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Berliner Zeitung 08.11.2018

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 261 · D onnerstag, 8. November 2018 3 **<br />

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Wahlen in den USA<br />

Schwärmen –Nancy Pelosi lobt auf der Wahlparty in Washington die neue Kandidaten-Generation der Demokraten.<br />

DPA/JACQUELYN MARTIN<br />

Warten –auf den republikanischen Kandidaten Young Kim in Los Angeles<br />

AP/MARK J. TERRILL<br />

Auf den zwei riesigen Leinwänden<br />

rechts und links der Bühne laufen<br />

gerade erste Hochrechnungen, die<br />

den Demokraten die Mehrheit im<br />

Repräsentantenhaus versprechen, als die<br />

Musik im Ballsaal heruntergedreht wird. Es<br />

ist 21 Uhr amDienstagabend, und es wäre<br />

wirklich übertrieben, die Stimmung unter<br />

den mehreren Hundert Gästen als euphorisch<br />

zu bezeichnen. Diedemokratische Partei<br />

hat ihre Unterstützer ins Hyatt Regency<br />

Hotel ganz in der Nähe des Kapitols eingeladen,<br />

um eine eindrucksvolle„blaueWelle“ zu<br />

feiern. Doch den meisten Besuchern, die bei<br />

einem Miller Lite oder einem Glas Rotwein<br />

die Auszählung verfolgen, dämmert, dass die<br />

Welle in der Parteifarbe nicht ganz so hoch<br />

sein wirdwie erhofft.<br />

Immerhin wird die Frau im blauen Kostüm<br />

auf der Bühne mit einem kräftigen Applaus<br />

begrüßt. Ihre Stimme ist heiser, und<br />

die Ringe unter ihren Augen werden von dickem<br />

Make-up übertüncht. „Wir werden siegen!<br />

Und eswird ein Sieg für unser Land<br />

sein“, ruft Nancy Pelosi in den Saal. Die bisherige<br />

Oppositionsführerin im Repräsentantenhaus<br />

spult noch einmal die wichtigsten<br />

Wahlkampfversprechen herunter, zeigt sich<br />

offen für eine Zusammenarbeit mit den gegnerischen<br />

Republikanern und lobt dann<br />

überschwänglich die „eindrucksvolle neue<br />

Generation vonKandidaten“, die den Einzug<br />

ins Parlament geschafft haben.<br />

„Wir haben die Energie der Graswurzelbewegung“,<br />

schwärmt Pelosi. Da brandet<br />

Applaus unter den Zuhörern auf. „Seid Ihr<br />

bereit für einen großen Sieg der Demokraten?“,<br />

ruft sie in den Saal. „Yeah!“, antworten<br />

die Parteifreunde. Irgendwie passen die Anmutung<br />

der 78-jährigen Millionärin, die seit<br />

anderthalb Jahrzehnten die demokratische<br />

Fraktion führt, und ihre Rhetorik nicht so<br />

recht zusammen.<br />

Grenzmauer aus Bauklötzen<br />

Zitterpartie<br />

Ein extremer Wahlkampf, ein zwiespältiges Wahlergebnis:<br />

Die Gräben zwischen rechts und links, Stadt und Land, Jung und Alt,<br />

Männern und Frauen haben sich in den USA vertieft<br />

Washington<br />

Oregon<br />

Kalifornien<br />

Nevada<br />

Alaska<br />

Arizona<br />

Nach ein paar Minuten ist Pelosi wieder verschwunden,<br />

und die Gäste werden dem Nervenkrimi<br />

auf den beiden Leinwänden überlassen.<br />

435 SitzeimRepräsentantenhaus und<br />

35 Mandate im Senat sind zu vergeben, dazu<br />

noch die Gouverneursposten in drei Dutzend<br />

Bundesstaaten. In schwindelerregendem<br />

Tempo stürmen bei den Sendern einzelne<br />

Zwischen-,Teil- und Endergebnisse herein. Es<br />

ist ein wildes Wechselbad der Gefühle. Anfangs<br />

gewinnen die Demokraten Mandate in<br />

denVororten, und ihr zur Lichtgestalt verklärter<br />

Hoffnungsträger Beto O’Rourke liegt im<br />

konservativen Texas als Senatsbewerber tatsächlich<br />

vorn.Dann plötzlich wirdervom RepublikanerTedCruzüberholt.<br />

Auch in Florida<br />

zieht der fanatische Trump-Verbündete Ron<br />

DeSantis,der seine Kinder in einemWahlwerbespot<br />

eine Grenzmauer aus Bauklötzchen<br />

errichten ließ, an Andrew Gillum, dem<br />

schwarzen Gouverneurskandidaten der Demokraten,<br />

