Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
12 * <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 14 · D onnerstag, 17. Januar 2019<br />
·························································································································································································································································································<br />
Berlin<br />
Künftiger<br />
Charité-Chef<br />
lobt Berlin<br />
Kroemer sieht im Bereich<br />
Gesundheit viel Potenzial<br />
Mehr Geld für<br />
Kampf gegen<br />
die Radikalen<br />
Islamistische und kriminelle<br />
Karrieren sind oft verknüpft<br />
VonAnne Brüning<br />
Nun ist es besiegelt. Heyo Kroemer,<br />
derzeit Chef der Universitätsmedizin<br />
Göttingen, wird abSeptember<br />
Vorstandsvorsitzender der<br />
Charité. Am Mittwoch unterschrieb<br />
der Pharmakologe beim Regierenden<br />
Bürgermeister Michael Müller<br />
(SPD) seinen Dienstvertrag für fünf<br />
Jahre. Damit gibt es in dem Landesunternehmen<br />
nach mehr als zehn<br />
Jahren einen Wechsel an der Spitze.<br />
Heyo Kroemer sei mit Abstand<br />
die beste Wahl, sagte der derzeitige<br />
Charité-Chef Karl Max Einhäupl bei<br />
der Vorstellung seines Nachfolgers<br />
im Roten Rathaus. InGöttingen und<br />
zuvor in Greifswald habe er gezeigt,<br />
dass er große Einrichtungen erfolgreich<br />
führen könne. Kroemer werde<br />
neue Impulse, Ideen und Netzwerke<br />
mitbringen – das sei gut für die<br />
Charité und Berlin.<br />
Mehr Kooperation mit Vivantes<br />
Heyo Kroemer erwarteten an der<br />
Charité große Aufgaben, vor allem in<br />
Hinblick auf Kooperation und Vernetzung,<br />
kündigte Müller an, der bei<br />
der Charité Aufsichtsratsvorsitzender<br />
ist. Als Beispiel nannte er die Vernetzung<br />
des Klinikums mit den drei <strong>Berliner</strong><br />
Universitäten. Sie sei wichtig,<br />
um in der Exzellenzstrategie des Bundes<br />
gemeinsam erfolgreich zu sein.<br />
Darüber hinaus müssten weiterhin<br />
Möglichkeiten zur Kooperation<br />
mit den ebenfalls landeseigenen Vivantes-Kliniken<br />
ausgelotet werden.<br />
Beide Einrichtungen sparen seit einiger<br />
Zeit durch Abstimmung und<br />
gemeinsame Maßnahmen –etwa in<br />
Einkauf und IT-Bereich – mehrere<br />
Millionen Euro jährlich ein.<br />
DieKooperation vonVivantes und<br />
Charité ist auch<br />
Gegenstand der<br />
im vergangenen<br />
Mai einberufenen<br />
Zukunftskommission<br />
„Gesundheitsstadt<br />
2030“. Das<br />
Wird Charité-Chef:<br />
Heyo Kroemer.<br />
IMAGO<br />
Gremium, in<br />
dem Kroemer –<br />
ursprünglich als<br />
externer Experte<br />
angeheuert –<br />
stellvertretender Vorsitzender ist, soll<br />
strukturelle Empfehlungen erarbeiten,<br />
um in Berlin Spitzenmedizin und<br />
Krankenversorgung zu fördern.<br />
Müller hat viel vor: „Wir wollen<br />
mindestens in Deutschland die führende<br />
Gesundheitsmetropole sein<br />
und auch international eine führende<br />
Rolle spielen“, sagte er. Kroemer<br />
scheint zuversichtlich, als künftiger<br />
Charité-Chef dazu beitragen zu<br />
können. Berlin habe großes Zukunftspotenzial,<br />
sagte er. Die Qualitäten<br />
der Charité seien in allen Bereichen<br />
–Forschung, Lehre und Krankenversorgung<br />
–herausragend. Und<br />
auch das Umfeld im Bereich Biomedizin<br />
mit Einrichtungen wie dem<br />
Max-Delbrück-Centrum und den<br />
Max-Planck-Instituten sei einmalig.<br />
Kroemer zeigte sich offen für<br />
Überlegungen, Bereiche der Charité,<br />
die vor mehr als zehn Jahren als<br />
Tochterfirmen aus dem Tarifsystem<br />
