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Sylter Spiegel 31.05.2017

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INSEL SYLT<br />

Seite 24 · Nr. 22 SYLTER SPIEGEL · 31. Mai 2017<br />

Der dänische Pastor Jon Hardon Hansen gibt einige Einblicke in die dänische Minderheit auf Sylt<br />

„Nationale Identität wichtig, um zu navigieren“<br />

Insel Sylt.(mk) Übermorgen,<br />

am Freitag, 2. Juni,<br />

wird es erstmals<br />

eine Bundestagsdebatte<br />

zu<br />

Regional- und<br />

Minderheitensprachen<br />

in<br />

Deutschland geben.<br />

Auf diese<br />

Debatte werden<br />

auch die Mitglieder<br />

der dänischen<br />

Minderheit in<br />

Deutschland<br />

blicken. „Es<br />

geht darum,<br />

Aufmerksamkeit<br />

für<br />

die nationalen<br />

Minderheiten,<br />

ihre Sprache<br />

und Kultur<br />

zu schaffen.<br />

Bund, Länder und Kommunen<br />

haben da eine große<br />

Verantwortung“, erklärt Jon<br />

Hardon Hansen, dänischer<br />

Pastor und Vorsitzender des<br />

Sydslesvigsk Forening (SSF),<br />

des Südschleswigschen Vereins<br />

auf Sylt. Im Gespräch<br />

mit dem <strong>Sylter</strong> <strong>Spiegel</strong> gab er<br />

Einblick in die dänische Minderheit<br />

auf der Insel und wie<br />

sie dort organisiert ist.<br />

Südschleswig ist das Hauptsiedlungsgebiet<br />

der dänischen<br />

Minderheit mit ihren<br />

rund 50.000 Angehörigen.<br />

Südschleswig bezeichnet<br />

den heute deutschen Teil<br />

des ehemaligen Herzogtums<br />

Schleswig. Als die nördlichste<br />

Landschaft Deutschlands<br />

erstreckt sich die Region von<br />

der Eider und dem östlichen<br />

Teil des Nord-Ostsee-Kanals<br />

im Süden bis zur deutsch-dänischen<br />

Grenze im Norden.<br />

Ursprung der Minderheit<br />

entsteht bereits 1864<br />

Der Begriff Südschleswig<br />

wird vorwiegend seitens der<br />

dänischen Minderheit und<br />

im geschichtlichen Kontext<br />

des Herzogtums Schleswig,<br />

heute durch die deutsch-dänische<br />

Grenze in Süd- und<br />

Nordschleswig geteilt, verwendet.<br />

Zur Teilung in Nordund<br />

Südschleswig und damit<br />

zur Bildung von Minderheiten<br />

auf beiden Seiten der<br />

Grenze kam es durch die<br />

Volksabstimmung 1920, bei<br />

der in zwei Abstimmungszonen<br />

über die staatliche<br />

Zugehörigkeit Schleswigs<br />

abgestimmt wurde. Die Abstimmung<br />

hat eine längere<br />

Vorgeschichte und beginnt<br />

mit dem Deutsch-Dänischen<br />

Krieg von 1864 zwischen<br />

Preußen, Österreich und Dänemark.<br />

Bei dem anschließenden<br />

Friedensvertrag<br />

wurden die Herzogtümer<br />

Schleswig, Holstein und<br />

Lauenburg aus dem dänischen<br />

Gesamtstaat<br />

löst.<br />

ge-<br />

Volksabstimmung teilt<br />

Herzogtum Schleswig<br />

Nach der deutschen Niederlage<br />

im Ersten Weltkrieg,<br />

an dem Dänemark nicht<br />

teilgenommen hatte, wurde<br />

im Versailler Friedensvertrag<br />

eine Volksabstimmung<br />

für die nördlichen Bereiche<br />

Schleswigs nach den Wünschen<br />

Dänemarks vorgesehen.<br />

Es wurden zwei Abstimmungszonen<br />

festgelegt<br />

– eine nördliche mit einer<br />

dänischen Gesamtmehrheit<br />

und eine südliche mit einer<br />

deutschen Mehrheit. Entsprechend<br />

der Mehrheitsverhältnisse<br />

wurde dann<br />

abgestimmt und Schleswig<br />

in einen nördlichen (ging an<br />

Dänemark) und südlichen<br />

(ging an Deutschland) Teil<br />

geteilt.<br />

Demzufolge sind die Mitglieder<br />

der dänischen Minderheit<br />

in der Regel deutsche<br />

Staatsbürger mit dänischer<br />

Gesinnung. Erst seit dem<br />

1. September 2015 hat die<br />

dänische Regierung dem<br />

Wunsch der im Ausland lebenden<br />

Dänen entsprechend<br />

die doppelte Staatsbürgerschaft<br />

eingeführt.<br />

Gute Entwicklung<br />

des Verhältnisses<br />

Auf Sylt gibt es zwischen<br />

1.000 und 1.500 Dänischgesinnte.<br />

Organisiert sind sie<br />

in vielen unterschiedlichen<br />

Organisationen und Vereinen.<br />

Die dänische Kirche auf<br />