vorbei.<br />

Die Stimmung schwankt zwischen Enttäuschung<br />

und Freude, als immer mehr Abgeordnetenbezirke<br />

ausgezählt sind: Die forsche<br />

Staatsanwältin Jennifer Wexton hat es<br />

im nahe gelegenen Virginia geschafft, mit<br />

zwölf Punkten Vorsprung die republikanische<br />

Amtsinhaberin zu entmachten. Und<br />

weiter südlich im Bundesstaat zieht die Ex-<br />

CIA-Agentin Abigail Spanberger gegen Mitternacht<br />

nach einer Zitterpartie tatsächlich<br />

an dem bisherigen Tea-Party-Abgeordneten<br />

vorbei und erobert nach einem halben Jahrhundert<br />

erstmals einen konservativen Bezirk.<br />

Dass die linken Aktivistinnen Alexandria<br />

Ocasio-Cortez inNew York und Ayanna<br />

Pressley in Boston den Sprung ins Parlament<br />

schaffen würden, war ohnehin klar. Spätestens<br />

um 23 Uhr besteht kein Zweifel mehr:<br />

Die Demokraten haben mehr als die erforderlichen<br />

23 Sitze erobert und die Mehrheit<br />

im Repräsentantenhaus gedreht.<br />

Das ist auch die Zeit, als sich nach ungewöhnlich<br />

langem Schweigen ein sonst oft<br />

nervöser Twitterer aus dem Weißen Haus zu<br />

Wort meldet. „Gewaltiger Sieg heute Abend.<br />

Danke Euch allen!“, verkündet Donald<br />

Trump. Offenbar hat er ein anderes Programm<br />

geschaut –oder eines, das nur über<br />

die Ergebnisse der Senatswahl berichtet. Im<br />

Oberhaus mussten die Demokraten vor allem<br />

Posten in Bundesstaaten verteidigen, die<br />

seit der letzten Wahl ins Trump-Lager gewechselt<br />

sind. Niemand hatte ernsthaft mit<br />

einem Machtwechsel gerechnet. Dass die<br />

Republikaner ihrezuvor hauchdünne Mehr-<br />

VonKarlDoemens, Washington<br />

Midterm-Wahlen in den USA<br />

Repräsentantenhaus, Wahlbezirke<br />

Montana<br />

New<br />

Mexico<br />

Hawaii<br />

Nebraska<br />

Texas<br />

Gewonnen<br />

Michigan<br />

Wisconsin<br />

Illinois Indi-<br />

ana<br />

Missi-<br />

ssippi<br />

Alabama<br />

Ohio<br />

Stand: 22.45 Uhr MEZ<br />

BLZ/GALANTY; QUELLE: US-MEDIEN, AFP, NYT<br />

Repräsentantenhaus<br />

vollständig neu gewählt,<br />

in Klammern bisheriges Parlament<br />

noch kein Ergebnis<br />

17<br />

Demokraten<br />

Republikaner<br />

222 196<br />

(193)<br />

435<br />

(236*)<br />

Sitze<br />

Senat<br />

35 von 100 Senatoren neu gewählt,<br />

in Klammern bisheriger Senat<br />

*6Vakant<br />

davon neu gewählt:<br />

22* 3 9<br />

Demokraten<br />

Republikaner<br />

46 51<br />

(49)<br />

100<br />

(51)<br />

Sitze<br />

*zwei unabhängige Kandidaten; stimmen in der<br />

Regel mit Demokraten<br />

Stand 7.11.18, 22.45 Uhr MEZ<br />

BLZ/GALANTY; QUELLE: DPA, NYT<br />

Führend<br />

Demokraten<br />

Republikaner<br />

West<br />

Virginia<br />

Florida<br />

New<br />

York<br />

Maine<br />

NewHampshire<br />

Massachusetts<br />

Rhode Island<br />

Conneticut<br />

NewJersey<br />

Delaware<br />

Maryland<br />

Virginia<br />

North<br />

Carolina<br />

South<br />

Carolina<br />

heit aber sogar ausbauen konnten, feiertder<br />

Präsident nun als persönlichen Triumph.<br />

So widersprüchlich endet einWahlkampf,<br />

der in jeder Hinsicht extrem verlief. Nie zuvor<br />

war eine Kampagne für den Kongress so<br />

teuer und hat das Land dermaßen polarisiert.<br />

Und selten hat ein Präsident die Abstimmung<br />

über die Mehrheit im Parlament<br />

in diesem Maße zu einem Referendum über<br />

ein einziges Thema gemacht: seine Person.<br />

Trump ist zuletzt kreuz und quer durchs<br />

Land gejettet und hat bei Kundgebungen im<br />

republikanischen Kernland vorvollen Stadien<br />

und Arenen seine apokalyptische Botschaft<br />

mit offen rassistischen Untertönen verbreitet.<br />

Sieheißt: „Wir oder die“. Entweder „die größte<br />

Bewegung in der Geschichte“ mit seiner Person<br />