der Klinik ausgelagert wurden, wieder<br />
zu integrieren. Die Auslagerungen<br />
seien damals aus wirtschaftlicher<br />
Sicht wohl unumgänglich gewesen.<br />
Nun sei die Lage anders und<br />
man solle durchaus darüber diskutieren.<br />
„Dann müssen aber auch die<br />
Mittel für die materielle Belastung<br />
zur Verfügung stehen“, mahnte er.<br />
EinSchritt in Richtung Rekommunalisierung<br />
ist bereits vollzogen. Seit<br />
Januar ist die Charité-Tochter CFM,<br />
zu der Boten,Wachleute und Reiniger<br />
gehören, in Landesbesitz. Auch für<br />
die Rückführung der in der Tochterfirma<br />
CPPZ ausgegliederten Physiotherapeuten<br />
wirdzurzeit ein Konzept<br />
erarbeitet und es laufen Verhandlungen<br />
über die Tarife.<br />
Blick in einen <strong>Berliner</strong> Hinterhof: In Milieuschutzgebieten üben die Bezirke immer häufiger ihr gesetzliches Vorkaufsrecht aus. Der VBKI lehnt flächendeckende Ankäufe ab. TERROA<br />
„Wir haben andere große Aufgaben“<br />
Udo Marin vom Verein <strong>Berliner</strong> Kaufleute und Industrieller über Enteignungen und die Deutsche Wohnen<br />
Berlin diskutiert über die<br />
Frage, ob es sinnvoll ist,<br />
dass das Land Wohnungen<br />
ankauft, um die Mieter zu<br />
schützen. Eine Initiative will sogar<br />
Unternehmen wie die Deutsche<br />
Wohnen enteignen. Der Geschäftsführer<br />
des Vereins <strong>Berliner</strong> Kaufleute<br />
und Industrieller (VBKI), UdoMarin,<br />
nimmt im Interview dazu Stellung.<br />
Herr Marin, der VBKI warnt vor einer<br />
Debatte über die Enteignung großer<br />
Wohnungsunternehmen wie der<br />
Deutsche Wohnen. Wasist denn falsch<br />
an dem Wunsch, Wohnungen aus der<br />
Hand vonVermietern, denen es offenbar<br />
nur um die Steigerung des Gewinns<br />
geht, in öffentlichen Besitz zu<br />
überführen?<br />
Wir haben eine freiheitliche<br />
Staatsverfassung, in der der Schutz<br />
des Eigentums und eine marktwirtschaftliche<br />
Ordnung zwingender Bestandteil<br />
sind. Enteignungen lässt das<br />
Grundgesetz nur in absoluten Ausnahmefällen<br />
zu. Dieser Rahmen wird<br />
bei dem, was wir in diesen Tagen diskutieren,<br />
weit überschritten. Man<br />
kann das Geschäftsgebaren der Deutsche<br />
Wohnen kritisieren, nach meinen<br />
Informationen bewegt sie sich<br />
innerhalb von Recht und Gesetz.<br />
Wenn der Senat das Verhalten der<br />
Deutsche Wohnen anstößig findet,<br />
kann er die gesetzlichen Rahmenbedingungen<br />
ändern.<br />
Sind die Vermieter nicht selbst schuld<br />
an der Enteignungsdebatte, weil einige<br />
die angespannte Situation auf<br />
dem Immobilienmarkt ausnutzen?<br />
Der Mensch ist ein interessengeleitetes<br />
Wesen. So wie jeder versucht,<br />
seinen Gebrauchtwagen so teuer wie<br />
möglich zu verkaufen, kann man es<br />
einem Wohnungseigentümer eigentlich<br />
nicht vorwerfen, dass er versucht,<br />
Rendite zu erwirtschaften. Der Preisauftrieb<br />
in der Stadt ist ja auch die<br />
Kehrseite einer Medaille, die wir uns<br />
gerne alle um den Hals hängen: der<br />
wachsenden Attraktivität Berlins.<br />
Veränderung gehört dazu und ist<br />
auch wünschenswert. Ichglaube aber<br />
auch, dass es einen Konsens unter allen<br />
Beteiligten gibt, dass wir eine<br />
Stadt wie London, in deren Zentrum<br />
nur noch steinreiche Leute leben,<br />
nicht wollen. Der Dissens besteht<br />
darin, durch welche Methoden man<br />
einen stadtgerechten und sozial ausgewogenen<br />
Mixbehalten kann.<br />
Waswürden Sieempfehlen?<br />
Der Fokus muss darauf liegen,<br />
dass wir bauen, bauen, bauen. Es ist<br />
doch klar, dass in einer Marktwirtschaft<br />
