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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 14 · D onnerstag, 17. Januar 2019 – S eite 21<br />
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Feuilleton<br />
Ein hoher Preis<br />
für die Karriere:<br />
der Tanzfilm „Yuli“<br />
Seite 23<br />
„Mein Geschmack liegt zwischen England und Deutschland.“<br />
Die Schaubühnendramaturgin Maja Zade schreibt jetzt eigene Stücke. Ein Porträt Seite 22<br />
Kulturgutschutzgesetz<br />
Milde<br />
Wirkung<br />
Harry Nutt<br />
blickt auf den Unterschied<br />
zwischen Zornund Statistik.<br />
Selten zuvor hat ein Gesetzesvorhaben<br />
die Kunstwelt derart aufgewühlt<br />
wie das sogenannte Kulturgutschutzgesetz<br />
von 2016. Namhafte<br />
Künstler verloren die Contenance<br />
und fürchteten die Enteignung von<br />
Werken, und für den <strong>Berliner</strong> Kunstanwalt<br />
Peter Raue war das Gesetz vor<br />
allem ein unanständiger Versuch des<br />
Staates,billig an all das heranzukommen,<br />
„was er gern indeutschen Museen<br />
und Archiven hätte“. Mit dem<br />
Gesetz solle „nunmehr die Enteignung<br />
des kulturellen privaten Besitzeslegalisiertwerden“,<br />
schrieb Raue.<br />
Daswaren schwereGeschütze, die<br />
auch die ausführende Kulturstaatsministerin<br />
Monika Grütters (CDU)<br />
verblüfften, ging es bei ihrer Gesetzesinitiative<br />
doch vor allem auch<br />
darum, die Wiederholung eines so<br />
spektakulären Falles wie den Verkauf<br />
zweier Warhol-Werke aus Landesbesitz<br />
zu vermeiden. DerFall hatte 2014<br />
über Wochen die Gemüter erhitzt.<br />
Warhols Bilder „Triple Elvis“ und<br />
„Four Marlons“ wurden für 151 Millionen<br />
Euro bei Christie’s versteigert.<br />
Aus dem Erlös sollte ein nordrheinwestfälisches<br />
Spielcasino saniertwerden,<br />
in dessen Besitz sich die Bilder<br />
befanden. Ein bestehendes Kulturgutschutzgesetz,<br />
so die flankierende<br />
Begründung für das Gesetzesvorhaben,<br />
hätte einen derart schnöden<br />
Deal verhindert. Warhols Bilder wärendemnach<br />
als nationales Kulturgut<br />
angesehen worden, das als Teil des<br />
kulturellen Erbes dem Schutz vorAbwanderung<br />
aus dem Bundesgebiet<br />
unterliegt.<br />
Die schlimmen Erwartungen der<br />
Kunsthändler und Künstler scheinen<br />
nicht eingetreten zu sein. Das geht<br />
aus Zahlen hervor, die Kulturstaatsministerin<br />
Monika Grütters nun, zwei<br />
Jahrenach der Einführung des Gesetzes,<br />
vorgelegt hat. Statt der prognostizierten<br />
130 000 Verfahren wurden<br />
jährlich lediglich etwas mehr als 2100<br />
registriert. In den zwei Jahren, die das<br />
Gesetz nun in Kraft ist, kam es zu insgesamt<br />
sechs sogenannten Eintragungsverfahren,<br />
in denen einzelnen<br />
Werken das Prädikat nationales Kulturgut<br />
attestiert wurde. Die Kunstexperten<br />
hatten seinerzeit eine Hochrechnung<br />
auf über 150 solcher Verfahren<br />
jährlich abgegeben.<br />
Monika Grütters wertet die beinahe<br />
homöopathische Wirkung des<br />
Gesetzes als Erfolg, auch wenn die<br />
Statistik die erzürnten Künstler noch<br />
nicht erkennbar beruhigt hat. Und<br />
den illegalen Handel mit Raubkunst<br />
dürfte ein Kulturgutschutzgesetz ohnehin<br />
nicht beeindrucken.<br />
2014 noch ungeschützt:<br />
Der dreifache Elvis von Andy Warhol.<br />
DPA<br />
Als die ersten Rezensionen<br />
zu Takis Würgers Buch<br />
„Stella“ letzte Woche erschienen,<br />
hatte ich von<br />
dem Roman erst ein paar Seiten gelesen.<br />
Am 11. Januar sollte er laut<br />
Verlag erst in die Läden kommen.<br />
Ging arglos an die Lektüre. Fand<br />
