Berliner Zeitung 08.11.2018
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14 * <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 261 · D onnerstag, 8. November 2018<br />
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Berlin<br />
Der Sonntag warihr umsatzstärkster Tag: VanDan Le und seine Frau Thi Hong Thuy Nguyen führen den Kiezladen Lekr im Bötzowviertel seit 19 Jahren. Sie erfüllen auch Extrawünsche ihrer Kunden. So wird das Sortiment immer größer.<br />
SABINE GUDATH<br />
Sonntags nie<br />
In Prenzlauer Berg wollen Anwohner weiter jeden Tagindem Kiezladen von Herrn Le einkaufen können. Doch der Senat will das Ladenschlussgesetz nicht ändern<br />
VonStefan Strauß<br />
Die Kontrolleure kamen<br />
vor drei Wochen, es war<br />
ein Nachmittag, so kurz<br />
nach vier. Polizei und<br />
Ordnungsamt, drei Leute.Van DanLe<br />
wusste gleich, was sie wollen. Es war<br />
ein Sonntag, und der 53-Jährige hatte<br />
seinen Laden geöffnet. Dasist verboten<br />
für ein Geschäft, wie Herr Le es<br />
betreibt.<br />
„Lekr –Der Kaufmann nebenan“<br />
steht über dem Laden im Bötzowviertel<br />
in Prenzlauer Berg.Esist ein Wortspiel<br />
aus Herrn Les Namen und dem<br />
seines Freundes,HerrnKranz, der hat<br />
ihm einst beim Einrichten des Ladens<br />
geholfen. Herr Le hat alles,was seine<br />
Kunden brauchen: Obst, Gemüse,<br />
Brot, Kuchen, Saft und Süßigkeiten,<br />
Bier und Wein. Batterien und Grußkarten.<br />
Fragen Kunden nach Waren,<br />
die er nicht im Sortiment hat, besorgt<br />
er sie am nächsten Tag. „Die Nachfrage<br />
wird immer größer“ sagt Herr<br />
Le.Vor allem der Bereich mit Biowaren.<br />
Es ist eng, Kisten stapeln sich, die<br />
Kunden müssen sich vorsichtig durch<br />
die Reihen schlängeln.<br />
Seit 19 Jahren führen VanDan Le<br />
und seine Frau Thi Hong Thuy<br />
Nguyen das 180 Quadratmeter große<br />
Geschäft im Bötzowviertel. Etliche<br />
Prominente leben dort inteuren Altbauwohnungen,<br />
Schauspieler,<br />
Schriftsteller, Musiker. Die Mieten<br />
sind hoch, auch für Gewerbeflächen.<br />
Doch wenn man sparsam lebt,<br />
kommt man zurecht, sagt Herr Le.Jeden<br />
Morgen um 5Uhr fährt erzum<br />
Großmarkt, abends arbeitet er lange.<br />
HarteArbeit ist er gewöhnt. Seine Elternhatten<br />
eine Obstplantage in der<br />
südvietnamesischen Provinz Tien<br />
Giang. Nach der Schule kam er zum<br />
Studium in die DDR. An der Technischen<br />
Universität Ilmenau in Thüringen<br />
studierte er Kybernetik,<br />
wurde Ingenieur und zog nach Berlin.<br />
Er arbeitete im Elektroapparatewerk<br />
Treptow. Die Wende machte<br />
den jungen Ingenieur arbeitslos, er<br />
jobbte in Imbissen und auf dem<br />
Großmarkt. Dann fand er den Eckladen<br />
in der Bötzowstraße –jahrelang<br />
eine sichereAdresse zum Einkaufen,<br />
auch sonntags offen. UndHerr Le ist<br />
immer da. Ohne Mittagspause,ohne<br />
Urlaub.<br />
Der Sonntag sei sein umsatzstärkster<br />
Tag, sagt Herr Le.Dann treffen<br />
sich bei ihm die Nachbarn. Zum<br />
Einkaufen, weil sie etwa vergessen<br />
haben und zum Quatschen, weil sie<br />
sonntags mal Zeit dafür haben. Der<br />
Laden vonHerrnLeist das Kiezzentrum,<br />
sagen die,die dortwohnen.<br />
Doch jetzt ist alles anders. Seitdem<br />
die Polizei da war, lässt Herr Le<br />
seinen Laden sonntags geschlossen.<br />
Er will keinen Ärger. Die Polizei hat<br />
ihm nach der Kontrolle einen Brief<br />
geschrieben. Ein Ermittlungsverfahren<br />
läuft gegen ihn. Er habe seinen<br />