die Preise steigen, wenn das<br />
Angebot knapp ist und die Nachfrage<br />
das Angebot übersteigt. Wenn wir<br />
wollen, dass der Druck vom Markt<br />
kommt, dann muss gebaut werden.<br />
Unser Vorwurfgegenüber dem Senat<br />
lautet, dass er in den vergangenen<br />
Jahren für den Neubau viel zu wenig<br />
getan hat. Denn welche Zielgruppe<br />
hat die größte Not? Das sind in meinen<br />
Augen diejenigen, die keineWohnung<br />
haben und nach einer Wohnung<br />
suchen – etwa Familien mit<br />
Nachwuchs. Essind weniger die, die<br />
schon eine Wohnung haben. Das<br />
Problem ist, wenn der Senat jetzt beginnt,<br />
für viele Milliarden Euro eine<br />
große Zahl an Wohnungen zu kaufen,<br />
sagen wir 40 000 aus dem ehemaligen<br />
GSW-Bestand, dann hilft er damit<br />
den Mietern inden 40 000 Wohnungen,<br />
im Durchschnitt sind das vielleicht<br />
zweieinhalb Personen pro<br />
Wohnung, also zusammen 100 000<br />
Mieter.Aber die Stadt hat fast vier Millionen<br />
Einwohner.<br />
DerSenat tut einiges für den Neubau.<br />
Das Problem ist doch eher, dass es<br />
nicht genügend Kapazitäten in der<br />
Bauwirtschaft gibt.<br />
Ja,das stimmt, wir haben auch da<br />
Engpässe. Aber ich denke, das steht<br />
nicht im Vordergrund. Berlin könnte<br />
mehr machen: Genossenschaften beklagen<br />
beispielsweise, dass sie nicht<br />
genügend Baugrundstücke bekommen.<br />
Undinder Debatte über die Zukunft<br />
der Elisabeth-Aue hat die rotrot-grüne<br />
Koalition beschlossen, dass<br />
diese landeseigene Fläche nicht für<br />
den Wohnungsbau genutzt werden<br />
soll. Unddann sollen auch noch die<br />
Laubenpieperflächen in der Innenstadt<br />
nicht angerührtwerden. Unsere<br />
Forderung ist, dass der Senat mehr<br />
Bau-Flächen bereitstellen muss.<br />
Ist das nicht zu einfach? Ziehen Sie<br />
sich da nicht aus der Verantwortung,<br />
dass die Bauwirtschaft mehr Kapazitäten<br />
aufbauen muss? Festzustellen ist<br />
EIN TRADITIONSREICHER VEREIN<br />
doch, dass in den vergangenen Jahren<br />
der Bauvon mehr als 20 000Wohnungen<br />
jährlich genehmigt wurde –die<br />
Kapazitäten reichen aber offenbar<br />
nur,um15000 bis 20 000Wohnungen<br />
jährlich zu bauen.<br />
Wenn es eine starke Nachfrage<br />
nach Bauleistungen gibt, dann mag es<br />
für einen vorübergehenden Zeitraum<br />
Engpässe geben. Dasist aber auch der<br />
Punkt, an dem Neuankömmlinge auf<br />
den Plan treten, weil der Marktfür sie<br />
attraktiv wird. So wird der steigenden<br />
Nachfrage ein wachsendes Angebot<br />
gegenüberstehen. Man kann jedoch<br />
einem Bauunternehmer, der seine<br />
Aufträge abarbeitet, nicht denVorwurf<br />
machen, dass er nicht wie wild expandiert.<br />
Ich gebe Ihnen aber recht: Natürlich<br />
hat der Mangel an Fachkräften<br />
Udo Marin, 63 Jahre, wurde in Bonn geboren und ist seit 2000 Geschäftsführer des Vereins<br />
<strong>Berliner</strong> Kaufleute und Industrieller (VBKI). Der VBKI wurde 1879 gegründet und zählt 2200<br />
Mitglieder aus Wirtschaft und Gesellschaft. Er sieht sich als Sprachrohr und Interessenvertretung<br />
der <strong>Berliner</strong> Wirtschaft. „Als Verfechter eines verantwortungsvollen Unternehmertums<br />
sind wir an den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft orientiert“, beschreibt er seine Haltung.<br />
einen verschärfenden Charakter, weil<br />
er die Kapazitäten begrenzt und die<br />
Preise treibt.<br />
Wenn der Senat zusätzlich zum Neubau<br />
Wohnungen ankaufen will wie<br />
die der GSW,wäredas eine ergänzende<br />
Maßnahme.Wasspricht dagegen?<br />
Da würde ich mich auf den Standpunkt<br />
