Berliner Zeitung 11.10.2018
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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 237 · D onnerstag, 11. Oktober 2018 19<br />
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Sport<br />
Der Mix ist ihr Ding: Josephine Henning<br />
FRANK HELLMANN<br />
„Ich lebe einen coolen Traum“<br />
Vonder Fußball-Nationalspielerin zur ambitionierten Künstlerin: der ungewöhnliche Lebensweg der Josephine Henning<br />
VonFrank Hellmann<br />
Es war ein eher leiser Abschied,<br />
den Josephine Henning<br />
aus dem Frauenfußball<br />
genommen hat. Ihr<br />
letztes Länderspiel bestritt sie im Juli<br />
2017 gegen Brasilien, nachdem sie<br />
mit dem Gewinn der olympischen<br />
Goldmedaille mit der deutschen Nationalmannschaft<br />
ein Jahr zuvor<br />
noch einen Höhepunkt erlebte. Es<br />
sei definitiv der richtige Zeitpunkt<br />
gewesen wie diesen Sommer bei den<br />
Arsenal Ladies auch auf Vereinsebene<br />
einen Schlussstrich zu ziehen.<br />
„Ich bin darüber mehr als happy“,<br />
sagt die 29-Jährige.Denn inzwischen<br />
ist sie Künstlerin. Genau genommen<br />
widmet sie sich der Acrylmalerei auf<br />
großformatigen Leinwänden. Was<br />
früher ein Hobbywar,„um einen natürlichen<br />
Ausgleich zu finden“, wie<br />
die in Mainz geborene, inTrier aufgewachsene<br />
Josephine Henning<br />
sagt, soll bald dazu dienen, ihren Lebensunterhalt<br />
zu bestreiten.<br />
„Als Fußballerin hat man für später<br />
nicht ausgesorgt“, erklärt die 42-<br />
fache Nationalspielerin, die mit drei<br />
verschiedenen Vereinen (Turbine<br />
Potsdam, VfL Wolfsburg und Olympique<br />
Lyon) immerhin viermal die<br />
Women’s Champions League gewann.<br />
Dennoch war es unabdingbar,<br />
die duale Karriere voranzutreiben –<br />
und sie hat sich für einen eher seltenen<br />
Spurwechsel entschieden. Kicker,<br />
die sich der Kunst verschrieben?<br />
Den meisten fällt der frühere<br />
HSV-Torwart Rudi Kargus ein. Josephine<br />
Henning will sich selbst im<br />
neuen Metier Zeit geben. „Ich muss<br />
mir etwas Neues aufbauen. Wenn es<br />
nicht klappt, ist nicht im Winter sofortwieder<br />
Schluss.“<br />
Vorerst fiebert sie dem 28. Oktober<br />
entgegen. Dann beginnt um 18<br />
Uhr im historischen Frankenturm<br />
vonTrier ihreerste Vernissage,inder<br />
vorwiegend Werke der letzten zwei<br />
Auslandsjahreaus London und Lyon<br />
ausgestellt werden. Bei Livemusik<br />
soll das Interesse an 21 „offenen Stories“<br />
–20Bilder und eine Installation<br />
−geweckt werden, in denen Farben,<br />
aber auch Empfindungen eine große<br />
Rolle spielen. Und natürlich auch<br />
der Mensch, der sich auf einem Werk<br />
beispielsweise auf einer Schaukel an<br />
einer riesigen Palme unter einem<br />
Stück offenen Himmel befindet. „Es<br />
geht auf dem Bild um Entschleunigung,<br />
aus dem Alltag rauszukommen.“<br />
Die Sehnsucht nach der längeren<br />
Pause.Weil die Motive figurativ<br />
und nicht abstrakt gehalten sind,<br />
kann das auch derjenige interpretieren,<br />
der sich nicht als Kunstkenner<br />
ausweist.<br />
Familiär vorbelastet<br />
Bis zum 9. November läuft ihre Ausstellung,<br />
in der die ehemalige Sportlerin<br />
meist selbst präsent sein wird.<br />
Sie selbst möchte die Geschichte<br />
hinter den Bildern erzählen. „Es soll<br />
authentisch sein.“ Weil es eben<br />
manchmal auch ein Stück von ihr<br />
selbst ist. Josephine Henning könnte<br />
sich zwar auch vorstellen, ihreErfahrung<br />
aus dem Fußball in Kindercamps<br />
weitzugeben, aber die Kunst<br />
passt irgendwie ja auch besser in die<br />
Familiengeschichte: Mutter Sabine<br />
arbeitet als Theatermalerin, Vater<br />
Jörg Maier ist Schauspieler am Trierer<br />
Theater. Und wo in anderen Elternhäuser<br />
die Kinder schon mal vor<br />
den Fernseher gesetzt werden, „gab<br />
es bei uns den Pinsel in den Hand“.<br />