Sylt verzeichnet etwa 450<br />

Mitglieder, der Sportverein<br />

250, der Kulturverein 340<br />

und der Südschleswigsche<br />

Wählerverband (SSW) zählt<br />

rund 110 Mitglieder. Der<br />

SSW hat drei Abgeordnete<br />

in der Gemeindevertretung<br />

und ebenso viele im Landtag<br />

von Schleswig-Holstein.<br />

Zudem stellt er den stellvertretenden<br />

Bürgermeister in<br />

List.<br />

„Das Zusammenleben zwischen<br />

Dänen und Deutschen<br />

hat eine sehr positive Entwicklung<br />

genommen“, bestätigt<br />

Hansen. Besonders<br />

wichtig dafür seien die Bonn-<br />

Kopenhagener Erklärungen<br />

vom März 1955 gewesen.<br />

Sie bekräftigten die in den<br />

Verfassungen beider Staaten<br />

ver-<br />

an-<br />

kerten<br />

Grundrechte<br />

und deren Anwendung<br />

auf die Minderheiten.<br />

Zugleich stellte die Bundesregierung<br />

die Aufhebung<br />

der Fünf-Prozent-Sperrklausel<br />

im Landeswahlgesetz zugunsten<br />

der dänischen Minderheit<br />

in Aussicht – die im<br />

Mai 1955 auch verwirklicht<br />

wurde – sowie eine Erhöhung<br />

der Zuschüsse für die<br />

Minderheitsschulen. Der<br />

Minderheit wurde die Möglichkeit<br />

eröffnet, weiterführende<br />

allgemeinbildende<br />

Schulen einzurichten. Eben<br />

dieses Recht sollten auch die<br />

Schulen der deutschen Minderheit<br />

in Nordschleswig<br />

gemäß der dänischen Erklärung<br />

erhalten.<br />

Kieler Erklärung sorgt für<br />

weitreichende Autonomie<br />

Den ersten Schritt zu kultureller<br />

Autonomie und dem<br />

freien Bekenntnis zur Minderheit<br />

nahm aber bereits<br />

die britische Besatzungsmacht<br />

1948 in<br />

Angriff, um eine nationale<br />

Entspannung<br />

einzuleiten. Briten und<br />

Dänen haben sich dafür<br />

eingesetzt, dass<br />

Vertreter der dänischen<br />

Minderheit<br />

mit der schleswigholsteinischen<br />

Landesregierung<br />

Verhandlungen<br />

– unter briti-<br />

Vor-<br />

schem<br />

sitz – aufnahmen.<br />

Das Ergebnis<br />

war die<br />

vom Landtag<br />

verabschiedete<br />

„Kieler Erklärung“<br />

vom 26.<br />

September<br />

1949.<br />

Die Kernbot-<br />

schaft<br />

war, dass „das Bekenntnis<br />

zum dänischen Volkstum<br />

und zur dänischen Kultur<br />

frei ist. Es darf von Amts<br />

wegen nicht bestritten oder<br />

nachgeprüft werden.“ Damit<br />

war das Gesinnungsprinzip<br />

anerkannt, nach dem es jedem<br />

freisteht, sich unabhängig<br />

von seiner Sprache oder<br />

Abstammung zu der Nation<br />

zu bekennen, für die er sich<br />

entschieden hat.<br />

Trotz der guten Entwicklung<br />

des Verhältnisses zwischen<br />

Dänen und Deutschen gab<br />

es auch immer wieder<br />

Rückschläge,<br />

w i e<br />

Hansen<br />

betont. „Die<br />

einseitigen<br />

Kürzungen<br />

der Kostenzuschüsse<br />

für dänische<br />

Schulen im<br />

Jahr 2010<br />

war ein herber<br />

Rückschlag“, erklärt<br />

der Pastor. Dies wurde<br />

aber 2013 korrigiert, so<br />

dass deutsche und dänische<br />

Schüler jetzt wieder den<br />

gleichen Anteil an Kostenzuschüssen<br />

erhalten.<br />

Gesinnungsprinzip kann<br />

zum Problem werden<br />

Das Gesinnungsprinzip,<br />

nach dem kein Nachweis<br />

dänischer Sprachkenntnisse<br />

erforderlich ist, um Mitglied<br />

der dänischen Minderheit zu<br />

werden, kann im Alltag aber<br />

auch zum Problem werden,<br />

wie Hansen anhand eines<br />

Beispiels verdeutlicht. So<br />

stammen an den beiden dänischen<br />

Gymnasien in Flensburg<br />

und Schleswig etwa<br />

drei Prozent der Schüler<br />

von beiderseits dänischen<br />

Eltern ab. Rund 30 Prozent<br />

der Schüler haben einen dänischen<br />

und einen deutschen<br />

Elternteil, aber 67 Prozent<br />

haben ausschließlich deutsche<br />

Eltern. „Im Alltag sprechen<br />

diese Schüler natürlich<br />

deutsch, wie der Großteil<br />

der dänischen Minderheit,<br />

die vom deutschsprachigen<br />

Umfeld geprägt sind. Rund<br />

95 Prozent unserer Mitglieder<br />

