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Ein exklusives<br />
Tourenbike,<br />
das mit Langstreckenqua<br />
litäten<br />
anstelle<br />
herausragender<br />
Fahrleistungen<br />
überzeugt<br />
Drehknauf: der Reibungs-Lenkungsdämpfer<br />
nahe an ein Übergangsritual, in den vierten und letzten Gang zu<br />
schalten, in dem man bleiben kann, bis das Tempo wieder auf gefühlt<br />
Schrittgeschwindigkeit gesunken ist. Der Tacho, der normalerweise<br />
auf dem Scheinwerfer thront, fehlte in der Teilebox, als Sammy<br />
das Bike kaufte, ebenso die Aluplatte zur Montage. Er hat diese<br />
Teile inzwischen aufgetrieben, die jedoch gerade zur Aufarbeitung<br />
geschickt worden waren, als ich die Zündapp fuhr. So kann ich das<br />
Tempo also nur schätzen, aus dem man im letzten Gang ruckfrei<br />
hochbeschleunigen kann. Da ist diese herrliche, üppige und sämige<br />
Kraftentfaltung, die man eher als energisch denn als bullig bezeichnen<br />
kann, verbunden mit einem gedämpften Brummen aus den<br />
2-in-1-Auspuffanlagen, die von den beiden Zylinderpaaren nach<br />
hinten ragen. Ein wenig erinnert es mich an den Sound des Subaru<br />
WRX meines australischen Kumpels Stephen.<br />
All das zusammen macht den Charakter<br />
des Bikes aus, das in der Zeit ab seiner Vorstellung<br />
1933 eine ultrateure Anschaffung gewesen<br />
sein musste – ein großes Tourenbike, ein<br />
„gentleman’s express“, wenn auch in seiner<br />
Performance begrenzt, angesichts der erreichbaren<br />
Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h.<br />
Die K 800 bietet ein erstaunlich modernes<br />
Fahrgefühl, vielleicht wegen der entspannten<br />
Fahrhaltung und dem schlanken Tank. Glücklicherweise<br />
sind am gepressten Stahlrahmen<br />
einige Gummi-Pads angebracht, an denen man<br />
die Zündapp mit zusammengepressten Knien<br />
zu Richtungswechseln zwingen kann. Diese<br />
absolviert sie in einer ziemlich lässigen und<br />
gleichzeitig entschlossenen Manier – der tiefe<br />
Schwerpunkt lässt sie nicht nur recht ungerührt in Schräglage über<br />
Bodenwellen gleiten, sondern auch leichtfüßig von rechts nach<br />
links schwenken. Jedenfalls leichter, als ich angesichts des relativ<br />
hohen Gewichts von 215 Kilogramm erwartet hätte. Trotz der Härte<br />
des ungefederten Hecks fühlt man sich vor den schlimmsten Schlägen<br />
gut bewahrt, ein Verdienst des gut gefederten Sattels. Ein vertrauenerweckendes<br />
Fahrverhalten stellt sich ein, trotz des Pressstahlrahmens<br />
und der Trapezgabel, Letztere mit einem Reibungs-<br />
Lenkungsdämpfer ausgerüstet. Alles eher angestaubte Zutaten, im<br />
Vergleich zu den mit modernen Telegabeln ausgestatteten BMW-<br />
Konkurrentinnen. Es ist auch nicht zu leugnen, dass eine Serie von<br />
aufeinanderfolgenden Stößen die K 800 ein wenig ins Taumeln<br />
bringt. Generell geht das Lenkverhalten dennoch in Ordnung, auch<br />
wenn die Maschine sich in Kurven etwas stur gibt und mit Nachdruck<br />
auf Kurs gehalten werden will.<br />
Fußrasten oder Trittbrett – was darf’s denn sein?<br />
Die Räder sind austauschbar und besitzen dieselbe 190-mm-Simplex-Halbnaben-Trommelbremse<br />
vorn und hinten. Die hintere arbeitet<br />
übrigens viel effektiver, wenn man sich erst mal daran gewöhnt<br />
hat, mit der Ferse auf den Hebel zu treten. Schließlich bietet<br />
die Zündapp die Wahl, den Fuß auf den weiter hinten montierten<br />
Fußrasten abzustellen oder auf den üppigen Trittbrettern davor zu<br />
platzieren, was die Gefahr birgt, die Füße vom heißen Motor geröstet<br />
zu bekommen.<br />
Ungeachtet dessen stellt die Zündapp K 800 ein wenig bekanntes,<br />
jedoch hochklassiges Luxusmodell in der Reihe der 1930er-<br />
Jahre-Motorräder dar, mit einem wohl durchdachten Vierzylinder-<br />
Boxermotor, der seinen diskreten Besitzern lange Freude bereitet.<br />
Während es der K 800 offensichtlich an rekordverdächtigen Fahrleistungen<br />
und dem damit einhergehenden Ruf ihrer Konkurrentinnen<br />
wie Brough Superior SS <strong>10</strong>0 oder Vincent Series A mangelt,<br />
ist sie zumindest außerhalb Deutschlands als ein exklusiver Kilometerfresser<br />
bekannt, dessen Langstreckentauglichkeit für den<br />
Mangel an herausragenden Fahrleistungen entschädigt. Gut geboxt,<br />
meine Herren Zündapp-Ingenieure.<br />
◻<br />
Die zeitgenössische<br />
Werbeanzeige verdeutlicht,<br />
wie selbstbewusst<br />
Zündapp<br />
sich auch an den<br />
Markt hochkarätiger,<br />
hubraumstarker und<br />
teurer Motorräder<br />
heranwagte<br />
<strong>MOTORRAD</strong> CLASSIC <strong>10</strong>/<strong>2016</strong> 77