Laden „innerhalb der gesetzlichen<br />
Ladenschlusszeiten“ geöffnet. Außerdem<br />
sei eine Waage nicht gültig<br />
geeicht gewesen. Um HerrnLekümmern<br />
sich jetzt Kriminalbeamte der<br />
Abteilung 331, zuständig für Finanzermittlungen,<br />
Geldwäsche undWirtschaftskriminalität.<br />
Es klingt, als gehöre<br />
Herr Le zu einem asiatischen<br />
Clan.<br />
Sonntags müssen Geschäfte geschlossen<br />
bleiben. An diesem Taggilt<br />
die Sonntagsruhe, legt es das Gesetz<br />
fest. DieKirche will das so –und auch<br />
die Gewerkschaft, im Sinne der Arbeitnehmer.<br />
Esgibt allerdings Ausnahmen,<br />
und um diese wirdseit Jahren<br />
heftig gestritten. Vorallem, seitdem<br />
das Ordnungsamt in Neukölln<br />
an Sonntagen mit großem Eifer Spätverkaufsstellen<br />
kontrolliert und sie<br />
mit hohen Geldsummen bestraft hat.<br />
Späti-Besitzer warfen den Behörden<br />
Willkür vor, Kunden forderten eine liberale<br />
Lösung. Soll man den <strong>Berliner</strong>ndoch<br />
ihreSpätis lassen.<br />
Etwa 1000 Spätverkaufsstellen<br />
gibt es in Berlin. „Sie gehören zu Berlin“,<br />
sagt Anja Kofbinger, Grünen-<br />
Abgeordnete und Späti-Unterstützerin.<br />
Erst im Juni hat ihrePartei einen<br />
Beschluss verabschiedet, das Gesetz<br />
zu ändern. „Die Sonntagsöffnung<br />
der Spätis in Berlin ist jahrzehntelang<br />
gelebte Praxis“, heißt es darin.<br />
Der Senat solle das <strong>Berliner</strong> Ladenöffnungsgesetz<br />
ändern, damit Verkaufsstellen<br />
auch an Sonn- und Feiertagen<br />
öffnen dürfen. „Man könnte<br />
„Man könnte das Gesetz lockern,<br />
aber die Politik bewegt sich nicht.“<br />
Anja Kofbinger,<br />
Neuköllner Abgeordnete der Grünen und<br />
Unterstützerin der Späti-Betreiber und inhabergeführter Kiezläden<br />
das Gesetz lockern“, sagt Anja Kofbinger,<br />
„aber die Politik bewegt sich<br />
nicht.“<br />
Ihre Parteifreundin, Wirtschaftssenatorin<br />
Ramona Pop, verweist darauf,<br />
dass Berlin bundesweit das liberalste<br />
Ladenöffnungsgesetz habe. Sie<br />
plädiert für einen lockeren Umgang.<br />
„Spätis gehören zur Kiezkultur“, sagt<br />
sie der <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong>. „Es wärebedauerlich,<br />
wenn durch restriktives<br />
Handeln der Bezirke gewachsene<br />
Kiezkultur verschwinden würde.“ Arbeitssenatorin<br />
Elke Breitenbach<br />
(Linke) sagt dagegen, eine Änderung<br />
des Gesetzes sei nicht vorgesehen.<br />
Erst 2016 hat ein Rechtsgutachten<br />
des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes<br />
im Auftrag der SPD die Bedingungen<br />
festgelegt, unter denen<br />
Geschäfte sonntags von13bis 20 Uhr<br />
öffnen dürfen. Sie dürfen nur Bedarfsartikel<br />
für Touristen verkaufen,<br />
also Stadtpläne, <strong>Zeitung</strong>en, Andenken,<br />
Tabakwaren, und Lebensmittel<br />
zum sofortigen Verzehr, also Getränke,<br />
Süßwaren, Eis, belegte Brötchen,<br />
Obst, und abgepacktes Eis.<br />
Nicht erlaubt sind Lebensmittel zur<br />
Zubereitung, also Tiefkühlpizza, Dosengerichte,<br />
und Waren auf Vorrat,<br />
etwa großeWachmittelpackungen.<br />
Doch Herr Le versorgt keine Touristen,<br />
sondern seine Nachbarn. Er<br />
verkauft auch Pizza und Dosengerichte.<br />
Das dürfe er auch, sagt der<br />
PankowerStadtrat, Daniel Krüger (für<br />
AfD), zuständig für das Ordnungsamt.<br />
„Aber eben nicht am Sonntag!“<br />
Krüger wehrtsich gegen die Behauptung<br />
vonAnwohnern, den Laden von<br />
Herrn Le aus politischen Gründen<br />
kontrolliert zu haben. „Wir haben<br />
