Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
top 1000 | Lehre<br />
„Zu viele junge Menschen<br />
drängen auf die Unis“<br />
Für die Präsidentin der NÖ Wirtschaftskammer, KommR Sonja Zwazl, ist<br />
die Lehre ein Ausweg aus bildungspolitischen Sackgassen.<br />
<strong>ECHO</strong>: Österreich hat mit der<br />
dualen Ausbildung ein weltweit<br />
einzigartiges Facharbeiter-<br />
Ausbildungssystem. Dennoch<br />
kämpft die Wirtschaft mit Facharbeitermangel,<br />
lernschwachen<br />
Lehrlingen und dem schlechten<br />
Ruf der Lehre.<br />
Zwazl: Unsere Lehre genießt<br />
international höchstes Ansehen.<br />
Viele Länder beneiden uns<br />
um unser Ausbildungssystem.<br />
Bei Eltern und Lehrern ist die<br />
Lehre aber noch immer mit<br />
einem schlechten Image behaftet,<br />
obwohl es gerade vor dem<br />
Hintergrund der aktuellen Arbeitsmarktlage<br />
viele gute Gründe<br />
gibt, die für eine Lehre und<br />
gegen ein Studium sprechen.<br />
Leider drängen noch immer viel<br />
zu viele junge Menschen auf die<br />
Unis, obwohl sie als Fachkräfte in<br />
unserer Wirtschaft hochbegehrt<br />
sind.<br />
<strong>ECHO</strong>: Wie lässt sich dieser<br />
Knoten lösen? Die Wirtschaftskammer<br />
investiert nicht unbeträchtliche<br />
Energien in die Unterstützung<br />
der Lehre.<br />
Zwazl: Wir müssen überall ansetzen:<br />
Nicht nur bei der Berufsund<br />
Lehrstellenberatung. So<br />
vergeben wir mit dem Landesschulrat<br />
ein Berufsorientierungs-<br />
Gütesiegel für Schulen und haben<br />
mit dem Sozialpartner auf<br />
der Pädagogischen Hochschule<br />
in Baden einen eigenen Masterlehrgang<br />
für Berufsorientierung<br />
etabliert. Und mit dem Land<br />
haben wir den NÖ Begabungskompass<br />
ins Leben gerufen:<br />
Hier erfahren Jugendliche im<br />
Alter von 13 und 14 Jahren, was<br />
ihre besonderen Talente sind, für<br />
welche Berufs- und Ausbildungswege<br />
sie sich eignen. In unserem<br />
Bildungssystem wird ja noch immer<br />
viel zu oft darauf geschaut,<br />
was jemand nicht kann. Wir aber<br />
wollen die jeweiligen Stärken<br />
aufzeigen. Nicht nur für die Jugendlichen,<br />
sondern ebenso für<br />
ihre Eltern. Am Schluss findet ein<br />
gemeinsames Beratungsgespräch<br />
mit einem speziell geschulten<br />
Psychologen statt. Der NÖ Begabungskompass<br />
wird kostenlos<br />
für alle Jugendlichen der 7. Schulstufe<br />
– an AHS ebenso wie an<br />
den Mittelschulen – angeboten.<br />
Heuer sind das über 11.000 niederösterreichische<br />
Schülerinnen<br />
und Schüler. Wichtig ist uns auch<br />
der Kontakt mit den Schulen,<br />
dass Wirtschaftstreibende in den<br />
Dialog mit den Schülerinnen<br />
und Schülern treten und praxisnah<br />
über das Geschehen in ihren<br />
Betrieben informieren.<br />
<strong>ECHO</strong>: Würde mehr Lehre mit<br />
und nach Matura der Wirtschaft<br />
gut tun?<br />
Zwazl: Selbstverständlich ist<br />
Lehre mit Matura eine gute<br />
Sache, ebenso die Lehre nach<br />
der Matura. Die Matura wird ja<br />
immer mehr zur bildungspolitischen<br />
Sackgasse. Zusammen<br />
mit einer Lehrausbildung eröffnen<br />
sich aber mit einem Schlag<br />
ausgezeichnete Berufsperspektiven.<br />
det: Einzelhandel, Bürokauffrau,<br />
Friseurin. Der Anteil der Lehrlingsmädchen<br />
in den Berufsgruppen<br />
Maschinen, Fahrzeug, Metall liegt<br />
bei niedrigen 6,4 Prozent.*<br />
35 Prozent der Selbstständigen<br />
in Österreich verfügen über<br />
einen Lehrabschluss als höchste<br />
abgeschlossene Ausbildung. Die<br />
Lehre ist somit die mit großem<br />
Abstand wichtigste Qualifikation<br />
von selbstständig Erwerbstätigen in<br />
Österreich und offensichtlich auch<br />
ein gutes Sprungbrett zur Gründung<br />
(oder Übernahme) eines eigenen<br />
Unternehmens.*<br />
Facharbeitermangel?<br />
Eine Frage der Planung.<br />
Pollmann als international agierendes<br />
Familienunternehmen<br />
im Automotive-Segment bildet<br />
derzeit 35 Lehrlinge in sieben<br />
Lehrberufen aus. Geschäftsführer<br />
DI (FH) Herbert Auer, CEO der<br />
Poll mann Gruppe, betont den<br />
Stellenwert der Lehrlingsausbildung:<br />
„Wir bilden unsere MitarbeiterInnen<br />
zu einem erheblichen<br />
Teil selbst aus. Daraus schöpfen<br />
wir. Der Facharbeitermangel ist<br />
Nadja Hahn wollte unbedingt in die<br />
KFZ-Lehre – ein nach wie vor seltener<br />
Berufsweg für ein Mädchen.<br />
„Bei der aktuellen Arbeitsmarktlage<br />
gibt es viele gute Gründe, die für<br />
eine Lehre und gegen ein Studium<br />
sprechen.“ Sonja Zwazl, WKNÖ-Präsidentin KommR<br />
natürlich ein heißes Thema in den<br />
Medien, doch letztendlich ist es<br />
eine Frage der Planung, dass ich<br />
die richtigen MitarbeiterInnen<br />
zum richtigen Zeitpunkt verfügbar<br />
habe. Wenn man Spezialisten<br />
sucht, muss man die Zeit für deren<br />
Ausbildung einplanen oder den<br />
Aktionsradius erweitern. Ich muss<br />
wissen, welchen Personalbedarf<br />
ich basierend auf der langfristigen<br />
Unternehmensplanung habe.<br />
Wenn ich heute draufkomme,<br />
dass ich morgen zehn Leute mit<br />
Pollmann bildet derzeit 35 Lehrlinge aus – die besten werden ins Auslang<br />
geschickt.<br />
Fotos: Pollmann, Nisa Maier<br />
40 <strong>ECHO</strong> TOP 1000 UNTERNEHMEN <strong>2016</strong>