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Kunstmarkt<br />
Markus Schinwald<br />
„We are deranged“<br />
Markus Schinwald und die Mechanismen der Zurichtung.<br />
Hans Jürgen Hafner (Text) I Markus Schinwald (Foto)<br />
I Das Unbehagen, den der Eingriff erweckt, wirkt fast körperlich:<br />
Da hält eine metallene Konstruktion aus Drähten und<br />
Klammern das etwas verweichlicht-runde Gesicht eines Herren<br />
zusammen, fixiert seine Lippen und spannt sie dazu an<br />
das dünne Drahtgestell seiner Brille an. Wie nach einem – in<br />
seiner Funktion zwar rätselhaften – chirurgischen Eingriff<br />
scheint die Gesichtspartie des Mannes ruhiggestellt, ist Bewegung<br />
weitgehend verunmöglicht. „Johann“, so der Titel<br />
des 2003 entstandenen Blatts, gehört zu einer Serie von manipulierten<br />
Porträtgrafiken: gefundenen Bildern aus der Zeit<br />
nach 1800, in die Markus Schinwald (Jahrgang 1973) subtil<br />
retuschierend eingegriffen hat. Da sind vielfältige<br />
Prothesen appliziert, scheinen ganze Gesichtsparteien<br />
durch Masken ersetzt, von Futteralen<br />
umnäht oder mit Haarteilen versehen. In<br />
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Linie und Schraffur dem Hang zum Hyperrealismus wie in<br />
historischen Stichtechniken verpflichtet und genauso detailverliebt<br />
verwebt Schinwald seine Zugaben mit der gefundenen<br />
Vorlage, passt sie – ganz organisch und merkwürdig<br />
zwingend – in die Porträts ein, was das Fremde, das sie<br />
ohnehin ausstrahlen, zum Unheimlichen verstärkt.<br />
Denn speziell Bilder von Menschen, Porträts etwa aus vergangener<br />
Zeit und noch dazu weitgehend egal, in welchem<br />
Medium sie hergestellt wurden, wirken für uns heute trotz<br />
des an sich vertrauten Themas „Mensch“ bemerkenswert<br />
fremd: Die häufig schon nach wenigen Jahren schier unerklärlichen<br />
Moden, Kleidung und Frisuren machen es schwer,<br />
überhaupt das Alter der Dargestellten einzuschätzen, von<br />
ihrer Funktion ganz zu schweigen. Aber auch Körperhaltung,<br />
Pose und Habitus scheinen ebenfalls von den Spuren der<br />
Kunst.Investor I Ausgabe 1 I Frühjahr <strong>2008</strong>