ander Spitze setzt sich durch, oder die<br />

„linksradikalen“ Demokraten, die „Partei des<br />

Verbrechens“, der gewalttätige „Mob“ wirddie<br />

Wirtschaft abwürgen, gewalttätige Migranten-<br />

Banden über die Grenzen locken und das Land<br />

in den Abgrund stürzen.<br />

„Alles, was wir bislang erreicht haben –<br />

und das ist monumental –steht bei dieser<br />

Wahl auf dem Spiel“, hatte Trump gemahnt.<br />

In diesem Punkt hätte ihm sein Vorgänger<br />

Barack Obama nicht widersprochen. Zwei<br />

Jahre lang hatte sich der Ex-Präsident mit<br />

Äußerungen zur Tagespolitik zurückgehalten,<br />

doch in der Endphase diesesWahlkampfes<br />

mochte Obama nicht mehr schweigen.<br />

Bei einem Dutzend Auftritte zur Unterstützung<br />

demokratischer Kandidaten ergriff er<br />

das Wort – so wie am Montag bei einem<br />

Überraschungsbesuch bei Wexton in Virginia.<br />

Mit einem verschmitzten Lächeln und<br />

einem Karton voller Donuts stand Trumpda<br />

plötzlich in der Wahlkampfzentrale vor den<br />

Toren Washingtons unter den ehrenamtlichen<br />

Helfern und machte Scherze, bevor er<br />

plötzlich ernst wurde. „Diese Wahl ist vielleicht<br />

die wichtigste unseres Lebens“, sagte<br />

er.„Es geht darum, werwir sind.“<br />

Hier die Botschaft der Achtung und der<br />

Toleranz –dorteine Rhetorik voller Hass und<br />

Demagogie. Der Kontrast zwischen Obama<br />

und Trump könnte nicht größer sein. Doch<br />

Obama ist Vergangenheit. Trump sitzt noch<br />

mindestens zwei Jahre imWeißen Haus. Die<br />

Wähler haben sich für einen heftigen Rüffel,<br />

nicht aber für die rote Karte entschieden.<br />

Seine rechte Basis steht geschlossen hinter<br />

dem Präsidenten. Und die Demokraten<br />

müssen als stärkste Kraft im Parlament nun<br />

ihre neue Rolle und ihren Kurs bestimmen.<br />

Der personelle Aufbruch auf ihren Hinterbänken<br />

hat die Spitze bislang nicht erreicht.<br />

NancyPelosi,die als erfolgreichste Spendensammlerin<br />

und eifrige Strippenzieherinüber<br />

einen gewaltigen Einfluss verfügt, strebt den<br />

prestigeträchtigen Posten derSprecherindes<br />

Repräsentantenhauses an, den sie von 2007<br />

bis 2011 schon einmal bekleidete.Esscheint,<br />

als habe die Partei bis zu den Präsidentschaftswahlen<br />

2020 noch vielArbeit vorsich.<br />

Und das Land? Wie wird esweitergehen<br />

nach diesem Wahlkampf, der die Gräben<br />

zwischen rechts und links, Stadt und Land,<br />

Jungen und Alten, Männernund Frauen weiter<br />

vertieft hat? John Zogby ist ein Mann mit<br />

einem Hang zu feiner Ironie und bisweilen<br />

erschreckender Nüchternheit. Seit mehr als<br />

drei Jahrzehnten analysiert der Politikwissenschaftler<br />

aus New York die amerikanischen<br />

Wahlen und genießt trotz seines Bekenntnisses<br />

zu den Demokraten einen ausgezeichneten<br />

Rufals Meinungsforscher.<br />

Siewollen Blut<br />

Am Dienstagnachmittag steht der 70-Jährige<br />

hinter einem großen Pult im Foreign Press<br />

Center in Washington und schüttelt energisch<br />

den Kopf.Ein Journalist hat ihn gefragt,<br />

ob Demokraten und Republikaner nach dem<br />

Machtwechsel im Repräsentantenhaus nun<br />

zusammen die Probleme des Landes lösen<br />

werden. „Nein“, antwortet Zogby schnörkellos.„Nein.<br />

Ausrufezeichen!“ Seine Erklärung:<br />

„Die Demokraten wollen Blut, genauso wie<br />

die Republikaner Blut wollten. Und Donald<br />

Trump wirddas tun,was er am besten kann:<br />

Er wirdsichals dasOpfer inszenieren.“ Nach<br />

den Erfahrungen der vergangenen Monate<br />

spricht wenig dafür, dass Zogby mit seiner<br />

düsteren Prognose im Unrechtist.<br />

KarlDoemens<br />

trank bei der Wahlparty der<br />

Demokraten nur Wasser.

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