SVR Gutachten 2018 Sektorenübergreifende Versorgung der Notfallversorgung
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Kapitel 15<br />
641<br />
ebenfalls relevante Empfehlungen für ein DMP „Chronischer Rückenschmerz“ extrahiert IQWiG<br />
2015. Neben <strong>der</strong> NVL aus Deutschland BÄK et al. 2017a wurden vier Leitlinien aus den Vereinigten<br />
Staaten Chou et al. 2009b; Delitto et al. 2012; Dubinsky/Miyasaki 2010; Manchikanti<br />
et al. 2013a; Manchikanti et al. 2013b sowie eine Leitlinie aus Kanada Institute of Health<br />
Economics/TOP 2011 identifiziert. Alle Leitlinien befassen sich mit <strong>der</strong> Therapie des chronischen<br />
Rückenschmerzes, wobei sich eine <strong>der</strong> amerikanischen Leitlinien ausschließlich auf ein<br />
spezielles Therapieverfahren TENS; Dubinsky/Miyasaki 2010 bezieht. Drei <strong>der</strong> sechs identifizierten<br />
Leitlinien enthalten auch Empfehlungen zur Diagnostik, teilweise umfassen die Leitlinien<br />
zudem Aspekte <strong>der</strong> Prävention und Rehabilitation. Bei den extrahierten Empfehlungen<br />
handelt es sich häufig um Negativempfehlungen, bei denen von <strong>der</strong> Anwendung einer Maßnahme<br />
abgeraten wird. Die vom IQWiG abgeleiteten Empfehlungen entsprechen im Wesentlichen<br />
den Empfehlungen <strong>der</strong> NVL.<br />
1101. Jenseits <strong>der</strong> konkreten Empfehlungen, die im DMP Berücksichtigung finden sollen,<br />
stellt sich die Frage nach <strong>der</strong> Sinnhaftigkeit und <strong>der</strong> Zielgruppe eines solchen DMP. So äußerten<br />
Kritiker bereits Bedenken, da es sich bei Rückenschmerzen nicht um eine definierte Erkrankung,<br />
son<strong>der</strong>n um ein Symptom vieler Erkrankungen handle Baas 2016. Die Diagnose sei diffus und<br />
unspezifisch, die Ursachen vielfältig und die Zielgruppe nicht klar abgrenzbar TK 2017a.<br />
1102. Die Deutsche Schmerzgesellschaft DGSS nennt hingegen konkrete Diagnosekriterien<br />
und sieht als Zielgruppe des DMP nicht nur Patienten mit chronisch‐rezidivierenden und chronischen<br />
Rückenschmerzen, son<strong>der</strong>n auch Patienten mit subakuten lumbalen Rückenschmerzen<br />
und erhöhtem Chronifizierungsrisiko DGSS o.J.. Es ist allerdings diskussionswürdig, inwieweit<br />
ein nicht chronifiziertes Krankheitsbild überhaupt mit <strong>der</strong> Intention von strukturierten<br />
Behandlungsprogrammen, die gemäß § 137f SGB V für chronische Krankheiten bestimmt sind,<br />
übereinzubringen ist. Werden Patienten in einer sehr frühen Phase ihrer Beschwerden bereits<br />
in ein Behandlungsprogramm für chronisch Kranke aufgenommen, kann dies ggf. sogar negative<br />
Auswirkungen auf ihre Einstellung und ihr Verhalten haben. Patienten mit akuten o<strong>der</strong><br />
subakuten Rückenschmerzen sollten ihre Beschwerden als vorübergehende Funktionsstörung<br />
verstehen. Ein DMP liefert hier möglicherweise gegensätzliche Impulse und verstärkt die<br />
Auffassung <strong>der</strong> Teilnehmer, an einer schwerwiegenden Erkrankung zu leiden, obwohl dies gar<br />
nicht <strong>der</strong> Fall ist.<br />
1103. Es wird daher wesentlich sein, zu definieren, ab welchem Zeitraum bzw. ab welchem<br />
Chronifizierungsgrad die Aufnahme in das DMP sinnvoll ist. Sollen nur Chroniker aufgenommen<br />
werden, bedeutet das auch, dass das DMP nicht die frühe Weichenstellung in den ersten sechs<br />
Wochen wird beeinflussen können. Überspitzt formuliert illustriert die Notwendigkeit, einen<br />
Rückenschmerzpatienten in ein Chronikerprogramm aufzunehmen, bereits das Scheitern <strong>der</strong><br />
vorhergehenden Behandlung, die die Verhin<strong>der</strong>ung einer Chronifizierung als Ziel hatte. Somit<br />
wird auch eine übermäßige Bildgebung in den ersten Wochen durch ein Chronikerprogramm<br />
nicht reduziert werden können. Mit den Patienten mit chronischen Rückenschmerzen werden<br />
allerdings diejenigen mit prolongiertem Krankheitsverlauf und einer hohen Wahrscheinlichkeit<br />
für eine hohe Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen bzw. langfristiger Arbeitsunfähigkeit<br />
bis hin zur frühzeitigen Verrentung erfasst sein.<br />
1104. In einem US‐amerikanischen DMP für Rückenschmerzen wurden Patienten mit allen<br />
Schweregraden eingeschlossen und erhielten telefonische Unterstützung durch eine geschulte<br />
Pflegekraft sowie Informationsmaterial Kotsos et al. 2009. Die Schwerpunkte lagen auf dem