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Berliner Zeitung 13./14.10.2018

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 239 · 1 3./14. Oktober 2018 11 *<br />

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Berlin<br />

Zwei Räder, dazwischen ein Boxermotor<br />

mit zwei Zylindernund<br />

ein Tank samt weiß-blauem Flügelrad-Logo.<br />

ImHerbst 1923, also vor<br />

ziemlich genau 95 Jahren, hatte sich<br />

BMW Berlin ausgesucht, um sein<br />

erstes Motorrad vorzustellen. Natürlich<br />

war es nur ein kurzerBesuch anlässlich<br />

der Deutschen Automobilausstellung,<br />

doch sollte die Premiere<br />

der R32 in den damaligen Ausstellungshallen<br />

am Kaiserdamm der Beginn<br />

einer festen nord-süddeutschen<br />

Wirtschaftsbeziehung werden.<br />

Seit 1967 werden Motorräder von<br />

BMW fast ausschließlich in Berlin<br />

produziert. Und wenngleich die<br />

Hauptstadt in der Münchener<br />

Staatskanzlei zuweilen für eine „Resterampe“<br />

gehalten wird, so ist man<br />

in der dortigen BMW-Zentrale stolz<br />

darauf, Motorräder mit <strong>Berliner</strong> Luft<br />

in den Reifen in die Welt liefern zu<br />

können. Heute arbeiten rund 2000<br />

Menschen im Spandauer Motorradwerk.<br />

Imvergangenen Jahr fertigten<br />

sie 155 000 Motorräder und Scooter.<br />

DieExportrate liegt bei 83 Prozent.<br />

Tatsächlich scheint die Beziehung<br />

zwischen BMW und Berlin stabil zu<br />

sein. Erst vor drei Jahren investierte<br />

der Konzern mehr als 100 Millionen<br />

Euro in das SpandauerWerk.2020 will<br />

man 200 000 Motorräder fertigen.<br />

Dabei hat es Berlin den Bayern nicht<br />

immer leicht gemacht, der hiesigen<br />

Polizei zwischenzeitlich sogar Motor-<br />

Wirtschaft<br />

Von<strong>Berliner</strong> Luft und Resterampe<br />

Made in Berlin: Seit 51 Jahren kommen BMW-Motorräder aus Spandau.<br />

DPA/MAURIZIO GAMBARINI<br />

räder der italienischen Marke Moto<br />

Guzzi verordnet, um drei Jahrespäter<br />

doch wieder zu den Maschinen aus<br />

der Region zurückzukehren. Inzwischen<br />

könnte die <strong>Berliner</strong> Polizei sogar<br />

elektrisch fahren, wie es etwa in<br />

Barcelona, Sardinien und einigen<br />

Städten in Nordrhein-Westfalen<br />

längst der Fall ist. Dortsind Polizisten<br />

mit dem bis zu 130 km/h schnellen<br />

E-Roller vonBMW unterwegs.Hier ist<br />

man aber noch nicht so weit.<br />

Dabei haben Unternehmen aus<br />

Bayern sich gerade wegen der hiesigen<br />

Innovationsfreude für Berlin<br />

entschieden. DasElektroroller-Startup<br />

Unu hatte sich in München gegründet,<br />

aber bald dazu entschieden,<br />

den knatternden Benzin-Rollernvon<br />

Berlin aus den Kampf anzusagen.<br />

„Wir haben uns gut überlegt,<br />

welche die beste Stadt wäre, um Unu<br />

wirklich groß zu machen“, sagte Co-<br />

Gründer Elias Atahi kurznach seiner<br />

Ankunft am Tempelhofer Ufer.Letztlich<br />

seien dafür nur zwei Städte infrage<br />

gekommen: „San Francisco<br />

und Berlin.“<br />

Aber Berlin hat auch große Unternehmen<br />

an Bayern verloren. Siemens<br />

und Knorr-Bremse gehören dazu.<br />

Zwei Münchener Weltkonzerne, die<br />

beide an der Spree gegründet wurden,<br />

die Stadtabernach dem Zweiten<br />

Weltkriegs verließen, weil Berlin als<br />

Front- und Inselstadt an Attraktivität,<br />

dann an Bedeutung verlor. Eswäre<br />

Zeit, zurückzukommen. (jk.)<br />

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Fußball<br />

Bayern-Fans<br />

in der<br />

Dachkammer<br />

<strong>Berliner</strong> Olympiastadion, 28. September<br />

2018: 23. Minute, Elfmeter,<br />

Vedad Ibisevic, linke Ecke –<br />

Peng!; 44. Minute, Angriff über<br />

rechts, Rückpass, Ondrej Duda mit<br />

Wucht unter die Latte –Peeeennggg!!<br />

Manweiß nicht, ob spätereGenerationen<br />

vonHertha-Fans die beiden<br />