eine Anwohnerbeschwerde erhalten,<br />
und darauf müssen wir reagieren“,<br />
sagt er.„Die Gesetze werden nicht in<br />
Pankowgemacht.“<br />
Stefan Gehrke lebt seit 15 Jahren<br />
im Bötzowviertel, er organisiert das<br />
Sommerfest im Kiez mit, betreibt eine<br />
Facebook-Seite zum Bötzowkiezund<br />
arbeitet in einer Kommunikationsagentur<br />
in Sichtweite von Herrn Les<br />
Laden. Oft geht er dort einkaufen,<br />
auch sonntags.„Kieze leben von solchen<br />
Läden“, sagt der 53-Jährige und<br />
beschließt, Herrn Leund seiner Frau<br />
zu helfen.<br />
Protest mit 1000 Unterschriften<br />
Am Montagnachmittag veröffentlichte<br />
Gehrke eine Unterschriftenliste<br />
im Internet. Darin heißt es, besonders<br />
sonntags sei der Laden die<br />
letzte Rettung, wenn etwas in der<br />
Küche fehle,oder endlich Zeit für einen<br />
kleinen Einkauf sei. Im Laufe<br />
weniger Stunden unterschrieben<br />
mehr als 500 Menschen die Petition,<br />
Mittwochnachmittag sind es über<br />
1000. „Wir müssen uns Gedanken<br />
darüber machen, ob dieses Ladenschlussgesetz<br />
noch zeitgemäß ist“,<br />
sagt Gehrke. Essei auch nicht bürgerfreundlich.<br />
„Wenn es bei dem<br />
Verbot bleibt, besteht die Gefahr,<br />
dass der Laden dauerhaft schließen<br />
muss.“<br />
Herr Le sagt, seitdem der Laden<br />
sonntags geschlossen bleiben muss,<br />
seien die Umsätzespürbar gesunken.<br />
Doch er will kompromissbereit sein<br />
und schlägt den Behörden vor, einen<br />
anderen Taginder Woche zu schließen.<br />
Am Montag vielleicht. Doch es<br />
geht nicht um einen anderen Tag. Es<br />
geht um Sonntag. Undder ist immer<br />
noch heilig. Auch in Berlin.<br />
Ziegenkäse mit Schokolade<br />
Zum 100. Geburtstag eröffnet der Chocolatier Rausch am Gendarmenmarkt eine Erlebnisausstellung. Das passt ins Konzept, das nicht mehr nur mit den Süßwaren überzeugen will<br />
VonSilvia Perdoni<br />
ImJahr 1918 legt Wilhelm Rausch<br />
Rosinen in Rum ein, vermengt sie<br />
mit Marzipan und umhüllt sie mit<br />
Schokolade.Die Pralinen gehören zu<br />
den ersten Kreationen seiner neugegründeten<br />
Rausch Privat-Confiserie<br />
in Berlin. Heute, 100 Jahre später,<br />
steht sein Urenkel im Geschäft am<br />
Gendarmenmarkt und bietet diese<br />
Sortezum Kosten an. Zumrundesten<br />
aller Geburtstage hat die Schokoladendynastie<br />
drei Millionen Euro investiert,<br />
um das firmeneigene Schokoladenhaus<br />
umzugestalten. Am<br />
Sonnabend öffnen hier eine Erlebnisausstellung<br />
und ein neues<br />
Schokoladencafé.<br />
Im zweiten Stock werden dann<br />
Birnen-Portwein-Schnitten, Ziegenkäse-Pumpernickel-Happen<br />
mit Bitterschokolade,Trüffeln<br />
mit karamellisierten<br />
Kakaobohnen und zwölf<br />
weitere Desserts auf einer schicken<br />
Theke im Kreis fahren. Das Prinzip<br />
erinnertaneine Sushi-Bar:Hungrige<br />
sitzen am Fließband und schnappen<br />
sich ihre Lieblingsteller. Am Ende<br />
bezahlen sie zwischen 3,50 Euro und<br />
4,50 Euro proNachtischhäppchen.<br />
Das Konzept setzt auf Gastronomie<br />
zum Mitmachen, die den Kaffeeklatsch<br />
in ein Event verwandelt.<br />
Das entspricht der Linie von Geschäftsführer<br />
Robert Rausch, dem<br />
Urenkel des Gründers.„Der Einkauf<br />
soll ein Erlebnis sein“, sagt er.<br />
Vorvier Jahren übernahm der 31-<br />
Jährige die Leitung des Unternehmens<br />
mit rund 600 Mitarbeitern in<br />
Berlin und Peine von seinem Vater.<br />
Im Herbst 2015 verkündete er den<br />
Rückzug aus dem stationären Handel.<br />
