Tassilo, Ausgabe Januar/Februar 2017 - Das Magazin rund um Weilheim und die Seen
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Landesregierung als zwingend für<br />
öffentliche Unternehmen. Stuttgart<br />
hat im städtischen Haushalt 80 000<br />
Euro für <strong>die</strong> Erstellung einer Gemeinwohl-Bilanz<br />
eingestellt. Es<br />
ist kein dünnes Brett, das wir bohren,<br />
<strong>und</strong> es gibt noch eine Reihe<br />
heikler Punkte. Ich halte es z<strong>um</strong><br />
Beispiel für unsinnig, <strong>die</strong> Höhe<br />
von privat vererbbarem Vermögen<br />
zu begrenzen. Die von Felber angeregte<br />
„Produktampel“, also <strong>die</strong><br />
Kennzeichnung von Erzeugnissen<br />
gemäß der Gemeinwohl-Idee, ist<br />
nicht einfach — Ziel ist hier, dass<br />
ein ökologisches Produkt am Markt<br />
einen Vorteil haben soll. Generell<br />
darf man sich nicht als „Felber-<br />
Jünger“ verteufeln lassen, sondern<br />
muss für ein vernünftiges Wirtschaftssystem<br />
werben. Aber es gibt<br />
auch nur wenige ernstzunehmende<br />
Kritiker. Manche haben das G<strong>r<strong>und</strong></strong>prinzip<br />
noch nicht verstanden, aber<br />
immer mehr leuchtet ein, dass <strong>die</strong><br />
Produzenten Probleme bekommen,<br />
wenn unser Sozialsystem nicht<br />
mehr erhalten werden kann. Nicht<br />
<strong>um</strong>sonst hat der Papst gesagt:<br />
„Diese Wirtschaft tötet.“<br />
War<strong>um</strong> nun Gemeinwohl-Ökonomie<br />
in Herzogsägmühle?<br />
Interessant ist <strong>die</strong> Wirkung auf <strong>die</strong><br />
Mitarbeiter nach innen. Obwohl<br />
nicht alle der 1 800 Mitarbeiter<br />
kirchlich geprägt sind, kann sich<br />
jeder mit den fünf zentralen ethischen<br />
Werten identifizieren. Sie<br />
binden vor allem <strong>die</strong> mittleren<br />
Gruppenbild mit Direktor: Mitarbeiter der Schreinerei scharen sich <strong>um</strong><br />
ihren Chef Wilfried Knorr auf der „Roten Couch“.<br />
Führungskräfte ans Unternehmen.<br />
<strong>Das</strong> ist auch ein wichtiger Aspekt.<br />
Wie wird das Modell konkret eingeführt?<br />
Wir werden <strong>2017</strong> <strong>die</strong> Geschäftsbereiche<br />
von Herzogsägmühle zur<br />
Zertifizierung anmelden gemäß<br />
den Kriterien einer Gemeinwohl-<br />
Bilanz. <strong>Das</strong> machen wir mit einem<br />
Erstbericht, der zunächst einmal<br />
nur <strong>die</strong> Behauptung ist, dass wir<br />
nach der Gemeinwohl-Ökonomie<br />
wirtschaften. In drei Konferenzen<br />
haben wir alle Bereiche durchgearbeitet<br />
<strong>und</strong> eine Liste erstellt, <strong>die</strong><br />
wir mit der Gemeinwohl-Matrix<br />
abgeglichen haben. Diesen Erstbericht<br />
habe ich im Herbst nach Wien<br />
gemeldet. Dort sitzt der Verein für<br />
Gemeinwohl-Ökonomie, in dem<br />
wir Mitglied sind. Er schickt im ersten<br />
Quartal <strong>2017</strong> einen Auditor, der<br />
überprüft, ob unsere Bewertungen<br />
plausibel sind. Er macht im Prinzip<br />
das gleiche wie ein Wirtschaftsprüfer.<br />
Er schaut sich alle Bereiche<br />
an: Landwirtschaft, Einkauf,<br />
<strong>die</strong> Produktionsprozesse, <strong>die</strong> Ver<strong>die</strong>nstsituation<br />
der Mitarbeiter, innerbetriebliche<br />
Transparenz, usw.<br />
Anhand seiner Erkenntnisse <strong>und</strong><br />
Beobachtungen zertifiziert er dann<br />
unsere Gemeinwohl-Bilanz, <strong>die</strong><br />
wieder<strong>um</strong> öffentlich einsehbar sein<br />
wird. <strong>Das</strong> ist ein zentraler Punkt<br />
von Felbers Idee — alles wird offengelegt,<br />
jeder kann nachschauen,<br />
