<br />
die Arbeitnehmer, die infolge eines Streiks kurzarbeiten<br />
oder arbeitslos werden?<br />
Erste Konstellation. Alle Arbeitnehmer außerhalb der<br />
umkämpften Tarifbranche erhalten von der BA alle Leistungen<br />
ohne Einschränkung. Um zu verdeutlichen, was<br />
das heißt, will ich ein Beispiel bilden: Es gibt einen Streik<br />
in der Metallindustrie. Dieser löst einen Arbeitsausfall bei<br />
einem zuliefernden Textilbetrieb aus. Die Kurzarbeiter im<br />
betroffenen Textilunternehmen erhalten Leistungen, da<br />
sie zu einer anderen Tarifbranche gehören.<br />
Zweite Konstellation: Alle Arbeitnehmer der umkämpften<br />
Tarifbranche innerhalb der umkämpften Tarifgebiete erhalten<br />
keine Leistungen der BA, unabhängig davon, ob<br />
sie selbst streiken oder vom Arbeitskampf nur mittelbar<br />
betroffen sind. Auch hier will ich ein Beispiel nennen.<br />
In der Metallindustrie Tarifbezirk Nordbaden findet ein<br />
Streik statt. Bestreikt wird ein mittelständisches Unternehmen<br />
in Nordbaden, das beispielsweise Kolben für<br />
Kraftfahrzeuge herstellt. Infolge des Streiks kann bei<br />
Daimler-Chrysler in Stuttgart, ebenfalls in Nordbaden<br />
nicht produziert werden. Die betroffenen Kurzarbeiter<br />
erhalten keine Leistungen.<br />
Dritte Konstellation: Arbeitnehmer der umkämpften Tarifbranche<br />
außerhalb der umkämpften Tarifgebiete erhalten<br />
dann keine Leistungen der BA, wenn der Arbeitskampf<br />
stellvertretend für ihre Arbeitsbedingungen mitgeführt<br />
wird. Konkret bedeutet das Folgendes: Infolge des Arbeitskampfes,<br />
beispielsweise in der Metallindustrie Nordbaden,<br />
kommt es in Metallbetrieben in Südbaden zu Arbeitsausfällen.<br />
Die mittelbar betroffenen Kurzarbeiter in<br />
Südbaden erhalten keine Leistungen, wenn der Arbeitskampf<br />
stellvertretend für ihre Arbeitsbedingungen mitgeführt<br />
wird.<br />
Vizepräsident Wolfgang Thierse:<br />
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen<br />
Ulrich?<br />
<strong>Anette</strong> <strong>Kramme</strong> (SPD):<br />
Aber selbstverständlich.<br />
Alexander Ulrich (DIE LINKE):<br />
Frau Kollegin, Sie haben vorhin etwas über den Antrag<br />
der damaligen PDS-Fraktion im Bundestag gesagt und<br />
darauf hingewiesen, dass die SPD diesen Antrag auch<br />
heute ablehnen wird. Ihr damaliger Arbeitsminister Walter<br />
Riester, vorher Zweiter Vorsitzender der IG Metall, hatte<br />
angekündigt, dass dieses Gesetz in der 15. Legislaturperiode<br />
auf den Weg gebracht wird.<br />
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Er hat damals viel angekündigt!)<br />
Ist Ihnen das bekannt oder sagen Sie, dass Sie damit<br />
nichts mehr zu tun haben wollen?<br />
<strong>Anette</strong> <strong>Kramme</strong> (SPD):<br />
Das kann ich Ihnen ganz einfach beantworten: Walter<br />
Riester hat damals zugesagt, eine Überprüfung dieser<br />
Regelung vorzunehmen. Dies entspricht vollumfänglich<br />
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes.<br />
Diese Position teilen wir auch heute.<br />
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der<br />
CDU/CSU)<br />
1986 änderte die Regierung Kohl den § 116 AFG. Viele<br />
von Ihnen werden sich noch an den heftigen Widerstand<br />
der Gewerkschaften und der SPD, die Massendemonstrationen<br />
und die Unterschriftenlisten erinnern. Gegen die<br />
Aushöhlung des Streikrechtes sind die Gewerkschaften<br />
vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. Die angefochtene<br />
Rechtsnorm hat ein Stirnrunzeln des höchsten<br />
deutschen Gerichtes bewirkt und wurde mit dem Etikett<br />
"Gerade noch verfassungsgemäß" versehen. Das Bun-<br />
Der Rote Faden 12