Tassilo, Ausgabe Januar/Februar 2017 - Das Magazin rund um Weilheim und die Seen
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Eine besondere Spezialität — <strong>und</strong> eigentlich uralt<br />
Dunkles Bier z<strong>um</strong> Fest des Lichts<br />
Andechs | Vor allem im Sommer<br />
ist das Kloster Andechs ein beliebtes<br />
Ausflugsziel mit kulturellen<br />
wie kulinarischen Reizen.<br />
Doch auch im Winter ist der Heilige<br />
Berg Bayerns einen Besuch<br />
wert. Erstens lässt sich der älteste<br />
Wallfahrtsort Bayerns dann weitgehend<br />
ohne Besucherströme<br />
genießen, <strong>und</strong> zweitens wartet<br />
im Bräustüberl der Klosterbrauerei<br />
eine Bier-Spezialität, <strong>die</strong><br />
weithin ihresgleichen sucht. Mit<br />
dem „Andechser Winterbier“ haben<br />
<strong>die</strong> klösterlichen Bra<strong>um</strong>eister<br />
<strong>die</strong> ursprünglichste Biersorte des<br />
Münchner Umlands zu neuem Leben<br />
erweckt: Es gibt sie nur in der<br />
Zeit von 11. November bis 19. März<br />
im Bräustüberl — das kellertrübe<br />
Dunkle.<br />
<strong>Das</strong> Winterbier perlt mit schwarzrötlicher<br />
Farbe <strong>und</strong> weißem<br />
Scha<strong>um</strong> im Krug. Anders als bei<br />
üblichen dunklen Bieren, deren<br />
Färbung eher ins Nussbraune<br />
geht, ist seine Farbe beinahe lichtschluckend<br />
dunkel — mit einem<br />
Rotstich da, wo das Licht durchleuchtet.<br />
Wessen Ga<strong>um</strong>en sich<br />
jetzt aber auf bitteres Schwarzbier<br />
einstellt, der wird überrascht sein:<br />
Spritzig, ein bisschen wie Honig,<br />
ist der erste Eindruck. Später stellt<br />
sich ein <strong>r<strong>und</strong></strong>er, malziger Nachgeschmack<br />
ein. Mit einem Wort:<br />
süffig schmeckt es, das Andechser<br />
Winterbier, <strong>und</strong> ein bisschen<br />
fragt man sich ja schon, wieso<br />
man nichts Anständiges gelernt<br />
hat. Bierbrauer z<strong>um</strong> Beispiel, ein<br />
Beruf, der offensichtlich große<br />
Vorzüge hat.<br />
Z<strong>um</strong> Beispiel den, dass man das<br />
ganze Jahr über an derartige<br />
Spezialitäten kommen könnte.<br />
Denn das Andechser Winterbier<br />
ist ein „Zwickelbier“, wie Manuel<br />
Rößle erklärt. Als einer von drei<br />
Bra<strong>um</strong>eistern hätten eigentlich<br />
nur er, seine beiden Kollegen<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> Bierbrauer das Privileg,<br />
<strong>die</strong>ses Bier in seiner unfiltrierten<br />
<strong>und</strong> somit natürlichsten Art zu<br />
trinken: „Der Zwickel ist eine Art<br />
Adapter mit Zapfhahn, der auf<br />
<strong>die</strong> Großtanks passt“, erklärt der<br />
Bra<strong>um</strong>eister aus Peiting. Normalerweise<br />
wird das fertig gereifte,<br />
aber noch unfiltrierte Bier von<br />
dort aus mit Schläuchen z<strong>um</strong> Filtern<br />
gep<strong>um</strong>pt. „Der Begriff Zwickelbier<br />
kommt aus alter Tradition.<br />
Der Brauer kann sich mit Hilfe<br />
eines Adapters aus den Großtanks<br />
eine Geschmacksprobe entnehmen<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong>se auf ihre Qualität<br />
hin überprüfen. Den Vorgang,<br />
<strong>die</strong>se Probe zu entnehmen, nennt<br />
man unter Brauern zwickeln.“<br />
Einmal im Jahr frisches,<br />
unfiltriertes Bier<br />
Es ist also irgendwie auch ein<br />
Weihnachtsgeschenk der Andechser<br />
Bra<strong>um</strong>eister an <strong>die</strong> treuen<br />
Gäste der Klosterbrauerei, einmal<br />
im Jahr in den Genuss ihrer<br />
Privilegien zu kommen <strong>und</strong> den<br />
Geschmack von wirklich frischem<br />