Tore beim berauschenden 2:0 gegen<br />

den FC Bayern im Schlaf nacherzählen<br />

können –diejenigen, die es heute<br />

mit den Blau-Weißen halten, können<br />

es.Esist ja zuletzt auch nicht so<br />

häufig vorgekommen, dass der<br />

Münchner Dauer-Primus in Berlin<br />

eins aufs Dach gekriegt hat. Oft war<br />

es andersrum. Etwa bei der Partie im<br />

März 2014, als die damaligen Über-<br />

Bayern nach einem 3:1 ihre24. Meisterschaft<br />

holten. Danach taten sie<br />

ausgelassen, dabei sah man dem Rekordmeister<br />

die Jubel-Routine besonders<br />

unangenehm an.<br />

Dennoch sind die Bayern gerngesehene<br />

Gäste. Nur wenn sie kommen,<br />

ist das Stadion (fast) immer<br />

voll. Dasliegt auch an den vielen Roten-Fans<br />

aus Sachsen und Thüringen.<br />

Für die sind die Partien im<br />

Olympiastadion fast Heimspiele.<br />

Immer Heimspiel erleben FCB-<br />

Fans in der Dachkammer, einer Metal-<br />

und Rock’n’Roll-Kneipe im Simon-Dach-Kiez<br />

– seit zwölf Jahren<br />

Heimstatt des größten hauptstädtischen<br />

Fanclubs,den <strong>Berliner</strong> Bajuwaren.<br />

Seitdem ist bei Bayern-Spielen<br />

die Kammer stets voll. (elm.)<br />

Was für Deutschland gilt, gilt für<br />

Bayern erst recht. Im Süden<br />

kriegt man die Bundesrepublik als<br />

Konzentrat, alle Klischees inklusive.<br />

Bayern hat die höchsten Berge, die<br />

schönsten Seen, die glücklichsten<br />

Kühe und die hübschesten Kirchendächer<br />

der Nation. Und –selbstverständlich<br />

–das beste Brot. Nun gibt<br />

es so einige Dinge, die den Freistaat<br />

über seine Landesgrenzen hinweg<br />

berühmt gemacht haben, und die<br />

sich bei näherer Betrachtung als Enttäuschung<br />

entpuppen: Sisi, Edmund<br />

Stoibers Transrapid-Rede, der FC<br />

Bayern, das Oktoberfest. Sisi war<br />

magersüchtig, das Oktoberfest ist<br />

viel zu teuer, in der Allianz-Arena<br />

kommt keine rechte Stimmung auf,<br />

und den Transrapid gibt es bis heute<br />

nicht. Aber es gibt auch Dinge, die<br />

der Freistaat nach Norden exportiert<br />

hat und die hierzulande zum Erfolg<br />

geworden sind.<br />

Menschen: 7904 Bayern siedelten<br />

im Jahr 2015 nach Angaben des Statistischen<br />

Landesamts nach Berlin<br />

über.Davon waren 3853 Frauen und<br />

4051 Männer. ImGegenzug wechselten<br />

6710 Menschen nach Süden,<br />

3180 Frauen und 3530 Männer.UntermStrich<br />

bleibt ein Plus für Berlin:<br />

1194 Menschen, davon 673 Frauen<br />

und 521 Männer.<br />

Haxn, Brot und Lederhose<br />

Brot: Es liegt im Wesen des Mythos,<br />

dass er entzaubert wird, wenn man<br />

sich ihm zu sehr nähert. Dem Brot<br />

vom bayerischen Traditionsbäcker<br />

Hofpfisterei hätte ein ähnliches<br />

Schicksal drohen können. Ursprünglich<br />

gab es das Pfisterei-Brot<br />

nur in Bayern und Baden-Württemberg.<br />

Doch seit 2008 können sich<br />

auch <strong>Berliner</strong>, entwurzelte Bayern<br />

und von woanders her Zugezogene<br />

in der Hauptstadt vondem berühmten<br />

Natursauerteigbrot verzaubern<br />

lassen. 13 Filialen und sechs zusätzliche<br />

Verkaufsstellen gibt es inzwischen<br />

in Berlin, für die die Brote übrigens<br />

in der Backstube in Bayern<br />

vorgebacken und dann durch die<br />

halbe Republik gefahren werden. Es<br />

heißt, man habe auch versucht, den<br />

Teig in <strong>Berliner</strong> Backstuben anzusetzen<br />

–doch das Brot habe anders geschmeckt,<br />

weil das besondere Mikroklima<br />

der Stammbackstube fehlte.<br />

Ob das wirklich stimmt, lässt sich<br />

nur schwer überprüfen. Jedenfalls<br />

reist das berühmte Brot auch weiter-<br />

Allerlei Gemütliches<br />

Querplattler nennt sich die erste schwule Schuhplattlergruppe Berlins.<br />

DPA/FABIAN SOMMER<br />

hin von München nach Berlin und<br />

mit ihm das Made-in-Bayern-Gefühl.<br />