Schon in jungen Jahren zeichnete<br />
sie gerne und viel. In ihrer Wolfsburger<br />
Zeit legte sie zunächst ihren Bachelor<br />
in Gesundheitsmanagement<br />
ab („ein Vernunftstudium“). Als sie<br />
Widmet sich<br />
ausschließlich<br />
der Kunst: Josephine<br />
Henning<br />
IMAGO<br />
2014 zu ParisSt. Germain gewechselt<br />
war, begann sie ein Fernstudium in<br />
Grafik und Design. Mitdem Wechsel<br />
nach London und Lyon ließ sie ihre<br />
zweite Leidenschaft schon nicht<br />
mehr los. „Da wurde aus meinem<br />
Wohnzimmer eine Staffelei.“ Wo andere<br />
die Freizeit an der Playstation<br />
vertrödelten, hat sie lieber gemalt,<br />
aber nur selten darüber gesprochen.<br />
„Ich wollte nie, dass man<br />
mir unterstellt, nicht alles für<br />
den Fußball zu geben.“<br />
Jetzt sei die Zeit reif, aus<br />
der Schublade herauszukommen.<br />
„Die Leute denken oft, man<br />
kann nur eins im Leben.“ Henning<br />
mag sogar ihre Position als Abwehrspielerin<br />
mit dem neuen Ist-Zustand<br />
verknüpfen. „Innenverteidiger sind<br />
häufig stille, nach innen gekehrte<br />
Persönlichkeiten, die vor allem im<br />
Sinn haben, ihreMannschaft zu beschützen.“<br />
Sie spürt längst eine innere<br />
Zufriedenheit: „Ich habe das<br />
Gefühl, es entwickelt sich etwas.“<br />
Manchmal schließt sie sich fast tagelang<br />
im Atelier ein, wenn sie es für<br />
nötig hält.„Ich liebe das.Ich lebe<br />
einen coolen Traum.“<br />
Die ersten Reaktionen seien<br />
ausgesprochen positiv. Bei der<br />
Stilfrage mag sie sich gar nicht zu<br />
sehr festlegen: „Der Pop Art ähnlich.<br />
Ich arbeite dazu viel mit Spachtel<br />
und Spray. Der Mix ist mein Ding.“<br />
Die Preise gebe es „auf Anfrage“,<br />
aber auf Nachfrage kommt heraus,<br />
dass sie die meisten Bilder im unterenvierstelligen<br />
Bereich verortet hat:<br />
„Ich kann sie ja nicht verschenken.“<br />
Die Umsetzung von der ersten Idee<br />
erfolge ja nicht in drei Tagen, sonderndauereeher<br />
dreiWochen.Vieles<br />
erfolgt dabei spontan, wie sie sagt.<br />
Auch eine Auftragsarbeit hat sie<br />
schon erledigt, die ausnahmsweise<br />
mit dem Fußball zu tun hat: Torwarthände<br />
auf einem Himmel-Hintergrund.<br />
Siekann sich auch vorstellen,<br />
im Zuge der Frauen-WM 2019 in<br />
Frankreich tätig zu werden. Ansonsten<br />
fehlt ihr zwar der Kontakt zu den<br />
Mitspielerinnen, nicht aber der Fußball<br />
an sich. Aufzuhören, um lieber<br />
den Pinsel zu schwingen als einen<br />
Pass zu spielen, dafür war die Zeit<br />
einfach reif.<br />
Frank Hellmann<br />
ist kurzfristig zu einem<br />
Kunstkenner geworden.<br />
Liga der Schummler<br />
Ein massiver Betrugsskandal erschüttert den belgischen Fußball. Möglicherweise wurden auch Spiele manipuliert<br />
Belgiens Fußball wird von einem<br />
Korruptionsskandal ungeahnten<br />
Ausmaßes erschüttert. Am Mittwochvormittag<br />
verhaftete die belgische<br />
Polizei prominente Protagonisten<br />
der höchsten belgischen Liga,<br />
der Jupiler Pro League. Darunter<br />
auch Ivan Leko, Trainer von Meister<br />
FC Brügge, sowie die bekannten<br />
Spielerberater Dejan Veljkovic und<br />
Mogi Bayat. Der wohl bekannteste<br />
Spieleragent des Landes soll auch<br />
der Strippenzieher bei den kriminellen<br />
Machenschaften sein. Es geht<br />
um Geldwäsche und Spielmanipulationen<br />
im großen Stil.<br />
Zudem wurden auch diverse Erstliga-Schiedsrichter,darunter<br />
die beiden<br />
Fifa-Referees Sebastien Delferiere<br />
und Bart Vertenten, in Gewahrsam<br />
genommen. Auch der ehemalige<br />
Anderlecht-Manager Herman<br />
Van Holsbeeck sowie ein weiterer<br />
Spieleragent wurden abgeführt.<br />
Die Bundesanwaltschaft bestätigte<br />
am Mittag die großangelegte<br />
Razzia, bei der 44 Durchsuchungen<br />
im ganzen Land durchgeführt wurden<br />
und zahlreiches Beweismaterial<br />
sichergestellt wurde.Insgesamt wurden<br />
die Räumlichkeiten von zehn<br />
