Tassilo, Ausgabe Januar/Februar 2017 - Das Magazin rund um Weilheim und die Seen
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Herzogsägmühle | Es sei „kein dünnes<br />
Brett, das wir bohren“, sagt Direktor<br />
Wilfried Knorr über <strong>die</strong> Jahresbilanz<br />
von Herzogsägmühle, <strong>die</strong><br />
<strong>2017</strong> erstmals den Titel „Gemeinwohl-Bilanz“<br />
tragen wird. Dahinter<br />
verbirgt sich eine Jahresrechnung,<br />
<strong>die</strong> nicht nur Gewinne <strong>und</strong> Verluste<br />
ausweist, sondern auch „weiche“<br />
Faktoren berücksichtigt wie ökologische<br />
Nachhaltigkeit, Transparenz<br />
oder demokratische Mitbestimmung.<br />
Mit Spannung blickt Knorr<br />
der Zertifizierung seines Projektes<br />
entgegen, <strong>die</strong> im ersten Quartal<br />
<strong>2017</strong> erfolgen soll. Im Interview<br />
auf der „Roten Couch“ erklärt<br />
der 57-Jährige <strong>die</strong> G<strong>r<strong>und</strong></strong>züge der<br />
„Gemeinwohl-Ökonomie“, wie er<br />
auf <strong>die</strong> Idee aufmerksam wurde,<br />
wie er sie im Diakoniedorf <strong>um</strong>setzt<br />
<strong>und</strong> war<strong>um</strong> er für das Modell sogar<br />
vor B<strong>und</strong>estagsabgeordneten in<br />
Berlin wirbt. Und auch, dass zwar<br />
das Wirtschaftsmodell <strong>und</strong> seine<br />
Begrifflichkeiten neu sind, <strong>die</strong> Idee<br />
dahinter aber schon von den Autoren<br />
der Bayerischen Landesverfassung<br />
formuliert wurde: Sie schrieben<br />
1946, dass „alles Wirtschaften<br />
dem Gemeinwohl“ <strong>die</strong>nen möge.<br />
Wilfried Knorr, Herzogsägmühle<br />
dürfte vielen „tassilo“-Lesern eher<br />
als Ortsname bekannt sein. Können<br />
Sie kurz zusammenfassen, was im<br />
Diakoniedorf alles passiert bzw. ansässig<br />
ist?<br />
Herzogsägmühle ist ein Ort z<strong>um</strong><br />
Leben für Menschen mit Benachteiligungen,<br />
Behinderungen, seelischen<br />
Erkrankungen oder mit<br />
besonderen erzieherischen <strong>und</strong><br />
Ausbildungsbedürfnissen, <strong>die</strong> an<br />
anderen Orten aufg<strong>r<strong>und</strong></strong> ihrer<br />
spezifischen Lebenssituation nicht<br />
wohnen <strong>und</strong> leben können. Neben<br />
Wohn- <strong>und</strong> Beratungsangeboten<br />
gibt es bei uns drei Schulen, es<br />
wird in 41 Berufen ausgebildet, es<br />
gibt Werkstätten für Menschen mit<br />
Behinderung. Zudem verfügen wir<br />
über eine Vielzahl attraktiver Freizeitangebote,<br />
das Café <strong>und</strong> Wirtshaus<br />
„Herzog“ bietet leckere Speisen,<br />
unser „MühlenMarkt“ ist ein<br />
Einkaufspara<strong>die</strong>s.<br />
Sie haben „Außenstellen“ im <strong>Tassilo</strong>land,<br />
vor allem in <strong>Weilheim</strong> —<br />
welche Einrichtungen konkret?<br />
Wir sind in acht Landkreisen <strong>r<strong>und</strong></strong><br />
<strong>um</strong> Herzogsägmühle her<strong>um</strong> tätig,<br />
mit Tagesstätten für psychisch<br />
Kranke, Beratungsangeboten,<br />
Wohnplätzen für ehemals Wohnungslose,<br />
mit Läden <strong>und</strong> Begegnungsstätten<br />
wie z<strong>um</strong> Beispiel<br />
dem „Café Verweilheim“ in der<br />
Herzog-Christoph-Straße. Dazu haben<br />
wir mit dem Tochterunternehmen<br />
„Kinderhilfe Oberland“ Kitas,<br />
Horte, Frühförderung <strong>und</strong> Mittagsbetreuung<br />
an Schulen.<br />
Herzogsägmühle ist der zweitgrößte<br />
Arbeitgeber im Landkreis <strong>Weilheim</strong>-<br />
Schongau mit inzwischen nahezu<br />
1 800 Mitarbeitern. Wohin geht <strong>die</strong><br />
Tendenz?<br />
Immer — mit Augenmaß — moderat<br />
nach oben. Die Bedürfnisse der<br />
Menschen zu decken, ist uns Verpflichtung<br />
<strong>und</strong> Auftrag — <strong>und</strong> bisher<br />
