Gsungen&Gspielt 2/2015
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RÜCKSICHT<br />
WASTL FANDERL –<br />
EINE IKONE WÜRDE<br />
100 JAHRE ALT<br />
Am 24. Juni <strong>2015</strong> wäre der aus den Medien gut bekannte<br />
oberbayerische Volksliedsammler und -pfleger Wastl Fanderl<br />
100 Jahre alt geworden.<br />
Text: Carmen E. Kühnl<br />
Das ganze Jahr über gibt es im alpenländischen<br />
Kulturraum zahlreiche<br />
Gedenkveranstaltungen zu seinen Ehren.<br />
Auch der Verein für Volkslied und<br />
Volksmusik e.V. (VVV) verbindet <strong>2015</strong><br />
viele Aktivitäten mit dem Andenken an<br />
seinen Mitbegründer. So ist etwa auch<br />
eine Doppel-CD zum 50. Vereinsjubiläum<br />
erschienen.<br />
Natürliche Singweise wurde Vorbild<br />
Erich Mayer, wie Fanderl beim Innsbrucker<br />
Volksmusikwettbewerb als<br />
Juror tätig, erinnert sich: „Es war an<br />
Pfingsten 1960, da war ich zum ersten<br />
Mal auf einer seiner Singwochen. Die<br />
ungezwungene Art, die Leute zum fröhlichen,<br />
gemeinsame Singen zu bringen,<br />
war für mich ein Schlüsselerlebnis,<br />
zumal ich als ehemaliger Regensburger<br />
Domspatz im Gegensatz dazu mit<br />
kunstvoller, stimmtechnisch gebildeter<br />
und exakter Singweise aufgewachsen<br />
bin. Die natürliche Singweise wurde<br />
mir zum Vorbild für alle meine eigenen<br />
Singstunden.“ Ähnlich äußert sich Sigi<br />
Ramstötter. Er hat seit 1956 im Fanderl-Quartett<br />
gesungen und nicht nur<br />
in Fanderls Singwochen und Singstunden,<br />
Radio- und Fernsehsendungen<br />
sowie bei Schallplattenproduktionen<br />
mitgewirkt. Das Charakteristische an<br />
Fan derls Singstunden war, dass „beim<br />
Wastl die Freude am Singen im Vordergrund<br />
stand. Er hat viel erzählt, woher<br />
das Lied kommt, über die Landschaft<br />
und die musikalische und geschichtliche<br />
Herkunft. Das war Unterhaltung<br />
und Information in einem.“ Trotzdem<br />
sei das Einüben der einzelnen Stimmen<br />
in den täglichen Singstunden nicht zu<br />
kurz gekommen. Bis zum Ende einer<br />
„Fanderl-Singwoche“ hatten die Teilnehmer<br />
mindestens zwanzig Lieder<br />
gelernt. Anfänglich waren nur wenige<br />
Musikanten dabei, erinnert sich Ramstötter,<br />
der Leiter der Teisendorfer<br />
Tanzlmusi. Vor jedem Lied wurde die<br />
Melodie eingespielt. „Das war wichtig,<br />
denn fast die Hälfte der Teilnehmer<br />
konnte keine Noten lesen.“ Einen Tipp<br />
aus Fanderls Singstundenpraxis beherzigt<br />
der Sigi auch heute noch bei den<br />
eigenen Singstunden: „Die ersten Male<br />
muss man ein neues Lied immer tiefer<br />
singen als es notiert ist. Sonst haben die<br />
Sängerinnen und Sänger ganz schnell<br />
keine Stimme mehr.“<br />
Fanderl hatte schon im Januar 1936<br />
seine erste bäuerliche Singwoche in<br />
Schwindegg abgehalten. Perfektioniert<br />
und verstärkt angeboten hat er seine<br />
Singstunden und Singwochen dann<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Lieder<br />
gab es anfänglich nicht als Vorlage,<br />
sondern sie wurden von den Teilnehmern<br />
aufgeschrieben. Erst später hat<br />
Fanderl eigens dafür Liederbogen und<br />
Liederblätter entwickelt. Als in den<br />
1970er-Jahren mundartliches Liedgut<br />
an den bayerischen Grundschulen immer<br />
seltener gesungen wurde, hat der<br />
Verein für Volkslied und Volksmusik<br />
spezielle Liederblätter in einer Auflage<br />
von ca. 250.000 gedruckt, die didaktische<br />
Hinweise und Erläuterungen<br />
enthielten.<br />
Ganz wichtig war rückblickend, dass<br />
die Lieder einer breiten Schulöffentlichkeit<br />
durch viele Fortbildungsveranstaltungen<br />
nähergebracht wurden. Wastl<br />
Fanderl als Volksmusikpfleger und die<br />
Mitarbeiter von Schulämtern erreichten<br />
damit beispielsweise im Herbst 1977<br />
allein in München 500 Lehrerinnen und<br />
Lehrer.<br />
Nicht die Spur eines<br />
Lehrgangs gefühls<br />
Fanderl selbst hat sein didaktisches<br />
Konzept in einem Vortrag einmal so beschrieben:<br />
„Nicht die Spur eines Lehrgangsgefühls<br />
aufkommen lassen, für jedes<br />
einzelne Lied Begeisterung wecken,<br />
auf Herkunft und Textinhalte eingehen,<br />
die Schönheit der Sprache und der Melodie<br />
bewusst werden lassen – mit diesem<br />
höchst einfachen und natürlichen<br />
‚Lehrplan’ habe ich, so glaube ich, mehr<br />
erreicht als mit Veröffentlichungen,<br />
Volksmusikabenden und Rundfunksendungen<br />
zusammen.“<br />
Was heute in Anlehnung an Wastl Fanderl<br />
vielfach als Singwoche bezeichnet<br />
wird, müsste eigentlich Volksmusikund<br />
Volksliedwoche heißen. Der Instrumentalunterricht<br />
nimmt nun einen viel<br />
größeren Raum ein als das Singen. Über<br />
die Gründe mag man spekulieren. Diesen<br />
Trend erleben wir z.B. auch in der<br />
Titelauswahl der Rundfunk- und Fernsehsendungen,<br />
bei Veranstaltungen und<br />
bei jedem Innsbrucker Wettbewerb: die<br />
Gesangsbewerber werden immer weniger.<br />
CD erhältlich um 19,50 € + Versand:<br />
www.volkslied-volksmusik.de<br />
G‘SUNGEN & G‘SPIELT | 40. JAHRGANG | HEFT 02 | JUNI <strong>2015</strong> 19