an welchen Punkten es funktioniert<br />
oder wo noch Handlungsbedarf<br />
herrscht.<br />
Wagen Sie eine Prognose, wie es<br />
ausgehen wird?<br />
Im Moment könnte ich nur spekulieren,<br />
wir machen <strong>die</strong> Erfahrung<br />
der Zertifizierung ja erst noch.<br />
Wie stark ist <strong>die</strong> Gemeinwohl-Bewegung<br />
überhaupt?<br />
Z<strong>um</strong> Verein in Wien gehören inzwischen<br />
<strong>r<strong>und</strong></strong> 350 zertifizierte<br />
Unternehmen mit Bilanz, darunter<br />
<strong>die</strong> Sparda-Bank, der Sportartikelhersteller<br />
Vaude, <strong>die</strong> Tageszeitung<br />
„taz“ <strong>und</strong> <strong>die</strong> Demeter-Bäckerei<br />
„Märkisches Landbrot“ in Berlin,<br />
mehrere Hotels in Österreich oder<br />
<strong>die</strong> Rathauspassagen der Diakonie<br />
in Hamburg. Herzogsägmühle ist<br />
das erste Unternehmen im Landkreis<br />
<strong>Weilheim</strong>-Schongau <strong>und</strong> in<br />
der Diakonie Bayerns überhaupt.<br />
Die findet unser Vorhaben sehr<br />
spannend. Wenn wir Erfolg haben,<br />
wird <strong>die</strong> Empfehlung der B<strong>und</strong>es-<br />
Diakonie zur Nachahmung noch<br />
mehr Gewicht bekommen. Sonst<br />
gibt es in unserer Region nur Bestrebungen<br />
oder Überlegungen.<br />
Aber jedem, der Felbers Buch liest,<br />
kann ich wie gesagt ein großes<br />
Aha-Erlebnis versprechen.<br />
Und noch etwas: Die Ideen der Gemeinwohl-Ökonomie<br />
sind in viele<br />
Richtungen anschlussfähig. Nehmen<br />
wir <strong>die</strong> Suffizienz-Forschung:<br />
Sie untersucht, wann ein materieller<br />
Anreiz für Menschen nicht mehr<br />
gegeben ist. Man hat z<strong>um</strong> Beispiel<br />
herausgef<strong>und</strong>en, dass es für Menschen,<br />
<strong>die</strong> über 70 000 Euro im<br />
Jahr ver<strong>die</strong>nen, keinen Anreiz mehr<br />
gibt, sich für mehr Gehalt anzustrengen.<br />
Ein Lösungsansatz wären<br />
Anstrengungen bei der Abkehr von<br />
Wachst<strong>um</strong> <strong>und</strong> Ressourcenverbrauch.<br />
<strong>Das</strong> wieder<strong>um</strong> bringt uns<br />
zur Glücksforschung …<br />
… <strong>die</strong> gibt es tatsächlich?<br />
Ja, sie befasst sich mit dem Glücklich-Sein,<br />
das wir beispielsweise<br />
empfinden, wenn wir uns zu einer<br />
größeren Gruppe zugehörig<br />
fühlen, <strong>und</strong> das uns fehlt, wenn<br />
wir uns etwa an Ausbeutung beteiligen.<br />
Dies wieder<strong>um</strong> lässt sich<br />
einbringen <strong>und</strong> aufgreifen in der<br />
Unternehmensführung, bei der<br />
Vermittlung von christlichen Werten,<br />
in Forschung <strong>und</strong> Entwicklung,<br />
in der Wissenschaft …<br />
… <strong>und</strong> in Herzogsägmühle.<br />
Genau. Ich habe <strong>die</strong> Gemeinwohl-<br />
Idee in eine Leiter-Konferenz<br />
eingebracht <strong>und</strong> fand <strong>die</strong> Resonanz<br />
sehr spannend. <strong>Das</strong> Modell<br />
müssen immerhin <strong>r<strong>und</strong></strong> 100<br />
Kostenstellen-Leiter <strong>um</strong>setzen. Die<br />
Mitarbeiter waren überwiegend<br />
sehr angetan. Und wie gesagt, vor<br />
allem in der mittleren Führungsebene<br />
wird <strong>die</strong> Gemeinwohl-Ökonomie<br />
inzwischen als Beitrag dazu<br />
gesehen <strong>und</strong> verstanden, dass wir<br />
ein attraktiver Arbeitgeber sind.<br />
Wie weit hat das Modell <strong>die</strong> Belegschaft<br />
schon erreicht?<br />
Da erlebe ich immer wieder große<br />
Überraschungen. Einmal kam eine<br />
Mitarbeiterin zu mir <strong>und</strong> hat mich