haben als Erstsprache<br />

Deutsch“, so Hansen. Der<br />

daraus entstehende<br />

Dialekt wird als Südschleswigdänisch<br />

bezeichnet<br />

und zeichnet sich aus durch<br />

eine Mischung deutscher<br />

und dänischer Begriffe.<br />

Zwar sei der Kern der dänischen<br />

Minderheit zweisprachig,<br />

aber je mehr man an<br />

die Peripherie komme, desto<br />

mehr nehme diese Fähigkeit<br />

ab. „Gerade aber die Sprache<br />

ist der Schlüssel zum<br />

dänischen Volkstum, zur<br />

Seele und zum Verstehen der<br />

Kultur. Wir müssen uns dahingehend<br />

engagieren, dass<br />

unsere Mitglieder die Zweisprachigkeit<br />

auch wirklich<br />

leben“, so Hansen. Er wünsche<br />

sich ein breit gefächertes<br />

Lernangebot zum Spracherwerb.<br />

Auch in seinem eigenen Berufsalltag<br />

muss Hansen immer<br />

wieder auf das Deutsche<br />

zurückgreifen. „Als Pastor<br />

der dänischen Gemeinde auf<br />

Sylt finden die Gottesdienste<br />

natürlich auf dänisch statt,<br />

aber bei einer Trauerfeier<br />

beispielsweise kann ich nicht<br />

davon ausgehen, dass die<br />

gesamte Trauergemeinde<br />

dänisch versteht, weshalb<br />

ich dann auch immer wieder<br />

auf die deutsche Sprache<br />

zurückgreifen muss“, erklärt<br />

Hansen, der seit 26 Jahren<br />

auf der Insel lebt und arbeitet.<br />

Er selbst versuche so dänisch<br />

wie möglich zu leben<br />

– mit dänischem Fernsehen,<br />

Zeitungen und Radio.<br />

Eltern sind in<br />

der Verantwortung<br />

Zum frühzeitigen Spracherwerb<br />

seien besonders die<br />

Krippen der dänischen Minderheit<br />

wichtig. Auf Sylt<br />

besuchen etwa zehn Kinder<br />

die dänische Einrichtung.<br />

Dort gäbe es, so Hansen, die<br />

Möglichkeit, dass die Kinder<br />

von der Geburt an zweisprachig<br />

aufwachsen. „Dadurch<br />

gewinnt die Sprache einen<br />

völlig neuen Stellenwert.“<br />

Das müsse aber auch einhergehen<br />

mit einem Sprachangebot<br />

für die Eltern. „Es<br />

ist unverantwortlich, dass<br />

Eltern ihre Kinder über die<br />

Schule in die dänische Sprache<br />

und Kultur eintauchen<br />

lassen, ohne aber den Weg<br />

mitzugehen und ihr Kind<br />

dabei zu begleiten“, erklärt<br />

Hansen. Das sei für die Herausbildung<br />

einer eigenen nationalen<br />

Identität ungemein<br />

wichtig. „Gerade die nationale<br />

und sprachliche Vielfalt<br />

ist ein kolossaler Reichtum,<br />

den es zu bewahren gilt. Jeder<br />

braucht eine nationale<br />

Identität, um<br />

vor allem in Zeiten der Globalisierung<br />

in der Welt navigieren<br />

zu können“, ist<br />

Hansen überzeugt. Mit dem<br />

Jon Hardon Hansen<br />

Beitritt zur dänischen Minderheit<br />

suche das neue Mitglied<br />

auch eine neue Heimat<br />

und dazu gehört auch das<br />

Lernen der dänischen Sprache.<br />

„Wir erwarten, dass<br />

neue Mitglieder ihre Entscheidung<br />

ernst nehmen“,<br />

erklärt Hansen.<br />

Schleswig-Holstein<br />

ist Vorbildmodell<br />

Der Zulauf zur dänischen<br />

Schule scheint aber weiter<br />

gut zu sein. Die Hans-Meng-<br />

Schule in Westerland wird<br />

weiter ausgebaut. Es sollen<br />

zwölf Personalwohnungen<br />

für Lehrer und Erzieher errichtet<br />

werden. Die etwa<br />

zehn Schüler pro Jahrgang<br />

werden von der ersten bis<br />

zur achten Klasse dort meist<br />

von Lehrern aus Dänemark<br />

auf Hochdänisch unterrichtet.<br />

Neben der Schule gibt<br />

es auch noch eine dänische<br />

Krippe, die bis 2019 bereits<br />

voll ausgelastet ist und einen<br />

Kindergarten mit etwa 40<br />

Kindern.<br />

Insgesamt beurteilt Hansen<br />

das Grenzlandmodell in<br />

Schleswig-Holstein als Erfolg.<br />

„Wir leben in friedlicher<br />

Koexistenz und gegenseitiger<br />

Bereicherung und Austausch.<br />

Schleswig-Holstein<br />

hat da ein Alleinstellungsmerkmal.<br />

Es ist wichtig, alle<br />

Sprachen und kulturellen Eigenarten<br />

zu stärken und zu<br />

bewahren.“

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