SVR Gutachten 2018 Sektorenübergreifende Versorgung der Notfallversorgung
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967. Hierbei ist zu beachten, dass diese Zunahme administrativer Notfälle in den Routinedaten<br />
nicht zwingend einem Anstieg an medizinischen Notfällen entsprechen muss, da sich die<br />
Kodierung „Notfall“ als Aufnahmeanlass primär darauf gründet, dass <strong>der</strong> Patient ohne stationäre<br />
Einweisung in das Krankenhaus aufgenommen wird. Der Spielraum bei dieser Kodierung ist<br />
zudem relativ groß. So werden z. B. nur zwei Drittel <strong>der</strong> Fälle, in denen Patienten mit den<br />
Aufnahmediagnosen „Schlaganfall“ o<strong>der</strong> „Herzinfarkt“ aufgenommen werden, von den Kliniken<br />
als administrativer Notfall kodiert. Patienten mit Herzinfarkt, die auf dringliche Einweisung<br />
eines nie<strong>der</strong>gelassenen Arztes kommen, tauchen in <strong>der</strong> Notfallstatistik ebenfalls nicht auf.<br />
Zudem existieren Fälle, die über die Notaufnahme aufgenommen werden, aber eher elektiven<br />
Charakter haben.<br />
968. Daher erscheint es sinnvoll, zur Ermittlung <strong>der</strong> tatsächlichen Zahl <strong>der</strong> stationären Notfälle<br />
zusätzlich an<strong>der</strong>e Kriterien aus den Abrechnungsdaten, u. a. die Zeit von <strong>der</strong> Aufnahme bis<br />
zur ersten Prozedur, hinzuzuziehen. Die auf diese Weise ermittelten sogenannten charakteristischen<br />
stationären Notfälle zeigen nur einen mo<strong>der</strong>aten Anstieg <strong>der</strong> Fallzahlen in den<br />
letzten Jahren. So nahmen zwischen 2007 und 2012 die administrativen Notfälle um jährlich<br />
4,4 % zu, die charakteristischen stationären Notfälle zeigten hingegen eine jährliche Zunahme<br />
von lediglich 1,9 % Schreyögg et al. 2014.<br />
Diese Diskrepanz zwischen administrativen und charakteristischen Notfällen zeigt, dass es<br />
Fälle gibt, die von Krankenhäusern als Notfälle kodiert werden, die aber aus einem klar elektiven<br />
Leistungsspektrum stammen. Dies deutet darauf hin, dass es elektive Fälle gibt, die stationär<br />
aufgenommen und behandelt werden, ohne vorher von einem nie<strong>der</strong>gelassenen Arzt gesehen<br />
und überwiesen worden zu sein. Die umgekehrte Situation kann allerdings ebenfalls auftreten.<br />
So werden nicht alle charakteristischen Notfälle auch als solche erfasst. Insgesamt kann <strong>der</strong><br />
Anstieg administrativer Notfälle ein Hinweis darauf sein, dass Krankenhäuser die Notaufnahmen<br />
durchaus für das Generieren stationärer Fälle nutzen. Im Jahr 2014 lag <strong>der</strong> Anteil<br />
<strong>der</strong> Patienten in <strong>der</strong> Notaufnahme, die stationär aufgenommen wurden, bei etwa 50 % Geissler<br />
et al. 2017. Krankenhäuser könnten den vorhandenen Spielraum bei <strong>der</strong> „Notfallkodierung“ für<br />
Zwecke <strong>der</strong> Budgetverhandlung nutzen, da ein Anstieg von Notfällen in Budgetverhandlungen<br />
mit Krankenkassen eventuell eher zu rechtfertigen ist als ein Anstieg elektiver Fälle.<br />
Des Weiteren deutet <strong>der</strong> Anstieg an administrativen Notfällen darauf hin, dass<br />
möglicherweise ein unzureichendes <strong>Versorgung</strong>sangebot im nie<strong>der</strong>gelassenen Sektor besteht,<br />
da auch weniger Patienten mit Einweisung eines ambulanten Arztes in die Notaufnahme<br />
kommen. So hat die Facharztdichte einer Region einen Einfluss darauf, wie häufig Patienten mit<br />
gewissen Diagnosen kurzzeitig als Notfälle stationär aufgenommen werden. Die regionale<br />
Häufigkeit ambulant‐sensitiver Krankenhausfälle ASKs 264 , die als Notfall stationär<br />
aufgenommen werden und höchstens drei Tage lang im Krankenhaus verweilen, steigt mit<br />
abnehmen<strong>der</strong> Facharztdichte, aber auch mit einer zunehmenden Krankenhaus‐Bettendichte<br />
Albrecht 2015 an. Eine spezifische Analyse <strong>der</strong> ambulanten Notfalldaten <strong>der</strong> KBV anhand des<br />
ASK‐Kataloges von Sundmacher et al. zeigt, dass die ASK häufiger im Bereitschaftsdienst<br />
behandelt werden Sundmacher et al. 2015. Überdies geht ein Rückgang <strong>der</strong> Fälle im<br />
kassenärztlichen Notdienst in einer Region mit einer höheren Zahl vollstationärer Notfälle<br />
einher Schreyögg 2015.<br />
264 Ambulant‐sensitive Krankenhausfälle sind Fälle, bei denen Krankenhausaufenthalte durch eine effektive und<br />
rechtzeitige ambulante <strong>Versorgung</strong> möglicherweise hätten verhin<strong>der</strong>t werden können.