Die Schokolade sollte nicht<br />
mehr im Supermarkt zu haben sein,<br />
sondern nur noch am Gendarmenmarkt<br />
und im Onlineshop. Ein radikaler<br />
Schritt, der 6500 Verkaufsstellen<br />
betraf und das Unternehmen<br />
laut Rausch 13 Millionen Euro Umsatz<br />
kostete. Aber auch ein Schritt,<br />
der einen Fokus auf Qualität und<br />
Markenwert legte. Die Edelkakaotafeln<br />
sollten nicht länger neben Billigprodukten<br />
verramscht werden.<br />
Himbeergeist, Ingwer-Limette oder Whiskey-Kaffee: Die Auswahl ist groß.<br />
Seitdem wachse das Onlinegeschäft<br />
stetig, sagt Rausch. „Jährlich<br />
verschicken wir 30 000 bis 40 000 Pakete<br />
im Wert von durchschnittlich<br />
40 Euro.“ Allerdings hatte der Geschäftsführer<br />
gegenüber der <strong>Berliner</strong><br />
<strong>Zeitung</strong> vorzweiJahren die Hoffnung<br />
auf 50 000 Bestellungen geäußert, die<br />
er nun wohl ein wenig korrigierthat.<br />
ENGELSMANN<br />
„Das Einkaufen verändert sich in<br />
allen Branchen“, sagt RobertRausch.<br />
„In wenigen Jahren wird niemand<br />
mehr Sechserträger mit Mineralwasser<br />
aus dem Supermarkt schleppen.“<br />
Während sich der Handel ins Internet<br />
verlagere, müssten stationäre Läden<br />
mehr als Ware bieten. Aufenthaltsqualität<br />
lautet das Zauberwort, mit<br />
dem viele Händler die rückläufigen<br />
Verkaufszahlen bekämpfen wollen.<br />
Die neue Plantagenwelt, die sich<br />
im Schokoladenhaus am Gendarmenmarkt<br />
über die erste Etage erstreckt,<br />
passt gut dazu. Ausstellungsbesucher<br />
lernen auf knapp 300 Quadratmetern,<br />
wo Kakao herkommt<br />
und wie er gemacht wird. Mit Kopfhörern<br />
laufen sie durch einen tropischen<br />
Urwald, wo die Luft drückt<br />
und die Affen brüllen. Auf der firmeneigenen<br />
Plantage in Costa Rica<br />
lernen Neugierige, wie Kakaobohnen<br />
trocknen und in Holzkisten ihre<br />
Würze entwickeln. Ob nussig, beerig,<br />
karamellig, holzig oder blumig:<br />
Bis zu400 Aromen lassen sich erschmecken.<br />
Herkunft und Bohnensorte<br />
entscheiden, ob das Siegel<br />
Edelkakao vergeben wird, oder ob es<br />
sich um Konsumkakao handelt.<br />
Schon die Maya benutzten Bohnen<br />
vorüber 2000 Jahren als Tauschgut.<br />
Am Ende des Rundgangs stellen<br />
Besucher ihr eigenes Stück Schokolade<br />
her:Sie rösten Bohnen, mahlen<br />
sie zu Kakaopulver und vermengen<br />
sie mit Rohrzucker. Anschließend<br />
geben sie die Masse in die Conchiermaschine,<br />
die mit ihrer speziellen<br />
Rührtechnik dafür sorgt, dass die fertige<br />
Schokolade auf der Zunge<br />
schmilzt. Das vorgefertigte Stückchen,<br />
das am Ende hinunterplumpst,<br />
darf auch genascht werden.<br />
Trotz des kleinen Probierhäppchens<br />
lassen einen aber die Eintrittspreise<br />
für die Ausstellung schlucken:<br />
Erwachsene zahlen 12,50 Euro und<br />
Kinder 8,50 Euro.<br />
Die Preise scheinen gemacht für<br />
Touristen, die während ihres Berlin-<br />
Besuchs nicht die Taler umdrehen. 70<br />
Prozent der 1,2 Millionen jährlichen<br />
Kunden im Schokoladenhaus leben<br />
nicht in der Hauptstadt. Die <strong>Berliner</strong><br />
hingegen haben den Werksverkauf in<br />
der Schokoladenfabrik in Tempelhof<br />
geschätzt. Doch den schloss die<br />
Firma imJahr 2017, weil sie Platz für<br />
mehr Produktionsanlagen brauchte.<br />
„Wir wissen, dass die <strong>Berliner</strong> den<br />
Shop gernzurückhätten“, sagt Robert<br />
Rausch und grinst, als plane er etwas.<br />
Konkreter wirderaber nicht.