abi. 8/02 - Amtsblatt des hessischen Kultusministeriums
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ABl. 8/<strong>02</strong> Bekanntmachungen und Mitteilungen <strong>des</strong> Hess. <strong>Kultusministeriums</strong> 565<br />
Hochbegabtenförderung in <strong>hessischen</strong><br />
Schulen<br />
A. Grundsätze und Strukturen<br />
B: Hochbegabtenförderung in der Grundschule<br />
C: Schulpsychologische Beratung im Rahmen der Hochbegabtenförderung<br />
A. Grundsätze und Strukturen<br />
1. Individuelle Persönlichkeitsentfaltung und<br />
staatliche Erziehungsaufgabe<br />
Das Recht auf eine individuelle Entfaltung der Persönlichkeit<br />
und die hierfür nötige Unterstützung und Förderung<br />
ergibt sich aus Artikel 2 Abs. 1 <strong>des</strong> Grundgesetzes<br />
und ist zugleich ein Gebot pädagogischer Ethik. In Artikel<br />
56 Abs. 4 der Verfassung <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> Hessen ist die<br />
Erziehungsaufgabe <strong>des</strong> Staates in staatlichen Schulen,<br />
die zum Leben in der demokratischen Gesellschaft der<br />
Bun<strong>des</strong>republik Deutschland befähigen soll, festgeschrieben.<br />
Daraus ergibt sich der enge Zusammenhang<br />
zwischen dem Recht auf eine individuelle Persönlichkeitsentfaltung<br />
einerseits und dem Erfordernis einer gesellschaftlichen<br />
Einbindung durch soziales Lernen andererseits.<br />
Die derzeitige öffentliche Diskussion um Möglichkeiten<br />
einer Erhöhung der Leistungspotenziale zeigt das legitime<br />
Interesse an der Ausschöpfung gesellschaftlicher Bildungsressourcen.<br />
Die Aufgabe der Begabungsförderung<br />
im Schulwesen hat demnach eine individuelle und eine<br />
gesellschaftliche Dimension.<br />
Die Ergebnisse internationaler Schulleistungsvergleichsuntersuchungen<br />
legen nahe, die Art und Weise <strong>des</strong> Unterrichts<br />
und der Lernstrategien zu überdenken sowie das<br />
selbstgesteuerte und soziale Lernen zu verstärken und<br />
dadurch Leistungssteigerungen zu gewährleisten. Der<br />
gebotenen Weckung, Entfaltung und Anerkennung individueller<br />
Begabungspotenziale in den vorhandenen Klassen-<br />
und Lerngruppen aller Schulformen und Bildungsgänge<br />
kommt hierbei eine hohe Bedeutung zu.<br />
2. Intellektuelle Hochbegabung<br />
Der grundsätzliche Anspruch <strong>des</strong> Schulwesens, allen<br />
Kindern und Jugendlichen durch ein differenziertes<br />
schulisches Angebot gerecht zu werden, schließt auch<br />
die Gruppe der intellektuell Hochbegabten ein. Um das<br />
Recht je<strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> auf eine optimale Entfaltung seiner<br />
Anlagen und Potenziale im Schulunterricht sicherstellen<br />
zu können, bedarf es einer verstärkten Auseinandersetzung<br />
mit dem Begabungsbegriff in der Theorie und vermehrter<br />
Anstrengungen bei der Umsetzung sachgerech-<br />
ter Konzeptionen zur Begabungsförderung in der Praxis.<br />
Der individuellen Förderung intellektueller Hochbegabung<br />
muss gerade im Hinblick auf das gesellschaftliche<br />
Interesse an einer größtmöglichen Ausschöpfung der<br />
vorhandenen Bildungspotenziale ein erhöhter Stellenwert<br />
zukommen.<br />
Besondere bzw. hohe intellektuelle Begabung setzt sich<br />
– entgegen anders lautenden Auffassungen – keineswegs<br />
immer von alleine durch, sondern bedarf zu ihrer optimalen<br />
Entfaltung geeigneter Förder- und Fordermaßnahmen.<br />
Da besondere bzw. hohe Begabung sich in recht<br />
unterschiedlichen Leistungsbereichen realisieren kann,<br />
sind entsprechend differenzierte und individualisierte<br />
Förderprogramme zu entwickeln.<br />
Intellektuelle Hochbegabung ist zunächst ein – unsichtbares<br />
und häufig auch unauffälliges – Potenzial, das nur<br />
von fachlich speziell ausgebildeten Diplompsychologinnen<br />
bzw. -psychologen professionell diagnostiziert werden<br />
kann. Lehrkräfte können hochbegabte Schülerinnen<br />
und Schüler in der Regel dann erkennen, wenn diese sehr<br />
gute Leistungen bzw. Schulnoten erbringen. Neuere wissenschaftliche<br />
Untersuchungen belegen, dass Hochbegabte<br />
überwiegend unauffälliges Verhalten zeigen und<br />
sich im nicht-intellektuellen und sozialen Bereich nicht<br />
oder kaum vom Klassendurchschnitt unterscheiden.<br />
3. Hochbegabte und Hochleistende<br />
Die Parallelität von exzellenter Begabung und exzellenten<br />
Leistungen bzw. Schulnoten ist jedoch nicht immer<br />
gegeben. Im Einzelfall besteht kein zwingender Zusammenhang<br />
zwischen intellektueller Hochbegabung und<br />
herausragenden Leistungen bzw. sehr guten Schulnoten.<br />
Es ist daher systematisch zu unterscheiden zwischen intellektuell<br />
Hochbegabten und Hochleistenden (Klassenbeste,<br />
„Einserschüler“); nach vorliegenden empirisch belegten<br />
und repräsentativen Studien sind beide Schülergruppen<br />
keineswegs identisch. D.h. die Gruppe der<br />
Schülerinnen bzw. Schüler mit ausgezeichneten Schulnoten<br />
muss keinesfalls mit der Gruppe der intellektuell<br />
Hochbegabten identisch sein, und die Hochbegabten sind<br />
nicht durchgehend durch außergewöhnliche Leistungen<br />
bzw. sehr gute Noten identifizierbar, wenngleich es zwischen<br />
beiden Gruppen einen breiten Überschneidungsbereich<br />
gibt. Hochbegabung kann folglich durchaus mit<br />
nicht im Spitzenfeld liegenden Leistungen und Schulnoten<br />
und – in geringem Prozentsatz – sogar mit Verhaltensauffälligkeiten<br />
und Schulversagen einhergehen.<br />
Vor diesem Hintergrund ist vor der Konzipierung und<br />
Realisierung von spezialisierten Fördermaßnahmen genauestens<br />
abzuklären, welche Zielgruppe sie ansprechen<br />
sollen, auf welche Weise diese Zielgruppe zutreffend<br />
identifiziert und mit der Maßnahme zusammengebracht<br />
und wie die Maßnahme auf die Bedürfnisse und Voraussetzungen<br />
dieser Zielgruppe passgenau abgestimmt werden<br />
kann.