Erstligaklubs zwecks Beweissicherung<br />
ins Visier genommen. Dazu<br />
zählten der FC Brügge, Gegner von<br />
Borussia Dortmund in der Champions<br />
League, Rekordmeister RSC<br />
Anderlecht, Standard Lüttich und<br />
Royal Antwerpen. Insgesamt waren<br />
184 Polizisten in Belgien und 36 Beamte<br />
im Ausland an den Durchsuchungen<br />
beteiligt.<br />
Einbesorgter Justizminister<br />
Justizminister Koen Geens äußerte<br />
sich nach Bekanntwerden der<br />
gründlich von der Justiz vorbereiteten<br />
Polizeiaktion besorgt: „Die Spielabsprachen<br />
untergraben die Integrität<br />
des Sports. Die Justiz arbeitet an<br />
einem fairen Sport.“ Der Politiker<br />
verwies darauf, dass die eingeleiteten<br />
Maßnahmen im Kampf gegen<br />
die Korruption im Sport gegriffen<br />
hätten. Der flämische Sportminister<br />
Philippe Muyters fordert via Twitter<br />
„volle Transparenz und Kooperation“<br />
von den Klubs bei den Ermittlungen.<br />
Dievielen sauberen Sportler<br />
und die Anhänger hätten das Recht<br />
aufeinen ehrlichen Sport.<br />
Brügges Präsident BartVerhaeghe<br />
sagte der Polizei die volle Unterstützung<br />
seines Klubs zu. Er glaubt an<br />
die Unschuld seines Trainers Leko,<br />
der mit Veljkovic befreundet sein<br />
soll, und geht von einem großen<br />
Missverständnis aus: „Die Untersuchungen<br />
werden zeigen, dass bei<br />
uns alles sauber ist. Wirhaben nichts<br />
zu verbergen. Zudem schützen wir<br />
unseren Trainer Ivan Leko, dem<br />
nichts vorzuwerfen ist.“<br />
Die Kriminalpolizei Limburg<br />
hatte mit Unterstützung der Bundesjustizpolizei<br />
von Antwerpen, Leuven,<br />
Wallonisch-Brabant, Brüssel,<br />
Halle-Vilvoordet, Ostflandern, Westflandern,<br />
Lüttich und Mons am frühen<br />
Mittwochmorgen mit ihren<br />
Durchsuchungen begonnen, die im<br />
Laufe des Tages anhielten.<br />
Ebenfalls unter Verdacht: Brügges Trainer<br />
Ivan Lenko<br />
GETTY/RAMOS<br />
Vorausgegangen waren monatelange<br />
Ermittlungen. Ende 2017 hatte<br />
die Abteilung Sportbetrug der Bundespolizei<br />
Hinweise auf verdächtige<br />
finanzielle Transaktionen in der Jubiler<br />
Pro League erhalten und war<br />
denen auf den Grund gegangen.<br />
Nach aktuellem Kenntnisstand sind<br />
einige Spiele der Saison 2017/18 von<br />
einer kriminellen Vereinigung verschoben<br />
worden. Auch ein ehemaliger<br />
Anwalt und Journalisten seien in<br />
den Betrug involviert gewesen, berichten<br />
übereinstimmend belgische<br />
Medien.<br />
Eine umtriebige Familie<br />
Zudem hätten nach Angaben der<br />
Generalstaatsanwaltschaft vergangene<br />
Spielzeit bestimmte Spielervermittler<br />
unabhängig voneinander<br />
Transaktionen durchgeführt, um so<br />
dem Finanzamt Einnahmen aus<br />
Provisionen in Bezug auf Spielertransfers,<br />
Spieler- und Trainergehälter<br />
und andereZahlungen vorzuenthalten.<br />
In diesem Zusammenhang<br />
gab es auch Ermittlungen in 13 anderen<br />
Ländern, insbesondere in<br />
Frankreich, Luxemburg, Zypern,<br />
Montenegro, Serbien und Mazedonien.<br />
Im Zentrum der Machenschaften<br />
soll Mogi Bayat stehen. Der 44Jahre<br />
alte,inTeheran geborene Spielervermittler,<br />
wurde von der Tageszeitung<br />
De Tijd schon mal als„Der Kaiser des<br />
belgischen Fußballmarktes“ bezeichnet,<br />
das Sport/Voetbal Magazine<br />
wiederum schrieb von der „Galaxie<br />
Bayat“.Wobei natürlich darauf<br />
Bezug genommen wurde, dass Mogis<br />
Bruder Mehdiund sein Onkel Abbas<br />
seit Jahren kräftig imbelgischen<br />
Fußball mitmischen. Letztgenannter<br />
war von 2000 bis 2012 Boss des<br />
Erstligisteen Royal Charleroi SC,<br />
brachte dabei auch Mogi Bayat als<br />
SportdirektorinStellung. EinPosten,<br />
den nach einem Streit zwischen<br />
Mogi und Abbas inzwischen Mehdi<br />
innehat, der zudem noch Mitglied<br />
im Exekutivkomitee des belgischen<br />
Verbandes ist. (sid)