physio-Journal I 1/2016
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Wissenschaftlicher Hintergrund<br />
Kwon et al. untersuchten 2015 in einer Studie<br />
die Auswirkung einer künstlich herbei-<br />
Ergebnis: Während in der Position des Betalebene),<br />
WS-Kyphose und Lordosewinkel.<br />
geführten Beinlängendifferenz (BL) auf die ckens signifikante Unterschiede bestanden,<br />
Körperstatik sowie die Auswirkungen einer konnten diese bezüglich der Wirbelsäulenposition<br />
nicht gefunden werden!<br />
künstlich erzeugten BL-Differenz auf die<br />
Haltung, die Wirbelsäule und die Beckenposition.<br />
Hierbei wurden bei 20 gesunden Die Ergebnisse sind interessant. Eine künstlich<br />
herbeigeführte Beinlängendifferenz hat<br />
Patienten, die alle lediglich BL-Differenzen<br />
< 0,5 mm, aber keine sonstigen Pathologien<br />
aufzeigten, Untersuchungen durchge-<br />
dies ist i. d. R. zu erwarten, da das Becken<br />
zwar Auswirkungen auf das Becken, aber<br />
führt. Die Probanden bekamen Platten unterschiedlicher<br />
Höhe (1, 2, 3 und 4 cm) unter kungen auf die Wirbelsäule zeigen sich hier<br />
sich direkt dem Bein anschließt. Auswir-<br />
den rechten Fuß positioniert. Dabei wurde nicht, allerdings wurden lediglich der Lordose-<br />
und Kyphosewinkel untersucht und<br />
darauf geachtet, dass das Körpergewicht<br />
auf beiden Beinen gleich verteilt war. Nachdem<br />
die Platte untergelegt wurde, erfolgte andere Parameter. Auch muss bedacht wer-<br />
nicht das Ausmaß an Lateralflexion oder<br />
zunächst eine zweiminütige Pause, sodass den, dass die künstliche Beinlängendifferenz<br />
der Körper sich an die Änderung der Statik nur für 2 Minuten eingestellt wurde und der<br />
anpassen konnte. Anschließend wurde eine Körper nur wenig Zeit zur Adaptation hatte.<br />
Messung mittels Rasterstereographie durchgeführt,<br />
nach der die Probanden 5 Minuten per hingegen über einen längeren Zeitraum<br />
Bei einer normalen BL-Differenz hat der Kör-<br />
gehen sollten. Im Anschluss daran erfolgte die Möglichkeit sich anzupassen, sodass<br />
eine weitere Messung in <strong>physio</strong>logischer auch evtl. weitläufigere Veränderungen zu<br />
und entspannter Standposition, um eine Referenz<br />
zu erhalten. Mit der Rasterstereogra-<br />
erwarten sind.<br />
phie wurden folgende Parameter gemessen: Es muss also bedacht werden, dass es sich<br />
Becken Tilt (Frontalebene), Inklination (Sagit-<br />
bei der vorliegenden Untersuchung nur um<br />
TITELTHEMA<br />
eine Momentaufnahme handelt und nicht<br />
unbedingt eine Reaktion des Körpers vorliegt,<br />
die bei einer langwierigen BL-Differenz<br />
entsteht. Eine weitere Frage ist, ob es überhaupt<br />
möglich ist, eine BL-Differenz künstlich<br />
zu erzeugen. Möglicherweise gibt es<br />
einen Unterschied zwischen natürlicher und<br />
künstlicher Differenz der BL.<br />
In einem Review konnte Knutson (2005)<br />
zeigen, dass es bei Probanden, die vorher<br />
keinen Beckenschiefstand hatten, zu einer<br />
vergrößerten lumbalen Lateralflexion im Bereich<br />
der höheren Crista iliaca kam, wenn<br />
ein Bein mit einem Keil oder Brettchen angehoben<br />
wurde. Ebenso konnte bei Patienten<br />
mit einem Beckenschiefstand durch<br />
eine Korrektur die Lateralflexion wieder<br />
verringert werden. Knutson (2005) bezog<br />
in seinen Review auch eine Studie ein, in<br />
der Patienten untersucht wurden, die eine<br />
BL-Differenz aufgrund einer Femurfraktur<br />
hatten. Nach einem Zeitraum von 10 Jahren<br />
wurde gemessen, ob strukturelle Anpassungen<br />
bestanden. Das Ergebnis war, dass<br />
keine solcher strukturellen Anpassungen<br />
des Körpers gefunden werden konnten.<br />
Differenz bei nicht<br />
gewichtsbelasteter Position<br />
Eine Beinlängendifferenz, die in nicht gewichtsbelasteter<br />
Position vorliegt, ist wahrscheinlich<br />
das Resultat von hypertonen suprapelvischen<br />
Muskeln (M. erector spinae<br />
und M. quadratus lumborum).<br />
Durch die Muskelaktivität soll es zu folgenden<br />
Mechanismen bei Belastung kommen:<br />
Eine Kontraktion des M. quadratus lumborum<br />
bewirkt eine Lateralflexion und führt<br />
bei stabilem Becken zu einer Extension der<br />
Wirbelsäule. Wenn die Wirbelsäule stabil ist,<br />
wird das Becken nach kranial zum posterioren<br />
Aspekt der Beckenhälfte gezogen. Diese<br />
Belastung auf den posterioren Aspekt der<br />
Crista iliaca kann die ipsilaterale anteriore<br />
Beckenhälfte nach anterokaudal rotieren (=<br />
AS Ilium; Ilium ist nach anterior und superior<br />
rotiert) und die kontralaterale Hälfte in die<br />
entgegengesetzte Richtung (= PI Ilium; Ilium<br />
ist nach posterior und inferior rotiert).<br />
Fotolia © Benjaminpx<br />
Fazit:<br />
Auswirkungen von Beinlängendifferenzen<br />
Studien zeigen häufig nur einen kurzfristigen<br />
Effekt auf die Körperstatik. Relevant ist<br />
allerdings, wie der Körper sich langfristig an<br />
Veränderungen anpasst. Dies wird oft nicht<br />
im Zusammenhang mit funktionellen Beinlängendifferenzen<br />
untersucht.<br />
Ein weiteres Problem bei der Beurteilung<br />
von BL-Differenzen ist, dass nicht alle Körper<br />
gleich auf eine veränderte Beinlänge reagieren.<br />
Es gibt Körper, die reagieren kaum<br />
auf die Differenz, und andere reagieren<br />
mit Ausgleichshaltungen und vermehrten<br />
Schmerzen.<br />
BEINLÄNGENDIFFERENZ<br />
FALLBEISPIEL<br />
Außerdem muss noch bedacht werden,<br />
dass es ein Unterschied sein kann, ob die<br />
BL-Differenz künstlich erzeugt wird (durch<br />
das Unterschieben eines Brettchens). Es ist<br />
bisher noch nicht gewiss, ob der Körper auf<br />
solche Änderungen ähnlich oder gleich reagiert<br />
wie auf »natürlich« entstandene BL-<br />
Differenzen. Alles Weitere wie die Theorien<br />
zu Muskelaktivitäten usw. ist lediglich Theorie<br />
und noch nicht durch Studien nachgewiesen.<br />
a<br />
Weiter geht es auf<br />
der nächsten Seite …<br />
<strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong> 11