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MOTORRAD Classic 10/2016

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Ein exklusives<br />

Tourenbike,<br />

das mit Langstreckenqua<br />

litäten<br />

anstelle<br />

herausragender<br />

Fahrleistungen<br />

überzeugt<br />

Drehknauf: der Reibungs-Lenkungsdämpfer<br />

nahe an ein Übergangsritual, in den vierten und letzten Gang zu<br />

schalten, in dem man bleiben kann, bis das Tempo wieder auf gefühlt<br />

Schrittgeschwindigkeit gesunken ist. Der Tacho, der normalerweise<br />

auf dem Scheinwerfer thront, fehlte in der Teilebox, als Sammy<br />

das Bike kaufte, ebenso die Aluplatte zur Montage. Er hat diese<br />

Teile inzwischen aufgetrieben, die jedoch gerade zur Aufarbeitung<br />

geschickt worden waren, als ich die Zündapp fuhr. So kann ich das<br />

Tempo also nur schätzen, aus dem man im letzten Gang ruckfrei<br />

hochbeschleunigen kann. Da ist diese herrliche, üppige und sämige<br />

Kraftentfaltung, die man eher als energisch denn als bullig bezeichnen<br />

kann, verbunden mit einem gedämpften Brummen aus den<br />

2-in-1-Auspuffanlagen, die von den beiden Zylinderpaaren nach<br />

hinten ragen. Ein wenig erinnert es mich an den Sound des Subaru<br />

WRX meines australischen Kumpels Stephen.<br />

All das zusammen macht den Charakter<br />

des Bikes aus, das in der Zeit ab seiner Vorstellung<br />

1933 eine ultrateure Anschaffung gewesen<br />

sein musste – ein großes Tourenbike, ein<br />

„gentleman’s express“, wenn auch in seiner<br />

Performance begrenzt, angesichts der erreichbaren<br />

Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h.<br />

Die K 800 bietet ein erstaunlich modernes<br />

Fahrgefühl, vielleicht wegen der entspannten<br />

Fahrhaltung und dem schlanken Tank. Glücklicherweise<br />

sind am gepressten Stahlrahmen<br />

einige Gummi-Pads angebracht, an denen man<br />

die Zündapp mit zusammengepressten Knien<br />

zu Richtungswechseln zwingen kann. Diese<br />

absolviert sie in einer ziemlich lässigen und<br />

gleichzeitig entschlossenen Manier – der tiefe<br />

Schwerpunkt lässt sie nicht nur recht ungerührt in Schräglage über<br />

Bodenwellen gleiten, sondern auch leichtfüßig von rechts nach<br />

links schwenken. Jedenfalls leichter, als ich angesichts des relativ<br />

hohen Gewichts von 215 Kilogramm erwartet hätte. Trotz der Härte<br />

des ungefederten Hecks fühlt man sich vor den schlimmsten Schlägen<br />

gut bewahrt, ein Verdienst des gut gefederten Sattels. Ein vertrauenerweckendes<br />

Fahrverhalten stellt sich ein, trotz des Pressstahlrahmens<br />

und der Trapezgabel, Letztere mit einem Reibungs-<br />

Lenkungsdämpfer ausgerüstet. Alles eher angestaubte Zutaten, im<br />

Vergleich zu den mit modernen Telegabeln ausgestatteten BMW-<br />

Konkurrentinnen. Es ist auch nicht zu leugnen, dass eine Serie von<br />

aufeinanderfolgenden Stößen die K 800 ein wenig ins Taumeln<br />

bringt. Generell geht das Lenkverhalten dennoch in Ordnung, auch<br />

wenn die Maschine sich in Kurven etwas stur gibt und mit Nachdruck<br />

auf Kurs gehalten werden will.<br />

Fußrasten oder Trittbrett – was darf’s denn sein?<br />

Die Räder sind austauschbar und besitzen dieselbe 190-mm-Simplex-Halbnaben-Trommelbremse<br />

vorn und hinten. Die hintere arbeitet<br />

übrigens viel effektiver, wenn man sich erst mal daran gewöhnt<br />

hat, mit der Ferse auf den Hebel zu treten. Schließlich bietet<br />

die Zündapp die Wahl, den Fuß auf den weiter hinten montierten<br />

Fußrasten abzustellen oder auf den üppigen Trittbrettern davor zu<br />

platzieren, was die Gefahr birgt, die Füße vom heißen Motor geröstet<br />

zu bekommen.<br />

Ungeachtet dessen stellt die Zündapp K 800 ein wenig bekanntes,<br />

jedoch hochklassiges Luxusmodell in der Reihe der 1930er-<br />

Jahre-Motorräder dar, mit einem wohl durchdachten Vierzylinder-<br />

Boxermotor, der seinen diskreten Besitzern lange Freude bereitet.<br />

Während es der K 800 offensichtlich an rekordverdächtigen Fahrleistungen<br />

und dem damit einhergehenden Ruf ihrer Konkurrentinnen<br />

wie Brough Superior SS <strong>10</strong>0 oder Vincent Series A mangelt,<br />

ist sie zumindest außerhalb Deutschlands als ein exklusiver Kilometerfresser<br />

bekannt, dessen Langstreckentauglichkeit für den<br />

Mangel an herausragenden Fahrleistungen entschädigt. Gut geboxt,<br />

meine Herren Zündapp-Ingenieure.<br />

◻<br />

Die zeitgenössische<br />

Werbeanzeige verdeutlicht,<br />

wie selbstbewusst<br />

Zündapp<br />

sich auch an den<br />

Markt hochkarätiger,<br />

hubraumstarker und<br />

teurer Motorräder<br />

heranwagte<br />

<strong>MOTORRAD</strong> CLASSIC <strong>10</strong>/<strong>2016</strong> 77

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