Gutachten von Prof. Dr. Astrid Lorenz, Prof. Dr - Landtag ...
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<strong>Astrid</strong> <strong>Lorenz</strong> – Andreas Anter – Werner Reutter - 61 -<br />
Deutlicher wich Brandenburg <strong>von</strong> den anderen neuen Ländern dadurch ab, dass das<br />
Amt eines „Stasi-Beauftragten“ erst 2009 eingeführt wurde. Darüber hinaus wurde am<br />
Ende der Phase der Umstellung des Öffentlichen Dienstes und der Überprüfung seiner<br />
Mitarbeiter 1995 die bereits zuvor nur selektiv gehandhabte Überprüfung auch formal<br />
auf die Überprüfung <strong>von</strong> Kandidat/innen nur für bestimmte Funktionen und ab einem<br />
bestimmten Zeitpunkt eingeschränkt. Zugleich übernahm die Neuregelung die juristi-<br />
sche Spruchpraxis <strong>von</strong> Einzelfallentscheidungen. 152 Bei der Bewertung des Grades der<br />
Abweichung ist zu berücksichtigen, dass in anderen Ländern, die sich stärker <strong>von</strong><br />
ehemaligen Systemträgern distanzierten und die „Regelanfrage“ einführten, die<br />
Rechtspraxis durchaus variierte. In Sachsen prüften die einzelnen Ministerien das Per-<br />
sonal mit unterschiedlichen Instrumenten und Kriterien, das Innen- und das Kultusmi-<br />
nisterium beispielsweise nur über <strong>von</strong> einer Kommission beratene Angaben aus Fra-<br />
gebögen. Es wurden auch MfS-Mitarbeiter übernommen. 153 Dass Brandenburg seine<br />
Herangehensweise formalisierte, ist jedoch eine offenkundige Abweichung.<br />
In Bezug auf die öffentliche Diskussion um den Umgang mit Stasi-Belastungen unter-<br />
schied sich Brandenburg eher graduell <strong>von</strong> den anderen neuen Ländern. Überall<br />
herrschte bis Mitte der 1990er Jahre in der Öffentlichkeit eine starke „Tendenz zur De-<br />
legitimation und Abrechnung mit dem SED-System und seinem Geheimdienst.“ 154 Der<br />
letzte DDR-Ministerpräsident de Maizière (CDU) hatte anlässlich seines Amtsantritts<br />
noch eine kritische Haltung gegenüber allen systemtragenden Kräften gefordert, ein-<br />
schließlich ehemaligen Funktionären der Blockparteien:<br />
„Nicht die Staatssicherheit war die eigentliche Krankheit der DDR, sie war nur eine ihrer Aus-<br />
wüchse der diktatorische Zentralismus war es, der eine alles gesellschaftliche Leben vergif-<br />
tende Atmosphäre des <strong>Dr</strong>ucks erzeugte. Zwang und <strong>Dr</strong>uck vernichteten Initiative, Verantwor-<br />
tungsbereitschaft, eigene Überzeugung und machten es zu einer menschlichen Leistung, dem<br />
eigenen Gewissen zu folgen. Deshalb genügt es heute nicht, ein Problem aufzugreifen, sondern<br />
wir müssen viel tiefer ansetzen. Wir müssen uns unsere seelischen Schäden bewußtmachen,<br />
die sich in Haß, Unduldsamkeit, in neuem, nun antisozialistischen Opportunismus, in Müdigkeit<br />
und Verzweiflung äußern. Wir müssen uns gegenseitig helfen, freie Menschen zu werden.“ 155<br />
152 Rüdiger/Catenhusen 2011: 14f.<br />
153 Innenminister Heinz Eggert (CDU) nannte als Grundsatz: „‘Belastetheit kann nicht gegen Brauchbarkeit aufgewogen<br />
werden. Maßgeblich sei aber der Grad der Belastung.“ (Sächsischer <strong>Landtag</strong>, <strong>Dr</strong>s. 1/95: 6608, wiedergegeben<br />
nach Raetsch 2008: 131) Die schnelle, über Verbeamtungen zu sichernde Einsatzfähigkeit etwa der Polizei<br />
sei so wichtig, dass man nicht jahrelang auf Gauck-Auskünfte warten können. Es wurden ehemalige hauptamtliche<br />
Mitarbeiter des MfS aus dem Personenschutz, dem Technischen und dem Versorgungsbereich oder mit untergeordneten<br />
Tätigkeiten in den mittleren Polizeivollzugsdienst oder als Angestellte oder Arbeiter in entsprechenden<br />
Aufgabenbereichen eingesetzt. Für einen Überblick zu Sachsen und der Arbeit des Untersuchungsausschusses<br />
zur „Personalüberprüfung durch die Staatsregierung“ siehe Raetsch 2008: 128ff.<br />
154 Dethloff/Pickel/Pickel 2009.<br />
155 de Maizière 1991: 171.