<strong>und</strong> unfiltriertem Bier erleben<br />
zu dürfen. Während draußen<br />
<strong>die</strong> winterliche Kälte anfängt zu<br />
beißen, erschließt sich in der<br />
Schwemme, in den Stüberln <strong>und</strong><br />
im Wappensaal der Pilgergaststätte<br />
<strong>die</strong> Wärme benediktinischer<br />
Gastfre<strong>und</strong>schaft. Wie im Sommer<br />
draußen im Biergarten werden<br />
Neuankömmlinge schon mal an<br />
einen der groben Holztische gebeten<br />
— gemeinsam schmeckt es<br />
schließlich besser. Und über eine<br />
Halbe Winterbier sei ein Blick auf<br />
<strong>die</strong> Geschichte des Bieres geworfen.<br />
Bra<strong>um</strong>eister Rößle erklärt, dass<br />
nicht das „Helle“, das man eigentlich<br />
mit München in Verbindung<br />
bringt, typisch ist für Oberbayern.<br />
Es sind vielmehr <strong>die</strong> dunklen<br />
Sorten, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Gegend hervorgebracht<br />
hatte. Genauer gesagt<br />
ist <strong>die</strong>s das Ver<strong>die</strong>nst des bayerischen<br />
Brauwassers. Es beeinflusst<br />
nämlich maßgeblich <strong>die</strong> Farbe<br />
des Bieres. So ist das Wasser im<br />
Alpenvorland sehr kalkhaltig.<br />
„Daher ist das Bier in München<br />
seit jeher bernsteinfarben gewesen“,<br />
erklärt Rößle. In der Tschechischen<br />
Republik, speziell in der<br />
Gegend <strong>um</strong> Pilsen her<strong>um</strong>, ist das<br />
Wasser sehr weich — ideale Voraussetzung<br />
für helle Biere.<br />
Natürlich ist Wasserenthärtung<br />
heute kein Problem. In früheren<br />
Zeiten versuchte man allerdings,<br />
mit verschiedensten Gewürzen<br />
<strong>und</strong> Pflanzen dem Bier eine besondere<br />
Geschmacksnote zu geben.<br />
In den Chroniken finden sich<br />
teilweise haarsträubende Rezepte<br />
dafür: Fliegenpilze oder Ruß<br />
wurden beispielsweise zugegeben,<br />
<strong>um</strong> dem Bier „besondere“<br />
Würze oder Farbe angedeihen<br />
zu lassen. Seit der Wittelsbacher<br />
Herzog Wilhelm IV. 1516 mit dem<br />
Bayerischen Reinheitsgebot einen<br />
Qualitätsstandard begründet hat,<br />
kommen gottlob nur noch Wasser,<br />
Gerstenmalz <strong>und</strong> Hopfen ins<br />
Bier. Hergestellt im altbayerischen<br />
Zweimaischverfahren entsteht so<br />
am Fuß des Heiligen Berges Jahr<br />
für Jahr ein besonderes Bier, wie<br />
es vor der Erfindung der Bierfiltration<br />
gegen Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
üblich war.<br />
Auch der Zeitra<strong>um</strong>, in dem das Ur-<br />
Bier angeboten wird, ist ein Verweis<br />
auf alte Zeiten. Vor der Erfindung<br />
der künstlichen Kühlung<br />
mussten <strong>die</strong> Brauer auf <strong>die</strong> Kühle<br />
des Herbstes warten. Frühestens<br />
im Oktober war es möglich, Temperaturen<br />
zu garantieren, <strong>die</strong> untergärige<br />
Biere richtig reifen lässt:<br />
zwischen 5 <strong>und</strong> 12 Grad Celsius.<br />
Zwar wussten <strong>die</strong> alten Bierbrauer<br />
jede Menge Tricks, <strong>um</strong> so lang wie<br />
möglich brauen zu können — aber<br />
spätestens im April, Mai<br />
war Schluss.<br />
Manche Traditionen entstehen<br />
schnell. Als <strong>die</strong> Andechser Bra<strong>um</strong>eister<br />
am Fuße des Heiligen<br />
Berges auf <strong>die</strong> Idee kamen, ein so<br />
ursprüngliches wie typisches Bier<br />
zu brauen, ahnten sie nicht, dass<br />
sie damit eine Art Braucht<strong>um</strong> begründen<br />
würden, das Bierfans aus<br />
allen Ecken des Landes von 11. November<br />
bis 19. März nach Andechs<br />
pilgern lässt. uc<br />
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