es eigentlich spannend, sich der<br />
strittigen historischen Figur der<br />
Stella Goldschlag, die Juden an die<br />
Gestapo auslieferte, in Form eines<br />
Liebesromans zu nähern. Aber an<br />
eine unbefangene Rezension ist<br />
nicht mehr zu denken, seit die<br />
Frankfurter Allgemeine und die Süddeutsche<br />
<strong>Zeitung</strong> mit selten erlebter<br />
Wutund Wucht auf den Roman losgehen.<br />
Dazu ein Urteil vorweg: So<br />
obszön („Nicht mal Stella hätte das<br />
verdient“) und selbstgefällig wie<br />
diese Verrisse ist der Roman in keinem<br />
Detail und nicht als Ganzes.<br />
Denn vor allem geht es den Blättern<br />
hier wohl um das Lostreten einer<br />
Debatte und um die Klarstellung,<br />
wem die Deutungshoheit der Geschichte<br />
gebührt. Oder warum<br />
schreibt jemand einen Text, groß wie<br />
eine Seite der <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong>, zu einem<br />
schmalen Bändchen, dessen<br />
stärkster Vorwurf nicht Geschichtsklitterung<br />
ist oder Verfälschung von<br />
Tatsachen, sondernbloß: Kitsch. Bei<br />
der Masse an Kitsch, die täglich unbeachtet<br />
auf dem Buchmarkt erscheint.<br />
Aber die bewegt sich eben<br />
nicht auf vermintem Terrain.<br />
Die Elternretten<br />
Stella Goldschlag, 1922 als Tochter<br />
eines Komponisten und einer Sängerin<br />
in Berlin geboren, träumt davon,<br />
in Amerika Karrierezumachen.<br />
Sie ist jung, schön, blond, musikalisch<br />
und nicht religiös, will keinesfalls<br />
eine Jüdin sein. Doch Nazi-<br />
Deutschland gibt ihr keine Chance.<br />
Sie wird verhaftet, gefoltert, freigelassen<br />
mit der Zusage,Verstecke von<br />
Juden an die Gestapo zuverraten.<br />
Zunächst, um ihreElternvor Deportation<br />
zu schützen. Doch trotz Kollaboration<br />
kann sie weder Ehemann<br />
noch Eltern vor dem Todbewahren.<br />
Stella bleibt Greiferin – nun wohl,<br />
um ihr eigenes Leben zu retten. Sie<br />
bekommt eine Tochter, heiratet fünf<br />
Mal. Es sind ungezählte, in jedem<br />
Fall Hunderte Menschen, die sie denunziert.<br />
Nach dem Krieg verurteilt<br />
ein sowjetisches Militärtribunal die<br />
Verräterin zu zehn Jahren Haft. 1994<br />
stürzt sie sich aus dem Fenster.<br />
Stella Goldschlags Mitschüler Peter<br />
Wyden veröffentlicht 1992 eine<br />
Biografie,„Stella“, der Spiegel druckt<br />
Fortsetzungen davon. Zwei <strong>Berliner</strong><br />
Musicals bringen den Stoff auf die<br />
Bühne. Trotzdem bleibt ihre Geschichte<br />
bis heute weitgehend unbekannt.<br />
Doch dieser Lebenslauf wie ein<br />
Paukenschlag wirft schon beim ersten<br />
Zuhören mehr Fragen auf, als je<br />
jemand beantworten könnte. Takis<br />
Würger kann es auch nicht, er versucht<br />
es nicht einmal. Er nähertsich<br />
vonquasi neutraler Seite und nur für<br />
eine Momentaufnahme. Seine<br />
Hauptfigur, der Ich-Erzähler Friedrich,<br />
ist ein treuherzig-naiver Zwanzigjähriger,<br />
Sohn einer Deutschen<br />
und eines Schweizer Tuchhändlers.<br />
Vermögend, ziellos,neugierig auf die<br />
verruchte Nazi-Hauptstadt steigt er,<br />
Anfang Januar 1942 vom Genfer See<br />
anreisend, im Grand Hotel am Brandenburger<br />
Torabund bleibt ein Jahr.<br />
Will herausfinden, ob das Gerücht<br />
stimmt, dass Juden in Berlin nachts<br />
in Möbelwagen abgeholt werden. Er<br />
nimmt Zeichenunterricht, begegnet<br />
Stella als Akt-Modell, als Bar-Sängerin,<br />
auf Partys, inder Wohnung des<br />
SS-Mannes Tristan von Appen bei<br />
amerikanischem Jazz und französischem<br />
Roquefort, in seiner Hotel-<br />
Badewanne. Erverliebt sich. Ist in<br />
der Stadt, als Stella in Gestapo-Fänge<br />