erforderte steigender Bedarf<br />
auch steigende Mitarbeiterzahlen.<br />
Sie beschäftigen sich seit gera<strong>um</strong>er<br />
Zeit mit dem Wirtschaftsmodell<br />
der „Gemeinwohl-Ökonomie“, <strong>2017</strong><br />
wird das konkret in der Herzogsägmühler<br />
Wirtschaftsbilanz aufscheinen.<br />
Was ist der Leitgedanke, das<br />
Ziel der Gemeinwohl-Ökonomie?<br />
Ich muss etwas vorausschicken:<br />
Ausgangspunkt ist <strong>die</strong> Tatsache,<br />
dass weltweit Bürger mit unserem<br />
aktuellen Wirtschaftssystem unzufrieden<br />
sind. Umfragen haben<br />
gezeigt, dass es bei 85 Prozent der<br />
Bevölkerung auf Ablehnung stößt,<br />
weil <strong>die</strong> Menschen es nicht für gerecht<br />
halten. In Deutschland sind<br />
es laut einer Bertelsmann-Stu<strong>die</strong><br />
sogar 88 Prozent, das heißt, neun<br />
von zehn Menschen lehnen das gegenwärtige<br />
Wirtschaftssystem ab.<br />
Können Sie ein paar Kritikpunkte<br />
nennen?<br />
Ganz allgemein formuliert erstens<br />
der ökologische Fußabdruck, den<br />
wir auf der Erde hinterlassen —<br />
Wilfried Knorr <strong>und</strong> „tassilo“-Redakteur Tobias Sch<strong>um</strong>acher im Mühlenmarkt,<br />
der laut des Direktors mit dazu beiträgt, dass Herzogsägmühle<br />
z<strong>um</strong> „normalen“ Dorf wird.<br />
Umweltverschmutzung, Ressourcenverbrauch,<br />
Raubbau, usw.<br />
Zweitens <strong>die</strong> weltweite Unfähigkeit,<br />
<strong>die</strong> Einkommen gerecht zu<br />
verteilen. Es ist absurd, dass 62<br />
Individuen <strong>die</strong> Hälfte sämtlichen<br />
Geldes besitzen; <strong>die</strong> Schere zwischen<br />
Arm <strong>und</strong> Reich geht auch<br />
in Deutschland immer weiter auf.<br />
In den westeuropäischen Ländern<br />
kommt drittens <strong>die</strong> Unzufriedenheit<br />
mit den Bildungschancen dazu —<br />
bildungsferne Eltern haben bildungsferne<br />
Kinder. Viertens macht<br />
unsere Arbeitswelt <strong>die</strong> Menschen<br />
krank. <strong>Das</strong> ist keine Randgeschichte!<br />
Jeder vierte Mensch wird in<br />
seinem Leben wegen seiner Arbeit<br />
krank. All das sind Symptome unseres<br />
Wirtschaftssystems. Trotzdem<br />
bedeutet es heute einen Wettbewerbsnachteil,<br />
wenn ich als Unternehmer<br />
ethisch handle.<br />
Wie ist das Wirtschaftsmodell der<br />
Gemeinwohl-Ökonomie entstanden?<br />
Christian Felber hat das Modell<br />
in seinem gleichnamigen Buch<br />
2010 vorgestellt. Er kommt aus der<br />
„Attac-Bewegung“. Seine Idee ist,<br />
unser heutiges System <strong>um</strong>zudrehen<br />
<strong>und</strong> neben der Finanzbilanz<br />
den ethischen Erfolg eines Unternehmens<br />
zu messen. Felber hatte<br />
sich vor 2010 mit 25 österreichischen<br />
Unternehmern zu einem<br />
Think-Tank zusammengesetzt. Dort<br />
wurden fünf zentrale Werte ermittelt:<br />
Menschenwürde, Solidarität,<br />
ökologische Nachhaltigkeit, soziale<br />
Gerechtigkeit sowie demokratische<br />
Mitbestimmung <strong>und</strong> Transparenz.<br />
Diese Werte stellten sie in einer<br />
„Gemeinwohl-Matrix“, <strong>die</strong> sie 2013<br />
veröffentlichten, einer „Berührungsgruppe“<br />
in den Unternehmen<br />
gegenüber: Lieferanten, Geldgeber,<br />
Mitarbeiter <strong>und</strong> Eigentümer, K<strong>und</strong>en,<br />
Produkte, Dienstleistungen,<br />
Mitunternehmen, gesellschaftliches<br />
Umfeld. Dort, wo Unternehmen <strong>die</strong><br />
fünf zentralen Werte erfüllen, gibt<br />
Modestoffe &<br />
Accessoires<br />
Patchworkstoffe<br />
<strong>und</strong><br />
Zubehör<br />
Patchworkstoffe<br />
<strong>und</strong><br />
Zubehör<br />
Kurzwaren &<br />
Schnitte<br />
Näh- <strong>und</strong> Stickmaschinen von<br />
Reparatur-Service für alle Marken-Nähmaschinen<br />
Telefon 08 81/24 67 <br />
10 | tassilo