Und–natürlich –der Mythos.<br />

Oktoberfest: Zu diesem Fest muss<br />

man schon lange nicht mehr nach<br />

München fahren. „O’zapft is“ gibt es<br />

auch in Berlin. Oktoberfeste werden<br />

seit Jahren immer beliebter, inklusiveHaxn,Weißwurst<br />

und Schweinsbraten.<br />

Gefeiert wird vor allem im<br />

September am Ostbahnhof, auf dem<br />

Festplatz am Kurt-Schumacher-<br />

Damm, an der Zitadelle Spandau,<br />

beim 1. FC Union, an der Spinnerbrücke,<br />

in der Fischerhütte am<br />

Schlachtensee, auf dem Alexanderplatz,<br />

im Hofbräu, am Hauptbahnhof,<br />

in Marzahn und Neukölln, im<br />

Strandbad Weißensee und im Britzer<br />

Garten.<br />

Klettern: Müggelberge und Teufelsbergsind<br />

mächtige Ergebungen und<br />

dennoch ohne Hilfe zu erklimmen.<br />

Wenn es aber tatsächlich einmal<br />

hoch hinaus gehen soll, kann eine<br />

Mitgliedschaft im Deutschen Alpenverein<br />

(DAV) nützlich sein. Als Mitglied<br />

bekommt man jede Menge<br />

Tipps, aber zum Beispiel auch Rabatte<br />

in den 323 Hütten, die der DAV<br />

in den Mittelgebirgen und den Alpen<br />

betreibt. In Berlin hat der DAV vier<br />

Sektionen: die Sektion Berlin in<br />

Kreuzberg, die Alexander von Humboldt<br />

in Weißensee, die Sektion<br />

Brandenburger TorinMitte und die<br />

Sektion Alpinclub Berlin in Charlottenburg.<br />

Außerdem betreibt der DAV<br />

ein Kletterzentrum in Moabit, wo<br />

man Kurse belegen kann.<br />

Bräuche: Schuhplattler ist der Name<br />

eines Tanzes aus dem Alpenraum,<br />

der sich durch kräftige Handschläge<br />

auf Oberschenkel und Schuhe auszeichnet.<br />

Mittlerweile ist das Platteln<br />

in Berlin angekommen. Seit drei Jahren<br />

gibt es in Moabit die Querplattler,<br />

Berlins erste schwule Schuhplattlergruppe.<br />

Etwa ein Dutzend<br />

Männer trifft sich regelmäßig zum<br />

Üben und tritt auch auf: in Lederhosen,<br />

knielangen Wollstrümpfen und<br />

mit dunkelgrünen Samthüten.<br />

Spezialitäten: Der Metzger für den<br />

angeblich besten bayerischen Leberkäs<br />

befindet sich in der Westfälischen<br />

Straße in Halensee. Echt<br />

bayerische Brezn sind nicht zu finden,<br />

behaupten Bayern. Die müssten<br />

es wissen. (tab., elm., juli.)<br />

Länderfinanzausgleich<br />

Weiß-blau rollt<br />

der Rubel<br />

nach Berlin<br />

Nein, das Geld wirdnicht gebündelt<br />

in weiß-blau karierten Banderolen<br />

nach Berlin geliefert, aber<br />

ganz unberechtigt wäre die Farbgebung<br />

nicht: Bayern zahlte 2017 in<br />

den Länderfinanzausgleich –das ist<br />

eine Art Umverteilungskasse aller<br />

16 Bundesländer – fast 5,9 Milliarden<br />

Euro ein. UndBerlin, als bedürftigstes<br />

Nehmerland, erhielt aus diesem<br />

Soli-Fonds für Steuerschwache<br />

im selben Jahr etwas mehr als 4,2<br />

Milliarden Euro.Das ist gut ein Drittel<br />

der Gesamtsumme des Finanzausgleichs,<br />

die auch noch von Hessen,<br />

Baden-Württemberg und zu einem<br />

kleinen Teil von Hamburg aufgebracht<br />

wird. Alle anderen<br />

Bundesländer nehmen von den florierenden<br />

Süd-Ländernund der Hafen-Metropole<br />

im Norden.<br />

Die beiden Pole Bayern und Berlin,<br />

im föderalen Vergleich so etwas<br />

wie Bonze und Bettler, könnten fiskalisch<br />

gesehen keine spannungsreichere<br />

Beziehung eingehen. Undnur<br />

sehr, sehr undankbare Hauptstädter<br />

erinnern bei diesem Thema daran,<br />

dass das Land Bayern in den Jahren<br />

1950 bis 1986 –zur Erinnerung: Berlin<br />

war in dieser Zeit geteilt und besetzt<br />

–selbst ein bundesrepublikanisches<br />

Nehmerland war. Und sich<br />

daraus –Laptop und Lederhose! –<br />

langsam herausarbeiten konnte,übrigens<br />

auch wegen des Länderfinanzausgleichs.Also:<br />

Pack ma’s,Berlin!<br />

(jan.)

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