Festhalten!<br />
Jude!<br />
Nicht mal die Verräterin hättedas verdient?<br />
TakisWürgers Roman „Stella“ über eine Greiferin<br />
im Nationalsozialismus spaltet die Kritik<br />
VonBirgit Walter<br />
Das Vorbild für die Roman-Figur:Stella Goldschlag,fotografiertimJahr 1957.<br />
DAS BUCH<br />
Takis Würger:Stella<br />
Roman. Hanser,München 2019. 224 S.,22Euro<br />
Lesung am 11. Februar,20Uhr,Pfefferberg-Theater,Tel.: 93 93 58 555<br />
ULLSTEIN<br />
gerät, ihre Identität preisgibt und<br />
ihre Greifer-Tätigkeit beginnt. Er<br />
denkt: „Ich weiß nicht, ob es richtig<br />
ist, einen Menschen zu verraten, um<br />
einen anderen zu retten.“<br />
In einer historischen Situation, in<br />
der Deutschland gerade die Vernichtung<br />
von Millionen Menschen beschließt,<br />
sind es lapidare Sätze wie<br />
diese, die Literaturkritiker auf die<br />
Barrikaden bringen. Aber der Autor<br />
überlässt seine Liebesgeschichte nie<br />
ihrer unbestimmten Selbstvergessenheit.<br />
Er unterbricht die zwölf Monatskapitel<br />
mit Zeittafeln, montiert<br />
Aktennotizen in den Roman. Beides<br />
geeignet zum Erschaudern, bei aller<br />
Sachlichkeit und trotz der Vernehmersprache.<br />
Aus dem <strong>Berliner</strong> Landesarchiv<br />
stammen die Akten, in der<br />
Zeugen schildern, wie „die Beschuldigte“<br />
die Untergetauchten aufspürte,<br />
sie in Fallen lockte, als Jüdin<br />
unter Juden der Gestapoüberließ: in<br />
der Blindenwerkstatt, der Wohnung,<br />
bei der Arbeit, auf der Straße.Rannte<br />
einer weg, rief sie: „Festhalten! Jude!“<br />
Auch das weitere Schicksal der Denunzierten<br />
ist notiert, Auschwitz zumeist.<br />
Die Zeittafeln geben in Stichworten<br />
wieder,was in Alltag und Politik<br />
passierte. Wann die Wannseekonferenz<br />
die Tötung der Juden in<br />
Europa protokollierte, wann der<br />
erste Zug nach Auschwitz rollte, ab<br />
wann „Vierteljuden“ noch zur<br />
Schule gehen durften, „Halbjuden“<br />
aber nicht mehr.<br />
Groß war das Geschrei<br />
Die Korrelation aus dem Auf und Ab<br />
der Liebesbeziehung, den politischen<br />
Umständen und den Folgen<br />
desVerrats erzeugtbeim Lesen einen<br />
ganz beachtlichen Sog, den Daniel<br />
Kehlmann im Klappentext „mit<br />
Spannung und Erschrecken“ beschreibt.<br />
Die ganze Erzählung lässt<br />
nicht kalt, wobei man den kurzatmigen<br />
Stil, die abschweifende Genauigkeit<br />
überflüssiger Beobachtungen<br />
wahrlich nicht goutieren muss. Klar<br />
mag man sich wünschen, in einem<br />
Werk namens „Stella“ etwas mehr<br />
über die Frau zu erfahren statt über<br />
ihr geklautes Seidenkleid. Fühlte sie<br />
Schuld? Wie viel Jagdinstinkt steckte<br />
in ihr? Aber werweiß das schon, und<br />
ein Roman ist kein Wunschkonzert.<br />
Selbstverständlich aber ein Weg,<br />
„Unerzählbares“ zu erzählen. Groß<br />
war das Geschrei, als vor 40Jahren<br />
die Serie „Holocaust“ ins deutsche<br />
Fernsehen kam, als „Hetzsendung“<br />
diffamiert. Und dann vermittelte<br />
ausgerechnet eine amerikanische<br />
Seifenoper der deutschen Öffentlichkeit<br />
–auch der ostdeutschen –<br />
erst mal eine Ahnung vom Ausmaß<br />
desLeids und der Verbrechen.<br />
Und heute soll es ein „richtiges<br />
Vergehen“ (Süddeutsche) sein, ein<br />
solches Buch auch als Beitrag zur<br />
Schoah-Erinnerung herauszubringen?<br />
Sehr rüde mutet auch an, den<br />
Spiegel-Autor Takis Würger, 33, vor<br />
zwei Jahren mit dem viel gelobten<br />
Debütroman „Der Club“ erfolgreich,<br />
in eine Reihe mit dem Ex-Spiegel-<br />
Autor Claas Relotius zu stellen –wegen<br />
der Ähnlichkeit des sprachlichen<br />