des Finanzsenators zurückziehen,<br />
der gesagt hat, dass man punktuell<br />
Wohnungen kaufen kann. Ich<br />
wehre mich aber dagegen, dass der<br />
Ankauf als flächendeckendes Phänomen<br />
greifen soll, weil die Mittel, die<br />
dafür nötig sind, enormsind und nur<br />
einmal ausgegeben werden können.<br />
Denn wir haben anderegroße Aufgaben.<br />
Ichnenne mal das Thema Mobilität,<br />
die Sanierung und den Neubau<br />
von Schulen, das Thema Wissenschaft,<br />
die Verkehrsverbindungen<br />
Richtung Brandenburg. Berlin hat<br />
immer noch fast 60 Milliarden Euro<br />
Schulden. Deswegen halte ich es trotz<br />
der momentanen Haushaltsüberschüsse<br />
nicht für vertretbar, dass wir<br />
nun die vor 15 Jahren verkauften<br />
kommunalen Wohnungen der GSW<br />
für ein Vielfaches des damaligen Preises<br />
zurückkaufen. Auf einmal haben<br />
wir dann kein Geld mehr für die anderen<br />
Aufgaben. Denn wir müssen<br />
damit rechnen, dass irgendwann die<br />
Zinsen wieder steigen. Unddas wird<br />
die Handlungsfähigkeit des Senats<br />
und des gesamten Gemeinwesens<br />
einschränken.<br />
Kommen wir noch mal zur Wirtschaft<br />
und demVBKI. IhrVerein hat mit Leitsätzen<br />
für ehrbare Kaufleute Normen<br />
für ethisches Wirtschaftshandeln formuliert.<br />
Darin heißt es: „Der ehrbare<br />
Kaufmann unterstützt das Gemeinwohl<br />
in der Gesellschaft.“ Und: „Der<br />
ehrbareKaufmann fördertdie Weiterentwicklung<br />
unserer freiheitlichen<br />
Gesellschaftsordnung durch sein gutes<br />
Vorbild.“ Haben die Unternehmen der<br />
Wohnungswirtschaft das schon 1:1 in<br />
eigenes Handeln umgesetzt?<br />
Sicher nicht alle. Das habe ich Ja<br />
gesagt. Und esist völlig klar, dass es<br />
auf dem Wohnungsmarkt auch<br />
schwarze Schafe gibt. Wirtschaft ist<br />
Teil der Gesellschaft und gesellschaftliche<br />
Akzeptanz Grundvoraussetzung<br />
für wirtschaftliches Handeln.<br />
Gerade wir im VBKI wissen,<br />
dass wirtschaftlicher Erfolg auch gesellschaftliche<br />
Verantwortung mitbringt<br />
–und zwar über das unternehmerische<br />
Kerngeschäft hinaus.<br />
Dafür setzen wir uns ein, auch mit<br />
dem ehrbaren Kaufmann. Wenn ein<br />
Großteil der Gesellschaft das Gefühl<br />
hat, dass die Interessen von Wirtschaft<br />
und Gesellschaft nicht mehr<br />
kompatibel sind, dann schafft sich<br />
die Wirtschaft irgendwann selber ab<br />
–und die Gesellschaft sucht sich eine<br />
andere Wirtschaftsordnung, die mit<br />
weniger Freiheit verbunden ist. Das<br />
können wir alle nicht wollen. Deswegen<br />
glaube ich, dass es wichtig ist,<br />
dass Unternehmen immer darüber<br />
nachdenken, wie sie sich in dem gesellschaftlichen<br />
Kontext verhalten.<br />
Das heißt, ihr Appell richtet sich nicht<br />
nur an den Senat, vondem SieZurückhaltung<br />
in der Ankaufpolitik verlangen,<br />
sondern zugleich an die Wirtschaft,<br />
von der Siefordern, nach ihren<br />
ethischen Grundsätzen zu handeln?<br />
Das würde ich immer sagen, ja.<br />
Die <strong>Zeitung</strong>en sind ja voll von<br />
schlagzeilenträchtigen Negativbeispielen.<br />
Diese Verfehlungen einzelner<br />
Unternehmen und einzelner<br />
Personen sind kontraproduktiv und<br />
verdecken die Verdienste des weitaus<br />
größten Teils des Unternehmertums<br />
und der Wirtschaft um die Gesellschaft.<br />
Da wird ein großer Teil<br />
des Wohlstands erwirtschaftet, von<br />
dem wir alle zehren.<br />
DasGespräch führte Ulrich Paul.<br />
VonAndreas Kopietz<br />
Die Gefährlichkeit des Breitscheidplatz-Attentäters<br />
hatte<br />
die Polizei unterschätzt. Denn Anis<br />
Amri war Drogendealer, was nach<br />
