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KunstInvestor 01-2008

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Kunstmarkt<br />

Markus Schinwald<br />

„We are deranged“<br />

Markus Schinwald und die Mechanismen der Zurichtung.<br />

Hans Jürgen Hafner (Text) I Markus Schinwald (Foto)<br />

I Das Unbehagen, den der Eingriff erweckt, wirkt fast körperlich:<br />

Da hält eine metallene Konstruktion aus Drähten und<br />

Klammern das etwas verweichlicht-runde Gesicht eines Herren<br />

zusammen, fixiert seine Lippen und spannt sie dazu an<br />

das dünne Drahtgestell seiner Brille an. Wie nach einem – in<br />

seiner Funktion zwar rätselhaften – chirurgischen Eingriff<br />

scheint die Gesichtspartie des Mannes ruhiggestellt, ist Bewegung<br />

weitgehend verunmöglicht. „Johann“, so der Titel<br />

des 2003 entstandenen Blatts, gehört zu einer Serie von manipulierten<br />

Porträtgrafiken: gefundenen Bildern aus der Zeit<br />

nach 1800, in die Markus Schinwald (Jahrgang 1973) subtil<br />

retuschierend eingegriffen hat. Da sind vielfältige<br />

Prothesen appliziert, scheinen ganze Gesichtsparteien<br />

durch Masken ersetzt, von Futteralen<br />

umnäht oder mit Haarteilen versehen. In<br />

48<br />

Linie und Schraffur dem Hang zum Hyperrealismus wie in<br />

historischen Stichtechniken verpflichtet und genauso detailverliebt<br />

verwebt Schinwald seine Zugaben mit der gefundenen<br />

Vorlage, passt sie – ganz organisch und merkwürdig<br />

zwingend – in die Porträts ein, was das Fremde, das sie<br />

ohnehin ausstrahlen, zum Unheimlichen verstärkt.<br />

Denn speziell Bilder von Menschen, Porträts etwa aus vergangener<br />

Zeit und noch dazu weitgehend egal, in welchem<br />

Medium sie hergestellt wurden, wirken für uns heute trotz<br />

des an sich vertrauten Themas „Mensch“ bemerkenswert<br />

fremd: Die häufig schon nach wenigen Jahren schier unerklärlichen<br />

Moden, Kleidung und Frisuren machen es schwer,<br />

überhaupt das Alter der Dargestellten einzuschätzen, von<br />

ihrer Funktion ganz zu schweigen. Aber auch Körperhaltung,<br />

Pose und Habitus scheinen ebenfalls von den Spuren der<br />

Kunst.Investor I Ausgabe 1 I Frühjahr <strong>2008</strong>

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