Kitsches (FAZ). Aber der eine hat Reportagen<br />
erfunden und eine Branche<br />
beschädigt, der andereeinen Roman<br />
geschrieben. Inzwischen folgen<br />
übrigens auch positive Besprechungen,<br />
und der NDR wählte „Stella“ zu<br />
seinem Buch desMonats.<br />
„Was denken Sie über das Buch?<br />
Ich beantworte jede Nachricht“,<br />
schreibt Takis Würger am Ende seines<br />
Buches undnennt seine E-Mail-<br />
Adresse. Sicher ein voreiliges Versprechen.<br />
Birgit Walter wundert<br />
sich über die heftigen<br />
Reaktionen auf den Roman.<br />
NACHRICHTEN<br />
Daniel Spankewird neuer<br />
Chef der Liebermann-Villa<br />
DerKunsthistoriker Daniel Spanke<br />
wirdneuer Direktor der Max-Liebermann-Villa<br />
am Wannsee in Berlin.<br />
Der52-Jährige habe für das Kunstmuseum<br />
Stuttgartden Umbau des<br />
Wohnhauses vonOtto Dixkonzipiert<br />
und bringe so entscheidende Erfahrungen<br />
für die Leitung des Künstlermuseums<br />
mit, berichtete die Max-<br />
Liebermann-Gesellschaft am Mittwoch.<br />
Spanke war zuletzt Direktor<br />
des Gustav-Lübcke-Museums in<br />
Hamm, davor Kurator an den Kunstmuseen<br />
Bern undStuttgart. Mit<br />
neuen Ausstellungen wolle er das<br />
Werk des Malers MaxLiebermann<br />
(1847−1935) in der Villa deutlicher in<br />
den Vordergrund rücken, erklärte<br />
Spanke.Auch wolle er im Garten gelegentlich<br />
Kunstwerke inszenieren.<br />
Dieheute öffentlich zugängliche<br />
Villa hatte sich der Maler 1909 bauen<br />
lassen. In dem Haus entstanden<br />
mehr als 200 Gemälde,den fast 7000<br />
Quadratmeter großen Garten gestaltete<br />
Liebermann selbst. (dpa)<br />
Neuer Cranberries-Song<br />
nach Todder Sängerin<br />
Am ersten Todestag ihrer Sängerin<br />
Dolores O’Riordan hat sich die irische<br />
Band The Cranberries mit einem<br />
neuen Lied zurückgemeldet.<br />
Am Dienstag wurde das Stück mit<br />
dem Titel „All Over Now“auf dem<br />
Youtube-Kanal der Gruppe veröffentlicht.<br />
Darin<br />
auch zu hören:<br />
O’Riordans<br />
Stimme.Den Angaben<br />
unter dem<br />
Video zufolge ist<br />
der Song die<br />
IMAGO<br />
Die verstorbene<br />
Dolores O’Riordan<br />
erste Single des<br />
neuen und letzten<br />
Albums „In<br />
The End“, das<br />
am 24. Aprilerscheinen<br />
soll. O’Riordan starb am<br />
15. Januar 2018 unter Alkoholeinfluss<br />
in einer Hotel-Badewanne.The<br />
Cranberries aus dem irischen Limerick<br />
verkauften in den 90er-Jahren<br />
weltweit Millionen Tonträger. (dpa)<br />
Bundesverdienstkreuz<br />
für Klaus Farin<br />
Klaus Farin, Mitbegründer des Archivs<br />
der Jugendkulturen ,ist mit<br />
dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet<br />
worden. DasArchiv der Jugendkulturen<br />
sammelt seit 1998 in<br />
seinen Räumen in KreuzbergMedien<br />
und andereDokumente mit<br />
Blick auf jugendkulturelle Aspekte,<br />
darunter 40 000 Zeitschriften, 4000<br />
Tonträger und 400 wissenschaftliche<br />
Arbeiten. DerJournalist und Autor<br />
Klaus Farinleitete es ehrenamtlich<br />
bis 2011. Heuteist der 61-Jährige Geschäftsführer<br />
des Hirnkost-Verlags,<br />
in dem Forschungsergebnisse zur<br />
Jugendkultur publiziertwerden. Außerdem<br />
ist er Vorsitzender der Stiftung<br />
Respekt. (BLZ)<br />
Spielberg dreht im Sommer<br />
„West Side Story“ neu<br />
Steven Spielberghat für seine Neuverfilmung<br />
des Musicals „West Side<br />
Story“ eine Hauptdarstellerin gefunden,<br />
eine 17-jährige Schülerin aus<br />
NewJersey.ImSommer soll gedreht<br />
werden. DieOriginal-Verfilmung<br />
vonLeonardBernsteins Broadway-<br />
Hiterhielt 1962 zehn Oscars. (dpa)