gängiger Anschauung nicht zu einem<br />
Islamisten passte. Zuden fundamentalen<br />
Erkenntnissen aus dem<br />
Terroranschlag gehört jene, dass islamistische<br />
Gewalttäter auch gewöhnliche<br />
Kriminelle sein können.<br />
„Kriminelle Karrieren und Salafistenkarrieren<br />
liegen eng beieinander“,<br />
sagt auch der Politikwissenschaftler<br />
Hans-GerdJaschke vonder<br />
Hochschule fürWirtschaft und Recht<br />
(HWR). „Viele Salafisten haben eine<br />
kriminelle Karriere, dem muss man<br />
in der Präventionsarbeit mehr Beachtung<br />
schenken“, erläuterte er am<br />
Mittwoch im Verfassungsschutz-<br />
Ausschuss des Abgeordnetenhauses.<br />
Jaschke erarbeitete mit anderen<br />
HWR-Kollegen einen Bericht zur Islamistenszene<br />
und der Präventionsarbeit<br />
der vom Senat unterstützten<br />
Projekte. Dafür wertete er unter anderem<br />
Dokumente der Staatsanwaltschaft<br />
und Biografien von islamistischen<br />
Gewalttäternaus.<br />
Laut Jaschke erfolgt die Radikalisierung<br />
in Privatwohnungen, Gefängnissen,<br />
im Internet und in einigen<br />
Moscheen, wie etwa der Neuköllner<br />
Al-Nur-Moschee. „Was dort<br />
gelehrt wird, ist weitgehend unbekannt.“<br />
Jaschke empfahl eine stärkere<br />
kiezbezogene Förderung von<br />
Projekten und Ehrenamtlichen: „Die<br />
Akteure imKiez kennen sich besser<br />
aus,sind aber nicht so erfahren beim<br />
Stellen vonFörderanträgen.“<br />
Lebenshilfe im Alltag<br />
Berlin zahlte für Präventionsprogramme<br />
gegen islamistische Radikalisierung<br />
im vergangenen Jahr 2,2<br />
Millionen Euro. Innensenator Andreas<br />
Geisel (SPD) kündigte an, die<br />
Mittel im nächsten Doppelhaushalt<br />
aufzustocken. „Wir dürfen nicht erst<br />
eingreifen, wenn es zu spät ist und<br />
müssen frühzeitig die Probleme erkennen.“<br />
Zur Nachbetreuung von<br />
Aussteigern gehören etwa die Integration<br />
in den Arbeitsmarkt, Lebenshilfe<br />
im Alltag und gesellschaftliche<br />
Teilhabe. Notwendig seien eine bessere<br />
Vernetzung zwischen den Projekten<br />
und der Ausbau ressortübergreifender<br />
Zusammenarbeit, etwa in<br />
den Bereichen Bildung und Schule.<br />
In den Schulen wirdnach Ansicht<br />
von Experten zu spät oder gar nicht<br />
erkannt, wenn Schüler in Richtung<br />
Islamismus abdriften. „Die meisten<br />
Zuweisungen an uns haben wir von<br />
den Sicherheitsbehörden, nicht von<br />
den Schulen“, sagte im Ausschuss<br />
Thomas Mücke vom Violence Prevention<br />
Network, dem es nach eigenen<br />
Angaben seit Bestehen des Projektes<br />
in 133 Fällen gelang, junge Islamisten<br />
zu deradikalisieren.<br />
Der Verfassungsschutz zählt in<br />
Berlin über 1000 Salafisten –dreimal<br />
mehr als 2011. Der Salafismus ist<br />
eine besonders fundamentalistische<br />
Strömung im Islam und predigt eine<br />
Lebensweise wie zu Zeiten des Propheten<br />
Mohammed, der von571 bis<br />
632 gelebt haben soll.<br />
Mücke empfiehlt jedoch, den<br />
Blick nicht nur auf den Salafismus zu<br />
beschränken. Es gebe auch andere<br />
hochgefährliche Gruppen wie etwa<br />
„Realität Islam“, die eine hohe Mobilisierungsfähigkeit<br />
besitze. „Realität<br />
Islam“ agitiert vor allem über Youtube<br />
–etwa gegen Politiker, die für<br />
ein Kopftuchverbot von Schülerinnen<br />
unter 14 Jahren sind.<br />
Auch in einigen <strong>Berliner</strong> Moscheen<br />
und Moscheevereinen werden<br />
radikale Wertegepredigt. Innensenator<br />
Geisel bezeichnete im Verfassungsschutz-Ausschuss<br />
die Zusammenarbeit<br />
mit den<br />
muslimischen Gemeinden als problematisch.<br />
„Das darf aber nicht zu<br />
dauerhaftem Schweigen führen.“